Vicky: Ich will nicht verraten, wie es weitergeht. Auf jeden Fall kommt Faramir im nächsten Kapitel erst mal in Minas Tirith an und begegnet seinem Vater.....

7. Minas Tirith

Nach einigen Wochen sahen Gandalf und Faramir endlich die Weiße Stadt vor sich liegen. Ehrfürchtig hielt Faramir sein Pferd auf dem Hügel an.

„Erinnerst du dich an Minas Tirith?", fragte Gandalf lächelnd.

„Die Stadt kommt mir irgendwie unwirklich vor, fast wie ein Traum", murmelte Faramir nachdenklich. „Doch auch irgendwie bekannt".

Sie ritten weiter. Bald hatten sie das große Stadttor erreicht und ritten die Straße hinauf zur Zitadelle. Die Leute auf den Straßen drehten sich erstaunt nach den beiden Reitern um. Gandalf, der graue Pilger, war in Gondor wohlbekannt, aber wer war der unbekannte junge Mann mit den roten Haaren?

Sie passierten einen Festungsring nach dem anderen. Schließlich erreichten sie den großen Hof der Turmhalle mit Ecthelions Turm. Faramir stieg vom Pferd und ging langsam an dem verdorrten, weißen Baum vorbei. Zwei Wachsoldaten mit prächtigen Rüstungen und Helmen verwehrten ihm den weiteren Weg.

„Ich möchte zu Fürst Denethor, meinem Vater", sagte Faramir stolz zu ihnen.

„Wie kannst du so etwas behaupten?", schnaubte der eine Soldat auf und griff zu seinem Schwert.

„Halt!", fuhr Gandalf ergrimmt dazwischen. „Ihr dürft uns den Durchgang nicht verweigern!"

Die beiden Soldaten erkannten den Zauberer und traten schließlich zur Seite.

Ein junger Mann mit rotblondem Haar und Kinnbart verließ mit energischen Schritt die Turmhalle. Seine Gesichtszüge waren finster und entschlossen. Doch als er die beiden Neuankömmlinge sah, glättete sich sein Gesicht.

„Ist es möglich?", fragte er leise und starrte Faramir an.

„Boromir!", stieß Faramir hervor und lief auf den rotblonden Mann zu.

Die beiden Brüder fielen sich lachend und weinend in die Arme. Obwohl sie sich so viele Jahre nicht gesehen hatten, bestand doch ein unsichtbares Band zwischen den zweien. Gandalf musste schlucken, weil auch er gerührt von dieser Szene war. Doch er wusste, dass Faramir noch eine harte Prüfung bevorstand: Denethor.

„Ich bin so unendlich glücklich darüber, dass du wieder hier bist, kleiner Bruder", sagte Boromir frohgemut und drückte Faramir erneut an sich.

„Ich habe dich vermisst", gab Faramir ehrlich zu und wischte sich die Freudentränen weg.

„Komm mit zu unserem Vater", sagte Boromir aufgekratzt. „Er muß wissen, dass du wieder hier bist".

Gandalf beschloß, mit in die Zitadelle zu gehen. Er musste Faramir beistehen, falls es zum Schlimmsten kommen würde.

Der Truchseß saß auf seinem schwarzen Stuhl unterhalb des Thrones und ließ sich gerade ein Mittagessen auftischen.

Boromir ging erst einmal voraus. Faramir und Gandalf warteten am Eingang der Halle.

„Was willst du denn schon wieder?", fragte Denethor missmutig. „Gerade erst hast du dich meinem Befehl widersetzt, Boromir".

„Vater, stell dir vor, wer wieder zurückgekehrt ist", begann Boromir und setzte ein strahlendes Lächeln auf.

Denethor hob den Kopf und erblickte Faramir mit Gandalf am Eingang.

„So, der Zauberlehrling ist also wieder zurückgekehrt", sagte er mit leiser Stimme, mehr zu sich selbst als zu Boromir.

Er winkte Faramir her zu sich. Zögernd setzte sich der Siebzehnjährige in Bewegung. Schweißperlen standen vor Aufregung auf seiner Stirn. Etwa drei Meter vor Denethor blieb er stehen und verneigte sich.

„Warum bist du hier?", fragte Denethor mürrisch und musterte Faramir streng von Kopf bis Fuß.

Faramir wurde knallrot, weil er an Niniel denken musste. Er konnte doch den wahren Grund seiner Abreise aus Bruchtal seinem Vater nicht gestehen!

„Seine Ausbildung in Bruchtal ist zuende", erklärte Gandalf von der Tür her. „Elrond befand es für recht, Faramir nach Gondor zurückzuschicken".

Denethor lächelte boshaft und wandte sich erneut an Faramir:

„Du bist kaum erwachsen und dennoch hat dich der Elb schon nach Hause geschickt. Was soll ich hier mit dir anfangen? Ich habe Boromir, meinen Erstgeborenen und Erben".

Faramir schluckte bei diesen Worten. Nein, er hatte nicht damit gerechnet, dass ihn sein Vater mit offenen Armen empfangen würde, aber auch nicht mit solcher Ablehnung.

„Vater, warum bist du so barsch zu Faramir?", fragte Boromir entrüstet. „Er hat dir nichts getan und dennoch behandelst du ihn schlechter als deinen niedrigsten Knecht".

Denethor warf seinem ältesten Sohn einen finsteren Blick zu.

„Nimm ihn mit dir, Boromir, und mache aus ihm einen anständigen Soldaten. Eher braucht er mir nicht mehr unter die Augen zu treten", sagte er schließlich schlechtgelaunt. „Und du, grauer Pilger, kannst die Stadt von mir aus verlassen. Ich bin deiner Gesellschaft müde".

Gandalfs Miene verdüsterte sich, doch er widersprach nicht.

„Dann leb wohl, Faramir", sagte er leise zu dem Jungen. „Kopf hoch! Irgendwann wird dein Vater schon noch merken, dass er dich liebt".

„Und eines noch". Seine leise Stimme wurde jetzt ein Flüstern. „Erwähne nie Aragorns Namen hier in Minas Tirith. Das könnte unnötigerweise zu bösem Blut führen".

Faramir stieg jetzt ein Kloß im Halse hoch. Jetzt verließ ihn auch Gandalf, der irgendwie seine letzte Verbindung zu Bruchtal gewesen war. Er sah dem Zauberer deprimiert nach, wie er die Halle verließ.

Boromir hatte sich derweil zu seinem Vater an die Mittagstafel gesetzt.

„Willst du Faramir nicht mitessen lassen?", fragte er mit gedämpfter Stimme. „Er ist bestimmt hungrig – außerdem gehört er zu uns".

Denethor sah böse von seinem Teller auf.

„Das fällt mir ja im Traum nicht ein. Aber von mir aus kann er im Quartier der Turmwache essen".

Boromir stand auf.

„Wer hat dir erlaubt, den Tisch zu verlassen?", fragte der Truchseß empört.

„Ich werde zusammen mit meinem Bruder im Quartier der Turmwache essen", erklärte Boromir ruhig.

Er ging zu Faramir, der immer noch dastand und wartete. Dann legte er ihm fürsorglich den Arm um die Schultern und verließ mit ihm die Zitadelle. Denethor sah den beiden wütend nach.