Er hatte die Klinik kaum betreten, da traf er auf Franz, der in der Eingangshalle einen Plausch mit der Dame am Empfang hielt. Als er Methos sah brach er das Gespräch ab und kam auf ihn zu.
"Hallo Arthur, gerade waren Johannas Eltern da und haben sie abgeholt."
"Hallo. Dann hast du es also heute morgen geschafft, sie zu überzeugen. Hast du auch mit ihnen darüber geredet, dass das Mädel eine andere Arbeitsstelle braucht?"
"Ja, habe ich. Zuerst waren sie nicht besonders begeistert. Herr Engel muss sie schwer beeindruckt haben, oder vielleicht auch eher sein Geld, aber schließlich haben sie eingesehen, dass es das Beste wäre."
"Sehr gut. Dann können wir das als erledigt ansehen," sagte Methos und hoffte, dass Franz sich damit zufrieden geben würde und auch nicht fragen würde, wie das Gespräch mit Herrn Engel verlaufen sei.
"Wie ist es eigentlich bei Herrn Engel gelaufen?" fragte Franz und Methos dachte nur: 'Das war ja klar!'
"Nette Leute, sehr verständnisvoll. Er wollte sie zwar lieber als Haushaltshilfe behalten, aber musste dann auch einsehen, dass das nicht gut gehen würde." In Sekundenbruchteilen hatte Methos beschlossen, dass er Franz mit allen Mitteln davon überzeugen musste, dass an seinem Verdacht nichts dran war. Und das obwohl sein Verstand davon ausging, dass die Sache wirklich erledigt war – es war so ein Gefühl im Bauch, das er nicht einfach übergehen konnte.
"Wirklich? Und was ist mit du-weißt-schon?" fragte Franz vorsichtig, immerhin waren sie noch immer in der Lobby.
"Ich glaube sie hat sich das eingebildet – und du wahrscheinlich gleich mit", setzte Methos hinzu, als er Franz' Blick sah. "Lassen wir das einfach. Ich hab noch was zu erledigen."
"Also schön, wie du meinst," erwiderte Franz, doch Methos sah, dass es für Franz noch lange nicht erledigt war. Resignierend schüttelte er den Kopf und ging die Treppen hinauf in sein Büro. Er könnte jetzt sowieso nichts sagen, was Franz in irgendeiner Weise zufrieden stellen würde, dessen war er sich sicher.
Er zog seine Jacke aus und setzte sich hinter seinen Schreibtisch, auf dem noch Krankenakten darauf warteten, dass er sie durcharbeitete. Doch statt damit anzufangen lehnte er sich zurück und verschränkte die Arme hinter seinem Kopf. Da war es wieder, das Gefühl, dass irgendetwas nicht stimmte. Er starrte an die Decke, als sei dort die Antwort zu finden und dachte an das belauschte Gespräch. Um was war es gegangen? Einen Stein? Ja, einen Stein, den Herr Engel für Humbug hielt.
Er schüttelte frustriert den Kopf. Nein, das war es nicht.
Jetzt starrte er gedankenverloren an die Wand neben der Tür, an der eine Zeichnung hing, die ihm eine kleine Patientin gemalt hatte. Trotz dass sie erst sieben gewesen war und noch dazu an geistiger Unterentwicklung litt, konnte man die Engel darauf sehr gut erkennen.
Engel... dachte Methos, Engel, wie sein Nachname.
Stop.
Hatte seine Frau ihn nicht noch anders genannt? Was hatte sie noch gleich gesagt...
Angelus! Das war es! Das lateinische Wort für Engel. Plötzlich wurde ihm schlecht, denn nun wusste er, woher das ungute Gefühl kam. Er hatte den Namen schon einmal gehört, in Zusammenhang mit sehr grausamen Morden. Doch er hatte alles immer für ein Gerücht gehalten, für etwas, das man am Lagerfeuer erzählte...
Er konnte sich nicht mehr richtig an die Geschichten erinnern, er hatte ihnen nie viel Beachtung geschenkt. Jetzt hätte er sich dafür die Haare ausreißen können. Er schnappte sich seine Jacke und stürmte aus seinem Büro. Er kannte eine Bibliothek in der Stadt, in der er die Sorte Bücher finden würde, die sein Gedächtnis wieder auffrischen würde.
