Endlich zu Hause angekommen, setzte sich Methos an seinen Schreibtisch und ließ den Abend noch einmal Revue passieren.
Nachdem er Johanna alleine gelassen hatte, war er zu Franz gegangen, um die Sache mit ihm zu besprechen. Franz hatte ihn offenbar erwartet, denn er schob nur ein paar Papiere auf die Seite und sah Methos erwartungsvoll an als dieser eintrat.
"Und? Was meinst du?"
"Ich denke, dass sie übertreibt, dass sie manche Dinge in ihrer Fantasie schrecklicher macht, als sie in Wirklichkeit waren." Methos sah, dass Franz ihm ins Wort fallen wollte und hob die Hand, um ihn zu stoppen. "Aber ich glaube außerdem, dass mit ihrem Chef etwas nicht stimmt und dass er ihr vielleicht hinterher war. Sie ist immerhin ein attraktives Mädchen. Was auch immer geschehen sein mag, sie kann nicht wieder dort arbeiten. Ich werde morgen mit ihrer Familie und ihrem Arbeitgeber sprechen, um die Sache zu klären. Ich hoffe ich kann ihren Vater davon überzeugen, dass sie morgen zurück nach Hause kann."
"Das wäre mit Sicherheit das Beste," sagte Franz zögernd. "Ich denke allerdings, dass mehr dahintersteckt, als ein Chef, der seine Angestellte belästigt..."
'Das musste ja kommen,' dachte Methos. 'Ich wünschte, ich könnte ihn davon überzeugen, dass dem nicht so ist, denn wenn sich mein Verdacht bestätigt, sollte er sich besser nicht in der Nähe aufhalten.' "Was meinst du mit mehr?""
"Nun ja, das Blut, die schweren, immer vorgezogenen Vorhänge..."
Methos sah ihn herausfordernd an.
"Ich will ehrlich sein, auch auf die Gefahr hin, dass du mich für verrückt hältst. Ich denke wir haben es mit Vampiren zu tun und deshalb glaube ich, dass wir dafür sorgen sollten, dass Johanna schnellstmöglich zurück nach Hause kommt, wo sie ihr nichts tun können."
"Nehmen wir einmal an, es gäbe Vampire, warum sollten sie solch einen Aufwand treiben, wegen eines Mädchens?" fragte Methos, denn das hatte er sich auch schon gefragt und war der einzige Grund, warum er unbedingt mit Herrn Engel sprechen wollte. Er wollte seinen Verdacht mit eigenen Augen bestätigen und konnte dabei keinesfalls einen Sterblichen brauchen, der aus purer Neugier heraus mit wollte.
"Du glaubst mir also?"
"Das habe ich nicht gesagt. Aber diese Frage würde mich trotzdem interessieren."
"Ich weiß auch nicht, ich könnte mir vorstellen, dass es eine Art Zeitvertreib sein könnte, um die Jagd spannender zu gestalten oder so."
'Er könnte auf der richtigen Spur sein, doch das macht es nicht gerade einfacher,' dachte Methos. Laut sagte er: "Könnte sein. Also, was schlägst du vor? In Bezug auf Johanna meine ich. Und zwar auch für den Fall, dass es keine Vampire gibt," fügte er mit einem lächeln hinzu, von dem er hoffte, es würde sein Gegenüber verunsichern.
Scheinbar zeigte es Wirkung, denn Franz sagte: "Nun, in dem Fall sollten wir tun, was du vorgeschlagen hast. Wir behalten Johanna bis morgen hier und dann sehen wir weiter."
"Ich glaube auch, dass wir ihr ein anderes Zimmer geben sollten. Kannst du dich darum kümmern?"
"Mach ich," versprach Franz. "Wenn du willst, kann ich morgen früh mit ihrer Familie reden und dafür sorgen, dass sie dorthin zurück kann."
"Das wäre gut, aber sag nichts über Vampire oder dergleichen," warnte Methos. "Und mach ihr klar, dass auch sie nichts darüber sagen soll!"
"Ist gut, werde ich."
Damit war das Gespräch beendet und Methos machte sich auf den Nachhauseweg.
Und nun saß er hinter seinem Schreibtisch und ließ sich alles noch einmal durch den Kopf gehen. Am liebsten wäre er sofort zur Villa der Engels gefahren, doch er wusste, dass er um diese Uhrzeit nicht einfach so an der Tür klopfen und Einlass fordern konnte. Also musste das Treffen bis zum Morgen warten. Ihm war allerdings überhaupt nicht wohl dabei, denn er musste ständig daran denken, was Franz als genügendes Motiv ansah: Langeweile.
