Kapitel 4
Wie kann soviel Schönheit nur soviel Trauer bergen?
Alleine die schwarzen Krähen ließen ihren Ruf verlauten, als die fünf Fremden und Éomer den Hauptweg Edoras entlangritten. Der Begriff Weg ist zu gewagt, Élwen musterte den steinigen, breiten Pfad, der sich bis zu der Goldenen Halle hinaufzog.
Die Bewohner Edoras standen am Rande ihrer Häuser. Zu gebannt um wegzugehen, und zu verängstigt um näher zu treten, keiner sprach ein Wort. Schlimm muss es um diese Stadt stehen, wenn noch nicht mal Kinder vor Besuchern hersprangen, dachte Élwen. Auf den ersten Blick mochte die Hauptstadt Rohans wie nicht mehr als eine ärmliche Siedlung erscheinen mit den dreckigen Straßen und den dunkel , doch zerlumpt gekleideten Menschen. Der eisige Wind fegte den Staub vor ihnen her.
Und doch, wer hinter diese Oberfläche sah, erkannte die unendliche Liebe zu ihrer Heimat, die in ihren Herzen schlummerte. Das Holz der dunklen Häuser war mit feinsten goldenen Verzierungen veredelt , überall fand man das Pferdemotiv, das Symbol der stolzen Rohirrim. Wenn ab und zu die Sonne zwischen der dichten Wolkendecke durchschien, glänzten die Motive und man meinte fast, die Rösser würden lebendig werden und im nächsten Augenblick aus ihren Rahmen springen, doch einige Sekunden später verließ einen der Eindruck wieder und man hatte wieder die Taten dieser alten und ehrwürdigen Kultur vor sich.
Die fantastischen Bauwerke der Elben gingen Élwen durch den Kopf, doch sie waren immer von einer gewissen Kühle gezeichnet, diese hier strömten nur so vor Leben und in besseren Tagen waren die Rohirrim bestimmt offenherzige Gastgeber, dessen war sie sich sicher.
Sie erreichten die Goldene Halle. Die Wächter am Haupttor zu Edoras hatten den Befehl, Éomer festzunehmen, falls er zurückkehren würde, aber Gandalf hatte dies zu verhindern gewusst...
Nun hieß es an den Hauptmännern vorbeizukommen, doch einer der Generäle war sichtlich froh darüber ,Éomer in solcher Begleitung zu sehen und ließ sie eintreten, nachdem sie sich trotzdem ihrer Waffen entledigen mussten.
Meduseld war sogar noch schöner, als man von außen erahnen konnte. Élwen vergaß fast den Grund ihres Kommens, als sie ihren Blick über die detailgetreuen Bilder der Geschichte Rohans gleiten ließ. Doch dann sah sie den König. Geschockt war sie nicht, Grima Schlangenzunge und sein Gift waren sogar bei den Elben bekannt. Ihr Herz verkrampfte sich, da sie das Böse, was von ihm ausging, deutlicher spürte als jeder Mensch, in seiner Aura vernahm sie den Schrecken Mordors, der hier zum Glück noch nicht so lange Schatten geworfen hatte.
Sie erinnerte sich an das, was Éomer an den Verfall des Reiches von innen berichtete und musste ihm zugestehen, dass er nicht übertrieben hatte. Sie warf ihm einen seitlichen Blick zu und sah mit Erstaunen den Schmerz in seinen Augen. Er liebt seinen Onkel, dieser sture Marschall konnte also doch Gefühle zeigen. Im nächsten Moment ermahnte sie sich, dass dies nicht der richtige Moment sei um über das Verhalten von Rohirrim nachzudenken.
Gandalf sprach bereits mit dem König, doch dessen Stimme war nicht mehr viel mehr als ein raues Krächzen. Als er jedoch plötzlich anfing hämisch zu lachen, lief ihr ein Schauer den Rücken herunter und sie sah Saruman im Gesicht des Alten.
Gandalf warf sein Cape von seinen Schultern und erstrahlte im Licht seiner Macht. Der Glanz der Altehrwürdigen umgab ihn und seinen weißen Stab, den er auf Théoden richtete.
