Kapitel 16
Teil2
Sie blickte Éomer noch nach, seit sie sich ausgesprochen hatten, war die Stimmung zwischen ihnen wieder unbeschwert wie vorher. Und wenn er lachte, konnte sie auch nicht ernst bleiben. Unwillkürlich schmunzelte sie in sich hinein und wendete sich gerade um, als sie sah, wie Éowyn mit einer Schale auf Aragorn zuging. Sie reichte sie ihm und sprach einige Worte auf Rohirric, nicht die strahlenden Augen von ihm ablassend, er erwiderte ihren Blick, doch gleichzeitig hing der Abendstern ihrer Schwester an seinem Hals.
Während sich Élwen diese Szene betrachtete, wusste sie nicht mehr, was sie Éowyn raten sollte. Arwen und Aragorn liebten sich, doch warum macht er das Éowyn nicht klar, kann es sein, dass er sich selbst nicht im Klaren über seine Gefühle zu Éowyn ist? Und wenn er sich für Éowyn entscheiden sollte? Ihre Freundin wäre glücklich, sie würden vielleicht besser zusammenpassen, aber was passiert mit ihrer Schwester, sie wusste die Antwort bereits. Arwens Herz würde brechen....
Es kann keinen glücklichen Ausgang haben, entweder Arwen oder Éowyn s leiden, ihre Schwester oder ihre Freundin, aber Éowyn würde nicht sterben an ihrem Kummer, das war der Unterschied. Élwen würde nicht zulassen, dass dies geschehen würde, ich rede mit ihr...
„Ist es nicht ein schöner Abend?"Als Éowyn den Ausdruck in Élwens Augen sah, zuckte sie zusammen.
„Was ist geschehen?" Élwen nahm Éowyn bei der Hand und zog sie in eine ruhige Ecke. Sie nahm ihrer beide Hände in die ihren und blickte ihr beschwichtigend in die Augen.
„Éowyn..... Aragorn , sein Herz ist bereits vergeben..." Éowyns Blick verhärtete sich und sie zog ihre Hände weg.
„Warum sagst du so etwas ,willst du mich verletzen, ich dachte, wir wären Freunde..."
„Éowyn, die Frau, der sein Schmuckstück gehört.... sie ist meine Schwester....., ich kenne sie, ihre ganze Seele und ich habe sie zusammen gesehen, sie lieben sich so sehr, du tust dir nur selber weh, wenn du weiterhin versuchst, sein Herz zu erkämpfen..."
Tränen traten Éowyn in die Augen.
„Wenn er keine Gefühle für mich hätte, dann würde er es mich wissen lassen..."
„Er spricht nicht immer alles aus, was er denkt, ich kenne ihn seit seiner Kindheit. Aber du hast ihn nur als den Heerführer kennengelernt, meine Schwester hat ihn aufwachsen gesehen, woher willst du wissen, dass es Liebe ist, die zwischen euch besteht. In solchen Zeiten ist es natürlich, dass man sich jemanden an seiner Seite wünscht, der einem Halt gibt..."
„Willst du etwa damit sagen, dass ich mir meine Gefühle nur einbilde," unterbrach sie Éowyn, „ behandle mich nicht wie ein Kind, Élwen, mein Alter mag dir vielleicht so erscheinen, aber ich weiß sehr wohl, was Liebe ist und wen ich liebe. Trotz deiner vielen Jahrtausende bist du nicht weiser als ich es bin, du sagst mir, wie ich mich verhalten soll, die Tatsache ignorierend, dass du selber entzweigespalten bist. Bevor du mein Leben bestimmen willst, krieg erst mal deines in Griff..."
„Éowyn, ich will dich nicht verletzen, du bist mir sehr wichtig, ganz im Gegenteil, ich will dich nur vor etwas bewahren, das du später bereuen würdest. Verzeih mir, ich hätte mich vielleicht wirklich nicht einmischen sollen, aber es bricht mir das Herz, dich so glücklich zu sehen, wenn ich weiß, dass dieser Zustand nicht anhalten wird..."
