Kapitel 18

„Aragorn!"

Élwen und Éomer stürzten gerade in den Raum, als sie auch schon Aragorn am Boden sahen lagen. Élwen kniete sich neben Legolas zu Boden und legte die Hände an die Schläfen des Waldläufers.

Oh, ihr Valar, dachte sie unheilvoll, er hat schreckliches im Palantir gesehen, hoffentlich nicht zu schrecklich, um wieder zu sich zu finden. Sie schloss die Augen und konzentrierte sich auf ihre innerste Mitte, in der die Macht der Eldar schlummerte. Sie sendete die gesamte Energie in Aragorns Körper, während sie Worte murmelte, die Elrond sie einst gelehrt hatte. Sie hatte alles versucht, jetzt konnte sie nur noch seine Seele festhalten und hoffen, dass er zurück fand.

Kurze Zeit später keuchte er auf und erleichtert ließ sie sich nach hinten fallen, ihr eigener Körper hatte seine Kraft fast aufgebraucht. Sie merkte, wie zwei starke Arme sie hielten und beobachtete, wie sich Aragorn wieder erholte. Dann glitt ihr Blick zu Pippin und Gandalf und zu dem Grund dieses Vorfalls. Ihre Beine waren wackelig, aber sie schaffte es, sich aufzurappeln. „

Könnt ihr alleine stehen?", vernahm sie Éomers Stimme an ihrem Ohr.

Sie nickte und legte einen Arm um Merry, der geschockt auf seinen kleinen Freund starrte. Gandalf befragte Pippin, zu dem, was er gesehen hatte, Élwen hätte es ihm auch sagen können, sie küsste Pippin beruhigend auf die Stirn, welcher sogleich entspannter wurde. Mit ernster Miene stand Gandalf auf und klammerte sich an seinen Stab. Er dachte ein paar Sekunden nach, dann sprach er.

„Geht wieder zu Bett, doch schlaft nicht zu lange, im Morgengrauen versammelt euch in der Halle!" Die Schaulustigen verstanden die Aufforderung und Éomer wechselte nur noch einen Blick mit Élwen, bevor er sich auch mit einem Kopfnicken verabschiedete. Sie saß noch auf dem Boden, mit Pippin wie ein kleines Kind in den Armen und Merry neben sich.

„Geht es wieder?", fragte sie den Hobbit und streichelte ihn ein letztes mal über die Haare, bevor sie ihn losließ und entschied selber zu Bett zu gehen. Doch vorher wollte sie noch mit Aragorn sprechen.

„Was hast du gesehen, nicht dasselbe wie Pippin, ich sehe es an deinem Blick.." Er vermied ihre Augen, sprach jedoch zögernd.

„Arwen, ich sah sie, tot...." Élwens Hände begannen zu zittern, doch ihre Augen wurden nicht durch Tränen befeuchtet, sie hätte es gespürt, wenn ihre Schwester gestorben wäre.

„Sei unbesorgt, Sauron will dich verängstigen, er weiß um deine Sorgen und Zweifel, lass dich nicht auf ihn ein...."

„Élwen, meine Geliebte liegt vielleicht im Sterben, wie kann ich da nicht an sie denken?"

„Arwen lebt, sieh in dein Herz, dein Schicksal ist mit ihrem verbunden, wenn du lebst, wird sie es auch..." Er nickte und sie erhob sich.

Élwen versuchte möglichst gefasst zu ihrem Gemach zu gehen, das Ereignis hatte einige Menschen aufgeweckt und sie wollte ungestört in ihren Raum zurückkehren. Zuviel hatte sie an diesem Abend dazu veranlasst, mehr von ihren Gefühlen zu zeigen, als es ihr lieb war. Um zu neuer Ruhe zu gelangen, strich sie mit der Hand über die hölzernen Wandmotive.

Stille war wieder eingetreten. Mit dem Finger zeichnete sie die goldenen Konturen eines Pferdes nach. Mit jedem Strich schien das Gold heller zu schimmern, bis es den ganzen Flur einnahm. Es blendete kurz ihre Augen, bevor es sich in ein mattes Strahlen verwandelte. Sie blickte sich um. Aus dem Schein löste sich eine Figur, eine dunkelhaarige Frau in einem Kleid aus hellem Gold, mit Verzierungen aus dunklem Gold, die denen auf der Wand zu gleichen schienen. Ein schmaler, goldener Reif krönte sie und sie schien den Gang entlang zu schweben.

„Élwen...."

