Flucht

Draco erwachte.

Er fühlte sich gut. Genüsslich kuschelte er sich nochmal in das Kissen und drehte sich zur Seite.

Dann erstarrte er.

Er war nicht in seinem Schlafraum.

Verwirrt erhob er sich halb und blickte auf die beiden Körper, die engumschlungen in dem Bett neben ihm schliefen. Ein dunkler und ein heller Haarschopf waren halb versteckt unter der Decke auszumachen.

Die Erinnerung an die letzte Nacht holte ihn ein und die Erkenntnis irgendwann in den frühen Morgenstunden glücklich in das zweite Bett gefallen zu sein.

Jetzt schauderte ihn.

Was hatte er nur getan?

Sicher, es war ihm in dem Moment als das Richtige erschienen, doch jetzt...

Leise stand er auf und zog sich an. Möglichst ohne ein Geräusch zu verursachen öffnete er die Gemälde-Tür und schlüpfte hinaus. Unentdeckt schlich er in die Kerker-Räume zurück und in sein Zimmer. Hastig packte er einige Sachen zusammen und verließ eilig die Räumlichkeiten. Auf dem Weg zum Ausgang vertat ihm eine weißhaarige Gestalt den Weg.

„Meinen sie wirklich, dass das klug ist, Mister Malfoy?", sagte Albus Dumbledore und sah ihn fragend an.

„Ich muss weg.", erwiderte er hastig. „Dringende Familien-Angelegenheiten!"

„Ich verstehe.", antwortete der Schulleiter. „Aber seien sie sich gewiss, dass ich immer ein offenes Ohr haben werde, wenn mich jemand um Hilfe bitten will."Unergründliche blaue Augen lagen auf seinem Gesicht.

„Ich werde es mir merken.", und mit diesen Worten verließ Draco das Schloss. Er würde von der Eulerei in Hogsmeade aus einen Eule nach hause schicken, um sein Kommen anzukündigen Er musste hier weg.

Im Zug legte er seine Stirn an die verregnete Fensterscheibe.

Trüb glitt die Landschaft an seinen Augen vorbei, ohne dass er sie richtig wahrnahm.

Er dachte an Harry und schloss die Augen.

Nie...

Düster lag Malfoy Manor zwischen hohen Bäumen eingeschlossen ganz am Rande eines kleinen Dorfes. Die Einwohner des Ortes kamen nie hierher. Man sagte, es brächte Unglück, dem Haus zu nahe zu kommen. Wanderer, die sich hierher verirrten, sollten laut nicht verstummenden Gerüchten nicht mehr zurückgekommen sein.

Draco blieb am Eingang des ehemalige Gestüts stehen und blickte auf das große herrenhausähnliche Gebäude, dass er seit 18 Jahren sein zu Hause nannte. Ein zu Hause, in dem Liebe und Anerkennung keine Selbstverständlichkeit waren. Man musste sie sich verdienen. Er war stets bestrebt gewesen, seinen Vater nicht zu enttäuschen.

Die Eingangstür öffnete sich und seine Mutter trat heraus. Die Blonden Haare streng zu einem Knoten zurückgesteckt, das dunkelblaue Kleid hochgeschlossen. Sie wirkte wie eine Puppe, leblos und steif.

Draco wusste aber, dass dies mit seinem Vater zusammenhing. Er hatte dafür gesorgt, dass sich seine Frau außerhalb des Hauses benahm, als würde sie ihre Umgebung nicht im Geringsten interessieren.

Draco beschleunigte seine Schritte und schloss seine Mutter in die Arme.

„Mein Sohn", flüsterte sie leise während sie ihm einen Kuss auf dir Stirn hauchte. „Du siehst blass aus."

„Aber Mutter, das tue ich doch immer.", versuchte er sie beruhigen. Sie sollte sich keine Sorgen machen. Er würde damit schon alleine fertig werden.

„Dein Vater erwartet dich bereits. Er ist im Arbeitszimmer.". Sie übergab seine Tasche einem der Hauselfen und ging selbst in den zweiten Stock hinauf. Sicher würde sie wieder Ruhe brauchen. Sie schlief viel, seit ihrer schweren Erkrankung im letzten Sommer.

Draco ging schnell hinüber zum Arbeitszimmer. Sein Vater war niemand, den man lange warten lassen sollte. Er klopfte und trat dann ein, ohne auf eine Antwort zu warten.