Éowyn schluckte und blickte an Élwen vorbei.
„Ich weiß, dass du nur mein Bestes willst, aber genau das habe ich langsam satt, jeder denkt, mein Leben bestimmen zu können, ohne Rücksicht auf meine Wünsche. Endlich habe ich etwas gefunden, was mich vollends erfüllt, was meinem Dasein einen Sinn gibt und wenn du in meiner Position wärst, würdest du aufgeben?"
„Nein, wahrscheinlich nicht...,"flüsterte Élwen, „und ich kann weder dich noch Aragorn zu irgendetwas zwingen, doch vertrau auch auf meine Sinne, meine Fähigkeiten in Menschen hinein zu blicken, wenn auch nicht immer."
Éowyn berührte ihre Wange.
„Als Elbin bist du dazu in der Lage und ich zweifle nicht an deinen Absichten, aber du kannst nicht immer allen helfen, Élwen, es wird Zeit, dass ich mein Schicksal selber in die Hand nehme, ob seine Entscheidung zu meinen Gunsten oder zu der ihren ausfällt...." Sie ging an Élwen vorbei und ließ sie allein.
Élwen blieb gedankenverloren in der Ecke stehen, sie wollte ihrer Freundin die Augen öffnen und hat es nur schlimmer gemacht. Warum hat sie ihr nicht geglaubt, ist ihre Liebe in solch kurzer Zeit bereits so stark heran gewachsen, dass sie die Wahrheit nicht sieht? Sie meinte, einen Menschen richtig kennen zu müssen um ihn mit ganzen Herzen zu lieben, aber Éowyn hatte sich in diesen Traum von Aragorn und ihr verstrickt. Wann kennt man einen Menschen überhaupt vollkommen, selbst nach tausend Jahren hätte sie nie damit gerechnet gehabt, dass Haldir sich von seinen Gefühlen zu ihr so verleiten hätte lassen. Élwen hatte vor ihrer Reise nie richtig über die Liebe nachgedacht, aber jetzt erkannte sie den Grund, warum sich Menschen so leicht zu irreführenden Entscheidungen verleiten ließen. Es ist nicht das Wissen um jemanden, das Liebe ausmacht, sondern das Gefühl, ihn seit Beginn der Zeit zu kennen...
„Élwen? Stimmt etwas nicht, mein Kind?" Sie spürte eine Hand auf ihrer Schulter, und schluckte ihre aufsteigenden Tränen hinunter.
„Nein, Gandalf,..."Sie setzte ein Lächeln auf, doch er durchschaute sie, weswegen sie den Kopf rasch abwendete.
„Du wolltest mir etwas von meiner Mutter erzählen,... ist nun endlich der richtige Zeitpunkt?" Die Hand noch auf ihrer Schulter verweilend, hob er den Kopf, als ob er sich an etwas erinnerte.
„Dein Vater hat dir als einziges erzählt, dass sie sterblich war, ansonsten hat er die gesamte Zeit über sie geschwiegen, nicht wahr?"
Sie nickte kaum merklich.
„Nun, dann will ich von vorne beginnen... Die Mutter deiner Geschwister war schon lange verstorben, aber Elrond hatte sich trotzdem noch sehr nach ihr gesehnt, Arwen glich ihr bereits aufs Haar und er trauerte nur noch mehr, wenn er seine Geliebte Frau in ihrem Gesicht sah. Er unternahm sehr lange Spaziergänge und vernachlässigte zu der Zeit seine Kinder, besonders Arwen. Eines Tages kam eine Gruppe reisender Flüchtlinge, deren Heim von Orks zerstört wurde und die eine lange Strecke zurückgelegt hatten, um Sicherheit und Rat in Bruchtal zu suchen. Unter den Ankömmlingen befand sich auch deine Mutter. Elrond selbst bekam sie nicht zu Gesicht, aber vom ersten Tage an verstand sie sich mit Arwen und verbrachte viel Zeit mit ihr..."
