SUmmER GirlS
Ist es verdammt langer Prolog, als Vorwarnung. Absolute OOC Story, nicht wundern. Nix mir gehören, alles geklaut sein...
Und 3. Happy Reading und falls ihr Fragen etc. habt, immer an
typushaefft.de
Hey... was schiebt ihr für Probs? Was macht ihr überhaupt hier? Haut ab! Fuck off! Oder... wartet mal... Stopp... STEHENGEBLIEBEN!!!! Ihr bleibt jetzt schön hier und lest...
„Schatz, kannst du mir mal bitte das Telefon bringen?", ruft eine Frau durch die kleine Wohnung.
„Klar Mom! Moment..."
Ein Mädchen rennt mit dem Telefon durch die Wohnung zum Arbeitszimmer ihrer Mutter. Dabei muss sie aufpassen, dass sie nicht den Cappuccino, den sie in ihrer anderen Hand hält, verschüttete. Geschickt balanciert sie die Tasse vor sich her und stößt mit dem Fuß die Tür von dem Zimmer ihrer Mutter auf. Dort stellt sie die Tasse auf den Computer und gibt der jungen Frau das Telefon.
„June, ich wüsste wirklich nicht, was ich ohne dich machen würde."
„Tja...ich auch nicht. Ich gehe jetzt zur Schule, ja Mom?"
„Ja, natürlich. Viel Spaß, wir sehen uns ja leider erst morgen... ich wünschte, ich hätte andere Arbeitszeiten, dann könnten wir uns öfters sehen."
„Ach, das ist schon okay. Hauptsache, dein Job macht dir Spaß. Wir sehen uns dann morgen", verabschiedet das Mädchen sich und verlässt den Raum.
Zwei Zimmer weiter nimmt sie ihren Schultasche und wirft noch einen Blick auf das Foto, was eingerahmt auf ihrem Schreibtisch steht. Zu sehen ist sie mit ihrer Mutter und ihrem, mittlerweile schon über zwei Jahre lang toten, Vater. Ihr Vater...June kann sich noch zu gut an ihn erinnern. Immer zu Scherzen aufgelegt, selten schlecht gelaunt und weiß. Ja, ganz normal weiß. Natürlich, er war Amerikaner, wie auch sie. Aber da ihre Mutter eine Dunklere [Schwarze wäre einfach übertrieben] ist, ist auch sie nicht weiß. Nicht ganz dunkel, sondern nur einen leicht braunen Teint. Aber allein das reicht schon, um in ihrem weißen Viertel viele Hasser auf sich zu ziehen. June wird oft wegen ihrer Hautfarbe angemacht, aber sie ignoriert die abfälligen Bemerkungen der anderen einfach. June mag ihre Mutter sehr, für sie ist sie mehr eine Freundin als eine Mutter. Vielleicht liegt es daran, dass ihre Mutter, aber auch ihr Vater, noch so jung sind [bzw. gewesen sind]. Als June geboren wurde, war ihre Mutter genauso alt, wie June heute. 14 Jahre. Ihr Vater war da gerade mal ein Jahr älter, und somit hat June wirklich junge Eltern. Eigentlich ist June ein sehr offenes, hilfbereites und nettes Mädchen. Sie kann sich aber auch gut wehren, wenn es nötig ist. Allerdings ist es das so gut wie nie nötig, denn sie ist bei den meisten Leuten sehr beliebt.
June schaut auf ihre Uhr. Es ist noch genug Zeit, sie hat noch zwanzig Minuten. Langsam geht sie durch das Treppenhaus, welches schon mehr als baufällig aussieht. Sie muss genau 22 Treppen gehen, aber sie wird um nichts auf der Welt mit dem Aufzug fahren. Der sieht nämlich aus, als ob er jeden Moment runterkrachen würde. Ihre Schritte hallen laut an den dünnen Wänden wieder und June läuft die Treppen runter. Sie mag dieses Haus, was man gut mit dem Wort Plattenbausiedlung bezeichnen kann, nicht. Zwar lebt sie jetzt schon seit zwei Jahren hier, aber es ist immer alles noch so...fremd. Als ihr Vater bei einem Autounfall gestorben ist, hat ihre Mutter wieder angefangen zu arbeiten. Sie hat jetzt einen Job bei einem Gericht, sie darf Anklagschriften und so tippen. Natürlich verdient sie nicht so viel, aber das ist June egal. Ihr geht es nicht um viel Geld, Hauptsache sie sind glücklich. Außerdem geht es ihr besser als vielen anderen: Obdachlosen, Drogenabhängigen, Alkoholkranken, Scheidungskindern, Kindern, die von ihren Eltern verprügelt werden...die Liste lässt sich endlos verlängern. So gesehen hat es June richtig gut.
„Aprilia, kommst du bitte Frühstücken?"
„Bitte Mom, kannst du diesen Namen nicht EINMAL lassen?", schreit ein blondhaariges Mädchen halblaut durch das große Haus.
„Ha, ha! Aprilia, Aprilia, Aprilia!"
Ein kleiner Junge rennt spielend durch das Zimmer seiner großen Schwester um sie damit zu ärgern. April atmet tief durch, um sich von Lucas, der schließlich nicht so einen abscheulichen Namen wie sie bekommen hat, nicht provozieren zu lassen. Es ist ihr schon einmal passiert, dass sie ihrem kleinen Bruder eine rein gehauen hatte, und dann hatte es ein ganz schön fettes Theater gegeben. Sie ist ja schließlich das brave, guterzogene und ältere Mädchen und hat sich somit auch gut zu benehmen. Lucas, mit seinen acht Jahren, gerade mal sechs Jahre jünger als April, darf so viel Scheiße bauen wie er will. Er ist ja noch jung, klein und süß und da er eben ein Junge ist, darf er sich auch so gegensätzlich benehmen. Manchmal hat April dieses Brave-Mädchen-Spiel so satt. Sie würde bei den Feiern ihrer Eltern einfach gerne sagen was sie will, machen was sie will...sie sein. Aber nein, sie hat sich ja gut zu benehmen. Dann überlegt sie wieder, ob es sich wirklich lohnen würde. Sie muss zwar immer vor den Augen der Verwandten und Bekannten ihrer Eltern das Süße- Mädchen spielen, aber dafür hat sie auch alles. Sie braucht noch nicht einmal den Mund aufmachen, schon bekommt sie von ihren Eltern alles was sie will. Sie wohnt in einem großen Haus, mit zwei Zimmern eigens für sie, sie hat einen großen Garten mit einem großen Swimmingpool, mit Geld wird sie sowieso überschüttet, sie besitzt ein Pferd, allen neuen technischen Schnickschnack...aber kann man sich ein Leben anderer wirklich erkaufen? Diese Frage beschäftigt April öfters, manchmal stundenlang. Lohnt es sich wirklich, sich zu verstellen, nur für Geld? Eines Tages wird ihr Leben noch an dieser Frage scheitern, das weiß sie.
„Aprilia, bitte, kommst du jetzt endlich?", hört man die Frauenstimme schon zum zweiten Mal rufen.
Seufzend steht April von ihrem Bett auf und schlurft noch müde durch das Haus in Richtung Küche. Dort sitzen schon ihre Eltern und ihr nerviger Bruder. Der grinst sie natürlich unschuldig an, wie immer. Nachdem sie ihren Müsli ausgelöffelt hat geht April duschen, schminken, umziehen und ihre Schulsachen packen. Schule... ungewöhnlicherweise mag April die Schule. Sie ist auf der Green Star High School, die eine angeschlossene Universität hat. Obwohl sie kaum lernt, ist April überraschend gut in allen Fächern. Na ja, fast allen... abgesehen von Biologie. Sie kann es einfach nicht. Vielleicht liegt es auch daran, dass es sie kein bisschen interessiert, wie Pflanzen es schaffen, von der Sonne nicht verbrannt zu werden. Aber mit einer schlechten und sonst nur Spitzen- Noten lässt es sich gut leben.
Sie hat sehr lange gebraucht, ihren Eltern zu erklären, dass sie nicht zur Schule gebracht werden will. Aber zum Schluss hat April wieder bekommen, was sie will: Sie darf alleine zur Schule, wie alle anderen auch. Wie jeden Morgen macht sie sich auf den Weg zur U-Bahn.
Flashback Anfang
„Du kleine Schlampe, wo ist mein Wodka?", schreit ein Mann das Mädchen vor ihm an und hebt die Faust.
„Hast du selbst gesoffen", erwidert das Mädchen kühl, geht in ihr Zimmer und knallt die Tür laut hinter sich zu.
Es kotzt sie alles an. Man kann es schon als kleines Wunder bezeichnen, dass July nicht in Selbstmitleid verfließt, wie viele hier. Genervt schmeißt sie ihre Sporttasche auf das Bett. Ihr Trainer hat sie heute länger trainieren lassen, weshalb sie erst jetzt nach Hause gekommen ist. Es ist acht Uhr – und ihr Vater schon wieder total besoffen. Morgen wird er sich wieder total verkatert bei ihr für heute Abend entschuldigen – wie jeden Tag. Dann wird er zur Arbeit gehen und abends wieder trinken. Wie immer.
July setzt sich an ihren Schreibtisch, es warten noch massig Hausaufgaben auf sie. Aber die Schule ist ihre einzige Chance, aus diesem Leben rauszukommen. Mit einem guten Schulabschluss lässt sich einiges machen. Ihr Trainer meinte heute, wenn sie so weiter spielt, wird sie höchst wahrscheinlich ein Stipendium bekommen. Das wäre Julys Rettung – die Rettung aus einem Todeskreis von Alc, Drogen und Verbrechen.
Aber nüchtern betrachtet hat July es noch ganz gut. Sie selbst hat gute Chancen auf einen Job später einmal, sie hat ein Dach über dem Kopf, immer genug zu essen und auch so... ihr einziges Problem ist eigentlich ihr Säufer-Vater und ab und zu mal ein paar Spritzen. Und damit hat sie es noch wirklich gut erwischt. Ok, eine Zeit lang hat sie falsche Freunde gehabt, ein paar Einbrüche, Prügeleien, mehr nicht. Eine Anzeige wegen Körperverletzung und zwei wegen unerlaubten Drogenbesitzes, das ist in dieser Gegend nicht viel. Natürlich, July ist kein unbeschriebenes Blatt, aber welcher Jugendliche in New York ist das schon...?
Flashback Ende
Das war gestern. Gelangweilt wartet July jetzt auf die U-Bahn. 10 Minuten Verspätung. Wenn sie schon wieder zu spät zur Schule kommt, gibt es Ärger, das weiß sie. Aber... sie kommt. Wie immer.
„Mason, du musst aufstehen, sonst kommst du zu spät zur Schule!"
„Nur noch fünf Minuten...", nuschelt das Mädchen in ihre Kissen.
„Klar, und dann noch mal fünf Minuten und noch mal und noch mal... du hast noch genau eine viertel Stunde um dich fertig zu machen."
„Was!?"Plötzlich sitz sie kerzengerade im Bett.
„Tja, jetzt beeil dich lieber. Frühstück ist schon fertig."
Innerhalb zehn Minuten hat May geduscht, sich umgezogen und gefrühstückt. Was nicht alles schneller geht, wenn man unter Zeitdruck steht. Leider gehört Vokabellernen nicht dazu. Vor allem nicht Latein. Gerere – Tragen. Oder heißt das dedere? Aber was heißt dann bitte übergeben? Gerere – dedere – gedere – degere – erere... hört sich doch alles gleich an. Sie hätte einfach nie Latein wählen sollen. Warum nicht Spanisch? Oder Französisch?
