Kapitel 11

Rückblick

Lothlórien

„....Trinkt noch etwas, Legolas, lange ist vergangen, seit zum letzten Male der Dunkle Wald auf den Goldenen traf. Élwen, gesellt euch doch zu uns, es ist bestimmt eine Weile her, seit ihr elbische Gaumenfreuden genießen durftet..."

Legolas legte dem Elben neben ihm die Hand auf den Arm. „Lasst sie trauern, sie hört uns nicht, unser verlorene Gefährte stand ihr näher, als jedem anderen unserer Gemeinschaft." Er sah sie mit einem traurigen Blick an, den Élwen ebenso wenig sah, wie sie die fröhlichen Stimmen der Elben hörte.

Am Rande des hohen Flets sitzend, hatte sie der Runde im Innern des Baumes den Rücken zugedreht. Legolas hatte sie am frühen Abend mit zu ihren Verwandten geführt, um sie ein wenig aufzuheitern, doch sein Bemühen war gänzlich umsonst gewesen. Noch nicht mal die atemberaubende Aussicht von dem Hochsitz aus konnte ihr die Betrübnis nehmen, die sie ausfüllte.

Sie zog die Knie an und lauschte dem Klagelied, dass nun schon seit einiger Zeit gesungen wurde. Die glockenhellen Stimmen der Sängerinnen hallten durch die zahlreichen Äste der riesigen Bäume, deren Blätter leise im Wind raschelten und so einen malerischen Unterton zu dem Gesang bildeten.

Sie spürte eine Sehnsucht nach ihrer Mutter, die sie nie kennengelernt hatte. Élwen wusste noch nicht einmal, wie sie aussah. Hätte sie mich in den Arm genommen, oder einfach nur tröstend neben mir gestanden? Nie hatte sie sich großartig Gedanken über sie gemacht, aber so ein einschneidendes Erlebnis war ihr auch noch nie widerfahren.

Ihr war nie bewusst gewesen, wie langsam die Zeit bei den Elben verstreicht. Der Goldene Wald gefiel ihr , seit sie zum ersten Male hier gewesen war, die einnehmende Stille und die wunderschönen Farben der Bäume hatte auch bei diesem Besuch eine beruhigende Wirkung auf sie und doch könnte sie diese ewig andauernde Perfektion nicht auf immer ertragen. Je stiller es war, desto mehr hörte sie die Stimme in ihrem Kopf, die sie dazu drängte, weiterzuziehen, nicht zu verweilen.

Gibt es etwas Schöneres als diesen elbischen Wald? So vollkommen er auch den meisten erscheinen mag, fühlte sie sich doch nicht wohler als im Gebirge, auf grasigen Ebenen, oder weiten Steppen. Wenn man 3000 Jahre lang an so einem Ort gelebt hat, erkennt man, dass nicht in der Perfektion die vollkommene Schönheit liegt....

„Élwen, ich hatte noch nicht die Gelegenheit, meine Freude über dein Kommen auszudrücken. Meine Hoffnung dich bald wiederzusehen hat sich also erfüllt...auch wenn ich verstehen kann, dass du im Moment selber nicht in der Lage bist, dich zu freuen..." Die tiefe, melodische Stimme Haldirs hatte sich der Gruppe entfernt und war nun neben ihr zu vernehmen.

„Verzeih mir, Haldir, mein Freund, natürlich ist es immer schön, dich zu treffen, unter anderen Umständen würde ich dies auch zeigen können..."

„Ich weiß, dass du Gandalf sehr nahe gestanden hast,... aber es sind schwierige Zeiten und bei allem, was ich von eurer Mission erfuhr, war es abzusehen, dass sie früher oder später Opfer fordert."

„Das war uns allen auch bewusst, aber wenn es dann passiert..."

Nach ein paar Sekunden beendete Haldir das eingetretene Schweigen.

„Wie geht es deinen Begleitern? Die Herrin Galadriel interessiert sich sehr für den Ringträger."

„Ja, Frodo ist sehr niedergeschlagen, ich glaube, er gibt sich selber die Schuld, obwohl ich es war, die länger in Moria bleiben wollte..."

