Kapitel 22

„Éowyn, ich bin mir wirklich nicht sicher, ob man das essen kann..."

Élwen blickte mit gerümpfter Nase in den großen Topf vor ihr, in dem eine undefinierbare Brühe schwamm.

„Aber natürlich, ich selbst habe das Rezept kreiert, du wirst sehen, wie gut es ist." Éowyn hatte sie dazu überredet, sich im Kochen zu versuchen. Bisher hatte sich Élwen um so etwas nie Gedanken gemacht, aber sie waren hier schließlich nicht in Bruchtal und ihr gefiel der Gedanke, ihrer Freundin helfen zu können.

Seit einigen Tagen warteten sie nun schon auf Nachricht von Gandalf und außer auszureiten und sich mit ihren Freunden zu unterhalten hatte sie nicht wirklich etwas zu erledigen. Der König hielt sie weiterhin aus allen militärischen Handlungen raus, so oft sie ihn auch bedrängte, sie mit Éomer reiten zu lassen. Der Marschall war auf mehreren Erkundungsmissionen unterwegs und sie sah ihn nur selten. Wie gern hätte sie ihn begleitet und mehr von Rohan gesehen, aber sie hielt sich zurück und begnügte sich mit den kurzen abendlichen Gesprächen, wenn er gerade von einer Mission zurückgekehrt war.

Nun dämmerte es bereits und die Éored warteten hungrig auf ihr Abendessen.

„Nun gut, versuchen wir es, wir haben ja immer noch genug Brot..." Sie hievten gemeinsam den Topf in die Halle, wo die Männer sofort ihre Schalen füllten und sich zu Tisch begaben. Auch Élwen nahm sich von ihrem Eintopf und setzte sich gegenüber Éomer.

Mit einem Seufzer tauchte sie den Löffel hinein nahm einen Schluck von der Suppe. Es schmeckte schrecklich und sie hätte es ausgespuckt, wenn sie nicht Éomers Blick auf ihr ruhen gespürt hätte. Sie schaute auf und sah ihn ebenfalls mit vollem Mund. Sie schluckte schwer hinunter und er tat es ihr nach. Dann brachen sie in Gelächter aus und schoben ihre Teller von sich.

„Das ist ja noch schlechter als Éowyns Eintopf", flüsterte er ihr zu, da seine Schwester gerade an ihm vorbeiging.

„Glaubt mir, freiwillig hätte ich nicht gekocht, sie hat mir mit Schrubben gedroht, wenn ich es nicht täte. Ihr müsst wohl leider zum Brot greifen." Er musterte sie.

„Was ist? Warum schaut ihr mich so an?"

„Élwen, ich biete euch ganz offiziell an, mich mit du zu bezeichnen. Es wäre mir eine Ehre, wenn ihr das Angebot erwidern würdet."

Sie nickte. „Ich denke, wir kennen uns mittlerweile gut genug, um nicht als unhöflich zu gelten. Ich erkläre mich einverstanden."

„Gut, dann frage ich mich, ob du mich an meinem freien Abend auf einen Ausritt begleiten würdest, und keine Ausflüchte...", sie wollte etwas erwidern, doch er hob die Hand, „ ich habe Éowyn bereits gefragt und sie hat keine Aufgaben für dich, welche zu erledigen wären. Du hast also keine andere Wahl.", sagte er mit einem Schmunzeln und beugte sich wieder über sein Essen.

„Dann muss ich wohl ja sagen, unter der Bedingung, dass du deinen Eintopf restlos aufisst..." Er blickte sie geschockt an, dann seine Schale und schluckte schwer.

Die Sonne ging gerade unter, als sie über die Ebene ritten, im schnellen Galopp hatte Élwen ihn bald überholt, doch er gab sich nicht geschlagen und es artete bald in ein Wettrennen aus. Als Élwen schließlich in Schritt fiel, holte er sie ein und gab seinem Pferd einen Klaps auf den Hals.

„Ich hätte nie gedacht, von einem Spitzohr geschlagen zu werden, wenigstens ist dein Ritt leichter, als dein Essen."Er rieb sich den Bauch, in dem nun ihr Eintopf lag. Sie schaute ihn empört an.

„Spitzohr? Du verbringst zu viel Zeit mit Gimli, mein Freund, er hat einen schlechten Einfluss auf dich."

Er lachte. „Das musst du gerade sagen, ich habe noch vor kurzem gehört, wie du alle Rohirrim als Sturköpfe bezeichnet hast."

„ Ich spreche nur die Wahrheit. Erst gestern musste ich einen jungen Burschen vehement davon abbringen, mir den Hof zu machen."

„Du bist nun mal ein Blickfang in Edoras, daran wirst du dich gewöhnen müssen." Sie hatten es sich mittlerweile auf der Ebene gemütlich gemacht und betrachteten nun den Sonnenuntergang.

