„Javer, haben wir noch Salbei vorrätig?"
„Nein, meine Herrin, uns gehen langsam alle Kräuter aus. Wir können nur hoffen, dass sich der Ansturm bald legt."
Élwen bedachte den jungen Heiler mit einem Nicken und wischte sich mit dem Handrücken stöhnend über die Stirn.Sie überflog die Gruppe vor sich und schätzte, dass wohl mindestens vier Menschen noch einen Umschlag aus Salbei und Ampfer brauchten.
„Ioreth..", sie hielt die Heilerin auf, die gerade an ihr vorbei huschte, „ viele Kräuter gehen uns aus. Salbei haben wir nicht mehr und verschiedene andere sind auch bald aufgebraucht."
„Hier, nimm dies,"Ioreth reichte ihr ein Bündel einer süß duftenden Pflanze, „ es wird auch helfen, hinten ist noch mehr davon, wenn dies zur Neige geht."
Élwen bedankte sich und machte sich wieder an die Arbeit. Mittlerweile kümmerte sie sich um die leicht Verletzten, nachdem sie anfangs bei den Menschen half, welche sich qualvoll mit schmerzerfüllten Gesichtern auf den Bahren wanden. Wie lange sie nun schon zusammen mit den Heilern behandelte, wusste sie nicht, durch den Aufruhr hatte sie ihr Zeitgefühl verloren. Ioreth hatte ihr schnell die wichtigsten Regeln beigebracht und bald sah man sie nur noch von einem zum anderen eilen, mal blutverschmiert von einem komplizierten Eingriff, an dem mehrere Heiler beteiligt waren, mal nur die Hand eines Jungen haltend und ihm Mut zuredend. Ihre Worte beruhigten viele der Menschen und bald war Ioreth froh, die Elbin zu sich gerufen zu haben.
„So, mein Junge...", nun legte sie den Arm eines Kindes in eine Schlinge, „ bald wird es dir wieder besser gehen...". Um sie herum war es ruhig geworden, der kleine Junge gehörte zu den letzten Verwundeten.
„Nun geh schnell zu deiner Mutter. Sie macht sich bestimmt schon Sorgen." Während sie noch vor ihm kniete, streichelte sie ihm durch die schwarzen Haare. Der Kleine senkte den Kopf.
„Meine Mutter ist nicht mehr da, mein Vater hat gesagt, die bösen Wesen hätten sie mitgenommen..."
„Oh...", Élwen schossen Tränen in die Augen, doch sie hielt sie für den Jungen zurück.
Sie legte die Hand an sein Kinn und hob es.
„ Aber sie lebt weiter, solange du sie nie vergisst. Und weißt du, wo?"Er schüttelte den Kopf.
„Genau da und dort wird sie auch bleiben und auf dich aufpassen.", als sie ihre Hand auf die Brust des Kleinen legte, umspielte ein Lächeln dessen Lippen. Plötzlich schlang er seine Arme um sie und drückte seinen kleinen Kopf auf ihre Schulter.
„Danke, ich wünschte, sie könnten meine neue Mutter sein...". Élwen schluchzte auf, überwältigt von ihren Gefühlen. Der Junge löste sich aus der Umarmung und schaute sie fragend an.
„Warum weint ihr denn. Ist eure Mutter auch weg?"
„Nein, nein.", sie stand auf und wischte sich schnell die Tränen weg. „Und jetzt gehe rasch zu deinem Vater. Er wartet bestimmt schon auf dich.". Mit einem sachten Schubs schickte sie ihn davon. Als sie ihm nachblickte, kamen die Tränen erneut hoch und sie konnte sie nicht zurückhalten. Noch nie zuvor hatte sie ein kleines Kind in ihren Armen gehalten und dieser Junge, dessen Mutter von Orks getötet wurde, hatte sie wieder an die Schrecken erinnert, die diese Stadt vor kurzem noch heimgesucht haben. Sie wischte sich die Tränen weg, als sie eine bekannte Stimme hinter sich vernahm.
„Ich wusste gar nicht, wie gut du mit Kindern umgehen kannst..."
Sie drehte sich erschrocken um und sah Éomer nur einige Schritte entfernt stehen. Er war sehr erschöpft , die Haare hingen ihm schmutzig und wirr um den Kopf und seine Stimme klang traurig. Élwen erinnerte sich, wie spät es bereits war.
„Éowyn.. ist sie...?"
Er schüttelte langsam den Kopf.
„Nein, es geht ihnen immer besser. Aragorn hat sie... einfach an den Händen genommen und mit ihnen geredet...Er...", er betrachtete seine Hände und stockte. Dann schaute er wieder mit Tränen in den Augen auf.
„Sie leben...", flüsterte er nur noch.
