Kapitel 4:
Es war ein lauer Frühlingsmorgen des Jahres 1946. Argus drehte sich noch einmal im Bett um. Er musste nicht aufstehen. Erst gestern hatte er seine letzte Prüfung bestanden und nun endlich einen Abschluss. Zwar nicht unbedingt den besten aber er hatte einen. Heute wollte er mal so richtig ausschlafen, doch es ging nicht. Er wurde mal wieder von Alpträumen geplagt. Sie verfolgten ihn schon lang. Für sein Alter war er sehr klein und schmal. Argus drehte sich noch einmal um und beschloss dann doch aufzustehen. Er ging runter in die Küche und kochte sich einen Kaffee. Er setzte sich an den Tisch und rührte mit dem Löffel in der Tasse. Die Uhr zeigte viertel vor acht. Er zog sich eine Jacke an und ging raus. Er machte einen kleinen Spaziergang. Die Bäckereien hatten schon geöffnet und die fliegenden Baguettes eilten durch die Straßen, um es sich auf den Frühstückstischen der Bewohner von Hogsmeade gemütlich zu machen.
Argus ging durch die Straßen. Das machte er öfters. Er liebte es, die Leute zu beobachten. Hier knisterte es in allen Ecken und überall spürte man die Magie. Es machte ihn traurig, dass er nicht dazu gehören konnte, doch inzwischen wusste er, dass er nichts dagegen tun konnte. Langsam kam er an den Rand von Hogsmeade. Die Häuser standen nicht mehr so eng beieinander und die Vorgärten wurden größer. Ein paar Kinder spielten mit Zauberstabattrappen und hatten viel Spaß dabei. Argus ging weiter. Inzwischen waren nur noch vereinzelte Häuser am Straßenrand und die Straße war schon lange nicht mehr ausgebessert worden. Argus setzt sich unter einen Baum, der auf einer Wiese stand und ließ die feinen Sonnenstrahlen auf sein Gesicht fallen. Die Narbe, die er sich vor einigen Jahren geholt hatte zieht leicht. Sein Gesicht sah dadurch etwas verzerrt aus, weswegen Argus auch nur selten in den Spiegel sah.
Inzwischen musste es viertel nach Acht sein, doch Argus hat seine Uhr auf dem Schränkchen neben seinem Bett liegen lassen, also wusste er nicht, wie spät es war und verlor langsam das Zeitgefühl. Dennoch blieb er sitzen. Das leise Zwitschern der Vögel und das Rauschen des Baches, der in der Nähe floss hielten ihn in ihrem Bann. Er hatte die Augen geschlossen und gar nicht wahrgenommen, wie ein Mädchen über die Wiese lief. Als er die Augen öffnete war sie nicht weit entfernt. Sie stand auf einer Leiter und versuchte einen Apfel vom Baum zu pflücken. Sie streckte sich. Argus schloss die Augen für einen Moment. Da hörte er einen kurzen Schrei. Er riss die Augen wieder auf und sah zu dem Mädchen. Doch er konnte sie nicht entdecken. Die Leiter stand noch an den Baum gelehnt. Er stand auf und lief schnellen Schrittes zu dem Baum. Das Mädchen saß am Boden und hatte die Hose hochgekrempelt. Ihr Knie blutete. „Ist alles okay?", frage Argus und das Mädchen sah ihn mit einem Lächeln an. „Ja, es geht schon. Nur ein bisschen aufgekratzt sonst nichts."Sie versuchte aufzustehen, sackte jedoch mit schmerzverzerrtem Gesicht sofort wieder zusammen. „Oder auch nicht", meinte Argus und half ihr sich hinzusetzen. Er sah sich den Knöchel an. Sie holte ihren Zauberstab heraus, richtete ihn auf ihren Fuß und murmelte ein paar Wort. Wie aus dem nichts erschien eine Bandage. „Wenn mir der Herr nun bitte helfen würde", sagte sie mit einem verschmitzen Lächeln und hielt ihm die Hand entgegen. Er versuchte sie zu stützen, so gut es ging und brachte sie zum nächsten Haus. Während sie dorthin gingen schwiegen sie. Vor dem Haus setzte sie sich auf eine Bank und sagte: „Und wie heißt nun mein wagemutiger Retter?" „Ähm..", er war ein bisschen perplex und brauchte eine Weile bis er antwortete „Argus"„Hallo Argus, ich bin Laura", sagte sie und grinste ihn an. Eine Frau trat aus dem Haus. „Ach Laura was hast du denn wieder angestellt?"