Kapitel 7
„Ruhig, Brego, ist gut..."
„Du hast dir einen äußerst temperamentvollen Gefährten für die Reise ausgesucht, Aragorn."
Élwen hielt gerade auf die Stallungen zu, als Aragorn mit Brego herauskam. Der Hengst wirkte sehr nervös, aber Aragorns beruhigende Art schien auch auf ihn überzuspringen.
„ Auch wenn man es nicht gleich sieht, passt er zu mir, wir wollen uns beide nicht angleichen...Ich denke, ich hätte keinen besseren finden können. Es sind aber noch viele hervorragende Pferde da, ich vermute, dass du auch eines suchst?"
Élwen ließ ihre Hand über das seidige, verschwitzte Fell des dunkelbraunen Brego gleiten. Ohne Widerstand ließ er es gefallen. „Ja, Schattenfell ist zwar sehr geschmeidig, aber ich bevorzuge ein eigenes Tier. Außerdem hätte ich gegen einen Sattel auch nichts einzuwenden, wenn es einmal rauer zugehen sollte."
Sie zwinkerte Aragorn kurz zu und verschwand dann im Stall.
Dies war nun das Heiligtum der Rohirrim. Über den Steinboden schlendernd, betrachtete sie die unzähligen Rösser, sie verdienten das Lob, Pferdeherren genannt zu werden, diese Pferde waren wirklich wunderschön und eines kraftvoller als das andere. Vereinzelten strich sie über die Nüstern, schaute in die großen Augen und kraulte hinter den Ohren. Für welches soll ich mich entscheiden, mein Auserwähltes wird wahrscheinlich lange mein Begleiter sein. Élwen suchte nach etwas, dass ihr besonders vorkam, Brego und Aragorn hatten sich auch gefunden, es muss doch ein Pferd geben, dass mit mir harmoniert.
Éomer, der gerade dabei war, Sattelzeug zusammen zu räumen, als Élwen den Stall betrat, beobachtete sie nun schon seit einigen Minuten. Als wenn er ihre Gedanken lesen könnte, kam er auf sie zu, als sie einem weißen Fohlen etwas Heu gab.
„Ihr könnt euch nicht für eins entscheiden, habe ich Recht?"
„Nein, die Auswahl ist wirklich enorm. Eure Rösser sind die schönsten Mittelerdes, wenn ich in der Befugnis bin, das zu sagen."Selbst beim Reden konnte sie die Augen nicht von den Tieren abwenden.
„Ich sehe schon, für euch muss ein erhabener Begleiter her."Éomer zögerte kurz, doch dann entschied er sich. „Kommt mit, ich will euch etwas zeigen."
Élwen hatte noch gar nicht bemerkt, dass hinter den Stallungen noch ein Tor nach außerhalb führte. Als sie es durchtraten, fand sie sich auf einer eingezäunten Lichtung wieder, auf der einige Pferde grasten. Sie gingen ein paar Schritte entlang des Walls, bis sie an ein Gehege gelangten, in dem nur ein einziges Pferd stand.
Élwen verliebte sich sofort in die rassige Stute. Sie war tiefschwarz, nicht mal eine weiße Blesse besaß es. Das war selten, in Rohan waren größtenteils weiße und braune Pferde vertreten. Das Pferd sprühte vor einer Dynamik, als es auf seiner Wiese rumsprang, die jungen Muskeln zuckend und die Nüstern bebend.
Mit Stolz sah Éomer die gebannt auf die Stute starrende Élwen von der Seite an, hatte er doch geahnt, dass sie ihr gefallen würde.
„ Sie heißt Faire." Erstaunt blickte Élwen ihn an.
„Ein elbischer Name? Wie kommt das, wo ihr doch nur mäßig auf unsereins zu sprechen seid?"
„ Ihr werdet es nicht glauben, aber ihre Mutter kam von den Elben. Ein Bote kam eines Tages zu uns um uns eine Nachricht von den Grenzen zu überbringen. Auf seinen Reisen begegnete er einem Gefolge Elben, die ihm eines ihrer Pferde überließen, da er in Eile war und sein eigenes zu erschöpft um weiter zu reiten. Er blieb nur eine Nacht lang, das war allerdings lang genug, um Schattenfell einen Nachfolger zu schenken..."