Ok, aber mal ernst: May weiß, dass sie es gut hat. Sie wohnt mit ihrer Familie in einem normalen Ein-Familien-Haus, besitzt eine ziemlich normale 5-Monate-alte-kleine Schwester, ein 3-Jahre-alte Katze und total normale Eltern. Die haben May auch ganz normal erzogen, sie ist vielleicht ein kleines bisschen naiv, aber sonst... erschreckend gewöhnlich. Auch in der Schule nicht unbedingt das Genie, aber auch auf keinen Fall dumm.
May hatte und hat keine wirklichen Probleme, natürlich, Vokabellernen, aber das gehört nicht zu der Kategorie Probleme. Vielleicht irgendwo anders, aber sicher nicht in New York. Vieles, was in anderen Orten schon längst als ernstes Problem eingestuft wird, ist hier alltäglich und normal. Vielleicht sogar akzeptabel. Achtjährige Kinder, die Leute mit Knarren bedrohen, um Geld für Drogen zu bekommen und sich dann total zugedröhnt tätowieren lassen...nichts ungewöhnliches hier. Korrupte Bullen, die sich undercover in das weitverzweigte Dealernetz der Umgebung einschleusen lassen und dort schnellsten eliminiert oder vom erfolgreichen Geschäft überzeugt werden - auch normal.
Damit hat May zum Glück keine Probleme. Gestylt im Girlie-Look verabschiedet sie sich von ihren Eltern und macht sich auf den Weg in die Schule, mit dem Gefühl, heute wird etwas ihr Leben verändern.
Vier Mädchen aus verschiedenen Familien, mit verschiedenen Ansichten und Lebensweisen, mit verschiedenen Erfahrungen, mit verschiedenen Gewohnheiten, aus verschiedenen Leben: Was passiert, wenn sie alle aufeinander treffen?
Gut gelaunt steigt June aus der Bahn und springt die Treppen hoch. Sie geht zwei Minuten und ist schon an der Schule. Dort ist, wie immer, das absolute Chaos los. Studenten, Schüler, Eltern, Lehrer, Professoren alle stehen auf dem Hof rum. June geht sofort zu ihren drei Freundinnen, die auch in ihrer Klasse sind. Sie unterhalten sich über die Hausaufgaben, ihre Tagesplanung... nichts Wichtiges. Drrrr Die Schulklingel erinnert alle daran, warum sie überhaupt hier sind: Lernen, Lehren, Schlafen, Spielen, Langweilen. Man kann es sehen wie man will.
„Und weißt du, was er dann gesagt hat?", fragt June ihre Freundin flüsternd.
„Ne, was denn?", fragt die flüsternd zurück.
„Er meinte, dass-", fängt June an, wird aber durch ihren Lehrer unterbrochen.
„Ihr beiden müsst euer spannendes Gespräch leider aufschieben. Ich nehme nicht an, dass ihr mitbekommen habt, über was wir uns die ganze Zeit unterhalten haben?"
„Äh... nein?", fragt June scheinheilig.
„Also, auch noch mal für diejenigen, die während der letzten zehn Minuten geschlafen haben: Eure komplette Stufe nimmt dieses Jahr an einem Projekt des Lehrforschungsinstitutes Oxford teil. Ihr werdet jetzt gleich eine Nummer aus dieser Schachtel", er zeigt eine kleine rote Schachtel rum, „ziehen und dann werdet ihr zusammen mit euren Partnern aus den anderen Klassen, die dann die gleiche Nummer gezogen haben werden wie ihr, einem Studienrat aus Oxford zugeteilt. Der wiederum wird euch ein Thema zuteilen, für dessen Ausarbeitung ihr genau zwei Monate Zeit haben werdet."
„Ähem, und für was ist das bitte noch mal gut?", fragt ein Junge aus der letzten Reihe.
„Gute Frage Billy, aber das weiß ich nicht und ehrlich gesagt ist es mir auch scheißegal, ich muss euch Idioten zwei Monate lang nicht sehen und habe zwei Stunden pro Tag frei, mehr interessiert mich nicht", antwortet der Lehrer grinsend.
„Ok, dann immer her mit dem Teil", meint Billy.
Die Schachtel wird durch die Reihen gegeben, jeder zieht einen kleinen Zettel. Auch June.
„Und Eve, was hast du?", fragt sie ihre Freundin.
„Nummer 8 – Miss Irvine – Raum 217. Und du?"
„Nummer 24 – Mrs Jackson – Raum U39."
„So, jetzt Privatgespräche wieder einstellen. Ihr habt jetzt erst Pause – und Kilane, Oliver, bitte nicht schon so viel kiffen dass man es euch ansieht, ok? – und danach geht ihr dann zu dem Raum, der auf eurer Karte steht. Dort werden dann die anderen warten, hoffe ich zu mindestens für euch. Ach, und ich hatte nicht erwähnt, dass das Projekt genau ¾ eurer Noten in allen Fächern, bis auf Sport, ausmacht? Nun denn, viel Spaß", erklärt der Lehrer und verlässt dann die Klasse.
„...das Projekt wird ca. ¾ eurer Note ausmachen, also strengt euch an. Aprilia, gehst du rum?"
„Natürlich, Mr. Kace", antwortet die lächelnd, nimmt das Kästchen mit den Zetteln und geht durch die Reihen.
Als alle Schüler und Schülerinnen sich einen Zettel genommen haben, ist nur noch einer drin, den April sich nimmt. Nummer 24 – Mrs Jackson – Raum U39.
„Ihr könnt jetzt gehen, sucht aber nach der Pause bitte sofort den angegebenen Raum auf", verabschiedet Mr. Kace sich.
In der Pause checkt April bei ihren Bekannten aus den Parallelklassen die Nummern durch, aber keiner den sie kennt hat die gleiche Nummer wie sie. Wäre ja auch zu schön gewesen. Aber eigentlich freut sie sich schon auf das Projekt. Da es Aprils Ziel ist, auf der Oxford University zu studieren, hat sie mit dem Projekt an sich keine Probleme. Solange sie nicht irgendwelche Partner bekommt, die total denkunfähig sind. Davon gibt es hier zwar nicht sehr viele, aber doch genug. Zwei Monate Arbeit, da muss viel bei rauskommen. Durch ein gutes Ergebnis könnte April sogar ihre Bio-Note nach oben pushen. Das wäre doch mal was Erfreuliches. Wo muss sie jetzt noch mal hin? Ja...U39.
U39. U steht für University. Das heißt, July muss in die Klapse zu den Kifferstudenten. Das trifft sich gut, da muss sie sowieso hin. Gelangweilt von den ganzen Idioten ihrer Schule schwingt sich July ihre Sporttasche über die Schulter und macht sich auf den Weg zur Basketballhalle. Diskriminierender Weise gibt es hier nur eine Umkleide und auch nur einen Duscheraum. Für Jungen. Typisch. Aber auch logisch, da die Schulmannschaft bis auf July ausschließlich aus Jungen besteht. Es ist nirgendwo festgelegt, dass Mädchen an der Green Star High School kein Basketball spielen dürfen. Aber sie machen es nicht. Es gehört sich für Mädchen einfach nicht, Basketball zu spielen. Jungen = Basketball, Mädchen = Cheerleading. So sieht es aus. Gerade deswegen macht es July nur noch mehr Spaß, mal wieder aus der Reihe zu tanzen. Wie sie es eigentlich immer tut. Gesetzte gibt es in NY eh nicht, aber für sie gibt es auch keine Trends. July schließt ihren Schrank auf, um ihre Sportsachen dort zu verstauen. Dann geht sie zu den Duschräumen und hält dort ihren Kopf unter die kalte Dusche. Genau das, was sie jetzt braucht. Das kalte Wasser macht sie das erste Mal an diesem Tag richtig wach. July rubbelt ihre Haare kurz trocken, setzt sich ihre Kappe auf und geht dann über das Gelände, was die Schule mit der Universität verbindet.
Vor dem großen Gebäude stehen einzelne Gruppen von Studenten. July schaut sich kurz um, sie weiß wen sie sucht und sie weiß auch wo sie ihn findet. Auf der anderen Seite des Gebäudes hockt eine Gruppe von fünf Leuten, für Außenstehende nichts besonders.
„Ju! Welche Ehre verschafft uns deine Anwesenheit?", fragt einer von ihnen July, als er sie entdeckt.
„Ich habe was von Jimmy...", antwortet die Gefragte.
„Wie viel?"
„50."
„Du kriegst 70", sagt der Student und hält July 70 Dollar hin.
„Verpiss dich Alter, 100 oder nichts geht."
„100?!"
„Eine Hand wäscht die andere", erklärt sie fies grinsend.
„Ok, ok, hier haste deine Kohle, her mit dem Zeug", antwortet der schon ziemlich aufgelöst aussehende Student und sowohl ein kleines Päckchen als auch ein Hundertdollarschein wechseln den Besitzer.
Zufrieden zieht July wieder ab. Diese Idioten, sie werden nie checken, was für einen Handel sie da gemacht haben. July hat 20 Gramm von Jimmy bekommen, und 30 Gramm Backpulver dazu gemischt. So zugedröhnt wie die schon sind, werden sie die Verarsche nie bemerken. Jetzt muss sie sich aber beeilen, wenn sie nicht zu spät zu diesem Projekt kommen will. ¾ aller Noten ist viel, wenn man mal von Sport absieht. Egal, darin ist July sowieso immer gut. Aber auch sonst geht die Schule ganz gut, ein bisschen Erpressung, ein bisschen Bestechung, ein bisschen Dealen, und doch nur ein bisschen von Julys Leben.
Genug gelabert, aber wo ist jetzt bitte dieser Raum U39?
Na klasse, May hatte ihre Bücher in dem Chemieraum vergessen und musste noch mal ganz zurück, um sie zu holen. Jetzt ist sie natürlich schon wieder zu spät. Und wo zum Teufel ist eigentlich dieser Raum U39? Klar, U heißt University, da ist sie ja jetzt auch schon, aber wo ist Raum 39? Nervös schaut May auf ihre Uhr. Schon zehn nach zehn, sie ist ganze fünf Minuten zu spät. Gleich beim ersten Mal nicht pünktlich kommen ist nie gut.
Vor May läuft ein schwarzhaariges Mädchen her, vielleicht weiß die ja, wo der unauffindbare Raum 39 ist.
„Du sorry, sag mal, kannst du mir sagen, wie ich zum Raum 39 komme?"
„Hey, das ist gut, da muss ich auch hin. Wir können zusammen hingehen", antwortet das Mädchen freundlich.
Sie gehen durch die Gänge der Universität, zwei Treppen hoch, einen Gang entlang, wieder eine Treppe hoch... May hat erfahren, dass das Mädchen June heißt. Sie scheint echt nett zu sein, soweit sie das nach dem ersten Gespräch beurteilen kann.
Als sie endlich bei dem Raum ankommen, warten schon zwei andere Schülerinnen davor.
June labert inzwischen mit zwei von den Mädchen. April und May, zwei Mädchen aus ihrer Jahrgangsstufe. Die andere lehnt die ganze Zeit nur stumm an der Wand und sagt kein Wort. Sie hat sich nicht vorgestellt, trotzdem kennt June ihren Namen. Kein Wunder, jeder an der Schule kennt dieses Mädchen. Das ist also die berühmt-berüchtigte Yuliane Miller. Chef der Basketballmannschaft. Absolute Einzelgängerin, wenn man Gerüchten trauen kann, ein Junkie ersten Grades.
„Hat jemand von euch ne Uhr?", fragt June.
„Ja klar... es ist viertel nach zehn", antwortet April.
„So langsam könnte hier aber auch mal jemand auftauchen, meint ihr nicht?" May sieht fragend in die Runde.