Éomer wollte nach vorne laufen, doch Élwen hielt ihm einen Arm vor die Rüstung und gebot ihm abzuwarten.
„Vertraut ihm...", sagte sie nur leise, ihr Gesicht immer noch fest und erhoben auf den Podest gerichtet.
„ Er wird ihn töten..."- „ Nicht jede Macht vernichtet, Éomunds Sohn..."
Sie fühlte den Widerstand Éomers schwinden und ließ ihren Arm wieder sinken. Plötzlich meinte sie im weißen Strahlen, dass von Gandalf ausging, nicht Théoden sondern Éomer auf dem Thron sitzen zu sehen, den schmalen goldenen Reif auf dem erhobenen Haupt, geschmückt mit einem königlichen Umhang...
So schnell es gekommen war, so schnell verschwand das Bild auch wieder. Jetzt saß wieder Théoden, zusammen geschrumpft und schwer atmend, auf dem Thron, während eine Frau nach vorne lief, die ihr vorher gar nicht aufgefallen war. Auch Éomer setzte sich in Bewegung, diesmal hielt sie ihn nicht zurück.
Sie war zu erstaunt über die Vision, die sie hatte, noch nie hatte sie bisher so deutlich etwas erkennen können, als wenn ein Traum sich in den Tag geschlichen hätte. Auch fiel ihr auf, dass der König gar nicht so alt war, wie er anfangs erschien. Man konnte sehen, wie die Last des niederträchtigen Zauberers von ihm abfiel und er seine ursprüngliche Verfassung wiedererlangte. Éomer und die weiß gekleidete Frau halfen ihm beim Aufstehen und Élwen dämmerte es, dass es sich um Éowyn handeln musste, die Schwester Éomers. Sie wusste von dem tragischen Schicksal der beiden Kinder, deren Eltern vor etlichen Jahren schon gestorben waren, sie hatte ein Gebet zu den Valar für sie geschickt und war froh darüber gewesen, dass sie mit ihrer Familie leben konnte...
Eine lange Prozession zog sich vom hinteren Tor Edoras zu den Grabhügeln, allen voran, vier Männer, die die Bahre mit Théodred, des Königs Sohn, trugen.
Élwen ging an Gandalfs Seite, hinter Théoden, Éowyn und Éomer.
Was für ein trauriger Anfang eines neuen Lebens, kaum war Théoden zu seiner alten Kraft gelangt, erfuhr er von dem Tod seines Sohnes.
Am Grabe hob sie ganz kurz den Blick. Éowyn rannen die Tränen übers Gesicht als sie ein Klagelied für Théodred sang, ansonsten stand sie genauso gefasst und grade wie ihr Bruder, der den Kopf hob und Élwen ansah, als er merkte, dass er beobachtet wurde. Sie nickte ihm zu. Als ob ihm das irgendeinen Trost verschaffen würde, er hat seinen Cousin verloren, wie würdest du dich fühlen?
Die Stimme in ihrem Kopf hallte wie ein Echo wieder und verwandelte sich allmählich in die von Arwen, ...ihre Schwester, sie sah sie vor sich, in ihrem Gemach sitzend, war es in Bruchtal?... Nein,...das Klagelied... für wen spielt es... ihr Gesicht,... so blass,.. sie fällt auf ihr Bett, ihre Augen schließen sich...
Mit einem Ruck kam Élwen wieder zu sich. Sie wusste nicht, wie lange sie so versunken dagestanden hatte.Das Begräbnis war anscheinend vorüber, nur noch Théoden und Gandalf standen am Grab. Als sie ihre Fassung wieder hatte, sprach sie ein elbisches Gebet für den Toten. Gandalf blickte sie an, ob er sich dessen bewusst war, was sie gesehen hatte?
Es wurde bereits Abend, sie zog ihren Umhang enger um sich. Er war aus dünnem, grünen Stoff, den sie um ihre Vorderseite legen und an der linken Schulter festmachen konnte. Doch es war nicht nur die Dämmerung, die sie frösteln ließ, als sie langsam zurück in die Stadt ging...