„Ich weiß es nicht, Mum. Ich bin von der Leiter gefallen aber frag mich nicht, was mit meinem Fuß los ist"Die Frau musterte Argus. „Und wer ist das?" „Das ist Argus, er hat mir geholfen."Die Frau wandte sich dem Fuß des Mädchens zu. „Naja, du weißt ja, jetzt, da du nicht mehr in Hogwarts bist kannst du nicht einfach in den Krankenflügel gehen, du musst mit meiner Behandlung vorlieb nehmen."Argus war etwas in Gedanken versunken und starrte vor sich hin. Wie alt sie wohl sein mochte? Er schätzte sie auf 16, vielleicht 17 Jahre. Ihm gefielen ihre dunkelblonden haare, die ein wenig rot schimmerten. Sie hatte wohl gerade ihren Abschluss in Hogwarts gemacht. „Danke Argus", sagte sie und riss ihn somit aus seinen Gedanken. „Ähm ja", stotterte er und ging einen Schritt zurück. „Ich werde.. ähm dann mal wieder.. ähm.. ja.. gehen.."er drehte sich um und ging. „Bleib doch noch kurz", rief sie ihm hinterher, doch er hörte nichts mehr, war nur noch in Gedanken versunken.
Oh Gott, was musste sie nur von ihm denken. Er hatte sich benommen wie ein Trottel. Argus legte sich auf sein Bett und starrte die Decke an. Warum hatte er sich nur so total bescheuert verhalten? Andauernd hatte er gestottert. Und dann hatte er zusehen müssen, wie sie sich selbst eine Bandage an den Fuß zauberte. Und er hatte nur daneben knien können. Na toll. In solchen Momenten wollte er nur noch verschwinden. Er sah ihre Augen vor sich, die die Farbe von warmem Wasser hatten. Kein kaltes blau, wie es bei Eis der Fall war sondern ein helles aber freundliches Blau. Meine Güte, dachte er, ich hätte mir ja wenigstens vorher mal die Haare kämmen können. Er ging morgens immer ungekämmt aus dem Haus, da störte es noch niemandem. Außer wenn er Schule hatte, dann versuchte er natürlich, seine lange Mähne unter Kontrolle zu bekommen. Rebecca hatte schon oft versucht, ihm die Haare abzuschneiden, doch er hatte sich jedes Mal erfolgreich gewehrt. Ob er ihr wohl trotzdem gefallen hatte? Er ging ins Bad, nahm die Haarbürste in die Hand, die ihn mit einem grimmigen „Und wehe du reißt mich zu schnell durch deine Haare, dann kannst du aber was erleben"begrüßte und fing an, seine Haare zu kämmen, während der Spiegel versuchte, ihn durch Kommentare zu lustigen Frisuren zu bewegen. Er sah sein Gesicht im Spiegel. Die Narbe sah noch ziemlich schlimm aus, obwohl das alles schon so lang her war. Er überlegte, ob er sich die Haare nicht doch ein Stück kürzen sollte. Kurz entschlossen nahm er die Schere, nahm die Haare in die Hand und schnitt 10 cm davon ab. Nun waren sie kaum mehr kinnlang. Er sah vorsichtig in den Spiegel. Nun wirkte sein Gesicht nicht mehr so lang gezogen und er lächelte kurz. Die Narbe versteckte sich, wie immer, zur Hälfte unter seinen Haaren, der Rest sah immer noch genau so schrecklich aus wie bisher. Die restlichen Haare hielt er in der Hand und erschrak, wie lang sie gewesen waren. Er band sie mit einem Haargummi zusammen und legte sie auf das Fensterbrett. Die Haarbürste beschwerte sich lautstark und der Spiegel machte ein verdutztes Gesicht und sah Argus nach, wie er aus dem Bad ging.
