Kapitel 27 Teil 2
„Oh Elbereth..", flüsterte sie heiser, als sie die riesigen Wesen erblickte, Mumakil, größer als ein Haus, mit Stoßzähnen, so breit wie ein Hobbit groß war. Graue Kampftiere, die von Ostlingen zum Krieg genutzt wurden. Sie hatte keine Zeit sich Gedanken zu machen, die Kreaturen waren unheimlich schnell und zahlreich wie sie waren, bildeten sie eine verhängnisvolle Front, die mit Schritten gleich Erderschütterungen auf sie zustürmten.
Rohirrim flüchteten in ihre Richtung und hinter den Mumakil sah sie Orks mit neuem Mut vom Fluss zurückkehren. Sie hob ihr Schwert und trieb Faire in die Richtung der Mumakil, das Pferd war wendig und sie konnte es direkt an einem vorbeilenken und dem Ungetüm eine Wunde am Bein verpassen. Pfeile pfiffen an ihrem Ohr vorbei, auf dem Mumakil befanden sich Plattformen mit dunklen Kriegern und Bogenschützen.
Ein kurzer Aufschrei entfuhr ihrer Kehle, als ein Pfeil ihren Arm streifte. Sie konnte Faire gerade noch rechtzeitig mit dem anderen Arm nach links wenden, sonst wäre ein Mumakil, der dröhnend zu Boden fiel, auf ihr gelandet. Doch gleich entschied sie sich umzudrehen, ritt zu den toten Ostlingen und griff sich einen Bogen. Sie ließ die Zügel los, in der Hoffnung, dass ihr Pferd nicht flüchten würde und zielte auf einen Mumakil. Die Feinde hatten den Fehler gemacht, ihn von einem einzigen Menschen lenken zu lassen, denn als sie einen Pfeil auf denjenigen mit den Zügeln abschoss, fiel dieser und riss den Mumakil zur Seite, direkt in einen anderen, der ebenfalls zu Boden ging. Ein Speer hatte ebenfalls den Anführer getroffen und als sie sich umschaute erkannte sie, das er von Éomer kam.
Dieser eine Augenblick der Unaufmerksamkeit war ein Fehler, denn etwas erschreckte Faire dermaßen, dass sie losstürmte. Élwen, die sich nicht mehr festgehalten hatte, fiel mit voller Wucht herunter und landete mit dem Gesicht auf dem dreckigen Feld. Als sie wieder aufstand, musste sie husten, der Staub verdichtete die Luft und ihr Hals schmerzte genauso wie die Wunde an ihrem Arm. Sie konnte nicht mehr viel sehen und fand so auch nicht Faire im Getümmel wieder.
Plötzlich blieb sie stehen.
Etwas stimmte nicht. Sie wusste nicht, was es war, ihre Brust krampfte sich plötzlich zusammen und sie stöhnte, nein, nicht ihre Brust, ihr Herz sendete diesen Schmerz. Ihre Knie erweihten und aufkeuchend fiel sie auf sie. Vor ihren Augen verschwamm alles und doch wurden Konturen scharf. Eine Lufthauch streifte ihr Gesicht und ihr Blick schien mit ihm hinweg genommen zu werden, mit dem Wind hinter den umgestürzten Mumakil, über Ork- und Menschenleichen hinweg, bis die Brise sich auf einem Helm niederlegte, einem massivem Helm mit goldenen Verzierungen und einem weißen Schweif...
Der Krampf war weg, sie befand sich wieder an der Stelle, an der sie von ihrem Pferd gefallen war.
„Nein... nein..", stöhnte sie atemlos.
Nachdem sie sich vom Boden hochgestoßen hatte, begann sie zu rennen, dem Weg folgend, den ihr der Wind gezeigt hatte, um den Mumakil herum und einige Meter weiter, sie wich einem Ork aus, der von einem Rohirrim getötet wurde.
Und dann sah sie den Helm liegen und neben ihm den reglosen Körper Éomers.
„Nein!"
Sie stürzte neben ihm zu Boden, richtete seinen Oberkörper auf und legte ihn auf ihre Beine. Sein Schwert hielt er noch in den Händen. Ihre Hände wanderten hektisch über sein Gesicht, die dreckigen Wangen, die geschlossenen Augen, auf der Suche nach einem Lebenszeichen. Er blutete nicht und doch fühlte sie keinen Herzschlag, als sie ihren Kopf auf seine Brust legte.
„Nein, bitte nicht, ich bitte euch..."Ihre Sinne waren nur auf ihn gerichtet, Tränen strömten von ihren Wangen und zerschellten auf dem Eisen seiner Rüstung. Panik vernebelte ihr die Sicht für ihr Umfeld und so bemerkte sie auch nicht den Ork, der einige Meter hinter ihr auf die noch lebende Gestalt am Boden aufmerksam wurde.
Sie nahm seinen Kopf in die Arme und bedeckte sein Haar mit Tränen.
„Ich bitte euch, lasst ihn nicht sterben...".
Der Ork erhob seine Waffe und hinkte schwerfällig auf sie zu. Élwen ließ Éomer zu Boden senken und legte ihren Kopf auf seine Brust, ihn immer noch fest umklammernd.
„Ich bitte euch mit jeder Faser meines Seins, lasst ihn am Leben...", der Ork hob sein Schwert über den Kopf, doch um Élwen herum wurde alles dunkel...
...
...
Élwen...
Élwen...
Élwen...