Sein Vater saß wie immer an dem dunklen, wuchtigen Schreibtisch, der, ähnlich den anderen dunklen, und ausnahmslos kostbaren Möbelstücken, die Bedrückende Atmosphäre des Raums noch unterstrich. Die langen, weißblonden Haare, waren zu einem Pferdeschwanz gebunden. Draco wurde sich wieder einmal ihrer ernormen Ähnlichkeit bewußt.

Der Ältere schrieb etwas, während eine gut ausgebildete Eule auf dem Tisch verharrte um den fertigen Brief sofort auszuliefern.

Kurz vor dem Schreibtisch blieb der junge Mann stehen und wartete geduldig, bis ihn sein Vater mit einer Geste aufforderte sich zu setzen. Als er schließlich den Brief zu Ende geschrieben hatte, band er ihn am Fuß des wartenden Vogels fest, brachte diesen zum Fenster und schickte ihn hinaus in die anbrechende Dämmerung. Dann schloss er das Fenster wieder, drehte sich zu seinem Sohn um und nahm ihn in Augeschein.

„Du kommst früh.", stellte er ohne eine Regung in der Stimme fest. „Aber das ist gut so, denn in ein paar Wochen hätte ich dich eh zu mir beordert."

Er reagierte nicht auf Dracos fragenden Blick. „Sei heute Abend um acht pünktlich zum Essen im Speisezimmer."

Ein anhaltendes Schweigen bedeutete dem jungen Mann, dass er entlassen war.

Langsam ging er die breiten Stufen hinauf in sein Zimmer. Dort legte er sich auf das Bett und starrte an die Decke. Er fühlte sich um Jahre gealtert.

Wenige Stunden später stieg der die Stufen zur Halle wieder hinab. Seine Mutter und sein Vater saßen bereits am Tisch und unterhielten sich leise. Als auch er sich setzte wurde das Essen aufgetragen. Schweigend aßen die der Malfoys zu Abend.

Kurz nach halb neun läutete es an der Tür und mehrere Personen betraten die Halle. Sein Vater ging hinaus, um sie zu begrüßen. Einige kannte Draco, andere Gesichter waren ihm völlig unbekannt.

Sie begaben sich in den Salon und sein Vater bedeutete ihm zu folgen. Als seine Mutter ebenfalls den Raum betrat, runzelte sein Vater die Stirn, ließ sie aber gewähren.

Dann wartete sie stumm. Draco wusste erst vorauf, als sich Lord Voldemort direkt vor dem Kamin materialisierte. Die anwesenden Todesser fielen sofort auf die Knie.

Unschlüssig, was er nun zu tun hatte, war Draco zu lange stehen geblieben.

Ein tiefer Blick aus roten Augen traf ihn und schien bis in die hintersten Winkel seiner Seele zu blicken.

Erschrocken wand er den Blick ab und ging ebenfalls in die Knie.

Er hatte den Dunklen Lord noch nie persönlich getroffen.

„Lucius!" ertönte nun dessen schwere, schleppende Stimme durch den Raum.

Draco fröstelte.

Er musste an Harry denken, der den Lord vor zwei Jahren bereits getroffen hatte. Allein, verletzt und mit einer Leiche seines Schulkameraden neben sich, der so eben durch eine einfach Geste aus dem Leben katapultiert worden war.

„Wie ich sehe, ist dein Sohn auch anwesend.", fuhr die Stimme fort. „Gut. Er soll seine Aufgabe bekommen."

Er sollte also zu einem echten Todesser gemacht werden. In Dracos Brust kämpten verschiedene Gefühle um die Vorherrschaft.

Triumph, endlich den begehrten Status erreicht zu haben.

Furcht, vor dem, was ihn er warten würde.

Neugier, worin seine „Aufgabe"bestehen mochte.

„Komm zu mir, Draco!", sagte der Dunkle Lord und fast ohne seinen Willen stand er auf und setzte Schritt für Schritt vorwärts, bis er nur noch etwa einen halben Meter von der Gestalt in dem langen dunklen Umhang entfernt war. Sie streckte eine knochige Hand aus, umfasste sein gesenktes Kinn und zwang ihn, ihm direkt in die Augen zu sehen. Er fühlte, wie der mächtige Magier in seinen Geist eindrang und sein Leben begann rückwärts an ihm vorbei zu ziehen.