Er ging in sein Zimmer, holte ein paar neue Klamotten raus und lief hinunter in die Küche. Rebecca sah ihn erstaunt an. „Welcher Niffler hat dir denn das Hirn durchwühlt, dass du dir die Haare abschneidest?", fragte sie erstaunt und holte ihren Zauberstab raus. „Naja ein bisschen schief"Sie wirbelte mit ihrem Zauberstab um seinen Kopf, obwohl er Anstalten machte sich zu beschweren, doch dazu kam er nicht, denn Rebecca begradigte nur die ungeraden Stellen und wies dann den Handfeger an, die zu Boden gefallenen Haare aufzusammeln. Dieser machte sich sofort an die Arbeit. Argus nahm sich ein Brötchen, das auf dem Tisch lag, wurde dabei beinahe vom Brotkorb gebissen und lief wieder hinaus. Er wusste eigentlich selber noch nicht so genau, wohin er eigentlich wollte. Er träumte ein bisschen und rempelte einige Leute an, die ihm ein erbostes „Ey Junge kannst du nicht aufpassen"oder ähnliches hinterher riefen, doch das störte ihn nicht, er war total in Gedanken versunken. Immer wieder ging ihm die Szene von heute morgen durch den Kopf. Er war nun fest entschlossen, sich bei ihr zu entschuldigen, dass er ihr nicht mehr geholfen hat. Er hob den Kopf und merkte, dass er kaum hundert Meter von dem Haus, in dem Laura wohnte entfernt war. Er ging noch einmal kurz mit der Hand über seine Haare, steckte die Hände in die Hosentaschen und lief entschlossenen Schrittes auf das Haus zu.
Laura saß nicht mehr vor dem Haus. Argus war ein bisschen irritiert, wusste nicht, was er nun tun sollte. Er hatte gehofft, sie vor dem Haus auf der kleinen Bank zu finden, doch jetzt fiel ihm auf, dass das eigentlich ein dummer Gedanken gewesen war. Was sollte sie denn dort sitzen bleiben. Er stand ein wenig verloren vor der Tür herum. Plötzlich öffnete sie sich und die Frau vom Vormittag trat heraus. „Junger Mann, was wünschen Sie?"„Ähm ist Laura da?", fragte er und hätte sich für sein „Ähm" schon wieder selbst ohrfeigen können. „Nein", sagte die Frau „sie ist vorhin nach Hogsmeade gegangen, um einige Besorgungen zu machen und ich glaube nicht, dass sie in den nächsten 2 Stunden zurückkommt, sie wird noch zu Gregory gehen"Gregory? Wer war Gregory? Wahrscheinlich ihr Freund. Ohne etwas zu sagen ging Argus vom Hof und lies den Kopf hängen. Die Frau drehte sich um und ging mit einem Kopfschütteln zurück ins Haus.
