Kapitel 9

Die Hufe klapperten auf den Steinen, als die Reiter Théodens Helms Klamm erreichten, ein heilloses Durcheinander entstand. Aufgeregte Rufe von Frauen, die nach ihren Männern suchten und Schreie derer, deren Männer gefallen waren, erfüllten die Luft.

Élwen brachte Faire vor dem Haupttor zum stehen, die Stute war geschwitzt und schmutzig, doch hatte sie das Gefecht tapfer durchgestanden. Sie streichelnd und beruhigend auf sie einredend, beschloss Élwen, sie später noch eigenhändig sauber zu machen. Doch im Moment beherrschten sie noch die Wut und Enttäuschung.

Eine Frau näherte sich ihr kaum merklich.

„Meine Herrin, entschuldigt, aber ich suche meinen Mann, er heißt Éolor, habt ihr ihn vielleicht gesehen...?"

„ Wenn er nicht unter den Reitern hier ist, wird er gefallen sein, oder glaubt ihr, ich führe Buch über die Toten?"

Élwen erschrak über ihren patzigen Ton und wollte sich grade entschuldigen, doch es war schon zu spät, die Frau war laut aufheulend davongerannt. Sie biss sich auf die Lippen. Wie kann das mir nur passieren? Wie kann der Zorn nur so die Oberhand gewinnen?

„Éowyn,... du hast mich erschreckt..."

„Élwen, ich bin sehr froh, dass dir nichts passiert ist. Aber... Herr Aragorn... ich habe ihn noch nicht gesehen..."

Élwen wusste, dass Éowyn in der kurzen Zeit eine starke Zuneigung zu Aragorn entwickelt hatte und konnte es nicht ertragen, ihre neue Freundin zu erschüttern.

„Ich, tut mir leid... frag Gimli,... ich kann nicht..."Sie wendete sich ruckartig ab und lief von der großen Menge weg. Eine einsame Ecke suchend, wandelte sie ziellos umher, bis sie eine fand, in der Vorräte lagerten. Sie setzte sich auf einen der Mehlsäcke und legte ihren Kopf in die Hände.

Wenn sie jetzt weinte, würde sie lange nicht mehr damit aufhören können, das wusste sie. Sie hatte zum letzten Mal in Moria geweint und sie würde jetzt ganz bestimmt nicht ihren Gefühlen nachgehen. Die Zeit zu trauern würde kommen, doch noch war sie nicht da... nicht hier, nicht jetzt... Es würde weitergehen, sie würden Rohan auch ohne Aragorn verteidigen und wenn sie ohne ihn nicht überleben, hätten sie es mit ihm auch nicht gekonnt. Es liegt bei Frodo, ob Mittelerde weiter besteht, nicht an Aragorn.

Aber wären sie ohne ihn wirklich so weit gekommen? Je länger Élwen darüber nachdachte, desto mehr nagten Zweifel an ihr. Nein, ohne Aragorn wären wir längst verloren und ohne ihn werden wir es nicht überstehen... Sie sah in sich hinein, doch sie wusste, dass ihr Herz ihr das bestätigen würde. Aragorn war der Erbe Isildurs und ein Hoffnungsschimmer für diese Menschen, ob es nun an seiner eigenen Stärke oder an der, die er anderen zu geben vermag, liegen mochte, ohne seine Führung, waren sie dem Verderben ausgeliefert. Doch können wir ihnen nicht auch diese Stärke schenken, wir, die wir diese Schlachten bisher überlebt haben, ist es nicht möglich, dass wir Aragorns Platz einnehmen, wenigstens solange, bis das Ende kommt...?

„Da seid ihr ja, Legolas hat mich gebeten, nach euch zu suchen. Ich glaube, er macht sich Sorgen um euch, wegen... diesem ... Vorfall"

Warum erschien dieser Rohirrim immer dann, wenn sie sich nicht unter Kontrolle hatte, witterte er es, wenn Frauen in Not waren?

„ Ich dachte, ihr wüsstet bereits, dass man sich um mich nicht sorgen braucht, Éomer, Éomunds Sohn. Ich benötige keinen Aufpasser. Kümmert euch lieber um eure eigenen Angelegenheiten, statt mir hinterher zu spionieren." Élwen hatte sich aufgesetzt und sich vor ihn gestellt, ihr Blick sprach nun nicht mehr von Trauer ,sondern von Wut.

„ Es war nicht in meiner Absicht, euren Aufpasser zu spielen, nur vergesst ihr anscheinend, dass ihr nicht der Einzige seid, der einen Freund verloren hat. Etliche Frauen hier sind allein, weil ihre Männer nicht wiedergekehrt sind und brauchen das Gefühl, dass sie nicht umsonst gestorben sind. Und ihr vergesst euch und führt euch auf, als ob jeder nur Rücksicht auf eure Gefühle nehmen muss. Erkundigt sich man dann nach eurem Befinden, fahrt ihr einen beleidigt an, und ich dachte, ich wäre ein Sturkopf. Meldet euch gefälligst beim König, wenn ihr wieder in der Lage dazu seid."

Éomer hatte sich beim Reden immer weiter heruntergebeugt und befand sich nur noch wenige Zentimeter vor ihrem Gesicht, als er die letzten Worte mehr rief als sprach. Nun drehte er sich auf dem Ballen um und stapfte davon, die wie vom Donner gerührte Élwen hinter sich lassend. So wütend hatte sie ihn bisher noch nie erlebt, hatte sie es wirklich so sehr übertrieben? Mit Unbehagen musste sie feststellen, dass er wiedereinmal Recht gehabt hatte, sie, eine ehrwürdige Elbin, hatte ihre Haltung verloren und eine unschuldige Frau zusammen gestaucht, die ihre Hilfe benötigt hatte. Sie atmete tief ein und aus und entschied sich dann, die Frau zu suchen. Auf halbem Wege kam ihr Legolas entgegen, der ihr berichtete, sie wären zum König gerufen worden.

