Die Sonne stand bereits hoch an dem Tag der Krönung Aragorns. Der Morgen war früh angebrochen und die Aufregung ließ kaum jemanden lange schlafen. Es war ein wunderbarer Tag, schöner hätte er zur Begrüßung des neuen Königs nicht sein können. Noch immer konnte Élwen nicht glauben, wie viel Glück ein Volk doch ausstrahlen kann. Und dazu sind nur Menschen in der Lage, dachte sie, als sie am Fensterbogen ihres Gemachs stand und die über den Hof eilenden Gondorianer beobachtete. Der Platz war übersät mit Flaggen aller vereinigten Länder Mittelerdes, durch die ein sanfter Wind wehte. Sie hörte, wie auf den Gängen Stimmen lauter wurden und wieder verstummten, wenn das Personal ihre Tür passierten.
Eine elbische Zofe aus Bruchtal hatte sie geweckt, um ihr beim ankleiden zu helfen und breitete jetzt verschiedene Kleider auf dem Bett aus. Als sie damit fertig war, ging sie zur Seite, um Élwen die Wahl zu lassen.
„Danke, Arcalimé, du kannst jetzt gehen."
Die Frau mit dem langen, flachsblonden Haar wirkte verwirrt.
„Aber.. meine Herrin, Herr Elrond hat mir gesagt, ich solle euch zur Hand gehen, wegen eurer Schulter..."
Élwen fuhr mit der Hand über den Verband, der nur noch einlagig auf ihrer Haut weilte. Sieben Tage hatte ihre Verletzung nun Zeit zu heilen gehabt und sie verspürte nur noch ein dumpfes Ziehen, wenn sie den Arm hob.
„Ich werde keine Probleme beim Anziehen haben, komm später noch einmal um mir die Haare zu machen, aber geh nun bitte..."
Die Zofe verbeugte sich elegant und verließ den Raum. Als Élwen die Tür ins Schloss fallen hörte, wandte sie sich wieder seufzend den Kleidern auf ihrem Bett zu. Vor ihr lagen drei maßgeschneiderte, bezaubernde Stücke aus Bruchtal, die nur zu diesem Anlass angefertigt worden waren. Alle waren in zarten Pastelltönen gehalten, eines in einem hellen Grün, ein anderes in Gold und ein drittes Silbernes. Die Kleider bestanden aus weichem, fließendem Stoff , der reich verziert war und zu jedem gehörte eine leichte Schleppe und das passende Diadem. Élwen war sich sicher, dass sie in jedem gut aussehen würde, etwas anderes hätte ihr Vater nicht zugelassen.
Neben ihr stand ein hoher Spiegel, in dem sie sich betrachtete. Das letzte Mal, dass sie sich Gedanken um ihr Aussehen machen musste, war in Edoras gewesen und damals war ihr Éowyn zur Hilfe geeilt. Doch jene war nun selber damit beschäftigt, etwas passendes zu finden, dass zu der Rüstung ihres zukünftigen Gemahls passen würde. In den Tagen ihrer Genesung hatte Éowyn Faramir kennengelernt und es war das geschehen, womit niemand von ihnen gerechnet hätte: Sie hatten sich ineinander verliebt. Nun würde Éowyn als Fürstin von Ithilien an Faramirs Seite regieren und hatte ihre eigene gondorianische Zofe. Élwen musste bei dem Gedanken lächeln, dass diese sie wohl im Moment auch zum Anziehen drängen würde. Wieder fiel ihr Blick zur Seite auf ihr Spiegelbild, dass ihr klar machte, dass sie sich eilen sollte. Sie hatte immer noch ein einfaches grünes Tageskleid mit ausgestellten Ärmeln an und wenn sie die Krönung nicht verpassen wollte, musste sie bald eine Entscheidung treffen.
Es klopfte an der Tür.
„Tritt ein!", rief sie in dem Glauben, dass Acalimé wieder gekommen wäre.
Sie stand mit dem Rücken zur Tür und als diese sich öffnete, stieß sie einen weiteren Seufzer aus.
„Es tut mir leid, Acalimé, aber ich kann mich einfach nicht...", sie brach ab, als sie sich noch beim Reden umdrehte und erkannte, dass Éomer es war, der nun in ihrem Gemach stand.
„...entscheiden.", brachte sie noch hervor. Der Rohirrim war anscheinend früher aufgestanden als sie, denn er stand bereits in seiner zeremoniellen Tracht vor ihr. Sie musterte ihn eindringlich, denn noch nie hatte sie ihn so feierlich gesehen. Als letzter Rest des Kriegers war nur der Brustpanzer übrig geblieben, den er über einer langen, dunkelgrünen Tunika mit goldenen Verzierungen trug. Genauso sah auch der königliche Umhang aus, der ihm über den Schultern lag. Sein blondes und ordentlich gekämmtes Haar glänzte im Sonnenlicht.
„Ich dachte schon, dieser gutaussehende Mann würde sich auf ewig hinter der Rüstung verstecken...", sagte sie endlich mit einem Lachen. „...Und ich habe dich beinahe für meine Zofe gehalten."
Éomer war es offenbar unangenehm, ein Kompliment bekommen zu haben, er räusperte sich und deutete auf die Kleider.