Das alleine wäre noch nicht genug gewesen, ihn so zu beunruhigen – er war schließlich selbst schon ein paar Jahrtausende alt und wusste, was man aus Langeweile alles anstellen konnte – doch es steckte noch mehr dahinter. Denn wenn es einem Vampir gelang, seine Gelüste so weit zurückzustecken bzw. geheim zu halten, dass er als ehrbares Mitglied der Gesellschaft durchging, nur um dann ein Mädchen zu terrorisieren, dann war dies ein neues Maß an Grausamkeit. Außerdem bewies es die Intelligenz des betreffenden Vampirs.
Alles zusammengenommen fand Methos dies durchaus erschreckend. Die Vampire, die ihm bisher begegnet waren, waren alle mehr wie Tiere gewesen. Aber hier – das war etwas völlig anderes. Methos dachte an Johanna und fasste den Entschluss, sie zu schützen. Außerdem musste er versuchen, Franz herauszuhalten, der wusste schließlich noch nicht einmal worauf er sich wirklich einließ.
Am nächsten Morgen klopfte Methos an Franz' Bürotür, erhielt aber keine Antwort. Er versuchte die Tür zu öffnen, doch sie war abgeschlossen. Er ist bestimmt bei Johanna, dachte er und machte sich auf den Weg in den Teil des Gebäudes, in dem er Johannas neues Zimmer vermutete. Dort fragte er die Krankenschwester, wo er Johanna finden könne.
Nach kurzem Anklopfen betrat er den Raum. Johanna saß auf ihrem Bett, offensichtlich bereit zu gehen. Sie grüßte ihn und fragte, ob sie wieder nach Hause könne.
"Ich denke du wirst im Laufe des Tages zurück können. Hast du meinen Kollegen gesehen? Ich dachte ich würde ihn hier vielleicht treffen", fragte Methos beunruhigt.
"Er hat ganz früh nach mir gesehen und mich gebeten, ihm den Weg zum Haus meiner Eltern zu beschreiben. Ich glaube er wollte mit ihnen reden."
"Oh, gut. Dann wird er sicherlich noch dort sein, " sagte Methos und ärgerte sich, dass er vergessen hatte, dass Franz das ja übernehmen wollte. "Er wird sicher bald zurück sein und dann kannst du wieder nach Hause. Wie geht es dir heute?"
"Besser. Ich glaube fast, ich hätte alles nur geträumt. Ich hoffe nur, dass mein Vater zustimmen wird, dass ich mir eine andere Arbeitsstelle suche. Dann werde ich es hoffentlich ganz vergessen können." Als sie ihn ansah wusste Methos, dass sie stärker war, als sie aussah und darüber würde hinwegkommen können. Obwohl sie mehr gesehen hatte, als es sich normale Leute überhaupt vorstellen konnten.
"Ich denke, dass das möglich sein wird. Wir reden mit deinem Vater... das heißt, mein Kollege tut es im Moment. Er kriegt das schon hin," versicherte er ihr.
In seinem Büro suchte er die Unterlagen zusammen und fand darin die Adresse der Engels. Er wusste, wo das war, und beschloss, ihnen sofort einen Besuch abzustatten. Da es nicht allzu weit entfernt war wollte er laufen.
Als er die richtige Villa gefunden hatte klopfte er an der Tür. Er wollte schon wieder umkehren, als sie ihm endlich auf gemacht wurde. Er stellte sich der Dame vor und bat mit Herrn Engel sprechen zu dürfen.
Sie musste Frau Engel sein. Johannas Beschreibung passte bis ins Detail.
"Mein Mann ist sehr beschäftigt, aber wenn sie einen Moment warten wollen, wird er sicher bereit sein, mit ihnen zu reden."
"Das ist kein Problem, die Zeit habe ich."
"Gut, dann kommen sie rein." Frau Engel ging voraus, zeigte ihm das Wohnzimmer und bat ihn dort zu warten. Dann verschwand sie, ließ aber die Türe angelehnt.
Methos sah sich in dem großen und trotz der Fenster dunklen Raum um. Johanna hatte recht gehabt. Schwere Vorhänge hingen an den Fenstern, doch im Moment waren sie nicht zugezogen. 'Gerade scheint auch keine Sonne herein,' dachte Methos. Die Einrichtung wirkte schwer und teuer. Es gab eine Sitzgruppe aus schwarzem Leder um einen kleinen Marmortisch herum. Auf der anderen Seite des Raumes war ein großer Kaminofen und an den Wänden Regale und Schränkchen mit Glastüren, so dass er einen guten Blick darauf hatte, was darin stand. Darunter waren dicke Bücher und Waffen, die sehr alt aussahen. Methos sah sich ein Schwert näher an. Es musste fast 200 Jahre alt sein.
Dann wurde er aus seinen Gedanken gerissen, als er auf dem Flur Stimmen hörte, die sich auf englisch unterhielten und scheinbar nicht damit rechneten, dass er sie verstehen konnte, denn sonst hätten sie sicher nicht so laut gesprochen.
