Es war ein stolzer Anblick, den die Kolonne bot, welche Minas Tirith am nächsten Tag verließ. Beide Königreiche, Gondor und Rohan, waren in diesem Heer vereint, angeführt von Aragorn, der seiner Rolle entsprechend die Rüstung des Königs trug. Die Banner flatterten an der Spitze des Trupps im Wind.
Es wäre ein hoffnungsvoller Anblick gewesen, wenn man nicht wusste, dass diese, durch die zurückliegende Schlacht stark geschwächte, Armee gegen die gesamte Streitmacht Mordors in den Kampf zog und das ohne Aussichten auf Rückkehr, nur um zwei Hobbits zu Hilfe zu eilen, um ihnen ein winziges Stück ihrer Last abzunehmen. Und mein Vater hat gesagt, in Menschen würde keine Stärke mehr zu finden sein, dachte Élwen, als sie zwischen Éomer und Merry ritt und die Kraft der Krieger hinter sich spürte.
Sie betrachtete Merry, der links neben ihr auf seinem Pony ritt. Er hatte sich schneller als Éowyn und Faramir erholt und hatte sich nicht abbringen lassen, mitzureiten. Nun trieb er mit Eifer das kleine Pferd an, welches Éomer ihm geschenkt hatte.
Der Rohirrim zu ihrer Rechten wirkte gefasst und ernst, doch sie wusste, dass auch er wie viele andere am liebsten sein Pferd gedreht und zurückgekehrt wäre. Als Krieger, der sein Leben lang sein Land verteidigen musste, bereitete es ihm Unmut, in eine aussichtslose Schlacht zu ziehen, die nur als Ablenkung diente. Doch anders als Théoden besaß er die Weitsicht, zu verstehen, warum sie diesen Schritt taten und das es notwendig war, und die Menschenkenntnis, die ihn treu zu Aragorn stehen ließ, weil er zu den Werten stand, die auch für Éomer wichtig waren: Loyalität, Mitgefühl, Mut, Freundschaft und Liebe. Und dafür liebte sie ihn so sehr. Weil er auf die Ehrlichkeit seines Herzens hörte.
Wie gern hätte sie ihm das gesagt, doch der zeitpunkt war vorbei, nun ritten sie zum Morannon, wo sie auf das Heer Mordors treffen würde, das um das Vielfache größer war als das ihrige und ihnen den Tod bringen würde. Élwen glaubte nicht, dass sie den Moment noch erleben würde, wenn Frodo und Sam den Schicksalsberg erreichten, wenn sie überhaupt so weit kamen.
Sauron... Allein der Gedanke ließ alles in ihr aufschreien. Er war wie ein gesichtsloser Schatten, der durch sie kroch, sich um ihr Herz schloss und sie daran erinnerte, was sie durch den Palantir gesehen hatte. Das Auge drängte sich vor ihre Augen, es zwang sie, es anzublicken und sie wusste, zu was es in der Lage war. Sie wünschte sich, glauben zu können, dass die beiden Hobbits eine Chance hätten, doch tief in ihrem Inneren verdunkelte sich die Hoffnung sichtbar, bis sie sich an die Brust greifen musste, um sich zu versichern, dass nicht eine eiskalte Hand sich darum gewickelt hatte.
Das Schwarze Tor Mordors erhob sich vor ihren Augen, drohend ragte es in den Himmel, jedem Verhängnis versprechend, der es wagen würde, sich ihm zu nähern.
Als sie Stellung bezogen hatten, ritten Élwen, Éomer, Legolas und Gimli, Gandalf und Aragorn näher an das Tor. Brego tänzelte vor der undurchdringlichen Wand.
„Wir fordern den Herrn des Schwarzen Landes auf, herauszukommen!", rief Aragon zu den Zinnen hinauf. Einen Augenblick später dröhnte es und das Tor begann, sich zu bewegen. Sie ritten zu ihrem Heer zurück und warteten ab. Mit erstaunlicher Geschwindigkeit schwang das riesige Morannon auf. Ihnen stockte der Atem, als die schwarze Armme hervortrat, doch was sie um einiges mehr gefrieren ließ, war der freie Blick auf Mordor, der hinter den Orks frei wurde. Und der Turm, Bârad- Dûr, auf dem am höchsten Punkt das flammende Auge ruhte. Nachdem sie den Schrecken verwunden hatten, wurde ihnen gewiss, dass Sauron sie lange erwartete hatte und vorbereitet war. Denn zu ihrer Rechten und zu ihrer Linken näherten sich auch Orkeinheiten, die in den Bergen auf ein Signal gewartet hatten und sie nun vollständig einkreisten.