„Den ganzen Tag verbeugen sich schon Leute vor mir, die mich in meiner schmutzigen Rüstung nicht mal eines Blickes gewürdigt haben. Ein ungewohntes Gefühl, das Schwert nur zur Zierde bei sich zu tragen. Was ist mit dir, solltest du nicht auch längst in einem dieser Kleider sein?"
Sie drehte sich wieder dem Bett zu, als sie sich ihrer schweren Aufgabe erneut bewusst wurde.
„Natürlich sollte ich. Leider finden nicht täglich Krönungen statt, so dass die Wahl sehr schwer fällt."
„Vielleicht... kann ich dir bei der Entscheidung helfen..."
Als sie sich wegen seiner Bemerkung umdrehte, bemerkte sie erst, dass er ein zusammen geschnürtes Bündel in den Händen hielt, dass er jetzt hoch hielt. Sie nahm es entgegen und sah ihn fragend an, doch er deutete ihr nur, es auszupacken. So legte sie es auf ihr Bett und schnürte den weichen Faden auf. Nachdem sie den überdeckenden Stoff beiseite geschoben hatte, stockte ihr der Atem. Zum Vorschein kam ein Kleid im festlichen Stil Rohans. Es war ein weinrotes Meisterwerk, der Ausschnitt ging in einer Geraden von einer Schulter zur anderen und hatte am Rand prunkvolle goldene Verzierungen. Der feste Stoff ging an den Ellbogen in einen leichten, mehrlagigen über, der ausgestellte Arme bildete. Auch der Rock bestand aus diesem Stoff, den man beim gehen hinter sich herzog. Darüber lag von der Hüfte bis zu den Knien der feste, aber weiche Stoff, der sich nach vorne öffnete. Um die Hüfte lag eine breite Borte, ebenfalls mit den goldenen Verzierungen, die sich über die Ränder der Ärmel und Säume zogen und Élwen bekannt vorkamen. Es waren die gleichen, die sich auch auf Éomers Robe wiederfanden. In dem Bündel lag noch ein dunkelgrüner Umhang, der ebenfalls dem glich, den Éomer trug.
Langsam drehte sich Élwen um. Éomers Gesicht war ernst, nur der Anflug eines Lächelns zeichnete sich ab.
„Das... das ist... das ist.. ich bin sprachlos. Es ist wunderschön...", stammelte sie, doch Éomer blieb stumm und zog stattdessen ein weiteres, rundes Bündel hervor. Dieses wickelte er selber auf und Élwens Mund blieb offen stehen, als er ihr einen schmalen goldenen Stirnreif entgegen hielt, der die Symbole Rohans reliefartig trug. Sie wusste nicht, was sie sagen sollte, doch Éomer gebot ihr zu schweigen, als zu einem erneuten Stotterversuch ansetzte.
Er legte den kostbaren Reif auf den Umhang und nahm ihre Hände.
„Wie dir bestimmt schon aufgefallen ist, sind die Verzierungen auf dem Kleid die gleichen wie jene meiner Kleidung und dies gilt auch für den Umhang. Das ist keinesfalls ein Zufall. Das, was ich trage ist die königliche Garderobe für Zeremonien und dieses Kleid...", er deutete mit einem Nicken auf das Stück, „ wurde für meine Begleiterin passend dazu angefertigt."
Aus Élwens Auge löste sich eine vereinzelte Träne, als er ihre Hände zu seinen Lippen hob und sie küsste.
„Am Morannon sagte ich dir, dass ich dich zu meiner Königin gemacht hätte. Zu jenem Zeitpunkt dachte ich, wir würden die Zeiten des Friedens nicht mehr erleben, doch jetzt ist Sauron gefallen und ich bin durch den Tod meines Onkels König von Rohan. Noch trage ich keine Krone, doch dies ist nur ein zeremonieller Akt und so werde ich auch als König Aragorn begegnen, wenn er gekrönt wird. Mit dem Gedanken, König zu sein, habe ich mich beiweilen noch nicht angefreundet, aber ich hoffte, du würdest mir dabei behilflich sein... Élwen...", er betrachtete kurz ihre Hände, holte jedoch gleich wieder Luft und schaute ihr tief in die Augen.
„Gestern Abend habe ich mit deinem Vater gesprochen und ihn um deine Hand gebeten. Er hat zugestimmt und so frage ich jetzt dich.", er machte eine bedeutungsschwere Pause, in der Élwens Herz vor Ungeduld beinahe geplatzt wäre.
„Ich liebe dich mehr als alles andere und so frage ich dich, Élwen von Bruchtal, wirst du bei der Krönung an meiner Seite stehen? Willst du dich mit mir vermählen und meine Königin werden?"
Endlich stieß sie die Luft aus, die sie während seinen letzten Sätzen angehalten hatte und antwortete ihm in einer Mischung aus lachen und weinen.
„Ja, ja, das will ich..."Als ob ihm ein Stein vom Herzen fallen würde, breitete sich ein Lachen auf Éomers Gesicht aus und vertrieb die Ernsthaftigkeit. Élwen schlang ihm die Arme um den Hals und küsste ihn leidenschaftlich. Erst nach einer Weile legte sie ihren Kopf an seine Schulter ließ ihren Tränen freien Lauf. Éomer drückte sie an sich, küsste und streichelte ihre Haare, als ob er sie trösten müsste, doch diese Tränen waren, das wusste er ,bei Eru, Freudentränen.