Die erhoffte Erleichterung blieb aus, als sie aussprach, weswegen ihr Herz noch mal so schwer war. Haldir schaute sie fragend an.

„Was ist geschehen?"

„Ich wollte eine Tagesrast einlegen, ich habe Aragorn und Legolas noch dazu überredet, weil ich so besorgt war und habe absichtlich über ihre ungeduldigen Mienen hinweg gesehen, die mir eigentlich verrieten, dass es zu gefährlich war. Wir wären schneller rausgekommen, ...die Orks hätten unsere Fährte wahrscheinlich nicht aufgenommen, wenn wir nicht so lange dort unten geblieben wären..."

„Das stimmt nicht Élwen, es wäre auch auf die andere Weise geschehen..."

„Behandle mich nicht, als wüsste ich nicht wovon ich rede, Haldir, ich bin kein wehleidiges Wesen, sondern spreche einfach die Wahrheit aus, vor der meine Begleiter Angst haben, wenn sie mir in die Augen schauen."

Sie machte eine kurze Pause, doch ihr Gesicht behielt seine Bitterkeit. „Ich habe genauso wie Aragorn und Legolas die drohende Gefahr gespürt und mich vor ihr verschlossen. Es bringt niemanden etwas, wenn ich mir selber einrede, nicht Schuld gewesen zu sein, wenn es denn doch so war!"

Haldir legte ihr seine Hand auf die Wange.

„Ich schätze dich sehr, Élwen das weißt du,......ich kann es nicht mit ansehen, wenn du so traurig bist.."

Sie brachte es nicht über sich , ihm in die Augen zu sehen, verrieten seine Worte doch sehr deutlich, was er meinte. Sie holte tief Luft.

„Haldir, ich danke dir für deine Anteilnahme, du bist mir sehr wichtig,... als Freund." Er zog sich leicht zurück. Die Enttäuschung stand ihm ins Gesicht geschrieben. Sie stand auf um ihm fest in die Augen zu schauen. Das stille Verständnis zwischen ihnen brauchte oft nur wenige Worte ,um auszudrücken, was der je andere sagen wollte.

„Haldir, es tut mir leid, wenn ich dir falsche Zeichen gesendet habe, aber ich... mein Vater hat es mir gesagt... und ich habe abgelehnt..."

Haldir wendete den Kopf von ihr ab.

„Warum nicht? Ich würde alles tun, um dich glücklich zu machen..."

Élwen seufzte schwermütig, seine Worte machten ihr erst klar, wie sehr sich Haldir diese Verbindung erhofft hatte.

„Ich sagte dir bereits, dass ich dich als teuren Freund schätze, und es wäre bestimmt auch eine lohnende Ehe, doch dies ist mir nicht genug..."

„ Liebe entwickelt sich, du kannst jetzt nicht sagen, dass wir nicht glücklich zusammen wären..."

Élwen verlor die Geduld.

„Und was wäre dann? Ich würde den Rest meines Daseins wahrscheinlich vergeblich auf dieses Gefühl warten,...die Herrscherin über Lothlórien werden und hier bleiben um meine Pflichten zu erfüllen, in diesem Ort, wo man jegliches Zeitgefühl verliert..."

Während Élwen versuchte, Haldir klarzumachen, was dass für sie bedeutete, blieb er in seinem rationalen Tonfall

. „Was ist so schlimm daran? Lorien ist der schönste Platz Mittelerdes, er ist perfekt, jeder , der ihn einmal sieht, wünscht sich, ihn nie wieder zu verlassen!"

Élwen betrachtete ihn weiter und antwortete ihm dann mit ausdrucksloser Stimme.

„Nicht jeder..."

Haldir erwiderte lange nichts mehr, dann wendete er den Blick von ihr ab.

„Ich verstehe, ich bin untröstlich, dass ich dir nicht geben kann, was du wünschst, was auch immer das sein mag."Er ließ sie allein mit den letzten Elben, die noch nicht zur Ruhe gegangen waren, darunter Legolas, der jedes Wort mitgehört hatte und sich über seine Gefährtin wunderte.