2. Kapitel

Träume im Ligusterweg

Grelle Flüche schossen blitzschnell und in allen möglichen Farben in dem alten, geräumigen Raum umher. Dieser Raum war absolut steinalt, man sah es auf den ersten Blick, er war trichterförmig angelegt und breite, steinerne Treppen führten hinab in die Mitte des Raumes. Einige der Treppen waren schon deutlich vom Verfall der langen Jahre gezeichnet, kleine Steinbrocken brachen manchmal von ihnen ab und rollten hinab in die Tiefe. Dort, auf einem Podest aus Stein, das ebenso verfallen war wie der Rest der Kammer, stand leicht erhöht ein uralter, wackliger Bogen, unheilvoll stand er da, ein schwarzer Vorhang flatterte leicht, wie von einem schwachen Wind getrieben in der Mitte, im Durchgang des Bogens, umher. Schwache Stimmen konnte man flüstern hören, sie sprachen aus dem Bogen heraus, doch wenn man nachschaute was hinter diesem Vorhang steckte, dann sah man nur auf die andere Seite der Raumes, denn man blickte einfach durch den Bogen hindurch.

Hellgrüne Blitze, weiße Geschosse, langsam surrende Strahlen aus blauem Licht und tiefschwarze Flüche,
sie flogen durch die kalte, vermodert riechende Luft, versengten sie, und fehlgeleitete Flüche krachten in einer farbigen Explosion auf den steinernen Boden herab, wobei nicht allerdings nicht alle ihr Ziel fanden.
Die Verursacher der Flüche und Hexereien, allesamt Mitglieder des Ordens des Phönix, standen recht weit oben auf den breiten Treppenstufen, hatten ihre Zauberstäbe erhoben, zielten auf jemanden weiter unten in der Kammer, murmelten Wörter, worauf ihre Zauberstäbe knallten und Flüche heraus schossen, die sich ihren Weg durch die Kammer nach unten bahnten. Dort, weiter unten im Raum, in der Nähe des Bogens, standen sie, in ihre typischen Umhänge gehüllt, mit ihren Kapuzen, die einen einzigen Schlitz in Augenhöhe hatten, die Todesser. Auch sie kreischten ebenfalls und auch aus ihren Zauberstäben knallten die Flüche, sie zischten auf die Ordensleute zu, die diese mit mehr oder weniger Mühe abwehrten und zurückschickten. Die Luft hatte einen verbrannten, versengten Geschmack angenommen, und war erhitzt von den vielen Zaubern. Der Kampf Todesser gegen die Ordensmitglieder zog sich in die Länge, niemand wollte zurückweichen und seine errungene Position aufgeben, was bedeuten würde, den Kampf aufzugeben. Die Kämpfenden teilten sich auf, jetzt kämpfte meist einer der Auroren gegen einen der Todesser.

