Kapitel 14
„Éowyn.."
Sie fiel ihrer Freundin erleichtert in die Arme, Éowyn schwebte zwischen lachen und weinen. Als Élwen sich aus der Umarmung sachte löste, betrachtete sie die Blutspuren auf ihrer Wange.
„Ich wusste, dass sie nicht an dir vorbeikommen würden.."
Sie lächelten wieder, bis Éowyn Aragorns gewahr wurde und sich von Élwen mit einer letzten Umarmung verabschiedete. Wehmütig sah Élwen ihr nach. In diesen Momenten wünschte sie sich, dass sie nicht so befreundet mit ihr wäre, in Edoras würde sie sie davon überzeugen müssen, dass es ihr nur weiteres Leid bringt, sich so an Aragorn zu binden.
Sie umarmte Legolas und Gimli, letzteren nur ganz kurz, da er unheimlich viel Ork an sich kleben hatte. Dann hielt sie ihren Kopf in die Sonne und ließ die Strahlen ihre Haut erwärmen.
Die Luft war gereinigt vom Regen der letzten Nacht und so auch die Verzweiflung und Mutlosigkeit der Rohirrim hinweg geschwemmt. Tränen der Freude säumten ihren Weg, als sie die Treppen heraufstieg und dem König begegnete. Auch seine Wangen waren feucht und es machte ihm nicht aus, dass es jeder sehen konnte.
„Mein König, ihr habt eine großartige Schlacht geschlagen." Er bot ihr seinen Arm an und tätschelte ihre Hand wie die einer Tochter. Élwen fragte sich, wann diese neu gewonnene Herzlichkeit wieder verblassen würde, doch sie gönnte ihm mit ganzem Herzen diese glücklichen Stunden.
„Nein, meine Herrin, wir alle haben den Sieg davon getragen. Rohan ist stolz auf seine Freunde, ohne die starken Glieder, die ihr und eure Gefährten darstelltet, wäre die Kette sicherlich gebrochen! Wenn wir auch unsere Meinungsverschiedenheiten haben mögen, ich will euch wissen lassen, dass ihr die Dankbarkeit meines Volkes verdient." Sie wechselten noch ein paar Worte über den Kampf und trennten sich dann wieder.
Gandalf schritt gerade auf sie zu und sie küsste ihm die Hand, bevor sie ihm ihren Arm reichte. Ihr Körper hatte sich schnell erholt gehabt, doch er war noch außer Atem und stützte sich auf seinen Stab.
„Danke, mein Kind, wie ich sehe, kamen wir gerade im richtigen Augenblick, unsere Freunde sehen sehr erschöpft aus, ausgenommen natürlich Legolas und du."
„Oh, Gandalf, du weißt gar nicht, wie rechtzeitig, es ist, als ob die ganze Trauer der letzten Tage weggespült worden wäre. Sehe dir die Menschen an, obwohl noch die Leichen der Feinde auf dem Boden verstreut sind, lachen sie und fallen sich in die Arme. Ich hoffe nur, dass sie sich bewusst sind, dass die Gefahr noch lange nicht vorbei ist..."
Der Zauberer hielt an und blickte in das schwermütige Gesicht Élwens.
„Lass ihnen die Freude. Sie brauchen es um neue Kräfte zu sammeln,.. und manchmal ist Unwissenheit gnädiger als alles andere..."Er berührte Élwens Wange, sie hatte ihren Kopf wieder traurig in die Ferne gerichtet.
„Auch du solltest wieder einmal lachen, mein Kind. Haldir hatte ein langes erfülltes Leben und einen ehrwürdigen Tod, trauere nicht um sein Dahinscheiden, sondern erinnere dich an die guten Zeiten.."
Sie zwang sich zu einem Lächeln, doch es wollte es ihr noch nicht gelingen. Auch wenn er ihr vergeben hatte für die Enttäuschung, die sie ihm bereitet hatte, er wäre noch am Leben, wenn sie nicht in Gefahr gewesen wäre.
„Élwen, höre ein für alle mal auf, die ganze Schuld immer auf dich zu nehmen, mein Kind, du müsstest eigentlich am besten wissen, dass Dinge nun mal geschehen, ob man will oder nicht, und nicht dadurch rückgängig gemacht werden können, indem man sich den Kopf zermartert, wie man sie hätte aufhalten können. Haldir würde es auch nicht wollen..."
Élwen erinnerte sich an die letzten Worte des Elben. Und tatsächlich fiel eine kleine Last von ihrem Herzen, groß genug, um sie wirklich fröhlicher zu stimmen.