„Stimmt. Und da meinen die immer, wir kommen andauernd zu spät...", grinst June.
„Ihr beiden seid mir vorher irgendwie noch nie aufgefallen...", wendet sich June an April und May. Mit der anderen kann man nicht sprechen, sie hat so eine negative Ausstrahlung. Außerdem soll sie auch nicht so die Gesprächigste sein.
„Ich bin erst vor zwei Wochen hier hin gezogen", erklärt May.
„Cool! Wo hast'n du vorher gewohnt?", fragt April, die schon seit ihrer Geburt in NYC lebt.
„Boah, frag nicht."
„Warum?"
„Ich komm aus Denton, so n scheiß kleines Pisskaff, wo's noch nicht mal n Kiosk gibt, von andren Läden kannste da auch nur träumen."
„Heut sich ja echt spannend an, wo liegt'n das?", will June wissen.
„Maryland, östlich von Washington D.C."
„Und du?", fragt June April.
„Bin vor ein paar Wochen erst hierhin gewechselt. War vorher auf ner Privatschule. War echt ätzend da."
„Echt?", fragen May und June fast gleichzeitig.
„Jaaa...total. Wir mussten Uniformen tragen, es gab kein Sport, es wurde nicht geredet, auch in den Pausen nicht... hier ist echt Spaß pur im Gegensatz zu da."
„Hört sich ja schlimm an..."
„War es auch."
Zum ersten Mal meldet sich jetzt auch das andere Mädchen, Yuliane, zu Wort.
„Ich bin mal eben weg", sagt sie und verschwindet.
Schnell rennt sie den Gang entlang, die Treppen runter, der Aufzug dauert eh zu lange. Ist sie endlich diese Labertanten los. Wie einen dieses Gequatsche nerven kann. Oh, wo kommst du her?; Das ist aber toll! Ah... wie sie das ankotzt. Hoffentlich haben sie ihr Zittern nicht gemerkt, was in der letzten halben Stunde stark zugenommen hat.
Diese Uni muss aber auch so groß sein. Zum Glück ist schon überall Unterricht, sonst würde July noch jemandem begegnen. Und das wäre schlecht. Sehr schlecht. Dann würde ein Professor ein 14-jähriges Mädchen sehen. Weiß im Gesicht und zitternd.
Im Sprint rennt July durch die Uni, die Treppen runter und zum Hauptgebäude. Jeder andere hätte wahrscheinlich schon längst schlapp gemacht, aber July ist durchtrainiert, sie hält mit jedem Jungen mit. Sie durchquert das Hauptgebäude, und verschwindet durch den Haupteingang auf den Schulhof. Von dort aus geht es weiter, Richtung Sporthalle.
Jetzt muss sie doch langsam gehen, nicht, dass sie nicht mehr könnte. Aber langsam wir ihr alles schwarz vor Augen und das Zittern wird immer stärker. Sie muss unbedingt zu Rick. Zu Julys Zufriedenheit ist gerade niemand in der Sporthalle. Aber draußen. Rick.
„Hey Yu", begrüßt er sie wie immer. Dann sieht er sie an.
„Shit, was issen mit dir los?", fragt er mehr sich selbst, wühlt in seiner Jackentasche rum, holt etwas raus und drückt es July in die Hand.
Langsam sieht July gar nichts mehr, Schweiß rinnt ihr über die Stirn, ihre Augen tränen und ihre Beine drohen einfach wegzuknicken. Sie merkt, wie sie von Rick in die Umkleide geschubst wird und setzt sich auf eine Bank. Mit zittrigen Händen packt sie das aus, was sie jetzt braucht.
„Yeah!", sagt sie leise, als sie den Inhalt der Spritze in ihr Blut entleert. Dann fallen ihr die Augen zu.
„Solltet ihr nicht eigentlich vier sein?", fragt eine Frau Mitte vierzig die drei Mädchen.
„Nun... ja... ähm..."May will so schnell nichts einfallen.
„Yuliane meinte, sie müsse mal ganz dringend auf's Klo", springt April ein.
Die drei Mädchen gucken sich an, ihre Ausrede ist glaubwürdig. Jetzt lügen sie schon rum, für jemanden, den sie nicht kennen, den sie auch nicht kennen wollen.
„Ok, dann kommt schon mal rein, so lange kann das ja nicht dauern", antwortet die Frau und schließt die Tür auf.
Brav folgen sie ihr in den sonst kaum benutzten Klassenraum. Ungewöhnlicherweise setzt die Frau sich einfach auf einen Tisch. Die drei auch.
„So, wie ihr nun wissen dürftet, geht es hier um ein Forschungsprojekt von Studieninstitut Oxford. Ich bin Professor Doktor Doktor Jackson, aber wenn's auch nichts ausmacht nennt mich Jackie, ok?"
Gehorsam nicken die drei. Ein Grinsen können sie sich aber trotzdem nicht verkneifen, hört sich echt schlimm an, diese steife englische Sprache. Aber vor einem Studienrat, gerade aus Oxford, hat man eben Respekt. Obwohl allein dieses Wort schon nicht zu dem Wortschatz der meisten Leute hier gehört. May findet das schlimm. Sie wurde so erzogen, dass man älteren Menschen Respekt erweisen muss, sie hat es gelernt, respektvoll gegenüber Lehrern zu sein. Für sie ist das normal.
Nach knappen zehn Minuten wacht July wieder auf. Sie fühlt sich gut. Viel zu gut. Was ist passiert? Überhaupt, wo ist? Weiße Decke. Orange-Blaue Graffitis. Schwarze Flecken vom Zigarettenrauch. Sporthalle.
„Geht's wieder?"
Langsam dreht sie sich auf der Bank um. Was macht sie überhaupt hier? Und was macht Rick hier?
„Alter was war?"
„Hattest voll Cold Turkey."
Oh...shit. Jetzt wird July vieles klar. Eigentlich alles. Nur wie sie es alleine bis hier hin geschafft hatte nicht. Rick sieht sie besorgt an. Im Endeffekt hat July ihm ihr Leben zu verdanken.
„Danke", flüstert sie leise, was nicht gerade ihre Art ist.
„Kein prob, aber Fuck, du solltest echt aufhören."
„Aber sonst geht's noch, hm? Rick, wenn ich's könnte würd ich's machen. Shit, ich habs am Anfang gemacht ums free feeling. Aber Fuck, ich sags dir, drei Mal und du bist total down, du kennst es. Ich hab auch keinen Bock mehr auf den Shit, aber du hast gesehen wie beschissen es mir geht."
„Fuckin, hättest du wenigstens nicht gleich groß angefangen."
„Ich bin im Geschäft, da kommt man eh nicht raus. Du auch."
„Klar, aber ich habs frei gewählt."
„Laber."
„Sicher."
„Bestimmt."
„Meine Alten haben mir den Job verschafft."
„Deine Alten? Echt?"
„Jo."
„Fuck, ich muss los, okay? Wir sehn uns nachher und äh... für wen war'n das Zeug?"
„Jer."
„Stumper?"
Rick nickt.
„Zu dem muss ich eh, ich brings ihm mit. Wir sehn uns."
July verabschiedet sich mit dem üblichen 'Einklatschen und auf die Schulter schlagen' und verschwindet, zum zweiten Mal heute schon, in den Duschraum. Dort lässt sie sich noch schnell kaltes Wasser übers Gesicht laufen und macht sich dann wieder auf zu ihrem Ausgangsort.
„Sorry, ich war noch kurz auf'm Klo", entschuldigt sich July, als sie in die Klasse kommt.
June betrachtet sie. Sie sieht anders aus, als ob sie gerade lange geschlafen und sich richtig erholt hat. Nicht mehr so nervös und schnell atmend. Komisch. Aber June geht das nichts an, es interessiert sie auch nicht. Nicht wirklich.
„Ok, dann können wir jetzt ja endlich anfangen", erklärt Jackie. „Wie ihr ja langsam wissen dürftet, bekommt ihr jetzt erst Mal ein Thema zugeteilt. Also, es gibt da fast alles, von Babyernährung über Glasherstellung und Dichter des letzten Jahrhunderts bis hin zu Hanfanpflanzung. Es wird über das Losverfahren entschieden, also...wer will das Thema ziehen?", fragt sie und holt ein Kästchen mit Zetteln aus ihrer Handtasche.
Die Mädchen blicken sich an. Wer will ziehen? July sieht sie mit ihrem ausdruckslosen Blick an und nimmt einen Zettel aus dem Kästchen. Sie faltete ihn auf.
„Hexen, Magie und Okkultismus des Mittelalters in Europa", liest sie vor. „Unterthemen: Heilfrauen, Priester, Mönche, Kräuterwissen und Hexenverbrennung."
„Oh!", meint Jackie überrascht. „Das ist mein Lieblingsthema! Wartet mal [sie wühlt wieder in ihrer Tasche rum und zieht eine Liste heraus] ... Hier, Projekt Nummer 697. Ihr bekommt von der Universität eine Kopie der päpstliche Bulle Summis Desiderantibus Affectibus von Papst Innozenz VIII aus dem Jahre 1484, eine Kopie des Malleus Maleficarum, auch als Hexenhammer bekannt, dazu noch tausend verschiedene Unterlagen über Hexenprozesse, Auszüge aus den Führungsbücher verschiedener Klöster und so weiter und so weiter und so weiter..."
„Oh scheiße...", murmelt June.
April und May nicken nur. July steht nur da. Teilnahmelos.
„Wie schon gesagt habt ihr zwei Monate Zeit, ihr arbeitet in der Schulzeit hier oder mit Erlaubnis eines Lehrers auch in der Stadtbibliothek, und nachmittags müsst ihr euch untereinander absprechen. Ich werde die Unterlagen gleich holen gehen, ihr könnt sie dann so gegen vier Uhr in der Bibliothek abholen."Sie sieht die Mädchen an. „Noch irgendwelche Fragen?"
„Nein", antworten drei Stimmen gleichzeitig.
„Okay, dann brauch ich jetzt nur noch eure Namen, Geburtsdaten und den Namen eurer Geschwister, falls ihr welche habt."
„Für was das denn?", fragt June überrascht.
„Nun, wir werden dieses Projekt in den nächsten Jahren an dieser und auch anderen Schulen durchführen, und dann wollen wir nur sichergehen, dass eure Geschwister nicht ganz zufällig die gleichen Arbeiten wie ihr abliefern. Fangen wir mit den Namen an. Du heißt Yuliane, und wie weiter?"Sie schaut zu July.
„Miller."
„Und Zweitname?"
„Für was brauchen Sie den?", fragt July genervt.
„Unserer Datenbank ist groß, damit keine Verwechslungen auftauchen."
July verdreht die Augen. „Liza."
„Irgendwelche Geschwister?"
„Einen totgehaschten Bruder, ja. Aber sonst keine."
Für einen Moment sieht Jackie sie verwirrt an, wendet sich dann aber June zu.
„Okay, und du?"
„Juanita Kimberley Benton. Keine Geschwister."
Sie kritzelt auf ihrem Block rum, schaut dann zu May.
„Mason Victoria Sandrow, ich hab ne kleine Schwester, Jennifer Fiona Sandrow."
„Danke, und jetzt noch..."Sie schaut zu April.
„Aprilia Maria Watson. Und Lucas Robin Watson, mein kleiner Bruder."
„Geboren?"
„15. 04. 90."
„Juanita?"
„June bitte. 02. 06., auch 90."
„Und du May?"
„Am 18. 05., und auch 1990", antwortet die Gefragte.
„27. 07. 90", sagt July, ohne gefragt zu werden.
„Das wars dann auch, ach ja... äh... was ist heute für ein Datum?"
