Gandalf stand auf und ließ sie wieder alleine mit ihren Gedanken. Sie fühlte eine Hand an der Schulter und die wohlige Wärme breitete sich in ihr aus, die sie jedes Mal ausfüllte, wenn Éomer sie berührte.
Seine Augen waren besorgt, als er ihrer feuchten Wangen gewahr wurde. Er setzte sich zu ihr und wischte eine Träne weg.
„Was ist geschehen, Élwen?"
Sie seufzte und holte tief Luft. Dann lächelte sie ihn unbekümmert an.
„Nichts, was heute von Bedeutung wäre. Wir haben genug Zeit, um zu reden, aber jetzt ist ein Moment, um zu lachen. Komm, ich habe zulange gesessen."Sie nahm Éomers Arm, als sie aufgestanden war.
„Erinnerst du dich an den Abend in Edoras, als wir miteinander tanzten?"Er führte sie zur Tanzfläche und blieb dann stehen.
„Natürlich weiß ich das noch.", sie legte eine Hand auf seine Schulter und ließ sich näher an ihn heran ziehen. Doch plötzlich grinste er verschwörerisch an.
„Dann kannst du dich sicher noch an unsere Tänze erinnern.", fügte er noch schnell hinzu und bevor sie protestieren konnte, drehten sie sich auch schon im Kreis, dass sie fürchtete, ihre Haare würden sich lösen.
„Mir ist gleichgültig, was die Leute über deine Haare denken. Du bist wunderschön, wie du bist. Und jetzt möchte ich mit meiner Königin feiern.", antwortete er, als sie ihm lachend ihre Bedenken mitteilte.
„Ach, in Edoras warst du der einzige, der mir kein Kompliment machte. Ein junger Mann hatte mir sogar den Hof gemacht, aber ich lehnte einen Tanz ab, nur um mich bei einem Rohirrim zu entschuldigen, der mich später zwar über die Tanzfläche wirbelte, aber kein Wort über mein Aussehen verlor.", trotz dem gespielten Vorwurf in ihrer Stimme, wurde sein Gesichtsausdruck ernster, fast träumerisch.
„Ich habe den ganzen Abend nicht die Augen von dir abwenden können... Mir ging die ganze Zeit die Frage durch den Kopf , warum du gerade in solch komplizierten Zeiten mir über den Weg laufen musst, wo ich mich auf andere Sachen konzentrieren musste, als die Frage, wie ich dir erkläre, was ich für dich empfinde..."Élwen lehnte sich an seine Schulter. Unter ihrer Hand fühlte sie sein Herz im Rhythmus mit ihrem schlagen und erinnerte sich an den Moment, wo dies nicht der Fall war.
„Wir hätten uns nicht später treffen können, denn dann...", sie hob den Kopf, um ihn anzusehen, „wären wir beide nicht mehr am Leben."Er nickte besinnlich und küsste sie zärtlich, während sie als einziges Pärchen zu der schnellen Musik langsam tanzten.
Später spazierten sie zu dem spitz zulaufendem Vorsprung der obersten Ebene Minas Tirith, von wo aus man die gesamte Stadt überblicken konnte. Die Nacht war warm, doch ein frischer Wind ließ Élwen frösteln. Éomer schlang von hinten die Arme um sie und hielt sie warm.
„Das Kälteempfinden hast du von deiner Mutter geerbt, nicht wahr?"
„Ja, es ist verwunderlich. Alles, was als Elbe vorteilhaft ist, blieb mir verwehrt. Anders als meine Familie habe ich schon immer im Winter gefroren, Schmerzen empfinde ich genauso wie ein Mensch. Bis vor kurzem habe ich Schlaf nicht unbedingt nötig gehabt, aber in der letzten Zeit werden meine Ruhephasen immer häufiger..."
„Besorgt dich das?"
„Nein...", Élwen sog die Nachtluft ein, „ ich habe erahnt, dass es so kommen würde, oder eher gesagt, ich konnte es mir denken."
Éomer stutzte.
„Meinst du, es ist ein Eingeständnis an deine menschliche Seite?"
Élwen drehte sich um und strich ihm durch das blonde Haar.
„Es tut mir leid, ich hätte dir schon früher alles erzählen sollen. Du weißt nur, dass ich mich für die Sterblichkeit entschieden habe, aber das ist nicht alles."