Das Abendessen mit seinen Eltern, die Zugfahrt, die Nacht mit den beiden anderen jungen Männern...

Draco fühlte die Belustigung des alten Geistes, ob seiner Scham, daß er sich so weit offenbaren musste.

Immer schneller und schneller begannen die Erinnerungen durch die geistige Hand des Dunklen Lords zu gleiten. Schule, Freunde, Harry Potter... plötzlich stoppte die schwindelerregende Aneinanderreihung seiner Lebensmomente.

Er sah sich wieder auf dem Bett liegend.

Gefesselt.

Das dunkelhaarige Mädchen kniete über ihm.

Ihre Hände begannen erneut zu glühen.

Sie hob den Kopf und sah ihm direkt in die Augen.

Schnitt.

Das Bild vor seinem geistigen Auge fror ein.

„Wer ist das?", hörte er die Frage Voldemorts an seinem Ohr.

„Banes.", antwortete er automatisch. „Raja Banes."Und eine heiße Welle der Erregung überschwappte ihn von der anderen Seite der Gedankenverbindung.

„Sie lebt?", flüsterte der Dunkle Lord und beendete die Gedankenverbindung eben so brutal, wie er sie eingegangen war.

Draco sank erschöpft zu Boden.

Er fühlte sich schwindelig und elend.

„Deine Aufgabe", versetzte ihm Voldemort nun, was ihn sofort wieder zu hundertprozentiger Aufmerksamkeit zwang. "„Sollte eigentlich sein, Harry Potter aus dem Weg zu räumen. Aus deinen Erinnerungen sehe ich aber, dass dich der Zauber dieses Mädchen wahrscheinlich zu schwach werden ließe, um meinen Befehl ordnungsgemäß auszuführen. Außerdem stehet es ebenso in Frage, ob du überhaupt die Kraft hättest es zu tun."

Draco senkte den Kopf.

Der Lord hatte Recht. Er wäre nicht fähig es zu tun. Nicht nachdem er sich in Harry verliebt hatte.

„Deshalb", fuhr der andere unbeirrt fort, „wirst du eine, deinen Fähigkeiten entsprechende Aufgabe bekommen um mir deine Treue zu beweisen."

Er drehte sich zu Draco um und zwang ihn, ihm wieder in die rotglühenden Augen zu sehen.

„Du wirst mir diese Mädchen bringen. Lebendig. Ich will sie haben."

„Warum?", entschlüpfte die Frage Dracos Lippen bevor er es verhindern konnte.

Kurz darauf fand er sich auf dem Boden wieder. Er wand sich vor Schmerzen, die seine Nervenstränge zu zerfetzen drohte.

„Wenn dein Lord dir etwas befiehlt, dann hast du nicht zu fragen.", hörte er Voldemorts schrecklich Stimme durch die Wirkung des Cruciatus-Fluchs dringen.

„Herr,...nein, ... bitte!", erklang nun die flehende Stimme seiner Mutter. „Er ist doch noch ein Kind. Und er ist krank. Er kann euren Auftrag jetzt noch nicht erfüllen Lasst ihm noch Zeit."

„Lucius, bändige dein Weib, oder es wird dir wie deinem jämmerlichen Sohn ergehen.", sagte der Dunkle Lord kalt.

Die Schmerzen in Dracos Körper klangen langsam wieder ab.

Ganz nah an seinem Ohr hörte er Voldemort flüstern. „Wenn du deine Mutter liebst, solltest du dir überlegen, wie wichtig das Mädchen für dich ist."

„Sie bedeutet mir nichts, Herr.", schrie Draco fast. „Ich werde sie zu Euch bringen."

„Guter Junge!", zischte die Stimme. „Du hast bis zur ersten Vollmond-Nacht im Neuen Jahr Zeit. Sieh zu, dass du deinen Auftrag erfüllst."

Mit diesen Worten verschwand er.

Der junge Malfoy lag immer noch auf dem Teppich. Sein gesamter Körper war ein einziger Schmerz.

Aber er hatte wieder ein Ziel.

Er würde Banes diesem Geschöpf, das man schon lange nicht mehr menschlich nennen konnte ausliefern.

Seiner Mutter durfte kein Leid geschehen, dafür würde er sorgen.

Draußen begannen die ersten Schneeflocken zu fallen.