„Ich will das aber nicht sein. Alle Welt sieht nur mein Äußerliches und blickt nicht hinter die Fassade. Das ich die meisten von ihnen mit einem Hieb töten könnte, dieser Gedanke ist den jungen Burschen noch nicht gekommen."

„Lass ihnen die Freuden der Jugend, nur allzu früh wird sie die Realität einholen, glaube mir..."

„Das stimmt...Es könnte jeden Tag soweit sein und doch wünsche ich mir, dass der Moment des Aufbruchs nie kommen mag..."

„Aufbruch... in den nächsten Tagen? Mein Onkel plant nichts dergleichen."

„Éomer, Gandalf wird in Minas Tirith dafür sorgen, dass Denethor nach Hilfe ruft. Wenn nicht freiwillig, wird er die Leuchtfeuer anzünden lassen. Aragorn und ich halten täglich danach Ausschau."

„Mein Onkel wird nicht darauf eingehen. Zu groß war die Enttäuschung für ihn, dass Gondor bei Helms Klamm nicht Unterstützung schickte."

„Er wird antworten, die Leuchtfeuer brannten seit Ewigkeiten nicht mehr, er wird die Ernsthaftigkeit der Lage begreifen, du solltest deine Männer sich vorbereiten lassen, uns bleibt keine Zeit, wenn das Zeichen eintrifft..."

Er schmunzelte über ihren Eifer. „Du würdest einen guten Marschall abgeben, Bruchtal weiß seine Strategen nicht zu schätzen."

Sie gab ein spöttisches Lachen von sich und schaute ihn an.

„Und Rohan? In Rohan würde ich als Frau ebenfalls keinen militärischen Rang erringen."

„Nicht, wenn ich nicht dafür sorgen würde..." Er erwiderte nicht ihren fragenden Blick.

„Hauptmann Hama war ein sehr guter Mann und wir bedauern sehr seinen Verlust, doch sein Posten muss neu besetzt werden... Der König hat eine hohe Wertschätzung für deine Fähigkeiten und wenn ich mit ihm reden würde..."

„Nein!", unterbrach sie ihn barsch, „Er lässt noch nicht einmal Éowyn ein Schwert halten, dann wäre er bestimmt nicht einverstanden, einen weiblichen Hauptmann zu befehligen. Außerdem will ich nicht, dass mir der Posten nur wegen dir zugeschrieben würde, wenn überhaupt, dann nur aus freien Stücken..." Es dauerte eine Weile bis er antwortete.

„Du hast Recht, es tut mir leid, es war ein dummer Gedanke...."

Sein Vorschlag ließ sie nachdenklich werden.

„ Außerdem würden mich andere Pflichten erwarten,wenn wir diesen Krieg unbeschadet bestehen, wird Arwen Aragorn heiraten und ich dann Herrin von Bruchtal werden..."

„Wünschst du dir das?"

„Zeitweise vermisse ich meine Heimat, aber den Rest meines Daseins dort zu verbringen, das widerstrebt mir."

Sie ließ ihre Hand über das Gras zu ihren Beinen streifen, ein leichter Wind raschelte durch das Grün, den Élwen tief einatmete. Die letzten Strahlen der Sonne verschwanden hinter dem Hügelkamm und der Himmel färbte sich rotgolden. Ich habe meine Entscheidung bereits getroffen, dachte sie, doch werde ich noch in der Lage sein, sie mit den Menschen um mich herum zu teilen, wenn dies Alles ein Ende haben sollte?

„Ich ertrage dieses Warten nicht mehr, Jahrtausende lang verweilte ich in einem Zustand und jetzt trage ich plötzlich keine Geduld mehr in mir. Entscheidungen zu fällen, kann ich mir nicht erlauben, könnten sie doch mit einem Schlag Saurons zunichte gemacht werden. Und doch werde ich dazu gedrängt, von meinem Vater und von mir selber."

„Dein Vater mag dich drängen, aber letztendlich liegt alles, was du tust, bei dir. Veränderungen im Leben können schnell passieren, doch braucht man seine Zeit, um sich mit ihnen auseinander zu setzen."

„Ja..., doch was bedeuten Veränderungen für eine Unsterbliche? Ich habe Angst davor, dass sie wieder nur kurzweilige Erlebnisse in meinem Leben darstellen. Vergänglichkeit ist ein Begriff, der den gesamten Lebenspfad der Elben pflastert, jedoch lassen sie sie stets hinter sich und tragen sie nicht in ihnen..."

„Es tut mir leid, dass ich so harsch über Elben urteilte, als wir uns kennen lernten. Ich dachte immer nur an die Konflikte, die sie mit anderen austragen und nicht auch an jene, die sie selbst austragen. Ich hätte wahrlich schon früher beide Seiten der Medaille betrachten sollen, wie du es so treffend ausgedrückt hattest." Sie erwiderte sein Lächeln.

„Ich denke, jetzt verstehen wir uns, Éomer, Éomunds Sohn."