Doch dann, die Ordensmitglieder begannen gerade ein Stückchen vorzudringen, die Todesser wichen zurück, apparierte auf den obersten Treppenstufen der Kammer Albus Dumbledore. Sein plötzliches Auftauchen gab den Ordensleuten neuen Mut, sie setzten erneut und verbissen zum Angriff an und die Todesser keuchten vor Erstaunen auf, murmelten ängstlich untereinander und wichen noch weiter zurück, wobei sie nun die Treppen auf der gegenüberliegenden Seite des Raumes hinaufsteigen mussten und immer wieder den Flüchen der attackierenden Auroren ausweichen mussten. Dumbledore zog seinen Zauberstab und stürmte los an die Seite der Ordensmitglieder, um ihnen zu helfen. Nur ein Paar der Duellierenden hatte sich abseits gehalten, sie duellierten sich ganz in der Nähe des steinernen Bogens, standen schon auf dem Podest, sie beide kämpften hart und verbissen miteinander, es war ein Mann gegen eine Frau, doch sie waren sich vollkommen ebenbürtig. Der eine der beiden, ein recht gut aussehender Mann im besten Alter, mit schulterlangen schwarzen Haaren, mit Namen Sirius Black, schleuderte der Frau einen Fluch nach dem Anderen entgegen.
Die Frau, es war Bellatrix Lestrange, eine deren, die immer an den dunklen Lord geglaubt hatten, und sogar wegen ihm, so hoch war ihre Treue, sich nach Askaban schicken ließ; lieber würde sie bis zu ihrem Tod dort fortleben müssen, als den Dunklen Lord an seine Feinde zu verraten. Und nun war er zurückgekehrt und hatte es ihr ermöglicht, auszubrechen. Sie war zu ihm zurückgekehrt und er hatte sie würdig empfangen. Eigentlich hatte Bellatrix einmal ein hübsches Gesicht gehabt, doch die langen Aufenthalte in Askaban hatten ihr ihr Aussehen gekostet.
Aber ihre Kräfte hatte sie noch lange nicht verloren, sie war immer noch eine starke Kämpferin und nicht zuletzt deswegen hatte Voldemort sie bereitwillig empfangen.
Und so viele Flüche Sirius ihr auch entgegen werfen konnte, sie blockte sie alle und wehrte sie ab. Dann griff sie ihn selbst an, schoss einen mächtigen Fluch nach ihm, Sirius musste notgedrungen ausweichen und der Fluch zischte bedrohlich nahe an ihm vorbei.
„Komm schon, Bellatrix! Das kannst du doch noch besser!"neckte Sirius Bellatrix, er hatte seinen Zauberstab leicht gesenkt und tänzelte vor ihr umher. Er lachte sie aus, wollte sie anstacheln, doch sein Lachen gefror so schnell wie es gekommen war. Bellatrix' Fluch hatte ihn mitten in seine Brust getroffen, er stolperte, und während er langsam, wie in starker Zeitlupe, nach hinten überkippte, und ganz langsam in den alten, steinernen Bogen fiel, verschwand sein anstachelndes Grinsen, er riss seine Augen vor verblüffender Erstaunung weit auf, ein Ausdruck vollkommener Überraschung zeichnete sein noch recht junges Gesicht, doch dies war das letzte was man von ihm sah, und dann war er im Bogen, hinter dem Vorhang verschwunden. Man könnte meinen, er fiele kurz durch den alten, mottenzerfressenen Vorhang, und würde sofort auf der anderen Seite wieder herausfallen, sich aufrappeln und weiterkämpfen. Doch er tauchte nicht mehr auf, er blieb verschwunden. Sirius Black war fort.

„NEEEEIN!"
„SIRIIIIUUUS!"
Harry schreckte schweißgebadet hoch. Er wusste zuerst nicht genau, wo er war oder etwa, wie spät es überhaupt war. Er wusste im Moment nur, dass er diesen schrecklichen Traum schon wieder geträumt hatte. Der Traum, in dem sein Pate Sirius in dieser seltsamen Kammer in der Mysteriumsabteilung durch diesen altertümlichen, steinernen Bogen gestürzt war. Und dass es überhaupt passierte, war im Grunde nur seine, Harrys Schuld. Wut auf sich selbst und Schuldgefühle stiegen siedend heiß in ihm hoch; wenn er nicht auf die Vision, die ihm Voldemort gezeigt hatte, hereingefallen wäre, dann würde Sirius jetzt noch leben. Harry suchte mit seiner Hand auf seinem Nachttischchen nach dem Lichtschalter seiner Lampe, fand ihn dann auch kurz darauf und schaltete das Licht ein. Er fand seine Brille auf dem Schränkchen, setzte sie sich auf und blickte in seinem Zimmer umher. Langsam beruhigte sich sein vor Sekunden noch schwer arbeitendes Gehirn und er konnte wieder etwas klarer denken. Harry sah aus dem geöffneten Fenster hinaus in die sternenklare Nacht. Ein Blick auf seine Armbanduhr, die er immer, auch nachts, trug, sagte ihm, dass es bereits weit nach zwei Uhr war. Obwohl schon so spät, war die Nacht draußen immer noch erfüllt vom warmen Duft des Tages, die Luft hatte sich nur ein wenig abgekühlt, es war immer noch wohlig warm, nicht zu heiß und nicht zu kalt, sondern genau richtig zum Träumen und Ausruhen. Die Sterne glitzerten am wolkenlosen Himmel, als Harry ihn betrachtete, ab und zu fuhr noch ein Auto die Straße des Ligusterwegs entlang und dann war wieder komplette Stille, nur vom Zirpen der Grillen, die draußen im Gras saßen, unterbrochen.
Eine wunderschöne Nacht , dachte sich Harry, als er einige Zeit lang gedankenverloren nach draußen gestarrt hatte und einfach die Geräusche auf sich einwirken ließ und lauschte.
Wo , dachte er sich, konnte Voldemort im Moment nur stecken?
Was würde er im Moment gerade tun? Wen würde er gerade wohl foltern oder gar töten?
Nein, daran durfte er nicht denken. Aber noch war der zweite Krieg nicht ausgebrochen, noch hielt sich Voldemort bedeckt und agierte wohl heimlich.
Langsam überkam Harry wieder die Müdigkeit als er sich die geruhsame Nacht draußen betrachtete, er wollte sich am liebsten zurück in sein warmes Bett sinken lassen, aber gleichzeitig graute ihm auch davor, wenn er jetzt wieder einschlafen würde, dann kehrten die Träume von Sirius bestimmt zurück und er müsste alles schon wieder gepeinigt verfolgen müssen. Schon so oft hatte er versucht sich am Abend vor dem Schlafen gehen abzulenken, entweder er machte etwas, dass seinen Kopf so zum Denken an etwas anderes anregte, sodass er nicht mehr an Sirius denken musste, oder er blieb so lange auf, bis er vor Müdigkeit fast sofort einnickte. Manchmal klappte es auch, dann schlief er die Nacht traumlos durch bis er morgens von den ersten Sonnenstrahlen, die durch sein Fenster fielen, geweckt wurde. Aber dies funktionierte eben nicht besonders oft, meist konnte Harry machen, was er wollte, der Traum kehrte dennoch immer wieder zu ihm zurück und quälte ihn im Schlaf.
Doch jetzt war er so schläfrig, er konnte nicht anders, als sich zurück in sein Bett sinken zu lassen. Er nahm noch seine Brille ab, legte sie wieder zurück auf sein Nachtschränkchen und knipste das Licht aus.
Er legte sich die Bettdecke zurecht, legte seinen Kopf auf sein Kopfkissen und dachte an nichts mehr, er schlief sofort ein.

