Kapitel 12

Gegenwart

Helms Klamm

„Hier, Éowyn, nimm dieses Schwert, es ist schärfer als deines.."

Mit einem geschickten Schwung begutachtete Éowyn die Klinge, die ihre Freundin ihr gereicht hatte.

„Du hast recht, es liegt auch besser in der Hand."

Sie musterte Élwen, während diese die vielen Frauen und Kinder in der glitzernden Höhle betrachtete.

„Mach dir keine Sorgen, ....."

Nun blickte die Elbin wieder auf.

„Was? Oh, nein, ich bin zuversichtlich, die Hornburg ist nicht leicht einzunehmen, wir werden es überstehen,..." Doch ihre Stimme wurde immer leiser beim Sprechen und Éowyn wusste, das ihre Freundin log.

„Du solltest dir eine Rüstung besorgen, es wäre leichtsinnig, ohne eine da raus zu gehen."Éowyn nickte sehnsüchtig in Richtung Oberfläche, aber sie wusste, dass diese Schlacht zu wichtig war, um noch mal mit ihrem Onkel und Bruder zu streiten. Wenigstens würde sie die Unschuldigen verteidigen können, falls die Männer oben nicht in der Lage dazu wären.

„Ich ziehe nur ein Kettenhemd an, alles andere würde mich erdrücken. Ich will nicht vom Wall fallen.." Élwen versuchte ihrer Stimme einen neckischen Ton zu geben, doch sie vermochte es nicht.

„Ich gehe jetzt besser."Sie zögerte einen Moment, dann nahm sie Éowyn in die Arme.

I

n der Waffenkammer ließ sie ihr Schwert im Licht glänzen. Ihre Stärke lag in Schnelligkeit und Geschick, weniger in Kraft. Nein, eine Rüstung wäre unangebracht für sie, sie musste sich bewegen können. Also legte sie ein Kettenhemd an, welches von der Größe eher einem Kind gepasst hätte. Aber es schmiegte sich eng an ihren Körper an, so dass es sich eine zweite Haut anfühlte. Darunter hatte sie nur ihre weinrote samtene Jacke, die ihr maßgeschneidert am Oberkörper lag, ein Stück, das sie in Bruchtal nur für sie hatte anfertigen lassen. Der hohe Kragen verlieh ihr einen würdevollen Glanz, der noch verstärkt wurde, als sie ihren dünnen, grünen Umhang umlegte. Er hatte nicht die typische Schnittform der groben Mäntel aus Lothlórien, sondern war der Art der Umhänge sehr ähnlich, welche die Bogenschützen Lóriens benutzten und die man an der Schulter zumachte.

Haldir hatte ihr ihn geschenkt, als sie nach Gandalfs Sturz aufgebrochen waren. Sie musste schon seit einiger Zeit an ihn denken, bereits als sie sich mit Legolas über ihr Verhalten gestritten hatte. Das Gefühl ließ sie nicht los, als ob jemand versuchte eine geistige Verbindung zwischen ihnen aufzubauen. Zwang ihr Vater sie dazu, an ihn zu denken, damit sie sich im letzten Moment um entschied und nicht an der Schlacht teilnahm. Sie kannte ihren Vater, er wusste mit Gewissheit von den aktuellen Vorgängen und versuchte, sie zu beeinflussen.

Als Legolas, Aragorn und Gimli sich fertig machten, schien der Elb den Vorfall am Wall vergessen zu haben. Er ist nicht wütend, sondern enttäuscht, und viel zu stolz um dies zu zeigen, dachte Élwen bei sich, als Gimli einen Scherz über sein Kettenhemd machte. Doch plötzlich durchbrach ein Horn ihr Gelächter.

Sie rannten nach oben, wo bereits König Théoden und Éomer an der Treppe standen.

„Wir bekommen Hilfe von meinen ehrwürdigen Verwandten!"

Éomer blickte Élwen neben sich skeptisch an, doch in ihrem Gesicht zeichnete sich purer Stolz. Es hätte sie nicht gewundert, wenn ihre Schwester mitgekommen wäre, es hatte ihr nicht gefallen, alleine in Bruchtal zu verweilen, während ihre kleine Schwester und ihr Geliebter auf diese Mission gingen. Doch als die stolzen Elbenschützen einmarschierten, stand auch ihr der Mund vor Verwunderung offen.