Der Name hallte in ihrem Kopf wieder, von einer Seite zur anderen, wurde leiser und klang ab. Élwen.... Erneut hörte sie die leise Stimme, dieser Name... es war ihr Name... sie wurde gerufen... Die Dunkelheit, sie wollte sie verdrängen.. und doch... es war so friedlich...so friedlich...frei fühlte sie sich, war sie tot... nein... eine Leichtigkeit durchströmte ihren Körper... dann erinnerte sie sich an etwas... Éomer... sie entriss ihre Gedanken der Schwerelosigkeit und schlug die Augen auf.
Das Erste, was ihr auffiel, war die Stille, eine vollkommene Stille, ohne jegliches Geräusch, kein Wind, kein Leben. Sie sah helle Farben, die über ihr spielten, ein sanftes Grün und weißer Dunst, kein Nebel, sondern ein märchenhafter Schleier.
Wo war sie? Dann bemerkte sie erst, dass sie auf dem Rücken lag. Sie stützte sich auf die Arme, doch spürte sie sie nicht. Weder Schmerz, noch das Gefühl des Grases, auf dem sie lag. Sie trug ein Gewand aus leichtem, weißen Stoff, ohne Verzierungen, rein... Ruhig drehte sie den Kopf um sich umzusehen, aber der wunderschöne Schleier versperrte ihr die Sicht. Sie fuhr mit der Hand durch den Dunst, der sich unter der Berührung teilte, um unmittelbar danach sich wieder zu umschließen.
Élwen... erneut die Stimme, weder männlich noch weiblich... nur still und rufend...
Éomer. Mit einem Ruck stand sie auf, doch das Gras ließ kein Geräusch vernehmen. Es war so schön... Éomer. Nein, sie begann zu laufen, oder jedenfalls meinte sie, dass sie lief, alles schien ihr in einem schwebenden Zustand zu sein. Ja, sie lief über das Gras, der Stoff des Kleides hinter ihr her wehend, plötzlich fing sie an, das Gras unter ihren Füßen zu spüren, es floss wie ein Strom durch ihren Körper, doch es gefiel ihr nicht.
Und dann stand sie davor.
Der Dunst hatte sich geteilt und schien davor zu flüchten. Das genaue Gegenteil von dem, was hinter ihr lag. Eine Hecke, schwarz und düster, so hoch, wie sie nur blicken konnte, geradezu in den Himmel reinwachsend, wenn dort oben denn ein Himmel war. Eine dichte Hecke aus Dornenranken, die Stachel ragten rot und spitz zwischen den dicken, schwarzen Ranken, die sich in endlosen Windungen verloren. Sie konnte kein Ende dieser Wand sehen und doch waren Hohlräume in ihr... Er war hinter der Ecke, sie spürte es. Sie blickte noch einmal zurück, in die grün- weiße Lichtung, die so wunderschön und verlockend hinter ihr lag.
Élwen...
Nein, entschlossen wandte sie sich ab und streckte ihre Hand nach der Hecke aus. Als sie die Ranke berührte, durchfuhr sie Kälte, pure und schmerzende Kälte. Doch sie ließ sich nicht abbringen und schob sie zur Seite. Mit der anderen Hand drückte sie eine weitere nieder und stieg durch das Loch hindurch. Die Stacheln hinterließen blutige Spuren. Nun konnte sie nicht mehr zurück und sie wollte es auch nicht. Sie kämpfte sich weiter durch die Hecke. Nur langsam kam sie voran, doch bereits nach kurzer Zeit war ihre Haut verkratzt und blutig von den Dornen, die sich in ihre Haut fraßen. Blut säumte auch ihr Kleid, dass mit Rissen übersät war.
Es war so kalt, die Kälte und der Schmerz ließen ihren Körper zittern. Sie wollte schreien, doch kein Geräusch entdrang ihrer Kehle. Sie konnte nicht sagen, wie lange sie brauchte, es kam ihr wie Stunden vor und sie meinte, an dem Schmerz sterben zu müssen, als sie plötzlich ein Ende sah.
Kein Licht, nur ein Ende der Hecke.
Der letzte Dorn zerriss ihre Wange und sobald die schwarze Hölle endete, überfiel es sie. Eine unheimliche Schwere, keine Zweifel bestanden mehr, ob sie fest auf dem Boden stand, nein, sie schien auf ihn gedrückt zu werden. Kalt... so kalt... Es war dunkel... Schwärze erstreckte sich und sie vermochte nicht zu sehen, wo sie war. Aber sie hasste diesen Ort, er war schrecklich und sie wäre weggerannt. In ihrem Kopf pochte es und das Pochen schien sich auszubreiten.
Doch plötzlich sah sie ihn dort liegen. Sie rannte auf ihn zu, ohne zu wissen, worüber sie rannte, diese Stille nun war nicht mehr leicht und schwebend, sondern von einer anderen Art, erdrückend... Sie kniete neben dem Körper nieder. Éomer lag genauso da, wie sie ihn zuletzt erblickt hatte. Sie ließ ihre Hand über seine Wange streicheln und nannte seinen Namen, doch er antwortete nicht. Tränen bahnten sich wieder ihren Weg, doch plötzlich spürte sie ihren Rachen, ihren Hals und ihre Kehle. Sie nahm alles in sich zusammen und konzentrierte sich, dann richtete sie ihren ganzen Willen auf ein Wort.
„Éomer!"
Er schlug die Augen auf und sah sie stumm an. Élwen richtete sich auf und streckte ihm die Hand entgegen. Komm... formten ihre Lippen und er nahm ihre Hand.