„05. 08. 2004", hilft April Jackie weiter.
Eilig packt die Professorin den Block wieder in ihre Tasche. Mit einem „Bis nachher"rauscht sie zur Tür raus und ist weg. July hat immer noch den zerknüllten Themazettel in ihrer Hand. Sie schmeißt ihn über die Schulter in den Papierkorb. Wortlos dreht sie sich um und verschwindet.
„Uh... das wird witzig", meint June nach einer Minute trocken.
„Ja, ich lach mich jetzt schon tot", antwortet April und täuscht einen müden Lachanfall vor.
„Vor allem mit der da", sagt May und deutet zur Tür. Es folgt zustimmendes Nicken von den anderen beiden.
„Also, ich weiß ja nicht wie das mit euch aussieht", fängt April an, „Ich auf jeden Fall brauch gute Noten, sonst machen meine Alten mich fertig." Und wieder nur ein zustimmendes Nicken.
„Stimmt, so n A [das entspricht hier ner eins] auf dem Zeugnis macht sich schon ganz gut."
„Dann ist ja gut. Wenn diese Yuliane nämlich keinen Bock hat, arbeiten wir alleine. Dann kann die sehen wo sie bleibt."
„Ok Mädels, ich muss jetzt auch los, wir sehn uns ja um vier in der Bibliothek", verabschiedet sich May.
„Man sieht sich."
„Bye."
Und so trennen sich die Wege der Mädchen, aber nur für eine kurze Zeit. Denn bald werden sie wieder vereint sein, und diesmal für eine längere Zeit... Sie werden lernen müssen, zusammenzuhalten. Aber auch aufzugeben und loszulassen.
Man hatte die vier Mädchen lange beobachtet. Es hatte lange gedauert, bis man sich einig war. Die Endmeinung ist nun doch einstimmig. Sie sind es. Sie sind die, nach denen jahrelang gesucht worden war. Sie sind die, die nun endlich wieder nach Hause kommen sollen. Jedoch werden sie es nicht freiwillig wollen. Weil sie nicht wissen wer sie sind. Sie werden sich an Illusionen festklammern wollen, an eine Welt, in die sie nicht gehören. In die sie nie gehört haben. Die eine wird ihre Schwester vermissen, die andere ihre Mutter. Die eine wird ihre Schule vermissen, die andere ihre Kollegen. Doch was sie aufgeben müssen, werden sie auch wiederfinden...
„Was für n Fuck, wo ist das scheiß Teil?", murmelt July vor sich hin.
Sie weiß genau, dass der Stoff hier irgendwo sein muss. Ihr Zimmer ist mal wieder durchwühlt worden. Wahrscheinlich war es ihr Vater, auf der Suche nach Alk. Aber er kann die Spritzen nicht gefunden haben, das hat er noch nie. Und tatsächlich, da sind sie.
Schnell schnappt sie die Teile, anderen Stoff, ihre Spraydosen und ihre Sporttasche. Es ist schon zehn vor vier, und sie muss auch noch zu Stumper. Aber der liegt auf dem Weg zur Bibliothek.
Wirklich, man kann dieses „liegt"ruhig wörtlich nehmen. Ecke Felton Street liegt er da. Mit leerem Blick und schwitzend. July tritt ihm mit dem Fuß in den Magen. Sie würde es eigentlich nicht machen, denn man legt sich nicht mit Stumper an. Wenn man dies doch tut, hat man innerhalb zwei Sekunden fünf Messer im Rücken stecken. Aber diesmal muss es sein. Sie weiß wie es ihm geht, und sie weiß, das man so gut wie auf nichts mehr reagiert. So auch Stumper. Der Tritt in den Magen reicht nicht, er röchelt nur etwas.
July verdreht die Augen und schaut sich um. Keine Bullen in der Nähe. Sie stellt ihre Sporttasche ab und kniet sich neben Stumper. An seinem Arm sind viele kleine Einstiche. Jetzt kommt ein weitere dazu.
July nimmt sich einen Zettel und schreibt: Stoff von Rick. Hattest Cold Turkey, Ju. Das muss reichen. Sie hat noch fünf Minuten bis zur Bibliothek. Aber für was kann Frau denn laufen? ...
Werfen wir einen Blick in Mays „Normalen"Alltag...
„Dad, Mom, ich bin wieder da!"
Stille.
„Mom? Dad?"
Stille.
„Hallo?"
Stille.
May zieht sich ihre Jacke aus und hängt sie auf. Dann geht sie in die Küche. Ins Wohnzimmer. In das Arbeitszimmer ihres Vater. In den Keller. Keiner da. Aber neben dem Telefon liegt ein Zettel. „Mussten mit Jenni zum Arzt, Essen kannst du dir warm machen." May ist ziemlich geschockt. Was ist mit ihrer kleinen Schwester? Hoffentlich nichts Schlimmes. Aber sie kann sowieso nichts daran ändern.
Unentschlossen geht sie in ihr Zimmer. Es ist ungewöhnlich unaufgeräumt. Ok, Mays Zimmer ist so gut wie nie aufgeräumt, aber hat es heute Morgen auch schon so ausgesehen? Sie kann sich nicht mehr erinnern. Vielleicht ist es besser so.
Langsam schlendert sie in die Küche, um sich Nudelauflauf in der Mikrowelle warm zu machen. Sina, ihre Katze, liegt faul auf der Fensterbank. Vielleicht hat sie ja auch Hunger. May steht auf und stellt etwas zu Fressen für sie hin. Unter dem Motto „Ich bin zu schön für diese Welt" erhebt sie sich und trottet langsam auf ihren Fressnapf zu. May schüttelt nur lächelnd den Kopf und wendet sich wieder ihrem Essen zu.
Nach etwas TV gucken und dabei Lateinvokabel lernen macht sie sich auf den Weg in die Bibliothek.
Verträumt sitzt April auf ihrem Bett. Sie hat Zeit. Und keinen Plan was sie machen soll. Unentschlossen nimmt sie sich ihre Zeichenmappe, klappt sie auf. Das erste Bild springt ihr ins Gesicht, sie hat es gestern erst angefangen. Ein strahlend weißer Engel hängt an einer Wand, Pfeile durchbohren ihn. Und trotzdem. Er lächelt. Lächeln... Glück... Glücklich endlich dem Kreis des ewigen Daseins, der Wiedergeburt, entzogen zu sein. Glücklich endlich in die Nirwana eintauchen zu dürfen, die Ruhe nach dem Tod. Blut läuft ihm aus dem Mund. Rotes Blut fließt auch über sein weißes Gewand. Und doch lächelt er.
April ist erschrocken. Was hat sie gestern gemalt? Es war spät gewesen, beinahe Mitternacht. Sie konnte nicht schlafen, hatte ihre Gedanken auf Papier gebracht. Traurig betrachtet sie das Bild. Sieht es in ihr denn so schlimm aus? Ist sie alleine, traurig, verzweifelt? Nein, eigentlich nicht. Und doch hat sie schon seit Wochen das Gefühl, fehl am Platz zu sein. Natürlich, sie weiß, dass es albern ist. Natürlich, sie weiß, dass es keinen Grund dafür gibt. Aber er lächelt. Auch April zwingt sich zu einem Lächeln, klappt die Mappe zu und verabschiedet sich von ihren Eltern.
June kommt nach Hause und hört sich erst Mal dutzende Anrufe auf ihrem Anrufbeantworter an. Zwei von ihrer Mutter, drei für ihre Mutter und auch drei für sie. Nichts besonderes, eigentlich das gleich wie immer. Hast du heute Zeit? Kannst du mir da und da und da und am besten auch noch dabei helfen? Bla bla bla....
Sie sollte ihr Zimmer mal wieder aufräumen. Unter Hosen und Schulheften kramt sie eine CD raus, eine ihrer Lieblingsplatten. Laundry Service von Shakira. Sie mag die Musik der Kolumbianerin. Ihr Lieblingssong ist Rules, obwohl Te Dejo Madrid und Que Me Quedes TÅ auch richtig gut sind. Eigentlich findet sie ja die ganze Platte geil. [Wenn Shakira-Fans hier sind und ich Scheiße schreibe, sagt mir bitte Bescheid!] Sie legt die Scheibe in ihren CD-Player und fängt an aufzuräumen. CDs ins Regal, Tops und Hosen in den Schrank, Bücher auch ins Regal und Schulsachen auf den Schreibtisch.
Das Ergebnis ist überwältigend: Man kann den Boden wieder sehen! Yeah, Wow, Geil. June holt ein paar Zeitschriften aus ihrem Rucksack, und hängt sich ein paar Poster auf. Shakira, Christina Aguilera, Jennifer Lopez, Beyonce und auch eins von Pink. Sie ist da nicht so festgelegt, hört vieles. Zu spät bemerkt sie, dass es schon wieder viel zu spät ist. Schnell stopft sie die Zeitschriften wieder in ihren Rucksack, nimmt ihn und macht sich auf den Weg in die Bibliothek.
Zwar kommt sie zu spät, wenn auch nur drei Minuten, ist aber nicht die Letzte. April, May, Jackie und sie – wieder mal warten sie auf Yuliane.
Nervös kaut July auf ihrer unangezündeten Kippe herum und dreht sich immer wieder um. Keine Bullen. Noch einmal schüttelt sie dir Sprühdose und vollendet ihr Werk. „D-Tasis – supported by freeway-sprayers"steht in blau- schwarzer Schrift an der Hauswand. D-Tasis - ihr Sprayername. Die Freeway-Sprayer – ihr Sprayerclique. Blau- schwarz – ihre Haarfarbe.
Schon viertel nach vier – was für eine Scheiße. Aber nichts zu machen, July muss erst noch zu Jimmy. Er gehört zu den Größten der Dealer-Szene. Anstandslos gibt July ihm die 100 Dollar von heute morgen. Man verhandelt nicht mit Jimmy. Aber sie bekommt neuen Stoff, teilweise für sich selbst, teilweise zum weiterverticken.
Schon wieder kommt ihr dieses Lied in den Sinn:
»And I feel your heart beat Pounding in my head
I'd like to control you Cause I can't control myself
Myself«
Schon seit Tagen hat sie es im Kopf, nicht nur wegen der eingängigen Melodie. Sie hatte es irgendwo gehört, wo weiß sie nicht mehr. Sie hat keine Ahnung wie es heißt, aber es ist einfach nur geil. Vor allem das Cause I can't control myself hat es ihr angetan. Natürlich. Einen passenderen Satz gibt es für ihr Leben wohl auch nicht.
Dealerin. Basketballspielerin. Sprayerin. Heroin-Abhängige. Tochter eines Säufers. Raucherin. Wie armselig.
„Da wir ja nun vollzählig sind, hier, ich hab die Unterlagen", sagt Jackie und zieht vier Ordner aus ihrer Tasche. Die Mädchen wollen sie gerade nehmen, als sie sie noch einmal zurückzieht.
„Ähm sorry, habt ihr persönliche Sachen dabei?"
Verwirrt sehen die Mädchen sich an. Was bitte? Sonst hat die keine Probleme, oder? Trotzdem hält June ihren Rucksack hoch, April und May zeigen ihre Handtaschen und July deutet auf ihre Sporttasche.
„Haltet sie gut fest", fordert Jackie sie auf.
Wieder sehen sie sich nur verwirrt an. Was soll das werden? Eigentlich unwichtig, denn das erste New Yorker Straßengesetzt lautet: Machen, nicht fragen. Machen, nicht fragen. Nach diesem ungeschriebenem Gesetz halten die Mädchen ihre Taschen fest. Jackie gibt ihnen die Ordner. Sie berühren sie. Sie halten die Luft an. Sie taumeln. Sie fallen. Blackout.