„Haldir!"

Sie konnte es nicht vermeiden, ihn in Erstaunen anzustarren, erst Éomers Stimme ließ sie aufhorchen.

„Anscheinend sind doch nicht alle Elben zu erhaben um sich mit Orkblut zu beschmutzen!"

Seine spöttische Bemerkung ließ sie lächeln, doch da Haldir sie gerade anschaute, dachte der Rohirrim , dem Elb würde dieses Lächeln gelten. Éomer fragte sich unwillkürlich, wie nahe sich die beiden standen.

„Ihr vergesst, dass ich auch aus dieser Linie stamme, mein Vater hat seine abtrünnige Tochter nicht aus den Augen gelassen."

Jetzt war es an Éomer, über den Sarkasmus in ihrer Stimme zu lachen.

Élwen ging die Stufen zu Haldir und Legolas hinunter. Éomer folgte ihr, um den Elbfürsten ebenfalls im Namen Rohans zu begrüßen.

Als sich Élwens und Haldirs Blicke trafen, blitzte kurz seine verletzte Würde auf, er hatte seine Gefühle aber schnell wieder im Griff, so dass nur die nahe Umstehenden die Spannungen zwischen ihnen spürten.

Haldir musterte ihre Rüstung abschätzig und nahm dann ihre Hand.

„Meine Herrin Élwen, wie ich sehe, seid ihr im Begriff, die Männer in der Schlacht zu unterstützen. Ich hoffe sehr, dass euch die ungewohnte Belastung nicht zum Verhängnis wird..."Er beugte sich runter und drückte ihr einen leichten Handkuss auf.

Als er sich wieder aufrichtete, war sie über seinen arroganten Blick erschrocken. Legolas neben Haldir schaute sie entschuldigend an, ihm war Haldirs Spott offensichtlich unangenehm, nur Éomer stand kerzengrade neben ihr und blickte Haldir mit erhobenen Kopf streng an.

Vereinzelt hatten ein paar der Männer um sie herum verstohlen gelacht und Éomer fragte sich, warum Élwen nicht etwas erwiderte, wie sie es sonst auf so eine Bemerkung auch getan hätte, doch sie war auf eine Feindseligkeit von Haldirs Seite nicht gefasst gewesen.

Warum versucht er, mich zu demütigen? Zu solch einer Verhaltensweise hat er sich bisher noch nie herabgelassen.... Da war noch etwas anderes mit im Spiel und Élwen bekam die Antwort, bevor sie überhaupt fragen konnte.

„Herr Elrond und die Herrin Galadriel beschlossen, die Menschheit in diesem Kampfe zu unterstützen um alte Bündnisse zu erneuern, doch ihr wisst um das Misstrauen eures Vaters in menschliche Fähigkeiten und er lässt es nicht zu, dass sie seiner Tochter zum Verhängnis werden."

Er war nun ganz nah an sie herangetreten, sie war nur ein wenig kleiner in der Statur und konnte fast seinen Atem spüren.

„Er sagte, dass euch die Augen geöffnet werden müssten um endlich zu verstehen, was eure Aufgabe ist ,...und was nicht."Er machte eine kleine Pause um sich umzuschauen und sich zu versichern, dass die Rohirrim ihnen keine Aufmerksamkeit mehr schenkten. Jetzt standen nur noch Legolas und Éomer bei ihnen. Dann sprach er ihr leise direkt in ihr Ohr.

„Ich habe eine Nachricht für euch...Élwen o Imladris, ceno i maranwe!..." Eine schwarze Welle trug Élwen plötzlich hinweg.

Nebel versperrten ihr die Sicht, sie wusste weder, wo sie war, noch ob sie alleine war. Sie stand auf festem Erdboden, aufgewühlt, es roch nach Blut,.... und Tod...

Langsam lüftete sich der Schleier ein wenig, es war kein Nebel... Staub und aufgewirbelter Dreck... Ein Feld, weit, doch sie konnte nicht viel erblicken, da lagen Körper am Boden,.... viele Körper... Tote,.... Menschen,... Elben,... Orks... andere Monster und Rassen, die sie nicht zuordnen konnte, der Schmutz brannte in ihren Augen und brachte sie zum Husten....