Frau Engels Stimme sagte: "Reg dich nicht auf, du redest mit ihm und wir sind ihn los. Warum musstest du überhaupt der Kleinen solche Angst machen? So kurz vor dem Ziel!"
"Ich ihr Angst machen!?" empörte sich eine männliche Stimme, "damit hattest du genauso viel zu tun wie ich. Außerdem kannst du nicht leugnen, dass ihr Gesicht, bevor sie gestern aus dem Haus gestürmt ist, allen Ärger wert war und noch wert ist."
"Angelus, was hast du vor?"
"Nichts."
"Das glaubst du doch selbst nicht! Tu mir den Gefallen und warte wenigstens, bis wir haben, wozu wir gekommen sind. Dann kannst du mit ihr machen, was du willst."
"Ich mache sowieso was ich will. Außerdem glaube ich nicht, dass wir den Stein noch finden – das ist eh alles Humbug!"
"Wie du meinst! Dann werde ich auf eigene Faust danach suchen und du kannst dich mit deiner Kleinen vergnügen!"
Dann hörte Methos, wie eine Tür geräuschvoll ins Schloss fiel und Herr Engel – Angelus? – noch murmelte: "Frauen! Als hätte sie nicht sowieso schon ewige Jugend, was braucht sie da den Stein?"
Methos beeilte sich so zu tun, als sei er vollauf damit beschäftigt, die Waffen anzusehen. Da ging auch schon die Tür auf und ein Mann trat ein.
"So, ich bin Herr Engel," stellte er sich vor und streckte ihm die Hand hin, "und sie sind dann wohl Doktor Gruber?"
"Ja, der bin ich", sagte Methos und nahm die Hand.
"Ich nehme an es geht um meine Haushaltshilfe. Setzen wir uns doch."
Sie nahmen auf der Sitzgruppe Platz.
"Ich würde ihnen gerne einen Kaffee oder einen Tee anbieten, aber nachdem Johanna nicht hier sein kann..." Er machte eine kurze Pause. "Wie geht es ihr?"
"Den Umständen entsprechend. Deswegen bin ich hier. Ich zweifle nicht daran, dass sie unter Verfolgungswahn oder etwas ähnlichem leidet, dennoch halte ich es für ratsam, wenn sie ihr Beschäftigungsverhältnis lösen würden." Methos hatte sich entschieden, Herrn Engel auf keinen Fall merken zu lassen, dass er wusste, was er war. Das würde die Sache nur unnötig verkomplizieren, vor allem nach dem was er gehört hatte. Es war durchaus möglich, dass Herr Engel seiner Frau doch den Gefallen tun würde, seine Finger bei sich zu lassen und dann konnte es auch sein, dass es ausreichen würde, Johanna aus seinem Einflussbereich zu entfernen, um sie zu schützen.
"Meinen sie wirklich, dass das notwendig sein wird? Sie hat gute Arbeit geleistet und ich möchte sie ungern verlieren."
"Ja, ich glaube, dass das das Beste sein wird. So kann sie sich wieder beruhigen und eventuell wieder ein normales Leben führen."
"Meinen sie nicht, dass es etwas bringen würde, wenn ich noch einmal mit ihr rede?"
Langsam wurde Methos sauer. Da saß ein Vampir, der nicht nur versuchte ihn für dumm zu verkaufen, sondern der auch noch seine ärztliche Kompetenz anzweifelte. "Ich denke nicht dass das etwas bringen würde," erwiderte er und einer plötzlichen Eingebung folgend setzte er hinzu: "Und selbst wenn, sie hat auf mich einen äußerst instabilen Eindruck gemacht und deshalb glaube ich, dass es sehr wahrscheinlich ist, dass sie rückfällig wird. Um ehrlich zu sein, unsere Klinik ist ohnehin schon überlastet, da können wir es nicht brauchen, wenn jeden Monat derselbe Patient wegen des selben Problems erneut eingewiesen wird." Methos hoffte, dies würde helfen. Wenn er einen dummen Arzt wollte, dann sollte er ihn bekommen.
"Also schön. Dann wird mir nichts anderes übrig bleiben, als mir einen Ersatz für Johanna zu suchen," sagte Engel im Aufstehen. Für ihn war das Gespräch offenbar beendet.
Auch Methos erhob sich und ließ sich zur Tür bringen, wo er sich verabschiedete.
Auf dem Weg zurück wurde er das Gefühl nicht los, dass er etwas wichtiges gehört hatte. Etwas, das zwar mit dem belauschten Gespräch zu tun hatte, aber irgendwie nicht direkt. Nichts inhaltliches – es war etwas anderes und er konnte sich partout nicht erinnern was.