Ist es verdammt langer Prolog, als Vorwarnung. Absolute OOC Story, nicht wundern. Nix mir gehören, alles geklaut sein...
Und 3. Happy Reading und falls ihr Fragen etc. habt, immer an
typushaefft.de
Hey... was schiebt ihr für Probs? Was macht ihr überhaupt hier? Haut ab! Fuck off! Oder... wartet mal... Stopp... STEHENGEBLIEBEN!!!! Ihr bleibt jetzt schön hier und lest...
„Schatz, kannst du mir mal bitte das Telefon bringen?", ruft eine Frau durch die kleine Wohnung.
„Klar Mom! Moment..."
Ein Mädchen rennt mit dem Telefon durch die Wohnung zum Arbeitszimmer ihrer Mutter. Dabei muss sie aufpassen, dass sie nicht den Cappuccino, den sie in ihrer anderen Hand hält, verschüttete. Geschickt balanciert sie die Tasse vor sich her und stößt mit dem Fuß die Tür von dem Zimmer ihrer Mutter auf. Dort stellt sie die Tasse auf den Computer und gibt der jungen Frau das Telefon.
„June, ich wüsste wirklich nicht, was ich ohne dich machen würde."
„Tja...ich auch nicht. Ich gehe jetzt zur Schule, ja Mom?"
„Ja, natürlich. Viel Spaß, wir sehen uns ja leider erst morgen... ich wünschte, ich hätte andere Arbeitszeiten, dann könnten wir uns öfters sehen."
„Ach, das ist schon okay. Hauptsache, dein Job macht dir Spaß. Wir sehen uns dann morgen", verabschiedet das Mädchen sich und verlässt den Raum.
Zwei Zimmer weiter nimmt sie ihren Schultasche und wirft noch einen Blick auf das Foto, was eingerahmt auf ihrem Schreibtisch steht. Zu sehen ist sie mit ihrer Mutter und ihrem, mittlerweile schon über zwei Jahre lang toten, Vater. Ihr Vater...June kann sich noch zu gut an ihn erinnern. Immer zu Scherzen aufgelegt, selten schlecht gelaunt und weiß. Ja, ganz normal weiß. Natürlich, er war Amerikaner, wie auch sie. Aber da ihre Mutter eine Dunklere [Schwarze wäre einfach übertrieben] ist, ist auch sie nicht weiß. Nicht ganz dunkel, sondern nur einen leicht braunen Teint. Aber allein das reicht schon, um in ihrem weißen Viertel viele Hasser auf sich zu ziehen. June wird oft wegen ihrer Hautfarbe angemacht, aber sie ignoriert die abfälligen Bemerkungen der anderen einfach. June mag ihre Mutter sehr, für sie ist sie mehr eine Freundin als eine Mutter. Vielleicht liegt es daran, dass ihre Mutter, aber auch ihr Vater, noch so jung sind [bzw. gewesen sind]. Als June geboren wurde, war ihre Mutter genauso alt, wie June heute. 14 Jahre. Ihr Vater war da gerade mal ein Jahr älter, und somit hat June wirklich junge Eltern. Eigentlich ist June ein sehr offenes, hilfbereites und nettes Mädchen. Sie kann sich aber auch gut wehren, wenn es nötig ist. Allerdings ist es das so gut wie nie nötig, denn sie ist bei den meisten Leuten sehr beliebt.
June schaut auf ihre Uhr. Es ist noch genug Zeit, sie hat noch zwanzig Minuten. Langsam geht sie durch das Treppenhaus, welches schon mehr als baufällig aussieht. Sie muss genau 22 Treppen gehen, aber sie wird um nichts auf der Welt mit dem Aufzug fahren. Der sieht nämlich aus, als ob er jeden Moment runterkrachen würde. Ihre Schritte hallen laut an den dünnen Wänden wieder und June läuft die Treppen runter. Sie mag dieses Haus, was man gut mit dem Wort Plattenbausiedlung bezeichnen kann, nicht. Zwar lebt sie jetzt schon seit zwei Jahren hier, aber es ist immer alles noch so...fremd. Als ihr Vater bei einem Autounfall gestorben ist, hat ihre Mutter wieder angefangen zu arbeiten. Sie hat jetzt einen Job bei einem Gericht, sie darf Anklagschriften und so tippen. Natürlich verdient sie nicht so viel, aber das ist June egal. Ihr geht es nicht um viel Geld, Hauptsache sie sind glücklich. Außerdem geht es ihr besser als vielen anderen: Obdachlosen, Drogenabhängigen, Alkoholkranken, Scheidungskindern, Kindern, die von ihren Eltern verprügelt werden...die Liste lässt sich endlos verlängern. So gesehen hat es June richtig gut.
„Aprilia, kommst du bitte Frühstücken?"
„Bitte Mom, kannst du diesen Namen nicht EINMAL lassen?", schreit ein blondhaariges Mädchen halblaut durch das große Haus.
„Ha, ha! Aprilia, Aprilia, Aprilia!"
Ein kleiner Junge rennt spielend durch das Zimmer seiner großen Schwester um sie damit zu ärgern. April atmet tief durch, um sich von Lucas, der schließlich nicht so einen abscheulichen Namen wie sie bekommen hat, nicht provozieren zu lassen. Es ist ihr schon einmal passiert, dass sie ihrem kleinen Bruder eine rein gehauen hatte, und dann hatte es ein ganz schön fettes Theater gegeben. Sie ist ja schließlich das brave, guterzogene und ältere Mädchen und hat sich somit auch gut zu benehmen. Lucas, mit seinen acht Jahren, gerade mal sechs Jahre jünger als April, darf so viel Scheiße bauen wie er will. Er ist ja noch jung, klein und süß und da er eben ein Junge ist, darf er sich auch so gegensätzlich benehmen. Manchmal hat April dieses Brave-Mädchen-Spiel so satt. Sie würde bei den Feiern ihrer Eltern einfach gerne sagen was sie will, machen was sie will...sie sein. Aber nein, sie hat sich ja gut zu benehmen. Dann überlegt sie wieder, ob es sich wirklich lohnen würde. Sie muss zwar immer vor den Augen der Verwandten und Bekannten ihrer Eltern das Süße- Mädchen spielen, aber dafür hat sie auch alles. Sie braucht noch nicht einmal den Mund aufmachen, schon bekommt sie von ihren Eltern alles was sie will. Sie wohnt in einem großen Haus, mit zwei Zimmern eigens für sie, sie hat einen großen Garten mit einem großen Swimmingpool, mit Geld wird sie sowieso überschüttet, sie besitzt ein Pferd, allen neuen technischen Schnickschnack...aber kann man sich ein Leben anderer wirklich erkaufen? Diese Frage beschäftigt April öfters, manchmal stundenlang. Lohnt es sich wirklich, sich zu verstellen, nur für Geld? Eines Tages wird ihr Leben noch an dieser Frage scheitern, das weiß sie.
„Aprilia, bitte, kommst du jetzt endlich?", hört man die Frauenstimme schon zum zweiten Mal rufen.
Seufzend steht April von ihrem Bett auf und schlurft noch müde durch das Haus in Richtung Küche. Dort sitzen schon ihre Eltern und ihr nerviger Bruder. Der grinst sie natürlich unschuldig an, wie immer. Nachdem sie ihren Müsli ausgelöffelt hat geht April duschen, schminken, umziehen und ihre Schulsachen packen. Schule... ungewöhnlicherweise mag April die Schule. Sie ist auf der Green Star High School, die eine angeschlossene Universität hat. Obwohl sie kaum lernt, ist April überraschend gut in allen Fächern. Na ja, fast allen... abgesehen von Biologie. Sie kann es einfach nicht. Vielleicht liegt es auch daran, dass es sie kein bisschen interessiert, wie Pflanzen es schaffen, von der Sonne nicht verbrannt zu werden. Aber mit einer schlechten und sonst nur Spitzen- Noten lässt es sich gut leben.
Sie hat sehr lange gebraucht, ihren Eltern zu erklären, dass sie nicht zur Schule gebracht werden will. Aber zum Schluss hat April wieder bekommen, was sie will: Sie darf alleine zur Schule, wie alle anderen auch. Wie jeden Morgen macht sie sich auf den Weg zur U-Bahn.
Flashback Anfang
„Du kleine Schlampe, wo ist mein Wodka?", schreit ein Mann das Mädchen vor ihm an und hebt die Faust.
„Hast du selbst gesoffen", erwidert das Mädchen kühl, geht in ihr Zimmer und knallt die Tür laut hinter sich zu.
Es kotzt sie alles an. Man kann es schon als kleines Wunder bezeichnen, dass July nicht in Selbstmitleid verfließt, wie viele hier. Genervt schmeißt sie ihre Sporttasche auf das Bett. Ihr Trainer hat sie heute länger trainieren lassen, weshalb sie erst jetzt nach Hause gekommen ist. Es ist acht Uhr – und ihr Vater schon wieder total besoffen. Morgen wird er sich wieder total verkatert bei ihr für heute Abend entschuldigen – wie jeden Tag. Dann wird er zur Arbeit gehen und abends wieder trinken. Wie immer.
July setzt sich an ihren Schreibtisch, es warten noch massig Hausaufgaben auf sie. Aber die Schule ist ihre einzige Chance, aus diesem Leben rauszukommen. Mit einem guten Schulabschluss lässt sich einiges machen. Ihr Trainer meinte heute, wenn sie so weiter spielt, wird sie höchst wahrscheinlich ein Stipendium bekommen. Das wäre Julys Rettung – die Rettung aus einem Todeskreis von Alc, Drogen und Verbrechen.
Aber nüchtern betrachtet hat July es noch ganz gut. Sie selbst hat gute Chancen auf einen Job später einmal, sie hat ein Dach über dem Kopf, immer genug zu essen und auch so... ihr einziges Problem ist eigentlich ihr Säufer-Vater und ab und zu mal ein paar Spritzen. Und damit hat sie es noch wirklich gut erwischt. Ok, eine Zeit lang hat sie falsche Freunde gehabt, ein paar Einbrüche, Prügeleien, mehr nicht. Eine Anzeige wegen Körperverletzung und zwei wegen unerlaubten Drogenbesitzes, das ist in dieser Gegend nicht viel. Natürlich, July ist kein unbeschriebenes Blatt, aber welcher Jugendliche in New York ist das schon...?
Flashback Ende
Das war gestern. Gelangweilt wartet July jetzt auf die U-Bahn. 10 Minuten Verspätung. Wenn sie schon wieder zu spät zur Schule kommt, gibt es Ärger, das weiß sie. Aber... sie kommt. Wie immer.
„Mason, du musst aufstehen, sonst kommst du zu spät zur Schule!"
„Nur noch fünf Minuten...", nuschelt das Mädchen in ihre Kissen.
„Klar, und dann noch mal fünf Minuten und noch mal und noch mal... du hast noch genau eine viertel Stunde um dich fertig zu machen."
„Was!?"Plötzlich sitz sie kerzengerade im Bett.
„Tja, jetzt beeil dich lieber. Frühstück ist schon fertig."
Innerhalb zehn Minuten hat May geduscht, sich umgezogen und gefrühstückt. Was nicht alles schneller geht, wenn man unter Zeitdruck steht. Leider gehört Vokabellernen nicht dazu. Vor allem nicht Latein. Gerere – Tragen. Oder heißt das dedere? Aber was heißt dann bitte übergeben? Gerere – dedere – gedere – degere – erere... hört sich doch alles gleich an. Sie hätte einfach nie Latein wählen sollen. Warum nicht Spanisch? Oder Französisch?