„Meine Freunde, ich weiß, dass der Verlust Herrn Aragorns tief sitzt, aber wir müssen die Festung vorbereiten,..."

Während Théoden zu ihnen sprach, blickte Élwen zwischendurch kurz zu Éomer, der neben ihm stand. Als dieser ihren Blick jedoch erwiderte, senkte sie schnell wieder den Kopf. Die Scham über ihr Versagen, denn das war es gewesen, war noch zu groß. Sie hoffte nur, dass sie nicht rot im Gesicht wurde

. „Die Vorräte werden in den hinteren Kammern untergebracht und...".

Später am Abend waren sie und Legolas dabei, die letzten Waffen in den Bestand aufzunehmen, als ihr einfiel, dass sie noch nicht mit der Frau gesprochen hatte

. „Kannst du den Rest ohne mich machen, ich habe noch etwas vergessen."

„Natürlich, geh nur..."

„Legolas?"

„Ja, was ist?"

„Falls ich dich je in irgendeiner Weise mit meinen Worten verletzt habe, dann tut es mir leid." Er war grade damit beschäftigt, ein Schwert zu polieren und hielt jetzt inne, konnte ihr aber nur noch verwundert nachschauen.

Es war draußen bereits dunkel, und Élwen musste ihre elbischen Sinne benutzen um die Frau ausfindig zu machen. Plötzlich kam Éomer auf sie zu.

„Kommt mit!", sagte er ohne jegliche Erklärung.

Die Leute hatten sich nach drinnen oder in die Höhlen verzogen, da es bereits kälter geworden war, auch Éomer hatte seinen Schulterschutz abgelegt und trug nur noch ein Kettenhemd mit dem ledernen Wams drüber. Vereinzelt liefen noch ein paar Soldaten rum, ansonsten war es mucksmäuschenstill, doch als Éomer sie zu dem äußeren langen Wall führte, nahm sie bereits das Wimmern und die schemenhafte Gestalt einer Frau wahr.

„Oh, nein, nicht..."Ohne abzuwarten, stürmte Élwen an Éomer vorbei als sie begriff und blieb erst wenige Meter vor der weinenden Frau stehen, die sich am Rand des Walls befand, der sich zum Berg hin richtete, und beängstigend weit runter schaute.

„Bitte, tut es nicht..ich..."

„Kommt mir nicht zu nahe, mir wurde heute alles genommen, was mir lieb und teuer war .Mein Mann war alles für mich..." Die Stimme der Frau brach zitternd ab und Élwen suchte verzweifelt nach Worten, um sie von ihrem Vorhaben abzubringen.

„Ich weiß, dass es schwer ist so etwas zu verkraften... es tut mir leid, wie ich euch behandelt habe.... ich hätte einfühlsamer sein müssen..."Sie wusste nicht mehr, was sie noch sagen sollte, ihre Stimme gehorchte ihr vor Panik nicht mehr, als sich die Frau plötzlich zu ihr drehte und ihr direkt in die Augen sah.

„Alles- wurde- mir- genommen..."

Und dann sprang sie, das Gesicht immer noch auf Élwen gerichtet.

„Neeeein!!!!!"

Éomer stob an ihr vorbei, die Frau noch ergreifen wollend, doch vergebens. Élwen konnte sich erst nicht rühren, doch dann rannte sie zur Treppe, sie hinab, zum Fuße des Walls, zu der Frau. Sie kniete sich nieder und nahm sie in den Arm. Éomer kam ebenfalls gelaufen und blieb hinter ihr stehen.

„Oh ihr Valar, lasst sie nicht sterben... es war meine Schuld... bitte....lasst sie leben...meine Schuld...."

„Élwen... es hat keinen Sinn, sie ist tot."

„Nein,..."ihre Stimme war nicht mehr als ein Schluchzen, sie wiegte den starren Körper in ihren Armen, „ ich wollte ihr doch helfen..... mit ihr reden... sie kann nicht tot...." Dann ließ sie die Frau wieder zu Boden und brach endgültig zusammen, all die Tränen, die sich in ihr aufgestaut hatten, kamen mit einem großen Aufheulen aus ihr raus, sie konnte nur noch weinen und schreien. All die Tränen für die Toten, die sie betrauert aber nicht beweint hatte, die Wut, Enttäuschung ,und auch die verdrängten Ängste...

Éomer kniete sich neben sie und nahm sie wortlos in die Arme, drückte ihren Kopf an seine Brust und wiegte sie wie ein kleines Kind.

„ Ich wollte niemandem wehtun..... Aragorn,...Boromir.... ich wollte es nicht... mein Vater hasst mich....Haldir....allen bringe ich Leid"Die Worte drangen nur bruchstückhaft zwischen ihrem heulenden Klagen hervor.

„Nein, du bist nicht daran Schuld, nein... lass es nur raus." So saßen sie stundenlang da, wie es Éomer vorkam. Er wiegte sie in seinen Armen und hielt ihren Kopf, er war froh, dass die Soldaten sie nicht bemerkt hatten und so blieben sie alleine, nur Élwens Klagen durchbrach die Stille.