„Du hast Recht, Gandalf, ich bin schon so alt und doch verhalte ich mich manchmal wiederum so töricht."
„Nicht töricht, Élwen, menschlich... ich sehe deine Mutter immer stärker in dir heranwachsen...Ja, ich kannte sie, und werde dir bei Gelegenheit etwas mehr von ihr erzählen, aber ich denke, dass dein Vater dir lange genug gegenüber über sie geschwiegen hat. Du wirst noch die Möglichkeit bekommen, ihn über sie zu befragen, doch jetzt komme mit, es gibt Arbeit zu erledigen."
Die Worte Gandalfs über Élwens Mutter hatte sie aufgeregt gemacht, doch sie kannte den Mann schon solange, es würde sich als unnützig herausstellen, ihn jetzt auszuquetschen. Also begab sie sich mit ihm zusammen zum Burghof um bei der Säuberung zu helfen.
Als sie einige Stunden später nach Isengard ritten, hatte sich wieder Betrübnis auf sie niedergelegt. Élwen führte Faire durch den Wald von Huorns, doch das Pferd blieb anders als die anderen völlig gelassen. Éomer hat sie wahrlich großartig aufgezogen, sie hatte bereits seine Ruhe angenommen. Der Rohirrim ritt neben ihr, und auch sein Pferd blieb ruhig. Doch ihr entgingen nicht seine nervösen Blicke auf die dicht beieinander stehenden Bäume.
„Weite grasige Eben mögen euch zwar angenehmer sein, als Wälder, doch das bedeutet nicht, dass ihr sie fürchten müsst.", flüsterte sie ihm wissend zu.
„Das mag sein, doch habe ich auch noch nie einen Wald gesehen, der innerhalb weniger Minuten gewachsen ist und ganze Orkheere in sich begräbt..."
„Das ich das noch erlebe, wie ein so wackerer Krieger sich tiefer in seinen Sattel verkriecht angesichts ein paar harmloser Bäume..." Er sah sie an und fing plötzlich an zu lachen. Es war ein warmes Lachen, wie sie es von ihm noch nie gehört hatte und Élwen schien es, als ob er es dringend gebraucht hatte. Sie hatten nun das überschwemmte Reich Sarumans erreicht und erblickten zwei kleine Gestalten, schmausend auf einem Haufen Säcke sitzend.
„Merry! Pippin! Wie schön, euch wohlauf zu sehen!"
Élwen und Éomer halfen den beiden Hobbits auf ihre Pferde, Merry, der bei Élwen mitritt, klammerte sich an ihren Mantel
. „Was gäbe ich nur für eines meiner wunderbar kleinen Auenland Ponys."
„Sei nicht zu vorlaut, diese Rohirrim sind leicht verletzlich, wenn es um ihr wertvollstes Gut geht.", sagte ihm Élwen im verschwörerischen Flüsterton mit einem Blick auf Éomer.
„Ich habe genau gehört, was ihr gerade sagtet. Macht euch keine Sorgen, Meriadoc, ihr könntet nirgendwo sicherer sein, als auf dem Rücken dieser Stute."Éomer gab Faire einen Klaps auf den Hintern und sie stolperte einige Schritte vorwärts, Élwen konnte ihr Schmunzeln nicht zurückhalten, als sich Merry mit blassen Gesicht noch steifer festhielt.
Auf dem Weg zurück nach Edoras hatte es nicht lange gedauert, bis sich Merry mit Faire angefreundet hatte, wenn sie rasteten, wichen er und Pippin nicht von ihrer Seite und die Stute ließ die beiden sogar alleine auf ihr sitzen, nicht ohne einen leicht misstrauischen Blick von Éomer.
„Erst versichert ihr ihm, dass Faire ihn beschützen würde und dann beäugt ihr die Hobbits, als stellten sie eine Gefahr dar."
Élwen ließ sich neben Éomer auf einem Stein nieder und betrachtete den Eintopf, welchen Éowyn gekocht hatte. Sie entschied sich fürs Fasten und stellte die Schale neben sich auf den Boden, in der Hoffnung, der schwarze schlafende Hund würde sich erbarmen.
„Es ist nicht das Pferd, um dass ich fürchte, sondern um die Hobbits mache ich mir Sorgen. Sie sind zu übermütig, ehe sie sich versehen, könnte das zu ihrem Verhängnis werden..."
„In diesen kleinen Wesen steckt mehr Mut, als in vielen Großwüchsigen."