Ok, aber mal ernst: May weiß, dass sie es gut hat. Sie wohnt mit ihrer Familie in einem normalen Ein-Familien-Haus, besitzt eine ziemlich normale 5-Monate-alte-kleine Schwester, ein 3-Jahre-alte Katze und total normale Eltern. Die haben May auch ganz normal erzogen, sie ist vielleicht ein kleines bisschen naiv, aber sonst... erschreckend gewöhnlich. Auch in der Schule nicht unbedingt das Genie, aber auch auf keinen Fall dumm.
May hatte und hat keine wirklichen Probleme, natürlich, Vokabellernen, aber das gehört nicht zu der Kategorie Probleme. Vielleicht irgendwo anders, aber sicher nicht in New York. Vieles, was in anderen Orten schon längst als ernstes Problem eingestuft wird, ist hier alltäglich und normal. Vielleicht sogar akzeptabel. Achtjährige Kinder, die Leute mit Knarren bedrohen, um Geld für Drogen zu bekommen und sich dann total zugedröhnt tätowieren lassen...nichts ungewöhnliches hier. Korrupte Bullen, die sich undercover in das weitverzweigte Dealernetz der Umgebung einschleusen lassen und dort schnellsten eliminiert oder vom erfolgreichen Geschäft überzeugt werden - auch normal.
Damit hat May zum Glück keine Probleme. Gestylt im Girlie-Look verabschiedet sie sich von ihren Eltern und macht sich auf den Weg in die Schule, mit dem Gefühl, heute wird etwas ihr Leben verändern.
Vier Mädchen aus verschiedenen Familien, mit verschiedenen Ansichten und Lebensweisen, mit verschiedenen Erfahrungen, mit verschiedenen Gewohnheiten, aus verschiedenen Leben: Was passiert, wenn sie alle aufeinander treffen?
Gut gelaunt steigt June aus der Bahn und springt die Treppen hoch. Sie geht zwei Minuten und ist schon an der Schule. Dort ist, wie immer, das absolute Chaos los. Studenten, Schüler, Eltern, Lehrer, Professoren alle stehen auf dem Hof rum. June geht sofort zu ihren drei Freundinnen, die auch in ihrer Klasse sind. Sie unterhalten sich über die Hausaufgaben, ihre Tagesplanung... nichts Wichtiges. Drrrr Die Schulklingel erinnert alle daran, warum sie überhaupt hier sind: Lernen, Lehren, Schlafen, Spielen, Langweilen. Man kann es sehen wie man will.
„Und weißt du, was er dann gesagt hat?", fragt June ihre Freundin flüsternd.
„Ne, was denn?", fragt die flüsternd zurück.
„Er meinte, dass-", fängt June an, wird aber durch ihren Lehrer unterbrochen.
„Ihr beiden müsst euer spannendes Gespräch leider aufschieben. Ich nehme nicht an, dass ihr mitbekommen habt, über was wir uns die ganze Zeit unterhalten haben?"
„Äh... nein?", fragt June scheinheilig.
„Also, auch noch mal für diejenigen, die während der letzten zehn Minuten geschlafen haben: Eure komplette Stufe nimmt dieses Jahr an einem Projekt des Lehrforschungsinstitutes Oxford teil. Ihr werdet jetzt gleich eine Nummer aus dieser Schachtel", er zeigt eine kleine rote Schachtel rum, „ziehen und dann werdet ihr zusammen mit euren Partnern aus den anderen Klassen, die dann die gleiche Nummer gezogen haben werden wie ihr, einem Studienrat aus Oxford zugeteilt. Der wiederum wird euch ein Thema zuteilen, für dessen Ausarbeitung ihr genau zwei Monate Zeit haben werdet."
„Ähem, und für was ist das bitte noch mal gut?", fragt ein Junge aus der letzten Reihe.
„Gute Frage Billy, aber das weiß ich nicht und ehrlich gesagt ist es mir auch scheißegal, ich muss euch Idioten zwei Monate lang nicht sehen und habe zwei Stunden pro Tag frei, mehr interessiert mich nicht", antwortet der Lehrer grinsend.
„Ok, dann immer her mit dem Teil", meint Billy.
Die Schachtel wird durch die Reihen gegeben, jeder zieht einen kleinen Zettel. Auch June.
„Und Eve, was hast du?", fragt sie ihre Freundin.
„Nummer 8 – Miss Irvine – Raum 217. Und du?"
„Nummer 24 – Mrs Jackson – Raum U39."
„So, jetzt Privatgespräche wieder einstellen. Ihr habt jetzt erst Pause – und Kilane, Oliver, bitte nicht schon so viel kiffen dass man es euch ansieht, ok? – und danach geht ihr dann zu dem Raum, der auf eurer Karte steht. Dort werden dann die anderen warten, hoffe ich zu mindestens für euch. Ach, und ich hatte nicht erwähnt, dass das Projekt genau ¾ eurer Noten in allen Fächern, bis auf Sport, ausmacht? Nun denn, viel Spaß", erklärt der Lehrer und verlässt dann die Klasse.
„...das Projekt wird ca. ¾ eurer Note ausmachen, also strengt euch an. Aprilia, gehst du rum?"
„Natürlich, Mr. Kace", antwortet die lächelnd, nimmt das Kästchen mit den Zetteln und geht durch die Reihen.
Als alle Schüler und Schülerinnen sich einen Zettel genommen haben, ist nur noch einer drin, den April sich nimmt. Nummer 24 – Mrs Jackson – Raum U39.
„Ihr könnt jetzt gehen, sucht aber nach der Pause bitte sofort den angegebenen Raum auf", verabschiedet Mr. Kace sich.
In der Pause checkt April bei ihren Bekannten aus den Parallelklassen die Nummern durch, aber keiner den sie kennt hat die gleiche Nummer wie sie. Wäre ja auch zu schön gewesen. Aber eigentlich freut sie sich schon auf das Projekt. Da es Aprils Ziel ist, auf der Oxford University zu studieren, hat sie mit dem Projekt an sich keine Probleme. Solange sie nicht irgendwelche Partner bekommt, die total denkunfähig sind. Davon gibt es hier zwar nicht sehr viele, aber doch genug. Zwei Monate Arbeit, da muss viel bei rauskommen. Durch ein gutes Ergebnis könnte April sogar ihre Bio-Note nach oben pushen. Das wäre doch mal was Erfreuliches. Wo muss sie jetzt noch mal hin? Ja...U39.
U39. U steht für University. Das heißt, July muss in die Klapse zu den Kifferstudenten. Das trifft sich gut, da muss sie sowieso hin. Gelangweilt von den ganzen Idioten ihrer Schule schwingt sich July ihre Sporttasche über die Schulter und macht sich auf den Weg zur Basketballhalle. Diskriminierender Weise gibt es hier nur eine Umkleide und auch nur einen Duscheraum. Für Jungen. Typisch. Aber auch logisch, da die Schulmannschaft bis auf July ausschließlich aus Jungen besteht. Es ist nirgendwo festgelegt, dass Mädchen an der Green Star High School kein Basketball spielen dürfen. Aber sie machen es nicht. Es gehört sich für Mädchen einfach nicht, Basketball zu spielen. Jungen = Basketball, Mädchen = Cheerleading. So sieht es aus. Gerade deswegen macht es July nur noch mehr Spaß, mal wieder aus der Reihe zu tanzen. Wie sie es eigentlich immer tut. Gesetzte gibt es in NY eh nicht, aber für sie gibt es auch keine Trends. July schließt ihren Schrank auf, um ihre Sportsachen dort zu verstauen. Dann geht sie zu den Duschräumen und hält dort ihren Kopf unter die kalte Dusche. Genau das, was sie jetzt braucht. Das kalte Wasser macht sie das erste Mal an diesem Tag richtig wach. July rubbelt ihre Haare kurz trocken, setzt sich ihre Kappe auf und geht dann über das Gelände, was die Schule mit der Universität verbindet.
Vor dem großen Gebäude stehen einzelne Gruppen von Studenten. July schaut sich kurz um, sie weiß wen sie sucht und sie weiß auch wo sie ihn findet. Auf der anderen Seite des Gebäudes hockt eine Gruppe von fünf Leuten, für Außenstehende nichts besonders.
„Ju! Welche Ehre verschafft uns deine Anwesenheit?", fragt einer von ihnen July, als er sie entdeckt.
„Ich habe was von Jimmy...", antwortet die Gefragte.
„Wie viel?"
„50."
„Du kriegst 70", sagt der Student und hält July 70 Dollar hin.
„Verpiss dich Alter, 100 oder nichts geht."
„100?!"
„Eine Hand wäscht die andere", erklärt sie fies grinsend.
„Ok, ok, hier haste deine Kohle, her mit dem Zeug", antwortet der schon ziemlich aufgelöst aussehende Student und sowohl ein kleines Päckchen als auch ein Hundertdollarschein wechseln den Besitzer.
Zufrieden zieht July wieder ab. Diese Idioten, sie werden nie checken, was für einen Handel sie da gemacht haben. July hat 20 Gramm von Jimmy bekommen, und 30 Gramm Backpulver dazu gemischt. So zugedröhnt wie die schon sind, werden sie die Verarsche nie bemerken. Jetzt muss sie sich aber beeilen, wenn sie nicht zu spät zu diesem Projekt kommen will. ¾ aller Noten ist viel, wenn man mal von Sport absieht. Egal, darin ist July sowieso immer gut. Aber auch sonst geht die Schule ganz gut, ein bisschen Erpressung, ein bisschen Bestechung, ein bisschen Dealen, und doch nur ein bisschen von Julys Leben.
Genug gelabert, aber wo ist jetzt bitte dieser Raum U39?
Na klasse, May hatte ihre Bücher in dem Chemieraum vergessen und musste noch mal ganz zurück, um sie zu holen. Jetzt ist sie natürlich schon wieder zu spät. Und wo zum Teufel ist eigentlich dieser Raum U39? Klar, U heißt University, da ist sie ja jetzt auch schon, aber wo ist Raum 39? Nervös schaut May auf ihre Uhr. Schon zehn nach zehn, sie ist ganze fünf Minuten zu spät. Gleich beim ersten Mal nicht pünktlich kommen ist nie gut.
Vor May läuft ein schwarzhaariges Mädchen her, vielleicht weiß die ja, wo der unauffindbare Raum 39 ist.
„Du sorry, sag mal, kannst du mir sagen, wie ich zum Raum 39 komme?"
„Hey, das ist gut, da muss ich auch hin. Wir können zusammen hingehen", antwortet das Mädchen freundlich.
Sie gehen durch die Gänge der Universität, zwei Treppen hoch, einen Gang entlang, wieder eine Treppe hoch... May hat erfahren, dass das Mädchen June heißt. Sie scheint echt nett zu sein, soweit sie das nach dem ersten Gespräch beurteilen kann.
Als sie endlich bei dem Raum ankommen, warten schon zwei andere Schülerinnen davor.
June labert inzwischen mit zwei von den Mädchen. April und May, zwei Mädchen aus ihrer Jahrgangsstufe. Die andere lehnt die ganze Zeit nur stumm an der Wand und sagt kein Wort. Sie hat sich nicht vorgestellt, trotzdem kennt June ihren Namen. Kein Wunder, jeder an der Schule kennt dieses Mädchen. Das ist also die berühmt-berüchtigte Yuliane Miller. Chef der Basketballmannschaft. Absolute Einzelgängerin, wenn man Gerüchten trauen kann, ein Junkie ersten Grades.
„Hat jemand von euch ne Uhr?", fragt June.
„Ja klar... es ist viertel nach zehn", antwortet April.
„So langsam könnte hier aber auch mal jemand auftauchen, meint ihr nicht?" May sieht fragend in die Runde.
