Nach einer halben Stunde, die hektischer nicht hätte sein können, stand Élwen vor ihrem Spiegel und erkannte sich nicht wieder. Kein Kleid hätte ihr besser stehen können, als das wunderschöne weinrote Gewand, dass sich an ihren Körper schmiegte wie eine zweite Haut. Anders als bei Éomer wurde ihr Umhang nur an der Schulter festgemacht und fiel nach hinten. Ihre Haare hatte sie mithilfe Arcalimés, die nun hinter ihr stand, hochgesteckt und der goldene Reif ruhte auf ihrer Stirn. Langsam drehte sie sich im Kreis, sogar ihre Zofe, die elbischer Schönheit in Bruchtal jeden Tag begegnete, hielt den Atem an.
„Nun seht ihr wahrlich wie eine Königin aus, meine Herrin. Ich kann mich nicht entscheiden, ob ihr besser als elbische oder als menschliche Hoheit ausseht."
Élwen musterte die Erscheinung, die sie bot.
„Beides.", flüsterte sie.
Ein ungeduldiges Klopfen an der Tür brachte beide aus ihren Gedanken. Arcalimé eilte, um sie zu öffnen und verbeugte sich tief, da Éomer draußen stand.
„Seid gegrüßt, ist die Herrin Élwen bereit? Wir müssen los...", seine Stimme wurde leiser und leiser, als er Élwen erblickte, die sich stolz vor ihm drehte.
„Wie sehe ich aus? Sag doch etwas...", forderte sie ungeduldig.
„Du siehst atemberaubend aus, einfach wunderschön, fantastisch."
Vor Freude strahlend, hob sie ihre Röcke und lief zu ihm um ihn zu küssen.
Als sie ihn wieder losließ, wollte sie seinen Arm nehmen. Doch er gab ihr nur einen Handkuss, ließ ihre Finger so in seiner Hand und hob ihren Arm ein wenig.
„Auf diese Art betreten König und Königin einen Raum und nicht anders.", erklärte er ihr mit einem Schmunzeln.
„So sieht jeder, um wen es sich bei dir handelt, wenn du nur meinen Arm nimmst, könnten das einige falsch verstehen, vor allem, da wir unser Bündnis noch nicht offiziell erklärt haben, doch so bleiben keine Zweifel offen."
„Du hast Recht , es wird schon genug Geraune geben, wenn erneut eine elbische Prinzessin an der Seite eines menschlichen Herrschers steht..."
Sie wollte losgehen, doch er blieb stehen und schaute sie ernst an.
„Und du bist dir ganz sicher, dass du das willst?", fragte er.
Sie legte ihm eine Hand auf die Wange und fuhr mit den Fingern von der Stirn zu seinem Bart.
„Mit ganzem Herzen.", ein letztes Mal küsste er sie sanft, bis sie sich schließlich auf den Weg machten.
Am Ende des Ganges wartete ihr zeremonielles Gefolge, dass sich vor ihrer zukünftigen Königin verbeugte.
„Daran werde ich mich noch gewöhnen müssen.", bemerkte sie leise.
„Jetzt siehst du, wie es mir die ganze Zeit schon ergeht..", flüsterte er ihr ins Ohr.
Als sie den Platz vor dem Thronsaal betraten, gab es kaum jemanden, der nicht auf sie aufmerksam wurde. Doch die erste, die auf sie zustürmte, war Éowyn, dicht gefolgt von Faramir, der jedoch einen mehr angemessenen Schritt bevorzugte.
Éowyn umarmte erst Élwen und dann ihren Bruder.
„Lasst mich die erste sein, die euch gratuliert. Ich hoffe, ich bin nicht zu spät?"
Élwen schaute Éomer an, doch der überließ ihr die Antwort.
„Nein, außer meiner Zofe bist du die erste.", Élwens Blick fiel auf Faramir, den sie erst vor zwei Tagen kennengelernt hatte. Sie hatten sich lange über seinen Vater und die Ereignisse unterhalten und Élwen war froh, dass er den Edelmut besaß, über den Denethor nicht verfügt hatte.
Nun näherten sich auch andere Bekannte ihrer Gruppe. Die Hobbits gratulierten ebenfalls Élwen und Éomer, besonders Merry, der Rohan nun selbst schon als seine zweite Heimat bezeichnete, freute sich für sie.
Der Platz war bereits gefüllt mit den Einwohnern Minas Tirith und anderer gondorianischer Städte. Fröhliche Stimmen erfüllten den Tag, doch nicht nur Menschen waren dort versammelt. Élwen sah ihren Vater bei Galadriel und Celeborn stehen und zog Éomer dorthin.
