Kapitel 25
„Élwen?"
Sie wusste nicht, wie lange sie da gestanden haben muss, an der Stelle, wo Éomer sie alleine gelassen hatte. Als sie Aragorns Stimme vernahm, drehte sie sich um und sah ihn mit einem Schwert in der Hand. Das Licht des Feuers glänzte auf der Klinge, die sie seit Ewigkeiten kannte.
„Was?... Wie kann das sein..."- „Im Zelt des Königs wartet jemand auf dich, der dich zu sprechen wünscht."
Er zögerte im Unwissen darüber, weswegen ihre elbischen Augen feucht waren, doch dazu war jetzt der falsche Augenblick. So legte er nur eine Hand auf ihre Schulter und verließ sie. Élwen wunderte sich, wer sie so spät noch sprechen wollte und begab sich sofort zu der Unterkunft König Théodens.
Als sie den schweren Vorhang beiseite schob und das Zelt betrat, blieb sie wie zu Stein erstarrt stehen.
„Adar?"
Elrond, in einen dunklen Umhang gehüllt, stand ernst und erhaben vor ihr, den Blick fest auf sie gerichtet, mit aufeinander gepressten Lippen.
„Was tust du hier? Hat Arwen dich begleitet? Ich.. verstehe nicht..." Er hob eine Hand, um ihr überraschtes Stottern zu beenden. Dann holte er tief Luft und setzte langsam zum Reden an.
„Ich bin gekommen, um dem wahren König Gondors seine Bestimmung zu offenbaren und ihm das Schwert Anduril zu überreichen. Aragorn muss auf den Pfaden der Toten mit seinen Gefährten nach Minas Tirith gelangen. Doch nicht du, meine Tochter, denn ich bin ebenfalls gekommen, um dich nach Hause zu rufen."
Er trat einen Schritt auf sie zu und breitete die Arme aus, doch sie wich vor ihm zurück.
Überrascht ließ er die Arme wieder sinken. Seine Stimme klang weich und melodisch, aber auch sein gewohnt beschwichtigender Ton schwang in ihr mit.
„Élwen, das Schicksal, mit Aragorn in den Krieg zu reiten, ist für die Gefährten vorgesehen, aber nicht für dich..."
„Nein, ich lasse mich nicht mehr von dir beeinflussen, ich entscheide selber über meine Zukunft. Ich sah sie ebenfalls und ich sah mich in der Schlacht auf den Feldern vor Minas Tirith, im Kampfe mit meinen Begleitern!"
Er seufzte und setzte sich auf einen Schemel.
„Die Träume und Visionen, welche du erfuhrst, beruhten nicht auf Wahrheit...", sie sah ihn fragend und misstrauisch an, „ sie waren mein Verdienst. Ich habe dich jede einzelne sehen lassen..."
„Sag mir, dass das nicht wahr ist, du hast mich in dem Glauben gelassen, meine Freunde würden alle sterben, nur um mich davon abzuhalten, mit ihnen zu reiten?", rief sie ungläubig.
„Nein, dies ist eine mögliche Zukunft, welche immer mehr heranwächst. Ich werde nicht zulassen, dass du dein Leben für diese Menschen lässt, Élwen, ich werde nicht zulassen, dass du den gleichen Fehler wie deine Mutter begehst und aus unvernünftigen Gefühlen raus in dein Verderben rennst! Doch ihre Schwäche zeichnet sich auch in dir ab, ich sah es in Imladris und musste handeln."
Er war wieder aufgesprungen und seine Stimme schallte laut in der Nacht wieder. Sie brachte es nicht über sich, ihm in die Augen zu blicken und atmete schwer vor sich hin.
„Was bedeuten diese Worte nun wieder?", fragte sie leise, obwohl sie die Antwort bereits wusste.
„Oh, ja, ich weiß, wie es in deinem Inneren aussieht, welche Gefühle du für diesen Mann, diesen Rohirrim hegst. Es war von vornherein bestimmt gewesen, dass dies passiert, ich sah ihn und dass Verhängnis, welches er für dich birgt. Bereits, bevor du überhaupt aus Bruchtal aufbrachst. Ich wollte dafür sorgen, dass du nicht wie deine Schwester endest!"
Sie blickte ihn an zornerfüllt an.
„Du hast mich dies erleiden lassen? Du hast mich auch von seinem Tod träumen lassen?"
„Nein, dies war kein Traum, sondern was mit dir passiert, wenn du nicht umkehrst, dieser Pfad ist dein Verhängnis!"