„Stimmt. Und da meinen die immer, wir kommen andauernd zu spät...", grinst June.
„Ihr beiden seid mir vorher irgendwie noch nie aufgefallen...", wendet sich June an April und May. Mit der anderen kann man nicht sprechen, sie hat so eine negative Ausstrahlung. Außerdem soll sie auch nicht so die Gesprächigste sein.
„Ich bin erst vor zwei Wochen hier hin gezogen", erklärt May.
„Cool! Wo hast'n du vorher gewohnt?", fragt April, die schon seit ihrer Geburt in NYC lebt.
„Boah, frag nicht."
„Warum?"
„Ich komm aus Denton, so n scheiß kleines Pisskaff, wo's noch nicht mal n Kiosk gibt, von andren Läden kannste da auch nur träumen."
„Heut sich ja echt spannend an, wo liegt'n das?", will June wissen.
„Maryland, östlich von Washington D.C."
„Und du?", fragt June April.
„Bin vor ein paar Wochen erst hierhin gewechselt. War vorher auf ner Privatschule. War echt ätzend da."
„Echt?", fragen May und June fast gleichzeitig.
„Jaaa...total. Wir mussten Uniformen tragen, es gab kein Sport, es wurde nicht geredet, auch in den Pausen nicht... hier ist echt Spaß pur im Gegensatz zu da."
„Hört sich ja schlimm an..."
„War es auch."
Zum ersten Mal meldet sich jetzt auch das andere Mädchen, Yuliane, zu Wort.
„Ich bin mal eben weg", sagt sie und verschwindet.
Schnell rennt sie den Gang entlang, die Treppen runter, der Aufzug dauert eh zu lange. Ist sie endlich diese Labertanten los. Wie einen dieses Gequatsche nerven kann. Oh, wo kommst du her?; Das ist aber toll! Ah... wie sie das ankotzt. Hoffentlich haben sie ihr Zittern nicht gemerkt, was in der letzten halben Stunde stark zugenommen hat.
Diese Uni muss aber auch so groß sein. Zum Glück ist schon überall Unterricht, sonst würde July noch jemandem begegnen. Und das wäre schlecht. Sehr schlecht. Dann würde ein Professor ein 14-jähriges Mädchen sehen. Weiß im Gesicht und zitternd.
Im Sprint rennt July durch die Uni, die Treppen runter und zum Hauptgebäude. Jeder andere hätte wahrscheinlich schon längst schlapp gemacht, aber July ist durchtrainiert, sie hält mit jedem Jungen mit. Sie durchquert das Hauptgebäude, und verschwindet durch den Haupteingang auf den Schulhof. Von dort aus geht es weiter, Richtung Sporthalle.
Jetzt muss sie doch langsam gehen, nicht, dass sie nicht mehr könnte. Aber langsam wir ihr alles schwarz vor Augen und das Zittern wird immer stärker. Sie muss unbedingt zu Rick. Zu Julys Zufriedenheit ist gerade niemand in der Sporthalle. Aber draußen. Rick.
„Hey Yu", begrüßt er sie wie immer. Dann sieht er sie an.
„Shit, was issen mit dir los?", fragt er mehr sich selbst, wühlt in seiner Jackentasche rum, holt etwas raus und drückt es July in die Hand.
Langsam sieht July gar nichts mehr, Schweiß rinnt ihr über die Stirn, ihre Augen tränen und ihre Beine drohen einfach wegzuknicken. Sie merkt, wie sie von Rick in die Umkleide geschubst wird und setzt sich auf eine Bank. Mit zittrigen Händen packt sie das aus, was sie jetzt braucht.
„Yeah!", sagt sie leise, als sie den Inhalt der Spritze in ihr Blut entleert. Dann fallen ihr die Augen zu.
„Solltet ihr nicht eigentlich vier sein?", fragt eine Frau Mitte vierzig die drei Mädchen.
„Nun... ja... ähm..."May will so schnell nichts einfallen.
„Yuliane meinte, sie müsse mal ganz dringend auf's Klo", springt April ein.
Die drei Mädchen gucken sich an, ihre Ausrede ist glaubwürdig. Jetzt lügen sie schon rum, für jemanden, den sie nicht kennen, den sie auch nicht kennen wollen.
„Ok, dann kommt schon mal rein, so lange kann das ja nicht dauern", antwortet die Frau und schließt die Tür auf.
Brav folgen sie ihr in den sonst kaum benutzten Klassenraum. Ungewöhnlicherweise setzt die Frau sich einfach auf einen Tisch. Die drei auch.
„So, wie ihr nun wissen dürftet, geht es hier um ein Forschungsprojekt von Studieninstitut Oxford. Ich bin Professor Doktor Doktor Jackson, aber wenn's auch nichts ausmacht nennt mich Jackie, ok?"
Gehorsam nicken die drei. Ein Grinsen können sie sich aber trotzdem nicht verkneifen, hört sich echt schlimm an, diese steife englische Sprache. Aber vor einem Studienrat, gerade aus Oxford, hat man eben Respekt. Obwohl allein dieses Wort schon nicht zu dem Wortschatz der meisten Leute hier gehört. May findet das schlimm. Sie wurde so erzogen, dass man älteren Menschen Respekt erweisen muss, sie hat es gelernt, respektvoll gegenüber Lehrern zu sein. Für sie ist das normal.
Nach knappen zehn Minuten wacht July wieder auf. Sie fühlt sich gut. Viel zu gut. Was ist passiert? Überhaupt, wo ist? Weiße Decke. Orange-Blaue Graffitis. Schwarze Flecken vom Zigarettenrauch. Sporthalle.
„Geht's wieder?"
Langsam dreht sie sich auf der Bank um. Was macht sie überhaupt hier? Und was macht Rick hier?
„Alter was war?"
„Hattest voll Cold Turkey."
Oh...shit. Jetzt wird July vieles klar. Eigentlich alles. Nur wie sie es alleine bis hier hin geschafft hatte nicht. Rick sieht sie besorgt an. Im Endeffekt hat July ihm ihr Leben zu verdanken.
„Danke", flüstert sie leise, was nicht gerade ihre Art ist.
„Kein prob, aber Fuck, du solltest echt aufhören."
„Aber sonst geht's noch, hm? Rick, wenn ich's könnte würd ich's machen. Shit, ich habs am Anfang gemacht ums free feeling. Aber Fuck, ich sags dir, drei Mal und du bist total down, du kennst es. Ich hab auch keinen Bock mehr auf den Shit, aber du hast gesehen wie beschissen es mir geht."
„Fuckin, hättest du wenigstens nicht gleich groß angefangen."
„Ich bin im Geschäft, da kommt man eh nicht raus. Du auch."
„Klar, aber ich habs frei gewählt."
„Laber."
„Sicher."
„Bestimmt."
„Meine Alten haben mir den Job verschafft."
„Deine Alten? Echt?"
„Jo."
„Fuck, ich muss los, okay? Wir sehn uns nachher und äh... für wen war'n das Zeug?"
„Jer."
„Stumper?"
Rick nickt.
„Zu dem muss ich eh, ich brings ihm mit. Wir sehn uns."
July verabschiedet sich mit dem üblichen 'Einklatschen und auf die Schulter schlagen' und verschwindet, zum zweiten Mal heute schon, in den Duschraum. Dort lässt sie sich noch schnell kaltes Wasser übers Gesicht laufen und macht sich dann wieder auf zu ihrem Ausgangsort.
„Sorry, ich war noch kurz auf'm Klo", entschuldigt sich July, als sie in die Klasse kommt.
June betrachtet sie. Sie sieht anders aus, als ob sie gerade lange geschlafen und sich richtig erholt hat. Nicht mehr so nervös und schnell atmend. Komisch. Aber June geht das nichts an, es interessiert sie auch nicht. Nicht wirklich.
„Ok, dann können wir jetzt ja endlich anfangen", erklärt Jackie. „Wie ihr ja langsam wissen dürftet, bekommt ihr jetzt erst Mal ein Thema zugeteilt. Also, es gibt da fast alles, von Babyernährung über Glasherstellung und Dichter des letzten Jahrhunderts bis hin zu Hanfanpflanzung. Es wird über das Losverfahren entschieden, also...wer will das Thema ziehen?", fragt sie und holt ein Kästchen mit Zetteln aus ihrer Handtasche.
Die Mädchen blicken sich an. Wer will ziehen? July sieht sie mit ihrem ausdruckslosen Blick an und nimmt einen Zettel aus dem Kästchen. Sie faltete ihn auf.
„Hexen, Magie und Okkultismus des Mittelalters in Europa", liest sie vor. „Unterthemen: Heilfrauen, Priester, Mönche, Kräuterwissen und Hexenverbrennung."
„Oh!", meint Jackie überrascht. „Das ist mein Lieblingsthema! Wartet mal [sie wühlt wieder in ihrer Tasche rum und zieht eine Liste heraus] ... Hier, Projekt Nummer 697. Ihr bekommt von der Universität eine Kopie der päpstliche Bulle Summis Desiderantibus Affectibus von Papst Innozenz VIII aus dem Jahre 1484, eine Kopie des Malleus Maleficarum, auch als Hexenhammer bekannt, dazu noch tausend verschiedene Unterlagen über Hexenprozesse, Auszüge aus den Führungsbücher verschiedener Klöster und so weiter und so weiter und so weiter..."
„Oh scheiße...", murmelt June.
April und May nicken nur. July steht nur da. Teilnahmelos.
„Wie schon gesagt habt ihr zwei Monate Zeit, ihr arbeitet in der Schulzeit hier oder mit Erlaubnis eines Lehrers auch in der Stadtbibliothek, und nachmittags müsst ihr euch untereinander absprechen. Ich werde die Unterlagen gleich holen gehen, ihr könnt sie dann so gegen vier Uhr in der Bibliothek abholen."Sie sieht die Mädchen an. „Noch irgendwelche Fragen?"
„Nein", antworten drei Stimmen gleichzeitig.
„Okay, dann brauch ich jetzt nur noch eure Namen, Geburtsdaten und den Namen eurer Geschwister, falls ihr welche habt."
„Für was das denn?", fragt June überrascht.
„Nun, wir werden dieses Projekt in den nächsten Jahren an dieser und auch anderen Schulen durchführen, und dann wollen wir nur sichergehen, dass eure Geschwister nicht ganz zufällig die gleichen Arbeiten wie ihr abliefern. Fangen wir mit den Namen an. Du heißt Yuliane, und wie weiter?"Sie schaut zu July.
„Miller."
„Und Zweitname?"
„Für was brauchen Sie den?", fragt July genervt.
„Unserer Datenbank ist groß, damit keine Verwechslungen auftauchen."
July verdreht die Augen. „Liza."
„Irgendwelche Geschwister?"
„Einen totgehaschten Bruder, ja. Aber sonst keine."
Für einen Moment sieht Jackie sie verwirrt an, wendet sich dann aber June zu.
„Okay, und du?"
„Juanita Kimberley Benton. Keine Geschwister."
Sie kritzelt auf ihrem Block rum, schaut dann zu May.
„Mason Victoria Sandrow, ich hab ne kleine Schwester, Jennifer Fiona Sandrow."
„Danke, und jetzt noch..."Sie schaut zu April.
„Aprilia Maria Watson. Und Lucas Robin Watson, mein kleiner Bruder."
„Geboren?"
„15. 04. 90."
„Juanita?"
„June bitte. 02. 06., auch 90."
„Und du May?"
„Am 18. 05., und auch 1990", antwortet die Gefragte.
„27. 07. 90", sagt July, ohne gefragt zu werden.
„Das wars dann auch, ach ja... äh... was ist heute für ein Datum?"
„05. 08. 2004", hilft April Jackie weiter.