Sie stapfte durch die verkohlten oder verstümmelten Haufen von Leichen, sie stolperte, konnte den Blick nicht abwenden. „Hallooo?"Es war ihr nicht möglich zu schreien, die stickige Luft schnürte ihr den Hals zu.... es waren so viele... wo sind Überlebende... sind denn alle tot?.... dann sah sie es.... tote Körper.... mit dem Gesicht nach unten gerichtet... Aragorn... Legolas... Gimli... sie brauchte nicht weiter zu suchen.... in ihrem Herzen wusste sie, dass keiner überlebt hatte...

plötzlich erblickte sie den Schweif..... weißer Pferdeschweif auf eisernem Helm... sie wollte hinrennen, doch Schwärze verschluckte sie erneut....

Tiefe Schwärze....

„Élwen!!..............Élwen, wacht doch endlich auf!"

Sie öffnete die Augen und blickte direkt in die Éomers . Élwen schnappte nach Luft, ihre Lungen schmerzten, als ob sie stundenlang nicht mehr geatmet hätte. Ihr war eiskalt und wenn Éomer sie nicht an den Schultern gepackt hätte, würde sie am ganzen Körper zittern. Langsam kam ihr wieder ins Bewusstsein, wo sie sich befand und vor allem, was sie gerade gesehen hatte...

Ihr Vater hatte ihr eine Vision geschickt, er hatte Haldir dazu benutzt. Ceno i maranwe... erblicke das Schicksal... So sehr sie noch immer den Staub schmeckte, wusste sie, dass es kein Traum war, es war eine Voraussage, Elrond hatte die Zukunft erblickt und sie daran teilhaben lassen. Doch es war nicht Helms Klamm gewesen, die Ebene, die Toten, das wusste sie auch, das Ende war nicht dieser Schlacht zugedacht...

„Élwen?" Sie nahm wieder Éomers Augen wahr, die immer noch auf ihr ruhten. Auch ihn hatte sie gesehen... Sie verscheuchte die schlimmen Gedanken und wandte sich abrupt ab.

Haldir blickte sie ungerührt an, wie lange war sie weggetreten gewesen, Élwen versuchte wieder klare Gedanken zu fassen, doch ihr Herz raste immer noch. Sie hielt ihren Blick auf Haldir gerichtet, der den Kopf hoch erhoben hielt.

Wut kochte in ihr hoch.

„Ich gehe meinen eigenen Weg und werde auch nicht zulassen, dass diejenigen, die mir wichtig sind, von ihrem abweichen, daran wird niemand etwas ändern können, hörst du, niemand!!", schleuderte sie ihm mit zornerfüllter Stimme entgegen.

Plötzlich brach seine Defensive. Haldir blinzelte und schien seine Starre aufzugeben, sein Gesicht nahm wieder weichere Züge an. Er hatte verloren, wusste dies und es tat ihm leid.

Élwen drehte sich wieder Éomer zu, der sich in einem Zwiespalt befand. Einerseits schaute er ihr fragend in die Augen, doch eine Sekunde später füllte sich sein Blick mit Hass, wenn er Haldir ansah. Sie wusste, dass er sich sehr zurückhalten musste um nicht auf den Elben loszugehen.

„Nein!"

Auf ihn zuschreitend, legte sie ihre Hand auf seinen Arm, wie sie es schon öfters getan hatte.

„Tut es nicht, er verdient es nicht. Auch ich verletzte ihn.... Trotzdem danke ich euch!"

Seine Besorgnis berührte sie im Stillen, wenn sie es auch noch nicht zugeben konnte.

Éomer sah ihr noch einen Augenblick in die Augen, dann nickte er, warf Haldir einen letzten Blick zu und verschwand. Élwen blieb noch stehen. Ihr tat Haldir leid, sie hatte ihn wirklich verletzt und wahrscheinlich hatten ihn seine Gefühle bis zu diesem Zeitpunkt noch nie übermannt. Es war vorhersehbar gewesen, dass er mit Elrond hatte versuchen wollen, sie zu seinen Plänen zu bekehren, aber im Gegensatz zu ihrem Vater hatte er verstanden, dass dieses Vorhaben längst scheiterte...