4. Liebe ohne Aussicht?

Einige Tage vergingen und Faramir bekam Niniel nur während der Mahlzeiten zu Gesicht. Es regnete momentan schier ununterbrochen, so dass Abendspaziergänge ausgeschlossen waren.

Doch eines Morgens schien endlich wieder die Sonne.

Trotzdem musste Faramir auch an diesem Tag an seinem Unterricht teilnehmen. Erestor und Elrond waren strenge Lehrer. Inzwischen beherrschte der junge Gondorianer sowohl Quenya als auch Sindarin perfekt. Er wusste auch schon ziemlich viel über die Geschichte von Mittelerde.

„Wann bin ich fertig mit meiner Ausbildung?", fragte Faramir an diesem Morgen ungeduldig seine Lehrer.

Elrond zog indigniert eine Augenbraue hoch, was er immer tat, wenn Faramir etwas sagte, was ihm missfiel.

„Nun kennst du gerade erst einen winzigen Teil meiner Bibliothek und glaubst schon, du wüsstest alles, junger Mensch?"

Ich wollte Euch nicht kränken, Ada", erwiderte Faramir erschrocken. Die Anrede „Ada"hatte Elrond ihm bereits als Kind erlaubt.

Erestor, der gerade in einem Buch las, musste lächeln. Er hatte längst gemerkt, warum Faramir heute so unruhig war.

„Herr Elrond, wir sollten vielleicht mit dem Unterricht des jungen Herrn etwas kürzer treten, so lange Besuch aus dem Düsterwald bei uns weilt", sagte der Noldor wohlwollend. „Der Prinz und Herr Aragorn wollen heute zur Jagd reiten. Vielleicht will Faramir gerne daran teilnehmen".

„Wahrscheinlich habt Ihr recht", seufzte Elrond und klappte sein eigenes Buch zu.

Er wandte sich an Faramir:

„Nun lauf schon zu und hol dein Pferd – vielleicht holst du die Jagdgesellschaft noch ein!"

Faramir bedankte sich überschwänglich und stürmte davon.

Schnell holte er seinen Bogen und den Köchern mit den Pfeilen aus seinem Gemach und rannte wie von Furien gehetzt zu den Ställen. Der braune Hengst namens Naith wieherte ungeduldig, als er Faramir sah.

„Ruhig, mein Guter", sagte der junge Gondorianer auf elbisch zu ihm.

Im Nu war Naith gesattelt und Faramir preschte davon. Er kannte das Waldstück, wo Aragorn gewöhnlich jagen ging. Die Jagdgesellschaft hatte deutliche Spuren im weichen Waldboden hinterlassen. Faramir schob sich lächelnd eine rötliche Haarsträhne aus dem Gesicht: bald würde er sie eingeholt haben.

Plötzlich hörte er eine wundervolle Musik. Irgendjemand spielte eine Harfe und sang dazu. Es war eine weibliche Stimme.

Faramir erkannte die Stimme: es war die von Niniel. Ihr Gesang war so schön, dass er einfach nicht von dieser Welt sein konnte.

Völlig verzaubert stieg er vom Pferd und lief zu Fuß weiter.

Niniel saß auf einer Waldlichtung in einem weißen, schimmernden Kleid und spielte gedankenverloren ihre Musik.

Vorsichtig trat der junge Gondorianer näher. Obwohl er sich fast lautlos bewegt hatte, hörte Niniel auf zu spielen und wandte ihr schönes Haupt nach ihm um.

„Faramir", sagte sie überrascht und lächelte. „Du suchst sicherlich nach den Jägern".

Der junge Mann schüttelte den Kopf.

„Nein, jetzt nicht mehr", gab er ehrlich zu. „Ich habe Euch spielen und singen gehört, Niniel. Ihr habt mich verzaubert, so dass ich einfach zu Euch kommen musste".

„Es freut mich, dass meine Musik so sehr Euer Herz berührt", sagte sie und lächelte wieder. „Das Lob eines Lobenswerten ist für mich ein hoher Lohn".

„Bin ich lobenswert?", fragte Faramir erstaunt. „Herr Elrond sagt immer, ich müsse noch viel lernen".

„Aber Herr Erestor ist voll des Lobes über Euch", erklärte Niniel freundlich. „Er sagt, Ihr seid anders als die Menschen, die ihm bisher in seinem langen Elbendasein begegnet haben. Ihr habt einen scharfen Verstand und seid in der Lage, in die Herzen der Menschen zu sehen. Weiter hat der Noldor noch gesagt, wenn es mehr solche Menschen wie Euch in Gondor gäbe, bräuchte man sich keine Sorgen um die Zukunft des Menschenreiches mehr zu machen".