Als er abbrach, fiel Élwen auf, wie still es geworden war, nur das Flattern des Zeltes im Wind und das Knistern des Feuers vernahm man neben ihren Stimmen. Sie betrachtete Elrond eindringlich.
„Aber es ist mein Pfad und ich werde ihn beschreiten. Ich bin eine Halbelbin und weiß, was dies für mich bedeutet. Ich habe mich zwischen der Unsterblichkeit und dem Leben eines Menschen entschieden. Du wähltest einst den elbischen Weg, nun lass mich auf meinem ziehen, Adar..."
Er setzte sich verbittert hin und blickte seine Hände an. Seine Tochter kniete neben ihm nieder und nahm sein Gesicht in ihre Hände. Sie fuhr mit den Fingern die Kerben und Falten nach, welche die Leiden seines langen Lebens erzählten. Tränen füllten ihre Augen und rannen ihre Wangen herunter.
„Sei nicht traurig, ich habe diesen Weg gewählt und ich bereue nichts. Verurteile mich nicht und versuche nicht, es zu verstehen, dies ist meine Bestimmung, nicht mein Ruin..." Elrond küsste die Hände seiner Tochter, eine Träne fiel von seinem Gesicht auf ihre Haut.
„Die Liebe macht dich blind, meine Tochter..."
„Liebe?...", zum ersten Male sprach sie dieses Wort in diesem Zusammenhang aus und es fühlte sich für sie richtig und wahrhaftig an, alles lag klar vor ihr, kein Schleier verhüllte den Sinn ihrer Gefühle. Sie lächelte durch ihre Tränen hindurch und berührte ihres Vaters Arm.
„Ja, Liebe führte mich zu dieser Entscheidung, nicht nur zu diesem Mann, sondern auch zu dieser Welt, und zu meiner Heimat,..Rohan. Aber sie trübt nicht meinen Blick, sondern leitet mich durch den Nebel."
Elrond schaute sie erschöpft an, dann wandelte sich plötzlich sein Gesichtsausdruck, dass Élwen glaubte, ihr Herz gefriere. Er stand zornig auf.
„Siehst du nicht die Gefahr, welche dies bedeutet? Was denkst du, weshalb du die brennende Stadt Minas Tirith erblicktest, ohne in den Palantir geschaut zu haben, und weswegen Aragorn den Tod Arwens sah, obwohl sie am Leben ist?"
„Du weißt davon?" Er richtete sich zu seiner vollen Größe auf.
„Du vergisst, wer vor dir steht, Élwen, ich sah alles Schlechte, was deine und deiner Schwester Liebe mit sich bringt. Sauron, meine Tochter, wird es nicht zulassen, dass diese Verbindungen zwischen Menschen und Elben geknüpft werden. Er wird nichts unversucht lassen, zu verhindern, dass elbisches Blut in dieser Welt überleben wird. Es kann nicht gut ausgehen, Élwen, ich bitte dich ein letztes Mal..."
Sie blickte ihn traurig an und streckte ihre Hände nach ihm aus.
„Alles, was ich je tat, sollte dich stolz auf mich machen, Adar, nun treffe ich die wichtigste Entscheidung meines Lebens, vielleicht in die letzten Tage meines Lebens aufzubrechen, aber mit der Gewissheit, dass zu tun, was mein Herz mir sagt, und alles, was ich erbitte, ist dein Segen,... willst du ihn deiner Tochter nicht geben?"
Er trat auf sie zu, nahm ihre Hände in die seinen, betrachtete sie und schloss ihre Finger.
„Nein.", flüsterte er und drehte sich ohne ein weiteres Wort von ihr weg.
Tränen liefen frei über ihr Gesicht, Tränen, die sie nicht zurückhalten konnte. Elrond stand mit dem Rücken zu ihr und schwieg, doch es schien ihr, als befände sich eine Mauer zwischen ihnen, die sie zu durchbrechen nicht in der Lage war. Sie drehte sich um und flüchtete aus dem Zelt. Als sie in die Dunkelheit zurückkehrte, stieß sie mit Éomer zusammen. In seinem Blick konnte sie lesen, dass er alles gehört hatte, doch sie ertrug es nicht, in seine Augen zu blicken und stieß sich von ihm weg.
Erst am äußersten Rande der Schlucht machte sie halt und setzte sich auf einen umgelegten Baumstamm. Der Himmel begann zu erhellen, doch das Lager ruhte noch still unter ihr. Sie legte ihren Kopf in ihre Hände und ließ ihrer Trauer, ihrer Wut und ihrer Enttäuschung freien Lauf.