Nach ein paar Minuten kamen sie zur Ruhe und es herrschte Stille. Sie warteten nur noch auf den Befehl Aragorns, von ihren Pferden waren sie abgestiegen, um Auge in Auge dem Feind gegenüber zu treten. Aragorn wendete sein Pferd und ritt die Reihen ab.
„Söhne Gondors und Rohans. Meine Brüder!", rief er.
„In euren Augen sehe ich dieselbe Angst, die auch mich verzagen lassen würde. Ein Tag mag kommen, an dem der Mut der Menschen versiegt..."
Élwen spürte einen Blick auf ihr ruhen, und drehte den Kopf. Éomer stand neben ihr und sah sie nachdenklich an.
„Éomer...?", flüsterte sie fragend.
„An diesem Tage kämpfen wir!"
Er atmete ruhig ein.
„Ich hätte dich zu meiner Königin gemacht."
„Ich weiß,..."Ein bitteres Gefühl stieg in ihr auf, als sie in seine Augen sah. Ein Gesicht bildete sich vor ihrer Sicht, das Bild eines Kindes mit hellen Locken und dem braun- grün seiner Augen. Eine Sekunde später war es wieder verschwunden und sie lächelte ihn traurig an.
„Ich weiß."
Sie sah Aragorn vor dem Heer stehen, wie in Starre, doch bevor sie sich darüber wundern konnte, drehte er sich um. Tränen standen in seinen Augen und er sprach leise. Aber sie brauchten ihn nicht zu hören, um zu wissen, was er sagte.
„Für Frodo."
Sie hoben ihre Schwerter und stürmten los. So traf das Heer des Westens auf die Armee Mordors.
Von allen Seiten ströment die Feinde und trotz, oder gerade wegen der Aussicht auf den Tod kämpften sie erbitterter denn je. Schwerter klirrten und Blut tropfte. Schreie hallten wieder, Orks fielen zahlreich, doch ihre Quellen versiegten nicht und auch Menschen starben nicht wenige. Die Geschicklichkeit der Krieger war gefragt, da sie, anders als auf dem Pelennor, dicht beieinander gedrängt wurden und nicht viel Armfreiheit besaßen.
Ein schriller, markerschütternder Schrei kündigte die Ankunft der Nazgûl an. Élwen brauchte nicht den Kopf zu heben, um die Kreaturen zu sehen. Doch im selben Moment hörte sie ein bekanntes Kreischen.
„Die Adler! Die Adler kommen!", schrie jemand aus der Menge.
Schnell waren die schwarzen Reiter erledigt, doch damit war die Gefahr nicht beseitigt. Élwen erhaschte einen Blick nach Mordor und ihr entfuhr ein Aufschrei.
Lange hatten sie bereits gekämpft, länger als auf dem Pelennor, doch die dunklen Untertanen Saurons strömten weiterhin unablässig aus dem Land.
„Aragorn!"
Sie drehte den Kopf in die Richtung, aus der Schrei drang, doch sie kam nicht zu dem Anblick Aragorns, auf dem Boden liegend, von einem Troll beäugt, da ein furchtbarer Schmerz ihre Schulter durchbohrte. Sie schrie und stieß den Ork, der ihr sein Schwert durch das Fleisch gerammt hatte, mit aller Kraft von sich. Die Klinge steckte tief in ihrer Schulter und Élwen sackte zu Boden.
Jemand schrie ihren Namen, doch sie konnte ihn nicht erkennen. Der Schmerz verklärte ihren Blick und sie musste sich konzentrieren. Den Griff des Schwertes mit den Händen umklammernd, holte sie tief Luft und zog es mit einem Ruck aus dem Fleisch. Qualvolle Schmerzen durchzuckten sie und Blut schoss aus der Wunde. Sie drückte die Hände darauf, die nun stark zitterten.
Plötzlich erschütterte ein Beben die Erde, auf der sie saß und einen Moment lang konnte sie durch den Schleier in ihren Augen in der Ferne sehen, wie etwas Rotes in Mordor aus einer beachtlichen Höhe fiel. Er hat es geschafft..., dachte sie benommen. Ein großer Mann berührte sie und sie hob die Hand. Starke Arme umschlossen sie und sie spürte lange, weiche Haare unter ihren Fingern und sah die dunklen Haare eines Bartes. Élwen lächelte schwach, doch dann wurde ihr schwarz vor Augen....