„Schattenfell? Dann hat diese Pferd wahrlich königliches Blut in seinen Adern. Faire... Phantom,... der Name passt zu ihr."
„Ich bin der einzige, der sie bisher geritten hat. Ich nahm an ihrer Geburt teil und habe sie seitdem aufgezogen und eingeritten. Ihr könnt sie haben, wenn ihr wollt. Ich bin sicher, dass ihr euch verstehen werdet."
So sehr Élwen der Gedanke reizte, diese wunderbare Geschöpf zu reiten, war sie doch verlegen. „Das ist eine zu große Ehre, Herr Éomer, ich weiß nicht, ob ich das annehmen kann."
Er machte eine einladende Geste in Richtung Faire. „Seht es als Geschenk an die erste und wahrscheinlich auch letzte Elbin, die sich Freund des Reiches Rohan nennen darf. Und hört endlich auf, mich mit Herr anzusprechen."
Sie lachte ihn an, hielt es dann aber nicht mehr aus und stieg endlich in das Gehege um sich mit der Stute anzufreunden. Diese kam sogleich auf sie zu, blieb kurz vor ihr stehen um sie zu mustern, und ließ sich von Élwen anfassen, nachdem sich diese respektvoll vor dem Mitglied der Meharras verbeugt hatte. Versunken in das Miteinander mit der schwarzen Stute, stand sie lange auf der Wiese, nur von Éomer wahrgenommen, welcher sie mit ernster Miene betrachtete.
Der lange Zug bewegte sich nur langsam voran Richtung Helms Klamm, viele alte und kranke Menschen und Kinder verhinderten ein rasches Vorankommen.
Faire trottete neben Élwen her, die neben Éowyn ging. Eine ganze Weile hatten sie nun schon über allerlei Dinge geredet und mit ihrer unbefänglichen, aber auch doch ernsten Art war Éowyn Élwen sehr sympathisch. Jetzt hatte sich ein nachdenkliches Schweigen ausgebreitet, und sie überwand sich endlich, sie das zu fragen, was ihr schon länger auf der Zunge brannte.
„Ich habe euch heute beim Packen mit einem Schwert gesehen, warum tragt ihr ein Kleid? Wenn uns ein Angriff drohen würde, könntet ihr euch nicht verteidigen."
Anscheinend hatte sie einen wunden Punkt getroffen, Éowyns Gesicht verdüsterte sich augenblicklich.
„Auch wenn ich zu der Königsfamilie gehöre, stehe ich als Frau nur an geringerer Stelle als ein Mann. Mein Onkel verbietet es mir zu kämpfen, er will, dass ich mich als Patronin der Frauen und Kinder sehe, mich um sie kümmere, anstatt mit in die Schlacht zu ziehen."
Wut stieg in Élwen auf, diese albernen Sitten. Warum glaubten Männer nur immer, Frauen wären schwächer als sie?
„Als ich entschied, mit Aragorn und den anderen zu gehen, war mein Vater auch dagegen. Er wusste nicht, dass ich mir im Heimlichen Schwertfertigkeiten angeeignet hatte. Wäre mir nicht seine Hartnäckigkeit vererbt worden, hätte ich vielleicht auch nicht die Stärke besessen, mich gegen ihn aufzulehnen."
„Ich glaube, eure Art geht nicht so streng mit dem Geschlechterunterschied um. Ich habe schon oft von alten Geschichten gehört, in denen die Frauen für ihre Geliebten gekämpft haben."
„Das ist wahr, Prinzessinnen haben es jedoch immer schwerer, ob bei den Menschen oder den Elben. Jedes Königsgeschlecht ist darauf bedacht, seine Linie aufrecht zu erhalten. Wenn der Sohn den Thron besteigt, sollte er ebenfalls eine königliche Frau zur Gemahlin haben und so werden die Töchter an andere Königshäuser verheiratet."
Éowyn erschauerte kaum merkbar. „Mir bangt es vor dem Tage, an dem mir mein Onkel eröffnet, wem ich zur Frau gegeben werde. Aber eines könnt ihr mir glauben, Élwen, ich werde mich nicht einfach so seinem Willen beugen. Dafür brodelt es viel zu sehr in mir. Ich bin mir meiner Pflichten äußerst bewusst, aber ich entscheide selber, welchen ich Folge zu leisten habe. Haltet ihr mich deshalb für arrogant?"