Eilig packt die Professorin den Block wieder in ihre Tasche. Mit einem „Bis nachher"rauscht sie zur Tür raus und ist weg. July hat immer noch den zerknüllten Themazettel in ihrer Hand. Sie schmeißt ihn über die Schulter in den Papierkorb. Wortlos dreht sie sich um und verschwindet.
„Uh... das wird witzig", meint June nach einer Minute trocken.
„Ja, ich lach mich jetzt schon tot", antwortet April und täuscht einen müden Lachanfall vor.
„Vor allem mit der da", sagt May und deutet zur Tür. Es folgt zustimmendes Nicken von den anderen beiden.
„Also, ich weiß ja nicht wie das mit euch aussieht", fängt April an, „Ich auf jeden Fall brauch gute Noten, sonst machen meine Alten mich fertig." Und wieder nur ein zustimmendes Nicken.
„Stimmt, so n A [das entspricht hier ner eins] auf dem Zeugnis macht sich schon ganz gut."
„Dann ist ja gut. Wenn diese Yuliane nämlich keinen Bock hat, arbeiten wir alleine. Dann kann die sehen wo sie bleibt."
„Ok Mädels, ich muss jetzt auch los, wir sehn uns ja um vier in der Bibliothek", verabschiedet sich May.
„Man sieht sich."
„Bye."
Und so trennen sich die Wege der Mädchen, aber nur für eine kurze Zeit. Denn bald werden sie wieder vereint sein, und diesmal für eine längere Zeit... Sie werden lernen müssen, zusammenzuhalten. Aber auch aufzugeben und loszulassen.
Man hatte die vier Mädchen lange beobachtet. Es hatte lange gedauert, bis man sich einig war. Die Endmeinung ist nun doch einstimmig. Sie sind es. Sie sind die, nach denen jahrelang gesucht worden war. Sie sind die, die nun endlich wieder nach Hause kommen sollen. Jedoch werden sie es nicht freiwillig wollen. Weil sie nicht wissen wer sie sind. Sie werden sich an Illusionen festklammern wollen, an eine Welt, in die sie nicht gehören. In die sie nie gehört haben. Die eine wird ihre Schwester vermissen, die andere ihre Mutter. Die eine wird ihre Schule vermissen, die andere ihre Kollegen. Doch was sie aufgeben müssen, werden sie auch wiederfinden...
„Was für n Fuck, wo ist das scheiß Teil?", murmelt July vor sich hin.
Sie weiß genau, dass der Stoff hier irgendwo sein muss. Ihr Zimmer ist mal wieder durchwühlt worden. Wahrscheinlich war es ihr Vater, auf der Suche nach Alk. Aber er kann die Spritzen nicht gefunden haben, das hat er noch nie. Und tatsächlich, da sind sie.
Schnell schnappt sie die Teile, anderen Stoff, ihre Spraydosen und ihre Sporttasche. Es ist schon zehn vor vier, und sie muss auch noch zu Stumper. Aber der liegt auf dem Weg zur Bibliothek.
Wirklich, man kann dieses „liegt"ruhig wörtlich nehmen. Ecke Felton Street liegt er da. Mit leerem Blick und schwitzend. July tritt ihm mit dem Fuß in den Magen. Sie würde es eigentlich nicht machen, denn man legt sich nicht mit Stumper an. Wenn man dies doch tut, hat man innerhalb zwei Sekunden fünf Messer im Rücken stecken. Aber diesmal muss es sein. Sie weiß wie es ihm geht, und sie weiß, das man so gut wie auf nichts mehr reagiert. So auch Stumper. Der Tritt in den Magen reicht nicht, er röchelt nur etwas.
July verdreht die Augen und schaut sich um. Keine Bullen in der Nähe. Sie stellt ihre Sporttasche ab und kniet sich neben Stumper. An seinem Arm sind viele kleine Einstiche. Jetzt kommt ein weitere dazu.
July nimmt sich einen Zettel und schreibt: Stoff von Rick. Hattest Cold Turkey, Ju. Das muss reichen. Sie hat noch fünf Minuten bis zur Bibliothek. Aber für was kann Frau denn laufen? ...
Werfen wir einen Blick in Mays „Normalen"Alltag...
„Dad, Mom, ich bin wieder da!"
Stille.
„Mom? Dad?"
Stille.
„Hallo?"
Stille.
May zieht sich ihre Jacke aus und hängt sie auf. Dann geht sie in die Küche. Ins Wohnzimmer. In das Arbeitszimmer ihres Vater. In den Keller. Keiner da. Aber neben dem Telefon liegt ein Zettel. „Mussten mit Jenni zum Arzt, Essen kannst du dir warm machen." May ist ziemlich geschockt. Was ist mit ihrer kleinen Schwester? Hoffentlich nichts Schlimmes. Aber sie kann sowieso nichts daran ändern.
Unentschlossen geht sie in ihr Zimmer. Es ist ungewöhnlich unaufgeräumt. Ok, Mays Zimmer ist so gut wie nie aufgeräumt, aber hat es heute Morgen auch schon so ausgesehen? Sie kann sich nicht mehr erinnern. Vielleicht ist es besser so.
Langsam schlendert sie in die Küche, um sich Nudelauflauf in der Mikrowelle warm zu machen. Sina, ihre Katze, liegt faul auf der Fensterbank. Vielleicht hat sie ja auch Hunger. May steht auf und stellt etwas zu Fressen für sie hin. Unter dem Motto „Ich bin zu schön für diese Welt" erhebt sie sich und trottet langsam auf ihren Fressnapf zu. May schüttelt nur lächelnd den Kopf und wendet sich wieder ihrem Essen zu.
Nach etwas TV gucken und dabei Lateinvokabel lernen macht sie sich auf den Weg in die Bibliothek.
Verträumt sitzt April auf ihrem Bett. Sie hat Zeit. Und keinen Plan was sie machen soll. Unentschlossen nimmt sie sich ihre Zeichenmappe, klappt sie auf. Das erste Bild springt ihr ins Gesicht, sie hat es gestern erst angefangen. Ein strahlend weißer Engel hängt an einer Wand, Pfeile durchbohren ihn. Und trotzdem. Er lächelt. Lächeln... Glück... Glücklich endlich dem Kreis des ewigen Daseins, der Wiedergeburt, entzogen zu sein. Glücklich endlich in die Nirwana eintauchen zu dürfen, die Ruhe nach dem Tod. Blut läuft ihm aus dem Mund. Rotes Blut fließt auch über sein weißes Gewand. Und doch lächelt er.
April ist erschrocken. Was hat sie gestern gemalt? Es war spät gewesen, beinahe Mitternacht. Sie konnte nicht schlafen, hatte ihre Gedanken auf Papier gebracht. Traurig betrachtet sie das Bild. Sieht es in ihr denn so schlimm aus? Ist sie alleine, traurig, verzweifelt? Nein, eigentlich nicht. Und doch hat sie schon seit Wochen das Gefühl, fehl am Platz zu sein. Natürlich, sie weiß, dass es albern ist. Natürlich, sie weiß, dass es keinen Grund dafür gibt. Aber er lächelt. Auch April zwingt sich zu einem Lächeln, klappt die Mappe zu und verabschiedet sich von ihren Eltern.
June kommt nach Hause und hört sich erst Mal dutzende Anrufe auf ihrem Anrufbeantworter an. Zwei von ihrer Mutter, drei für ihre Mutter und auch drei für sie. Nichts besonderes, eigentlich das gleich wie immer. Hast du heute Zeit? Kannst du mir da und da und da und am besten auch noch dabei helfen? Bla bla bla....
Sie sollte ihr Zimmer mal wieder aufräumen. Unter Hosen und Schulheften kramt sie eine CD raus, eine ihrer Lieblingsplatten. Laundry Service von Shakira. Sie mag die Musik der Kolumbianerin. Ihr Lieblingssong ist Rules, obwohl Te Dejo Madrid und Que Me Quedes TÅ auch richtig gut sind. Eigentlich findet sie ja die ganze Platte geil. [Wenn Shakira-Fans hier sind und ich Scheiße schreibe, sagt mir bitte Bescheid!] Sie legt die Scheibe in ihren CD-Player und fängt an aufzuräumen. CDs ins Regal, Tops und Hosen in den Schrank, Bücher auch ins Regal und Schulsachen auf den Schreibtisch.
Das Ergebnis ist überwältigend: Man kann den Boden wieder sehen! Yeah, Wow, Geil. June holt ein paar Zeitschriften aus ihrem Rucksack, und hängt sich ein paar Poster auf. Shakira, Christina Aguilera, Jennifer Lopez, Beyonce und auch eins von Pink. Sie ist da nicht so festgelegt, hört vieles. Zu spät bemerkt sie, dass es schon wieder viel zu spät ist. Schnell stopft sie die Zeitschriften wieder in ihren Rucksack, nimmt ihn und macht sich auf den Weg in die Bibliothek.
Zwar kommt sie zu spät, wenn auch nur drei Minuten, ist aber nicht die Letzte. April, May, Jackie und sie – wieder mal warten sie auf Yuliane.
Nervös kaut July auf ihrer unangezündeten Kippe herum und dreht sich immer wieder um. Keine Bullen. Noch einmal schüttelt sie dir Sprühdose und vollendet ihr Werk. „D-Tasis – supported by freeway-sprayers"steht in blau- schwarzer Schrift an der Hauswand. D-Tasis - ihr Sprayername. Die Freeway-Sprayer – ihr Sprayerclique. Blau- schwarz – ihre Haarfarbe.
Schon viertel nach vier – was für eine Scheiße. Aber nichts zu machen, July muss erst noch zu Jimmy. Er gehört zu den Größten der Dealer-Szene. Anstandslos gibt July ihm die 100 Dollar von heute morgen. Man verhandelt nicht mit Jimmy. Aber sie bekommt neuen Stoff, teilweise für sich selbst, teilweise zum weiterverticken.
Schon wieder kommt ihr dieses Lied in den Sinn:
»And I feel your heart beat Pounding in my head
I'd like to control you Cause I can't control myself
Myself«
Schon seit Tagen hat sie es im Kopf, nicht nur wegen der eingängigen Melodie. Sie hatte es irgendwo gehört, wo weiß sie nicht mehr. Sie hat keine Ahnung wie es heißt, aber es ist einfach nur geil. Vor allem das Cause I can't control myself hat es ihr angetan. Natürlich. Einen passenderen Satz gibt es für ihr Leben wohl auch nicht.
Dealerin. Basketballspielerin. Sprayerin. Heroin-Abhängige. Tochter eines Säufers. Raucherin. Wie armselig.
„Da wir ja nun vollzählig sind, hier, ich hab die Unterlagen", sagt Jackie und zieht vier Ordner aus ihrer Tasche. Die Mädchen wollen sie gerade nehmen, als sie sie noch einmal zurückzieht.
„Ähm sorry, habt ihr persönliche Sachen dabei?"
Verwirrt sehen die Mädchen sich an. Was bitte? Sonst hat die keine Probleme, oder? Trotzdem hält June ihren Rucksack hoch, April und May zeigen ihre Handtaschen und July deutet auf ihre Sporttasche.
„Haltet sie gut fest", fordert Jackie sie auf.
Wieder sehen sie sich nur verwirrt an. Was soll das werden? Eigentlich unwichtig, denn das erste New Yorker Straßengesetzt lautet: Machen, nicht fragen. Machen, nicht fragen. Nach diesem ungeschriebenem Gesetz halten die Mädchen ihre Taschen fest. Jackie gibt ihnen die Ordner. Sie berühren sie. Sie halten die Luft an. Sie taumeln. Sie fallen. Blackout.