Ihrem Vater standen die Tränen in den Augen, als er sie in ihrem Kleid sah und drückte sie fest an sich.
„Ich bin gesegnet mit zwei so wunderbaren Töchtern."
Éomer fühlte sich sichtlich unwohl in dieser hohen Gesellschaft und Élwen nahm wieder seine Hand. Galadriel hatte sie erst mit jenem rätselhaften Blick gemustert, dann legte sie eine Hand auf Élwens Wange und ihre Stimme ertönte langsam und melodisch.
„Elbische Maid in Tracht Rohans...", wiederholte sie jene Worte, die sie Élwen vor langer Zeit in Lothlórien gesagt hatte. Erst jetzt erinnerte sich jene und blickte erstaunt den Mann an ihrer Seite an. Der war ebenso verwirrt, doch sie winkte ab.
„Das erklär ich dir später."
Nachdem auch Legolas und Gimli ihre Glückwünsche bekundet hatten, kam ein älterer Mann mit einer jungen Frau am Arm auf sie zu. Élwen konnte die beiden nicht zuordnen, beide hatten dunkle Haare, doch haftete ihnen etwas an, bei dem sie sich unsicher war, ob es elbischer oder menschlicher Natur war. Doch Éomer kam ihr zur Hilfe.
„Élwen, darf ich dir vorstellen, Prinz Imrahil von Dol Amroth und seine Tochter, Prinzessin Lothiriel. Imrahil, meine zukünftige Gemahlin und Königin, Élwen von Bruchtal, Tochter des Herrn Elrond."Während sich die junge Frau nur kühl verneigte, schenkte der Prinz Élwen ein warmes Lächeln.
„ Es ist mir eine Freude, euch kennenzulernen. Éomer hat mir schon viel von euch erzählt."
Élwen merkte, wie sie errötete.
„Ohne Imrahil und seine Schwanenritter hätten wir die Schlacht auf dem Pelennor wahrscheinlich verloren. Er war auch am Morannon.", klärte Éomer sie auf.
„Oh, es tut mir leid, mein Herr, dass ich euch nicht gleich erkannt habe, verzeiht mir."
„Es gibt nichts zu verzeihen, König Éomer und ich sind schon vor der Schlacht sehr gute Freunde gewesen und so freue ich mich, die Frau seines Herzens endlich zu treffen."Zwar bemerkte Élwen das leichte Zusammenzucken Éomers bei der Bezeichnung "König", doch lenkte sie der sehnsüchtige Blick der Tochter des Prinzen ab, der auf Éomer fixiert war.
„Doch die Feierlichkeit geht gleich los, so bitte ich euch, mich zu entschuldigen, ich hoffe, das wir hinterher noch die Zeit finden, miteinander zu reden, ich denke, dass wir uns gut verstehen werden...", fügte Imrahil mit einem Zwinkern hinzu, verneigte sich kurz und verließ sie dann mit seiner Tochter am Arm, die sich wieder nur kühl verbeugt hatte. Élwen schaute den beiden nach und Éomer bemerkte ihre Verwunderung.
„In der königlichen Linie von Dol Amroth fließt elbisches Blut. Man sieht es ihnen an, nicht wahr?"
„Oh, ich hatte schon etwas in der Art vermutet. Diese Prinzessin ist sehr schön."
„Ja, das ist sie, sie ist genauso schön wie kalt, ich habe sie nach der Schlacht am Pelennor erst kennengelernt und sie ist keine warmherzige Person, obwohl Imrahil sie mir beinahe schon als Frau versprochen hatte...", die letzten Worte brachte er nur zögernd hervor.
„Du wolltest sie heiraten?", fragte Élwen erstaunt.
Er legte ihr beruhigend eine Hand auf die Wange und küsste sie kurz auf die Stirn.
„Ich sollte sie heiraten. Von wollen konnte gar keine Rede sein. Imrahil hatte sich mit meinem Onkel unterhalten und obwohl es nicht offiziell war, glaube ich, dass sich die Prinzessin auch Hoffnungen gemacht hatte. Doch dann kam alles anders, als erst dieser Grima und dann du in mein Leben getreten bist...", wieder küsste er sie beruhigend und diesmal entspannte sie sich.
„Imrahil ist wirklich ein sehr guter Freund und er konnte mich verstehen, als ich ihm von dir erzählte. Ich denke... ich denke, er hätte manchmal lieber jemanden wie dich zur Tochter, als Lothiriel. Ich weiß, das sind harte Worte, aber die Prinzessin ist eine herzlose Person, die sich nur zu gern bedienen lässt. Ich wäre bei ihr nie sicher gewesen, ob sie mich oder nur den... König will."