Die Frau schwebte an ihr vorbei und sie vernahm ihre spitzen Ohren. Eine leise Stimme flüsterte ihren Namen, wieder und wieder. Am Ende des Ganges blieb die Frau stehen, ein Mann trat zu ihr, ebenfalls reich geschmückt, mit goldenem Haar. Sie wusste nicht, wer es sein könnte, doch in dem Moment, als er sich umdrehte, verschwand das Bild und sie blickte den dunklen Flur hinunter. Das Gold befand sich nun wieder auf dem Pferdekörper des Gemäldes, wo es hergekommen war, obwohl es ihr immer noch vorkam, als ob es stärker glänzen würde als zuvor...

Sie betrat ihr Zimmer, ohne sich erinnern zu können, die Tür gedrückt zu haben. Sobald sie auf ihr Bett fiel, schloss sie die Augen und schlief ein, doch dann vernahm sie erneut die Stimme....

„Élwen..."

Sie richtete sich auf und sah ihre Mutter am Fuße ihres Bettes stehen, die blonden, gelockten Haare und das Gesicht, dass ihrem so sehr ähnelte, ließen keine Zweifel aufkommen.

„Mutter?"

Ihre Lippen formten die Worte ohne einen Ton rauszubringen, aber ihre Mutter lächelte, als ob sie verstanden hätte. Die Rohirrim streckte ihre Hand aus und deutete Élwen ihr zu folgen. Élwen stand auf und schritt auf ihre Mutter zu, die an der Tür stand. Sie machte sie auf und Élwen verließ ihr Gemach, doch anstatt auf dem Flur zu stehen, fand sie sich in der großen Halle wieder.

Vereinzelt leuchteten Kerzen und sie nahm am Fuße des Throns einen Tisch wahr, vor dem eine Person, ihr mit dem Rücken zugewandt, kniete. Langsam bewegte sich Élwen auf die Person zu und hörte ein Schluchzen. Als sie in den Lichtkreis der Kerzen trat, blieb ihr Herz fast stehen. Auf dem Tisch lag Éomer, in älteren Jahren, faltig, mit weißen Haaren und grauem Bart, mit fein gewebten Tüchern bedeckt. Sie näherte sich bis zu der Kante und berührte seine Haut. Sie war kalt und Élwens Hand zuckte zurück. Dann erkannte sie die weinende Person, die mit gefalteten Händen vor dem Altar kniete. Jung wie eh und je, war sie es selber.....

Sie richtete sich kerzengrade auf und rang nach Atem. Die Sonne schien durch ihr kleines Fenster. Es war ein Traum und sie befand sich wieder in ihrem Bett, dachte sie beruhigt, oder war es eine Vision, es war so echt gewesen..

.Am Fuße des Bettes, wo sie noch ihre Mutter stehen sehen gemeint hatte, lag ihr Kleid vom Vorabend.

Als sie sich wieder gesammelt hatte, machte sie sich rasch fertig. Den Flur entlang rennend, traf sie Legolas und Gimli.

„Wo warst du? Die Beratung hat bereits stattgefunden, wir dachten, du wärst noch zu erschöpft wegen dem gestrigen Vorfall..."

„Oh, nein,... was wurde beschlossen?"Legolas blickte sie ärgerlich an.

„Wie du mitbekommen hattest, sah Pippin den weißen Baum Gondors und die Stadt brennen. Gandalf hat den König beschwichtigt, Männer nach Minas Tirith zur Hilfe zu schicken, doch Théoden war dagegen, ich kann es nicht glauben, dass er seinen Stolz nicht überwinden kann. Aragorn bot sich an, doch Gandalf sagte ihm, er müsste zusammen mit den Rohirrim reiten, wenn er Nachricht schickt. Nun ist er mit Pippin auf dem Weg nach Minas Tirith."

„Was? Sind sie schon weg?"

„Wenn du dich beeilst, könntest du sie noch erwischen...", doch er hatte keine Gelegenheit, auszusprechen, da sie schon an ihm vorbei gestürmt war.

Die Sonne schien hell vom Himmel herab, als Élwen den Rasen zu den Ställen herunter rannte. Sie wich geschickt den Rohirrim aus, die ihren Weg kreuzten und betrat das längliche Gebäude.

„Gandalf?

"Niemand antwortete und sie machte sich auf den Weg zu einem Aussichtsturm. Nachdem sie in Windeseile die Stufen erklommen hatte, ließ sie ihren Blick in die Ferne schweifen. Selbst mit ihren elbischen Augen konnte sie den weißen Reiter nur noch als kleinen Punkt am Horizont ausmachen. Ob Gandalf wusste, dass sie ebenfalls das brennende Minas Tirith gesehen hatte, sie hätte es ihm gleich am Abend noch berichten müssen. Legolas und Gimli hatten nichts gesehen, ein weiteres Mal fragte sie sich, welche Rolle sie in dieser Geschichte spielte und was noch mit ihr vorgesehen war....