Auf dem Weg merkte er, dass er Hunger hatte, es war schließlich schon Nachmittag und so nahm er bei einem Bäcker noch etwas Verpflegung mit, die er bis er in der Bibliothek ankam auch schon hinuntergeschlungen hatte.
Drinnen ging er die Regale entlang bis in die hinterste Ecke. Dort fand er was er suchte und machte sich an die Lektüre, die er abstoßend und fesselnd zugleich fand.
Im wurde bewusst, dass er sein Gegenüber unterschätzt hatte und dass dieser eine Schwäche dafür hatte, ganze Familien auszulöschen. Er fand auch eine Zeichnung von der Vampirin, die ihn verwandelt hatte, Darla hieß sie, und musste feststellen, dass er auch ihre Bekanntschaft schon gemacht hatte. Sie war "Frau Engel".
In einem anderen Buch war beschrieben, welchen Regeln Vampire unterlagen. Nichts davon war neu für Methos, doch bei der Stelle, an der erklärt wurde, dass Vampire eingeladen werden müssen, damit sie ins Haus können, stockte ihm der Atem. Franz hatte doch erzählt, dass Herr Engel, also Angelus, persönlich bei den Deckers gewesen sei, um sie davon zu überzeugen, Johanna bilde sich alles ein.
Methos schnappte sich in Windeseile seine Jacke. Er nahm sich nicht die Zeit, seine Bücher aufzuräumen, sondern prüfte, ob sein Schwert noch an Ort und Stelle war und lief hastig aus der Bibliothek. Draußen merkte er, dass es schon dunkel war. Das spornte ihn weiter an. Er versuchte sich an die Adresse der Deckers zu erinnern, er musste Johanna warnen.
Er hielt eine Kutsche an und rief dem Fahrer die Adresse, die ihm Gott sei Dank wieder eingefallen war, zu.
Alles schien ihm zu langsam zu gehen, doch der Kutscher weigerte sich, seine Pferde noch mehr anzutreiben. Als sie endlich ankamen und er den Kutscher bezahlt hatte – dieser wollte ihn sonst nicht gehen lassen – rannte er die restlichen Meter zur Haustür und hämmerte dagegen.
Zu seinem Erstaunen wurde ihm fast sofort geöffnet. Johanna stand vor ihm und er drängte an ihr vorbei ins Haus. Gerade als er sich ihr zuwenden und erklären wollte, was los war, spürte er einen dumpfen Schlag gegen den Hinterkopf und wurde ohnmächtig.
Als er wieder zu sich kam, merkte er, dass seine Hände an die Lehnen und seine Füße an die Beine eines Stuhls gebunden waren. Ihm gegenüber war auch Johanna an einen Stuhl gefesselt. Als er rechts von sich seinen Kollegen Franz entdeckte, der blutüberströmt aber offenbar leblos auf dem Boden lag, hätte er am liebsten geschrieen, doch diese Genugtuung wollte er Angelus nicht geben.
'Es war für ihn wohl alles andere als erledigt,' dachte er wütend und traurig zugleich. Er sah Johanna an und ihre Augen waren angsterfüllt. Sie war genauso wenig geknebelt wie er, doch statt etwas zu sagen, deutete sie nur mit dem Kopf in Richtung Sofa, das zu seiner linken stand und auf dem es sich Angelus bequem gemacht hatte. Dieser lächelte und spielte mit Methos Schwert. Darla war nirgends zu sehen. Methos Verstand versuchte sich einzuschalten: 'Wahrscheinlich sind sie immer noch zerstritten.'
"So, so, genug Schönheitsschlaf?" fragte ihn Angelus mit einem bösen Grinsen. Zu Johanna sagte er: "Mal sehen, wie viel dein edler Retter aushält." Damit stand er auf und schlitzte Methos Hemd mit seinem Schwert auf. "Außerdem würde mich einmal interessieren, was ein Doktor mit einem Schwert macht."
"Kreaturen wie dich zur Strecke bringen!" antwortete Methos. "Was hast du vor, Angelus? Willst du uns beide umbringen oder was?"