Wortlos ging sie auf ihn zu und er schritt ihr schon entgegen um sie einen Augenblick später in die Arme zu schließen. Seine Wärme gab ihr Trost und sein Anblick auf dem Boden der Felder kehrte in ihr Gedächtnis zurück, weswegen sie ihren Kopf noch fester an seine Haare drückte. Er weinte stumm an ihre Schulter, doch wer konnte es ihm verübeln, nach allem, was passiert war. Nach einer Weile fasste er sie an den Schultern und küsste ihre Lider. Dann schaute er sie lange an.
„Ich war tot."
„Ja,... das warst du."
„Es.. es war alles dunkel um mich herum. Ich konnte nichts mehr wahrnehmen. Und plötzlich... und plötzlich hab ich deine Stimme gehört, erst leise und dann lauter und als ich meine Augen öffnete, warst du da. Ich sah nicht, ob dieses weiße Licht du warst, aber ich wusste es. Und dann...", seine Augen wanderten verwirrt umher.
„...Dann hast du meine Hand ergriffen und bist ins Leben zurückgekehrt.", vollendete Élwen seinen Satz.
„Wie?"
Sie ließ ihre Finger über seine Wange gleiten, bis er ihre Hand in seine nahm.
„Ich.. ich sah dich dort liegen.. und du hast nicht mehr geatmet und... dein Herz, es hat nicht mehr geschlagen. In dem Moment hat meines ausgesetzt... und... ich habe den Tod wohl überwunden...", schluchzte sie, während die Tränen ihre Wangen befeuchteten.
„Es war nur...,"fuhr sie fort, „ ich hatte solche Angst... solche Angst...".
Sie sank wieder an seine Brust und er strich ihr übers Haar.
„Jetzt ist es vorbei,... es ist vorbei."Sie löste sich von ihm.
„Das ist es eben nicht. Es ist solange nicht vorbei, bis Frodo den Ring in den Abgrund des Schicksalsberges geworfen hat. Die Menschen hier wägen sich in Sicherheit, weil die große Schlacht vorbei ist. Aber das dies nur ein Vorbote dessen war, was noch auf sie zukommt, wenn Frodo versagt, das erahnen sie nicht."
„Was können wir denn machen außer abwarten? Wir haben etliche Männer verloren. Alleine von Rohans Heer ist höchstens die Hälfte am Leben geblieben. Viele der Hauptmänner sind gefallen."
Ein junger Mann betrat den Raum und nickte Éomer und Élwen zu.
„Mein Herr, meine Herrin, ihr werdet zu einer Beratung im Thronsaal erwartet."
„Aber die Streitmacht, die noch da ist, muss doch reichen, um Frodo zu helfen. Er ist ein kleiner Hobbit in Mordor, der sich Sauron immer mehr nähert, jede Hilfe würde ihn weiter bringen.", sagte Élwen auf dem Weg zur Versammlung.
„Sie hat Recht, Éomer", mischte sich Aragorn ein, als sie den Thronsaal betraten und auf die anderen trafen. Élwen lächelte Legolas, Aragorn und Gimli an, die sie seit Dunharg nicht mehr gesehen hatte, doch Zeit für Begrüßungen würde später sein.
Aragorn fuhr fort: „ Gandalf, wenn Frodo tot wäre, wüssten wir das und solange er es nicht ist, müssen wir ihm helfen."
„Wie?", fragte Gimli misstrauisch, der auf dem Sitz des Statthalters saß und rauchte.
Aragorn drehte sich Gandalf zu.
„Wir locken seine Armee aus Mordor. Wir sammeln unser Heer und marschieren zum Schwarzen Tor."
Gimli fing fürchterlich an zu husten, während der Rest Aragorn anstarrte.
„ Wir können keinen Sieg damit erreichen.", sagte Éomer.
„Nicht für uns, aber wir schaffen Frodo mehr Raum, wenn wir Saurons Auge auf uns ziehen..."
„Eine Ablenkung.", fasste es Legolas in Worte.
„Sauron wird die Falle aufdecken.", erwiderte Gandalf.
Gimli meldete sich wieder zu Wort.
„Sicherheit zu sterben, wenig Chancen auf Erfolg, worauf warten wir noch?"
„Mag sein, dass Sauron die Täuschung aufdeckt, doch trotzdem wird er nicht einfach ein Heer in Mordor einziehen lassen, Gandalf", Élwen trat auf ihn zu, „ Frodo und Sam hätten damit ein Problem weniger auf ihrem Weg zum Berg."
Alle warteten gespannt auf Gandalfs Reaktion, als er endlich nickte.
„Ja, das wäre womöglich wirklich das Beste, was wir tun können. Sammeln wir die Krieger zusammen und machen wir uns bereit."