Sie waren nun an ihrem Platz angekommen, von dem sie aus Zeugen der Krönung sein würden. Als zweitgrößtes Königreich nach Gondor lag jener unmittelbar vor den Stufen der großen Königshalle Minas Tiriths. Doch Élwen konnte nicht die Augen von der Prinzessin abwenden, welche zwischendurch verstohlen Éomer beobachtete. Als sich Élwens Blick mit dem der jungen Frau traf, flackerte bei Lothiriel eine unverfrorene Abneigung auf, die Élwen erschreckte. Doch was Élwen empfand war pures Mitleid, denn eine Sekunde zuvor, waren die Augen dieser Frau von etwas erfüllt gewesen, dass sie an Haldir erinnert hatte: unerwiderte Liebe.
Ein Druck auf ihrer Hüfte riss sie aus ihren Gedanken. Éomer suchte ihren Blick und deutete kaum merklich auf die gegenüberliegende Seite des Ganges, auf der hinter Faramir und Éowyn Einwohner Minas Tiriths sie beobachteten und einige Frauen miteinander tuschelten.
Doch als Élwen sich auf ihre elbischen Ohren konzentrierte, vernahm sie kein Gezänke, sondern liebevolle und anerkennende Worte. Ihr fiel ein Stein vom Herzen und der Mann an ihrer Seite spürte ihre Erleichterung. Seine Lippen verzogen sich zu einem Lächeln, als plötzlich Fanfaren ertönten und den Beginn der Zeremonie einläuteten. Weitere Bläser fielen in die Melodie ein und mit einem Mal öffneten sich die großen Tore der Zitadelle. Heraus traten Aragorn und Arwen, Hand in Hand, ein feierliches Abbild der Schönheit, die sich im kommenden vierten Zeitalter über das Land und ganz Mittelerde erstrecken würde.
Auf der dritten Stufe blieben sie stehen. Gandalf schritt eine Stufe über ihnen in die Mitte der Treppe, während Arwen zur Seite trat. Aragorn drehte sich zu Gandalf um, der die Arme ausstreckte. Der Jubel in der Menge verstummte, als er zum Reden ansetzte.
„Volk des Westens, ich präsentiere euch Aragorn, Sohn des Arathorns und rechtmäßiger Erbe des Thrones von Gondor."Aragorn kniete vor ihm nieder.
Gimli näherte sich mit einem Kissen, auf dem die geflügelte Krone Gondors ruhte. Gandalf hob sie feierlich hoch und ließ sie langsam auf Aragorns Haupt sinken.
„Nun beginnen die Tage des Königs. Mögen sie gesegnet sein."
Die Menschen bejubelten ihren neuen König, während sich dieser umdrehte.
„Dieser Tag gehört nicht einem Menschen, sondern allen. Lasst uns diese Welt wiederaufbauen, die wir in den Tagen des Friedens teilen werden."
Nachdem die Menge applaudierte, wurde es plötzlich still, als Aragorn die lang vergessene Ode des Königs zu singen begann.
Élwen tat leise einen Schritt näher zu Éomer, um ihren Kopf an seine Schulter zu legen. Er ließ es geschehen und küsste ihre Handfläche.
Als Aragorn mit Arwen an der Hand die Treppe hinunter stieg, verbeugten sich die Abgesandten der verschiedenen Länder, wenn er an ihnen vorbeikam. Éomer nahm Élwen bei der Hand. Seine Nähe beruhigte sie, da sie seit längerer Zeit keinen Knicks mehr tätigen brauchte. Doch es war ihre erste, wenn auch nicht bedeutende, Handlung als zukünftige Königin von Rohan, als sie vor Aragorn und Arwen leicht in die Knie ging. Nachdem sie sich wieder erhoben hatte, lächelte ihre Schwester glücklich. Sie hatten sich beide auf den Weg gemacht und ihr Glück mit einem Menschen gefunden, trotz ihrer Trennung durch die Heirat, würden sie auf ewig verbunden bleiben.
Das Paar ging weiter und Élwen sah zu Éomer auf, der sie nachdenklich betrachtete. Er wusste, was sie dachte, dessen war sie sich plötzlich bewusst und verwundert, wie schnell sie eine solch enge Bindung zu einem Mann aufbauen konnte. Er lehnte sich zu ihr und küsste sie trotz des offiziellen Anlasses auf den Mund, bevor sie dem Königspaar folgten.