„Nein, ganz im Gegenteil,"Élwen lächelte sie an, „ ihr besitzt einen sehr edlen Charakter und ich würde an eurer Stelle das Gleiche tun, beziehungsweise habe ich das schon. Ich denke nicht, dass ihr je etwas riskieren würdet, das eurem Volk schadet und trotzdem euch treu bleibt. Und irgendwann wird eure sture Familie das auch erkennen."
Nun lachten sie beide. Éowyn wusste sofort, von wem die Rede war.
„Ich habe bereits gemerkt, dass euch der Stolz meines Bruders nicht einschüchtern kann. Aber glaubt mir, dass ist nur eine Fassade bei ihm, hinter der harten Schale hat auch er ein einfühlsames Herz, ich wüsste manchmal nicht, was ich ohne ihn tun würde...wenn er nur nicht manchmal so furchtbar altmodisch wäre...aber ohne ihn wäre unser Reich längst unter die Hunde gegangen....jetzt , wo unser Cousin tot ist..."
Es trat wieder eine traurige Stille ein, Éomer ritt gerade an ihnen vorbei, Éowyn sah ihm nach.
„Auch wenn er es nicht zeigt, traf ihn Théodreds Tod doch sehr hart, wir waren seit unserer Kindheit sehr eng befreundet und Éomer hatte ihn schon als Erben des Thrones und zukünftigen König verehrt."
Élwen betrachtete den vor ihnen reitenden Mann, sie konnte sich gar nicht vorstellen, ihn weinen zu sehen und glaubte auch nicht, dass dies bereits oft eingetreten war.
„Habt ihr Geschwister, Élwen?" Élwen schaute wieder Éowyn neben ihr an.
„Ja, eine Schwester und zwei Brüder. Ich liebe sie sehr, besonders meine Schwester. Es fiel mir sehr schwer, sie zu verlassen. Ich bin die Jüngste in der Familie."
„Wie alt seid ihr?", fragte Éowyn neugierig.
„ Dreitausend und zwei Jahre."
„Oh, ich hätte nicht erwartet, dass es so viele sind. Ihr seht nicht älter als fünfundzwanzig aus!"
„Es ist auch kein besonders fortgeschrittenes Alter unter Elben. Wir sind unsterblich, wenn wir uns nicht anders entscheiden."
Erstaunt fragte Éowyn: „Elben können sterben? Wie wenig ich doch bisher wusste..."
Élwens Stimme wurde leiser. „Ja, natürlich können wir im Kampf tödlich verwundet werden, wie Menschen auch. Und es gibt noch einen anderen eher unfreiwilligen Weg..."
Da Éowyn nichts erwiderte, Élwen aber ihren fragenden Blick spürte, fuhr sie fort.
„Wenn es passiert, dass sich ein Elb oder eine Elbe in einen Menschen verliebt, bindet sie sich mit ihrem Leben an ihn. Elben verlieben sich nur einmal, höchstens zweimal in ihrem langen Dasein. Das heißt, dass ihr Partner nicht nur der Gefährte, sondern auch einen Teil des Herzens bildet. Wenn der Mensch dann stirbt, stirbt auch ein Teil des Elben und sie sind nicht in der Lage, viel länger ohne ihn weiterzumachen. Das Herz meines Volkes ist sehr zerbrechlich..."
„Das ist sehr romantisch, jedoch sehr traurig,"antwortete Éowyn, „ aber man verliebt sich doch nicht auf Kommando, selbst Elben nicht..."
„Das ist richtig, aber Liebe kommt auch nicht auf die Schnelle. Jeder erreicht einen Punkt, an dem er merkt, dass er sich jetzt noch umdrehen kann oder es ansonsten kein Zurück mehr gibt, auch Menschen..."
Seit diesem letzten Satz herrschte Schweigen zwischen ihnen, Éowyn schien das gerade Gehörte zu verarbeiten und gesellte sich nach einer Weile weiter nach hinten zu Aragorn.
Élwen war mit ihren Gedanken bei ihrem Vater. Er hatte nie viel von ihrer Mutter erzählt. Sie fragte sich, warum er nicht nach ihrem Tode gestorben war...
