Kapitel 15
Das geschäftige Gewusel ließ niemanden erahnen, dass die Goldene Halle für eine Weile vollständig leer gestanden hatte. Alle waren damit beschäftigt, sie auf den Abend vorzubereiten, wenn ein Fest zur Wiederkehr stattfinden sollte.
Élwen hörte die lauten Stimmen der Dienerschaft vor ihrer Tür. Sie stand in ihrem Gemach, welches Éowyn für sie hatte herrichten lassen. Sie wollte nicht, dass ihre Freundin auf engsten Raum mit den anderen Männern zusammen schlafen musste, obwohl das Élwen nichts ausgemacht hätte. Es wäre nicht das erste Mal gewesen, seit ihrer langen Reise und doch wollte sie ihre Freundin nicht enttäuschen, deren Augen so gestrahlt hatten. Sie hatte anscheinend bereits vergessen gehabt, weswegen sie noch kurz vorher so missmutig gewesen war, weswegen sie sich so mit ihrer Familie zerstritten hatte.
Wie hatte ich nur so kindisch sein müssen, solch ein Drama aus der Sache zu machen. Aber es war keine kleine Streitigkeit, auch wenn die Probleme im Moment wie weggeblasen schienen, betrachtete Élwen die Kleider auf ihrem Bett. Am liebsten hätte ihre Hose mit dem langen elbischen Mantel drüber gezogen, aber ihre Freundin war dagegen gewesen.
„Das ist doch wohl nicht dein Ernst, Élwen, schau dir diese Stoffe an, wann hattest du das letzte Mal die Gelegenheit, ein gründliches Bad zu nehmen, glaube mir, wenn du erst mal richtig sauber bist, willst du deine verdreckte Reisekleidung gar nicht mehr anziehen.", hatte Éowyn ihr erklärt.
Jetzt verspürte Élwen wirklich einen unheimlichen Drang in eines dieser wahrlich wunderschönen Stücke zu schlüpfen und sich zu frisieren. Sie hatte sich für ein Kleid von dunklem Grün entschieden, die Farbe erinnerte sie an die Bäume vor ihrem Gemach in Bruchtal. Der Stoff machte einen sehr leichten Eindruck, obwohl er mehrlagig war und die Arme weit ausgestellt. Der Ausschnitt zog sich in rundem Bogen von der einen Schulter zur anderen und die goldenen, philigranen Verzierungen um den Kragen und die Hüfte verliehen dem Kleid einen sehr stolzen Eindruck. Ihre Haare steckte sich Élwen nicht hoch, sie band nur das Deckhaar mit einer Spange nach hinten und ließ ihre langen Locken über die Schulter fallen.
Als sie sich schließlich vor dem Spiegel drehte, meinte sie wieder die elbische Fürstin aus Bruchtal zu sehen, statt der Frau, die noch vor kurzem mit dreckverschmiertem Gesicht im Schlamm gekämpft hatte.
Elbische Maid in Tracht Rohans....
Krampfhaft versuchte sie sich an etwas zu erinnern, dass Galadriel ihr gesagt hatte, als sie sich zum ersten Mal begegnet waren. Ihre Hand auf Élwens Wange ruhend, hatte sie tief in sie hinein geschaut, diesen Satz gesagt und gelächelt. Ihre Verwandte war schon immer sehr in Rätsel gehüllt gewesen und doch gefiel ihr, was sie im Spiegel sah. Man sah ihr unweigerlich an, dass sie eine Elbin war und doch passte das von Menschenhand geschaffene Kleid sehr gut zu ihr.
Mit Schrecken bemerkte sie, dass es schon dunkel wurde. Sie musste sich beeilen, wenn sie rechtzeitig kommen wollte. Sie schritt aus ihrem Gemach und klopfte an die Tür ihr gegenüber, wo sich Éowyns Zimmer befand. Sie war anscheinend schon in die Halle gegangen, das hatte sie befürchtet. Élwen betrachtete die Tür neben Éowyns. Éomer war bestimmt auch schon weg, sie würde später noch genug Zeit haben mit ihm zu reden. Mit schnellem Schritt eilte sie den langen Flur entlang, als sie auf Gandalf stieß.
„Oh, Élwen, du siehst wirklich bezaubernd aus, wenn ich das so sagen darf als alter Mann, der ich doch bin. Würdest du mir erlauben, dich in die Halle zu führen?" Den weißen Stab immer noch in der einen Hand, bot er ihr den anderen Arm an und sie nahm ihn an.
„Ach, Gandalf, du bist zu ehrwürdig, um dich mit alter Mann bezeichnen zu lassen. Dieser Tag wird nicht kommen, an dem du dich so nennen musst. In den unsterblichen Landen altert man nicht..."
„Du weißt also, was ich vorhabe, falls wir das alles überstehen? Mein Wunsch schwindet zwar mit jedem Tag, an dem ich mehr zweifle, ob gelingen kann, was wir uns vorgenommen haben, aber wenn doch, wird es Zeit für mich, Mittelerde zu verlassen... Was ist mit dir, jetzt, da die Pläne deines Vater deine Zukunft betreffend sich aus traurigen Gründen doch nicht erfüllen..."
„Ich weiß es ehrlich gesagt nicht. Bis vor einer Weile dachte ich noch, mit Sicherheit nach Valinor zu segeln. Doch ich kann mir einfach nicht vorstellen, dies alles hinter mir zu lassen, ich liebe diese Welt einfach zu sehr..." Er sah sie mit einem Schmunzeln von der Seite an.
„Ja, vor allem dieses Land hat es dir angetan, nicht wahr, mit seiner rauen Natur und seinen temperamentvollen Menschen..." Sie schaute ihn verschwörerisch an.
„Ohne auf deine kleine Bemerkung einzugehen, ja, ich hänge bereits sehr an Rohan und werde es bestimmt vermissen, wenn ich irgendwann wieder heimwärts reiten sollte. Doch was gibt es hier, dass mich daran hindern sollte, nach Valinor zu fahren. Ich habe weder eine Familie um die ich mich kümmern sollte, noch eine Aufgabe, die es zu bewältigen gäbe. Eine Stellung in der Politik wäre zu sesshaft für mich, doch soll ich meine Jahrtausende damit verbringen, herumzuziehen, ohne zu wissen, wie lange? Das Schicksal meiner Geschwister ist nicht mit dem meinem verwoben, wenn ich in Bruchtal bleibe, würde man nur von mir erwarten, mich zu vermählen."
„So sind die Traditionen deines Volkes, aber ich kann verstehen, wie eingeengt du dich fühlst. Deine Mutter hat dir sehr viel mitgegeben...Schau, Théoden fängt gleich mit seiner Rede an, wir sollten uns zu Aragorn und den anderen gesellen..." Bevor Élwen in der Lage war, mehr über ihre Mutter zu erfahren, wurde sie ein weiteres Mal auf später vertröstet, als sie die Halle betraten.