Er sah sie fragend an.
„Mein Vater Elrond und sein Bruder Elros waren die Söhne des Seefahrers Earendil und der Elbenfürstin Elwing und somit halbelbisch. Das heißt, sie konnten sich zwischen einem menschlichen und einem elbischen Leben entscheiden. Mein Vater wählte die Unsterblichkeit und Elros wurde zum Menschen und gründete die königliche Stammlinie, aus der auch Aragorn abstammt."
Sie legte Éomer eine Hand auf die Wange.
„Verstehst du, was ich dir damit sagen will? Ich bin ebenfalls Halbelbe und somit werde ich nicht nur wie ein Mensch sterben, sondern auch das Leben eines Menschen führen. Es ist nicht einfach, solche Vorgänge zu erklären, aber seit ein paar Tagen spüre ich, wie mir mein unsterbliches Erbe langsam entgleitet. Es wird nicht von heute auf morgen passieren, doch dein Volk.. unser Volk wird keine elbische Königin haben..."
Éomers Gesichtszüge waren unergründlich. Sie wusste nicht, ob er enttäuscht war und wollte sich zurückziehen, doch er hielt sie fest in seinen Armen.
„Warum hast du es mir nicht früher erzählt?", seine Stimme war weich und Élwen war erleichtert.
„Ich wollte dir keine Sorgen bereiten. Für niemanden ist es leicht, dieses Opfer aus Liebe zu akzeptieren..."
Als seine Finger ihre Wange berührten, hob sie das Gesicht.
„Und du hattest wirklich gedacht, ich würde es ablehnen?"
„Nein..", antwortete sie lächelnd und schüttelte den Kopf. Dann sank sie wieder an seine Brust. Gemeinsam betrachteten sie in Stille den Sternenhimmel.
„Deine Mutter kam auch aus Rohan. Weißt du etwas von ihrer Familie?"
„Nein, nichts, meinen Vater schmerzt es sehr, wenn er sich an sie erinnern muss. Nur vereinzelte Sachen sagte er mir. Sie hieß Steorra."
„Steorra? Das ist Rohirric für..."
„...Stern, ja. Sieh mich nicht so erstaunt an. Ich bin ein wenig älter als du und hatte viel Zeit, um Sprachen zu lernen."Sie hob ihren Kopf und betrachtete die strahlenden Punkte am Himmel.
„Als die Elben an einem See erwachten, war das erste, was sie erblickten, die Sterne. So entstand das erste elbische Wort, Êl. Mein Name ist davon abgeleitet. Elrond hatte mich nach meiner Mutter benannt..."
„Das ist romantischer als meine Namensgebung. Éomer bedeutet übersetzt heroisches Pferd.", sie lachten beide.
„Erzähl mir etwas von deinen Eltern.", forderte Élwen ihn mit einem Kuss auf.
„Meine Mutter Théodwyn war eine sehr fleißige Frau. Als sie meinen Vater heiratete, fand sie sich damit ab, zuhause zu bleiben, was nicht hieß, dass sie nicht regierte. Sie war von sehr dominantem Charakter und so stand Aldburg bald inoffiziell unter ihrer Regentschaft. Meinem Vater Éomund machte das nichts aus, denn sie war sehr weise und gerecht und er war als Marschall viel unterwegs. Trotzdem liebten sie sich abgöttisch, weswegen meine Mutter seinen Tod nicht verkraftete."Élwen merkte seine Traurigkeit.
„Ist Aldburg deine Heimat?", fragte sie leise um ihn abzulenken.
„Ja, es ist der Sitz des Marschalls der Ostmark. Aldburg ist nach Edoras die zweitgrößte Stadt der Riddermark und wunderschön. Sie liegt im Flachland und unser Haus war mittendrin. So hatten wir als Kinder immer viel Nähe zum Volk und lebten unbekümmert."
„Ich würde deine Heimatstadt gerne kennen lernen."
Er schloss seine Arme fester um sie.
„Das wirst du, Élwen. Ich werde dir ganz Rohan zeigen, so weit es unsere Pflichten zulassen."
„Das wäre wundervoll...", flüsterte sie und ließ sich von seiner Wärme einhüllen.