Élwen betrachtete die grölende Menge vor ihr, war mit ihren Ohren und Gedanken aber vollends auf Gandalf fokussiert. Das Gelärme schien von weit weg zu kommen, sie befand sich wieder in Bruchtal und sah ihre Schwester unbeschwert herumlaufen, jünger damals, doch bereits so schön wie eh und je. Hinter ihr kam eine Frau gelaufen, Élwen stockte der Atem, es war ihre Mutter.
Wie wunderschön sie ist, dachte sie mit Tränen in den Augen, sie sieht aus wie ich, nur... Élwen stockte der Atem... die langen Locken ihrer Mutter waren blond, hell wie die Strahlen der Sonne... Das Bild begann vor ihr zu verschwimmen und sie sah ihren Vater, während Gandalf fortfuhr.
„Eines Tages stießen die beiden auf Elrond, der dann erst bemerkte, wie lange er sich schon in diesem Trancezustand befand. Deine Mutter zeigte offen ihren Zorn auf ihn, dass er seine Tochter so im Stich gelassen hatte. Sie führten lange Gespräche, in denen sie ihn wieder ins Leben zurückholte. Letztendlich konnte man sie sogar zu dritt unterwegs sehen, wie sie lachten und redeten. Elrond hatte damals schon seine Einstellung zu Menschen und doch war er von ihr fasziniert, ich glaube, dass er in ihr einen Ersatz für seine Frau und Mutter für Arwen sah und so eine Möglichkeit, vor der bitteren Realität zu flüchten. Doch deine Mutter war ihm verfallen, sie hatte ihn vom ersten Augenblick an geliebt und er ließ sich, schwach wie er zu dieser Zeit war, auf das Spiel ein. Als du unterwegs warst, merkte er erst, auf was er sich da eingelassen hatte. Er machte ihr klar, dass er sie nicht liebte und dass sie einen Fehler begangen hätten. Sie war bereits hochschwanger und verkraftete sein Geständnis nicht. Eines Nachts lief sie weg, bekam aber plötzlich Wehen..."
Vor Élwens Augen erkannte sie strömenden Regen, und ein schreiendes Bündel neben dem schlaffen Körper ihrer Mutter...
„Als dein Vater sie fand, war es bereits zu spät, sie war tot und ihre Freunde nahmen ihren Körper mit in ihre Heimat, nachdem sie wieder sicher waren. Doch dein Vater behielt dich und isolierte sich von da an nur noch mehr von den Menschen, aber nicht mehr von seinen Kindern..."
Die Tränen liefen Élwen nun frei die Wangen herunter. Sie konnte nicht fassen, was ihr Vater ihrer Mutter angetan hatte, nicht sie als Mensch hatte versagt gehabt, sondern er...
„Elrond versucht dich vor dem Tode zu bewahren, weil er soviel von ihr in dir sieht und nicht will, dass du dich genauso auf etwas Verheerendes einlässt, wie sie es getan hat." Gandalf entfuhr ein Seufzer.
„Doch ihr Blut fließt stark in dir, er wird dich nicht beeinflussen können in deinen Entscheidungen, ich merkte es spätestens, als wir hier ankamen und die Faszination dieses Landes dich in seinen Bann schlug..."
Élwen beobachtete immer noch die Halle, nur ihre Tränen ließen die Gefühle erahnen, welche in ihr kämpften.
„Was meinst du damit?" Gandalf blickte sie schmunzelnd an.
„Hattest du es eben nicht gesehen? Die Haare deiner Mutter, ihre Kleidung? Élwen, deine Mutter war eine Rohirrim...".
„Entschuldige mich bitte, Gandalf, ich brauche frische Luft...", brachte sie nur noch hervor und eilte an den feiernden Menschen vorbei, um kurze Zeit später aus einem Nebentor aus Meduseld in die Nacht zu treten.