„Ihre Tapferkeit wird ihnen auch nicht helfen, wenn Größeres auf sie zukommt, die Natur hat sie nun mal nicht zum Kämpfen erschaffen. Sie sollten lieber nach Hause zurückkehren, so müssen sich wenigstens nicht diejenigen um sie sorgen, die wichtigeres zu tun haben."
„Und was sollten sie dort eurer Meinung nach tun?Was sie gesehen haben, ist nicht mehr rückgängig zu machen. Sie wissen um das Übel, was uns alle erfassen wird, wenn niemand es aufhält, würdet ihr euch dann damit abfinden, nichts zu unternehmen? Auch wenn ihr Schwertschwung nicht so sicher ist, wie der meine, bin ich nicht besorgt, dass sie sich in der Not verteidigen können. Wenn wir nur dem nachgehen, was die Natur für uns ausersehen hat, würde ich jetzt in der Küche stehen. Würdet ihr mich auch nach Hause schicken, nur weil ich eine Frau bin?"
Er schaute sie an, doch sein Blick war immer noch ernst.
„Bei euch ist das etwas Anderes..."
„Warum?", Élwens Stimme wurde drängender, „ weil ich weder zu eurem Haus noch zu eurem Volk gehöre und euch deswegen das Recht versagt bleibt, mir zu befehlen, wie ihr es mit eurer Schwester tut?"
Éomers Blick wurde distanzierter, er hatte die Kritik verstanden.
„Wenn ihr denkt, dass ich meine Schwester dem Tod ausliefere, habt ihr euch getäuscht!" Er stellte seine Schale scheppernd auf den Stein und stapfte davon. Doch so leicht ließ sich Élwen nicht abwimmeln, sie sprang ebenfalls auf und ging ihm hinterher.
„Warum vertraut ihr nicht auf sie? Ihre Fähigkeiten mit dem Schwert sind hervorragend und wenn sie die Gelegenheit dazu hätte, würde sie euch das auch zeigen..."
Er drehte sich aprupt um und blieb unmittelbar vor ihr stehen, so dass sie den Kopf leicht heben musste um ihm in die Augen zu sehen.
„Ihr meint, es sei eine Strafe für sie, als Frau geboren zu sein? Habt ihr euch jemals gefragt, ob es nicht besser ist, in Sicherheit zu sein, als sein Leben lang in Todesgefahr schweben zu müssen? Seid ihr jemals auf die Idee gekommen, dass Männer Frauen manchmal beneiden um das Recht, bei Familie und Heim zu bleiben, mit den Liebsten zusammen, anstatt oft wochenlang durch die Wildnis zu ziehen, ständig mit dem Gedanken, den nächsten Tag vielleicht nicht zu erleben? Ihr habt recht, wenn ich es könnte, würde ich es euch auch vielleicht verbieten, mit uns zu ziehen, aber nicht, weil ich in traditionellen Ansichtsweisen stecken geblieben bin. Urteilt nicht zu schnell über die eine Seite, wenn ihr die andere nicht kennt..."
Élwen konnte nichts mehr erwidern, ihr Atem ging schnell, doch ihre Zunge versagte ihr. Wut und Unverständnis mischten sich in ihr, aber auch Mitleid und Scham. Und noch ein anderes, neues Gefühl, sie wusste um die intimen Ängste, die Éomer ihr offenbart hatte, wenn auch in Rage.
Jeden anderen Mann hätte sie in dieser Situation wahrscheinlich weiter bedrängt, nur zu genau wusste sie um die Probleme einer Frau. Doch auch kein anderer Mann hätte ihr seine geheimsten Ängste offenbart um seine Entscheidungen zu verteidigen. Warum konnte sie diesen Mann nicht hassen für seine Sturheit? Mit aufeinander gepressten Lippen senkte sie den Blick, sie wollte nicht, dass Éomer ihre Gefühle in ihren Augen las. Er betrachtete den Streit damit als beendet und schritt immer noch wütend davon.
Den Rest der Reise wechselten sie kein Wort mehr miteinander, obwohl es Élwen sehr schwer fiel. Sie vermisste ihre Gespräche und es tat ihr leid, dass sie nicht von vornherein versucht hatte, das Problem mit seinen Augen zu sehen, doch auch sie war im Recht gewesen und dieses Mal wollte sie nicht nachgeben. Sie warf ihm zwischendurch kurz verstohlene Blicke zu, um zu erfahren, ob es ihm genauso ging, doch wenn er zurückschaute, tat sie schnell so, als ob sie mit Merry in ein Gespräch verwickelt wäre. So ging es die ganze Zeit über, bis sie endlich wieder die Anhöhe erblickten, auf der Edoras ruhte...