Gondor! Bei dem Gedanken an seine Heimat wurde Faramir schwer ums Herz. Noch vor einer Woche hatte er es nicht erwarten können, wieder nach Gondor zurückkehren zu können. Aber jetzt gab es Niniel und er wollte in ihrer Nähe bleiben.

„Was ist mit Euch, Faramir", fragte Niniel besorgt. „Euer Antlitz ist auf ein Mal so betrübt".

„Ich möchte nicht nach Gondor zurückkehren", platzte Faramir plötzlich heraus.

Niniel sah ihn mit großen Augen an. Faramir ergriff bebend ihre Hände und kniete vor ihr nieder.

„Und warum wollt Ihr nicht in Euere Heimat zurück?", fragte sie mit leicht zitternder Stimme.

„Weil ich dich liebe", erklärte Faramir.

Er zog Niniel vorsichtig an sich. Die Elbin wehrte sich nicht. Faramir konnte in ihren Augen sehen, dass sie ihn auch liebte. Seine vollen Lippen berührten die Ihren. Die beiden jungen Leute versanken in einem innigen Kuß.

„FARAMIR!", ertönte eine scharfe Stimme.

Erschrocken löste sich der junge Gondorianer aus Niniels Umarmung und er drehte sich um. Hinter ihm stand der Prinz des Düsterwaldes. In seinen blauen Augen loderte der Zorn. Legolas' Hand ruhte auf seinem Schwertgriff.

Faramir stand auf und blickte Legolas gefasst an.

„Tu ihm nichts, Vetter Legolas!", rief Niniel ängstlich.

„Wie kannst du es wagen, dich an an der Nichte Thranduils zu vergreifen, du unwürdiger Mensch!", zischte Legolas wütend.

„Ich liebe Niniel und sie liebt mich", erwiderte Faramir ruhig.

Niniel trat jetzt neben dem Gondorianer und schmiegte sich an seinen Arm.

„Du wirst uns nicht trennen können, Vetter", sagte sie stolz.

Legolas' Zorn wich allmählich und er wurde nachdenklich.

„Euere Liebe darf nicht sein – das weißt du, Base Niniel. Dir ist es bestimmt, einen Eldar zu ehelichen und keinen Menschen. Mein Vater möchte, dass du Elrohir heiratest und nicht einen Menschen".

Niniels Augen füllten sich mit Tränen:

„Ich kann Elrohir nicht heiraten – das muß der König verstehen".

Sie lief, ehe Legolas und Faramir etwas sagen konnten, durch den Wald davon.

„Warum soll Niniel Elrohir heiraten?", fragte Faramir erstaunt. „Er lebt seit Jahren bei seiner Großmutter Galadriel in Lothlorien. Ich denke, er ist glücklich, so wie er jetzt lebt".

„Diese Hochzeit wurde bereits beschlossen, als dein Großvater Ecthelion noch nicht einmal geboren war", erwiderte Legolas hochmütig. „Es tut nicht gut, wenn sich ein Mensch in die Angelegenheiten von Elben einmischt".

„Und wie ist das mit Aragorn und Arwen?", fragte Faramir ungehalten. „Ist er nicht auch ein Mensch und sie eine Elbin?"

„Aragorn ist Arathorns Sohn", erklärte Legolas stolz. „Eines Tages wird er als König in Gondor einziehen und die Zeit der Truchsessen wird vorüber sein".

„Aragorn ist Isildurs Erbe?", entgegnete Faramir ungläubig. „Das wusste ich nicht. Verzeiht mir, Prinz des Düsterwaldes".

Er wandte sich zum Gehen.

Die Lust zum Jagen war ihm jetzt vergangen. Wenn Legolas gegen eine Verbindung zwischen ihm und Niniel war, dann hatte Faramir diesen Wunsch auch zu respektieren. Es stand schließlich viel auf dem Spiel. Faramir konnte sich gut ausmalen, wie Elrond über diese Sache denken würde, wenn Niniel seinem Sohn Elrohir versprochen war.

Niniel ritt weinend zu Elronds Haus zurück. Elrond beobachtete vom Fenster der Bibliothek aus, wie die Düsterwald-Elbin aus den Ställen kam. Tränen liefen über ihre edlen Wangen.

Besorgt beschloß der Elbenfürst, mit seiner Schwiegertochter in spe zu sprechen.

„Was grämt dich so, Niniel vom Düsterwald?", fragte er teilnahmsvoll.

„Ich kann Eueren Sohn Elrohir nicht heiraten, Herr Elrond", stieß Niniel traurig hervor.

Elrond sah die junge Elbin verblüfft an. Mit so einer Antwort hatte er nicht gerechnet.

„Ich liebe einen anderen", sagte sie schnell und lief ins Haus, ohne eine Antwort des Elbenfürsten abzuwarten.