"Nun, was glaubst du wohl? Ich dachte, zuerst sollten die Retter dran glauben müssen, und dann kümmere ich mich um Johanna." Das Wort 'Retter' betonte er abfällig und dabei deutete er mit dem Kopf in Franz' Richtung.
Angelus ließ sich recht lange Zeit damit, Methos zu foltern. Anfangs dachte dieser noch, dass er hoffte, dass der Vampir die kleinen blauen Funken, die bei seinem Heilungsprozess um die Wunde züngelten, nicht bemerken würde, doch diese Angst stellte sich bald als unbegründet heraus, da das ganze Blut verhinderte, dass er irgendetwas sehen konnte.
Eine Angst blieb Methos, der sich wünschte, Angelus würde die Sache schnell beenden allerdings. Er hatte schnell bemerkt, dass Angelus was Folter anging sehr erfinderisch war, und dass er offensichtlich nicht vor hatte, von ihm zu trinken, doch es wäre ihm durchaus zuzutrauen, ihn am Ende zu enthaupten...
Methos war trotzdem froh, als er merkte, dass er starb.
Als er wieder zu sich kam war er immer noch blutüberströmt, doch seine Wunden waren verheilt. Johanna war verschwunden, Angelus hatte sie wahrscheinlich gezwungen die ganze Zeit zuzusehen, als er ihn gefoltert hatte. Bei dem Gedanken merkte Methos, wie in ihm die Galle hochstieg.
Methos kniete sich neben Franz nieder. Er konnte die Schuldgefühle nicht ganz verdrängen, obwohl er das gerne getan hätte. Wenn er nur etwas ehrlicher zu Franz gewesen wäre, ihm gesagt hätte, mit was sie es zu tun hatten, vielleicht hätte er seinen Tod verhindern können.
Und wenn er nicht so langsam gewesen wäre, hätte er vielleicht sogar Johanna retten können.
Sein Verstand schaltete sich wieder ein und verdrängte das Gefühl der Unzulänglichkeit in den hintersten Winkel seines Bewusstseins. Er musste sich überlegen, was als nächstes zu tun wäre.
Sein Schwert war nirgends zu sehen. Angelus musste es als Souvenir behalten haben. Er beschloss trotzdem in den anderen Zimmern nachzusehen, nur für den Fall.
In der Küche lag Johannas Familie – alle mit Bissspuren, blutleer und blass. Deshalb hatte der Vampir sich damit begnügt ihn zu foltern, statt von ihm zu trinken.
Im Bad machte er Halt, um sich das Blut, das inzwischen angetrocknet war, abzuwaschen.
Er stieg die Treppe hinauf ins Obergeschoss. Im Schlafzimmer fand er Johanna. Sie lag nackt auf dem Bett, offenbar hatte Angelus sich seinen Appetit für Johanna aufgehoben – und zwar in jeglicher Hinsicht. Angewidert wandte er sich ab. Hier blieb nichts mehr zu tun. Sein Schwert war verloren.
Es war ein Glück, dass er nicht allzu weit entfernt wohnte. Auch die Dunkelheit half ihm, seine Zerrissenen Kleider zu verbergen.
Als er es endlich geschafft hatte, wusch er sich erneut und zog sich um. Dann überlegte er, was als nächstes zu tun war.
Am liebsten hätte er sich gerächt, doch er wusste, dass er ohne Schwert keine Chance hatte.
Außerdem kamen die Schuldgefühle, die er unterdrückt hatte, wieder zum Vorschein. So konnte er Angelus bestimmt nicht nachstellen. Er konnte auch nicht hier bleiben und weiter in der Klinik arbeiten, als sei nichts geschehen. Angelus sollte zudem nichts von seiner Unsterblichkeit erfahren, denn bisher schien der es ja nicht gemerkt zu haben.
Also packte er seine Sachen und ging zum Bahnhof.
Mit dem ersten Zug verließ er die Stadt.
Ende
Egal, ob euch die Geschichte gefallen hat oder nicht, bitte schreibt mir ein paar Zeilen!
Vielleicht gibt's dann ja bald ne Fortsetzung, in der sich Methos und Angel erneut begegnen... und diesmal im "Heute" ;)
Liebe Grüße,
Jasmin