Harry saß in einem düsteren, abgedunkelten Raum, der nur von den Kerzen, die in ihren Halterungen an der Wand brannten, erhellt und in flackerndes Licht getaucht wurde. Er saß in einem hohen Sessel aus schwarzem Samt, die Hände auf die Lehnen gelegt, und wartete auf denjenigen, der gleich zur Tür hereinkommen musste. Seine Anspannung war recht hoch, gleich, wenn sein Bote zurückkommen müsste, würde er endlich Gewissheit besitzen. Schon kamen die Schritte näher, der Mann der auf den Raum zulief, musste gleich da sein..., jetzt würde er die Tür öffnen und herein treten... Und die Tür ging wirklich auf, ein Mann, gehüllt in einen schwarzen Kapuzenumhang, trat herein, schritt hinüber zu dem schwarzen Sessel aus Samt und verbeugte sich dienerisch davor.
Harry sprach zu ihm, aber es war nicht seine Stimme, es war eine kalte, grausame Stimme, die den Mann der vor ihm stand, erzittern ließ.
„Erhebe dich, Charles, und schließe besser die Tür hinter dir."
Der Mann richtete sich langsam auf und ohne Harry anzublicken ging er zur Tür und schloss sie. Er fragte sich voller Furcht, was denn nun mit ihm geschehen würde. Aber er hatte doch alles richtig gemacht....
„Also bist du zurück. Ich habe schon gewartet. Du weißt, ich warte nicht gerne lang" drohte Harry seinem Untergebenen, der darauf den Blick noch mehr senkte.
„Nun?"fragte Harry und blickte ihn an. „Warst du dort und hast dich umgesehen? Ist es dort? Wird es wirklich dort aufbewahrt?"Harrys kalte Stimme war fast nur noch ein Flüstern, aber man konnte die Aufregung förmlich spüren. Der verhüllte Mann blickte nun ebenfalls auf. Ein Teil seiner Furcht war von ihm abgefallen, er antwortete Harry, es war eine leise, zitternde Stimme.
„Oh ja, ich bin sehr wohl dort gewesen. Ich habe mich sehr vorsichtig verhalten, niemand dürfte etwas bemerkt haben, und..."er richtete sich stolz auf, „es ist wirklich dort. Es muss dort sein, es würde keine andere Möglichkeit geben..."
„Aber?"fragte Harry jetzt etwas zornig, und der Mann duckte sich wieder, wurde kleiner vor Furcht.
„N-Nun, ich k-kann euch diesen Ort zeigen, im Denkarium..."
„Aah, eine gute Idee"flüsterte Harry kalt. Er deutete hinüber auf einen Tisch, auf dem ein steinernes Denkarium stand.
„A-aber ich bitte euch, bitte verzeiht mir, denn- "
„Was?" fragte Harry scharf.
Charles schluckte, „Nun, es gab da ein Problem, a-aber bitte, verzeiht mir und seht es euch am besten selbst an...."
Harry schnaubte. „Nun gut. Ich hoffe für dich, das es ein kleines, belangloses Problem ist. Aber jetzt..., zeig mir die Erinnerung!"
Charles setzte seinen Zauberstab an seine Schläfe und zog einen silbrigen Faden an seinem Zauberstab wieder davon weg. Seine Erinnerungen. Er fügte sie in das Denkarium hinein, stieß sie sanft mit dem Zauberstab an und seine Gedanken begannen herum zu wirbeln.
„Schaut euch es an, Eure Lordschaft..."sagte er leise. Harry zog das Denkarium zu sich her, blickte tief hinein und die Substanz wirbelte immer schneller. Harry versank tief darin und wurde in die Erinnerungen hineingezogen.