Argus kickte ein paar Steine vor sich her, die auf dem Weg lagen. Gregory.. was für ein bescheuerter Name. Wie konnte man nur Gregory heißen. Und wie konnte man sich als Laura mit einem so wundervollen Namen nur einen Gregory zum Freund nehmen. Also wirklich, er konnte sie nicht verstehen. Er ging in Richtung See. Dort zog er sich gerne zurück, wenn er allein sein wollte, um über Dinge nachzudenken, die sein Leben bewegten. Es war einer der ersten Plätze gewesen, die Argus hier entdeckt hatte, als er zu Rebecca gekommen war. An einer Abzweigung sah er eine Schar junger Mädchen, die lachend und scherzend an ihm vorbei gingen und ihn nur kurz ansahen, um sich dann wieder den lustigen Seiten des Lebens zuzuwenden. Argus drückte das Schilf zur Seite, das den See umgab und ging hindurch. Er setzte sich ans Ufer und begann kleine Steine ins Wasser zu werfen. Er sah die ganze Zeit zu der kleinen Insel, die mitten im See lag und auf der sich Enten tummelten. Das Quaken drang bis an die Seite des Ufers, auf der er saß. Eine Entenmutter mit ihren Jungen schwamm vorbei, hinterher der stolze Vater, der den Hals zum Himmel reckte, als wollte er von dort etwas herunterpflücken. Plötzlich höre Argus ein leises Geräusch und drehte sich um. Hinter ihm stand Laura. Er erschrak und machte einen Schritt zurück, denn er besser nicht hätte tun sollen. Er rutschte aus und fiel ins Wasser. Er war nass und brachte nur noch ein „Wasmaduhi"heraus. Laura lachte, hielt ihm die Hand entgegen und sagte: „Ich gehe hier oft spazieren. Die Stille hier, die nur von den Geräuschen der Tiere unterbrochen wird gefällt mir."
Argus nahm ihre Hand und zog sich hoch und es wurde ihm erst im nächsten Moment bewusst, dass das gar nicht Gentlemanlike war. Er richtete sich auf und sah an sich herunter. Er war nass bis auf die Knochen und seine Haare klebten in seinem Gesicht. Laura lächelte ihn an und Argus konnte gar nichts sagen. „Schön hast du dir deine Haare gemacht. Nicht mehr ganz so lang die Mähne!"Die Narbe musste nun komplett überdeckt sein. Argus sagte nur: „Ähm, ja"und hätte sich am liebsten selbst in den Hintern gebissen. Er ging zum nächsten Stein und setzte sich darauf. Er traute sich nicht, sein T-Shirt auszuziehen, denn auch auf seinem Rücken waren Narben. Er lies seinen Blick über den See streifen. Laura setzte sich neben ihn und sah ihn an. Sie nahm seine Haare, und fasste sie alle zusammen. Dann drückte sie das Wasser heraus. Sie lachte auf. „Schau mal, da zappelt ein kleiner Fisch!"Sie zog das Tier aus seinen Haaren. „schau mal, der arme Kleine."Sie stand auf und lies ihn ins Wasser zurück. „Sag mal wie geht es, ähm, deinem Fuß?", fragte er und war fast glücklich, diesen Satz mit nur einem „Ähm"überstanden zu haben. „Ach dem.. dem geht es wieder gut. Meine Mutter hat eine Freundin, die lässt so was im Null Komma nichts heilen. Wieder einmal war er begeistert, was man mit Magie nicht alles machen konnte.
Sie saßen eine Weile schweigend nebeneinander und sahen zu der kleinen Insel. „Deine Mutter meinte vorhin, ähm, dass du zu ähm, Gregory gehen wolltest. Ähm warum bist du denn da nicht?", fragte er und ärgerte sich über drei zu verzeichnende Ähms. „Ach, da war ich schon. Das ist mein Cousin, dem muss ich Nachhilfe in Kräuterkunde geben. Ist gerade erst in der 3. Klasse und muss jetzt dann seine Prüfungen schreiben. Ich habe meine zum Glück schon fertig, war ja in der 7. Mal sehen, was ich mache. Vielleicht studiere ich und werde dann Lehrerin oder ich gehe ins Ministerium oder mache sonst was. Aber man hat ja hier so viele Möglichkeiten! Und was machst du?"Argus sah etwas verdattert aus, weil sie so lang geredet hatte. „Ich habe gerade mein A-level gemacht und weiß noch nicht genau, was ich jetzt mache."„Dein A-level? Dann bist du ein Muggel?"„Nein", antwortete er. Sie sah ihn daraufhin noch verdutzter an, als er noch vor ein paar Sekunden „Ich bin ein Squib", sagte er mit einem leeren Blick und wartete auf ihre Reaktion.