Der Mann namens Charles schlich langsam und vorsichtig durch einen schwach beleuchteten Gang, die Wände und der Boden schienen aus massivem Stein zu sein, und seine Schritte, so vorsichtig sie auch sein konnten, hallten den Gang entlang. Harry konnte nicht genau sehen, wo er hier mit diesem Mann herumlief, aber er kannte diesen Ort irgendwie... Er kam ihm vor, wie wenn er ihn schon so oft besucht hätte, obwohl er sich kaum an ihn erinnern konnte, aber er kannte ihn irgendwoher.
Er drang immer weiter, Harry folgte ihm, sein schwarzer Umhang schleifte ihm hinterher, er begab sich immer weiter in den Gang hinein, ruhelos, denn er suchte etwas, wollte es unbedingt finden, und bis er dies gefunden hatte würde er nicht Halt machen. Also lief er unermüdlich voran, während Harry ihm still folgte.
Nach einer kleinen Ewigkeit, so schien es Harry, der diesem bis jetzt wortlos durch die steinernen Korridore gefolgt war, verhallten Charles Schritte. Harrys Erregung und Erwartung stieg an, gleich wäre es soweit, gleich.... Er bog um die nächste Ecke, hinter der er Charles vermutete, der wohl aus irgendeinem Grund stehen geblieben sein musste, und sah ihn. Er kniete auf dem staubigen Steinboden, vor ihm, durch das Fackellicht beleuchtet, versperrte eine massive, hohe Eisentür den weiteren Weg.
Die Tür schimmerte silbern, wie wenn sie magisch wäre, und hatte ein ziemlich großes Schlüsselloch in ihrer Mitte.
Doch Harry beachtete dies nicht. Großer Zorn stieg in ihm hoch, er wusste, dass der Mann nichts dafür konnte, dass der Weg zu dem was er, Harry, verlangte, versperrt war, aber trotzdem war er so wütend auf diesen Mann dass... Zorn und Hass beherrschten ihn jetzt. Harry zog seinen Kopf aus dem Denkarium zurück, er verließ den Ort der Erinnerung des Mannes, kehrte zurück in den schwach beleuchteten Raum mit dem hohen Sessel, in dem er gerade saß, Harry hob seinen Kopf und starrte den Mann, dessen Erinnerung er gerade gesehen hatte, wütend an.
„Dann hast du es also nicht selbst gesehen? Nur diese Tür?" Harry sprach ruhig, aber der Zorn in seiner Stimme war deutlich zu erkennen.
„Entschuldigt, Meine Lordschaft, a-aber-..., es ist dort, wirklich, ich- "
„Selbstverständlich ist es dort, ich habe dies längst erkannt. Aber IHR habt es nicht gesehen, obwohl ich euch den Auftrag gab, mir ein Bild davon zu verschaffen."
„A-aber diese Tür, sie- "
„Hat sie dich aufgehalten?"unterbrach Harry den Mann. „Lächerlich. Es ist ganz einfach: Du bist ein Versager, du hast meinen Auftrag nicht erfüllt. Ich werde dir zeigen, was mit Versagern passiert."
„Mein L-lord, sie war magisch verschlossen, niemand würde sie durchbrechen können... a-aber sie hatte ein Schlüsselloch, habt ihr nicht gesehen?"stotterte Charles vor Angst. „Es muss einen Schlüssel geben, bitte, mein Lord, vergebt mir, ich würde es auch- "Charles brach ab, er sackte zu Boden, sank auf die Knie, die Augen vor Schmerz weit geöffnet.
Harry stand vor ihm, den erhobenen Zauberstab direkt auf den zuckenden Mann vor sich gerichtet.
„Crucio"sagte Harry kalt, er ließ seinen Zauberstab weiterhin auf den Mann vor ihm zeigen, er hielt ihn in seinen bleichen Händen mit langen, weißen, spinnenartigen Fingern. Der Schmerz wurde immer größer, er brannte stark, doch langsam wurde ihm klar, sein Schmerz war nicht der, des am Boden liegenden Mannes, sondern der auf seiner Stirn.
Harry fuhr in dem Moment, als Lord Voldemort meilenweit entfernt seinen Zauberstab zurückzog, aus dem Schlaf.