Kapitel 38

Die Hochzeit von Aragorn und Arwen war vermutlich die schönste Veranstaltung, die die Menschen Minas Tiriths je erlebten. Am Morgen nach der Krönung fanden sich die Freunde in der Zitadelle wieder, in der die Zeremonie zur Vermählung stattfand. Anders als bei der Krönung standen nun die engsten Freunde des Paares in den vordersten Reihen, wie es der Brauch war.

Elrond stand der Stolz ins Gesicht geschrieben, als er seine Tochter den Mittelgang zu ihrem zukünftigen Gemahl führte. Arwen zog in ihrem wunderschönen weißen Kleid alle Blicke auf sich. Wie sollte es auch anders sein, dachte Élwen, als ihr Vater und ihre Schwester an ihr und Éomer vorbeikamen, die unmittelbar hinter Aragorn standen. Am Morgen hätte beinahe ein Drama stattgefunden, als Élwen wieder einmal ratlos vor ihrem Bett stand und nicht in der Lage war, ein Kleid auszuwählen. Schließlich hatte sie sich jedoch für ein elbisches entschieden, dass mit seinem hellen Gold trotzdem hervorragend zu Éomer passte. Die Haare hatte sie auf seinen Wunsch hin offen gelassen, weswegen ihre langen braunen Locken frei über den Rücken fielen. Nur ihre Position und der Reif auf ihrer Stirn erinnerten Unwissende an ihren Platz an der Seite des Königs von Rohan.

Während der Zeremonie, die von Gandalf abgehalten wurde, stiegen ihr Tränen in die Augen. Sie machte sich keine Mühe, sie wegzuwischen, denn wie sie in der letzten Zeit erfahren hatte, waren Tränen etwas Wundervolles, wenn sie aus dem Herzen kamen. Auch Arwens Augen waren feucht, denn dies war der schönste Augenblick ihres so langen Lebens. Wer hätte vor so langer Zeit, als Élwen noch in Bruchtal lebte, schon gedacht, welchen Ausgang alles haben würde. Gandalfs liebevolle Worte über Aragorn, Arwen, ihre schwere Vergangenheit und ihre Zukunft rührten nicht nur sie. Viele weinten, sie meinte sogar einen Tropfen in Gimlis Bart glitzern zu sehen.

Schließlich verband Gandalf die aufeinandergelegten Hände von Aragorn und Arwen mit einem silbernen Streifen, der das Bündnis zwischen ihnen symbolisieren sollte.

„König Elessar von Gondor und Königin Arwen von Gondor, von diesem Moment an besteht das Bündnis zwischen euch, dass aus Liebe geschmiedet wurde um in Ewigkeit zu dauern. Möge euer gemeinsames Leben erfüllt sein von Glück."

Diese abschließenden Worte von Gandalf war das Zeichen für Aragorn, ihre Vermählung mit einem Kuss zu besiegeln. Augenblicklich hallten Applaus und fröhliches Lachen in dem Saal wider. Gemahl und Gemahlin schritten nun Hand in Hand den Gang entlang und ließen sich von ihren Freunden gratulieren. Élwen spürte ein Gefühl von Endgültigkeit, als Arwen sie als Königin umarmte und drückte ihre Schwester fest an sich. Die Tränen liefen nun in Strömen, doch ihre Schwester schritt mit Aragorn zum Tor, dass sich eine Sekunde später weit öffnete und den Blick auf den mit Menschen gefüllten Platz freigab, denen sich das Königspaar nun präsentierte.

Élwen machte ihre Ärmel nass, als sie die Tränen mit dem Stoff trocknete. Doch von der Seite wurde ihr ein weißes Tuch gereicht und überrascht schaute sie Éomer an, dem keine einzige Träne in den Augen stand.

„Ich kenne dich doch...", erklärte er flüsternd mit einem Schulterzucken.

Bevor sie das Tuch nahm, gedachte sie ihren Liebsten mit einem innigen Kuss.

Die Feierlichkeiten gingen an diesem Tag natürlich weiter und schon bald stocherte Élwen lustlos auf ihrem Teller. Nach der meist spärlichen Kost in den Tagen ihrer langen Reise, konnte sie sich immer noch nicht mit dem Braten anfreunden. Das frisch vermählte Paar eröffnete die Tanzfläche und bald folgten ihnen die meisten anderen. Nach dem ersten Tanz fing Élwens Magen an zu rebellieren und sie bat Éomer mit seiner Schwester weiter zu tanzen. Nachdem sie ihm sagte, dass sie gleich wieder käme, suchte sie eine ruhige Ecke außerhalb der Zitadelle und holte ein paar mal tief Luft. Sie ärgerte sich über ihre Naivität. Sie hätte es besser wissen müssen, dass ihr das Fleisch nicht bekommen würde, dass sie Éomer zuliebe gegessen hatte.

Als sie sich wieder beruhigt hatte, sah sie im Mondschein eine schmale Person an dem Vorsprung stehen, von dem aus sie und Éomer die Nacht zuvor die Sterne beobachtet hatten.

Nach einigen Schritten wurde Élwen klar, dass es sich um die Prinzessin Lothiriel handelte und sie nicht nur herzzerreißend schluchzte, sondern sich auch gefährlich nahe am Abgrund befand. Zu nah, um sich unabsichtlich dort zu befinden.

„Prinzessin Lothiriel?"

Das Mädchen drehte sich erschrocken um, wandte aber gleich wieder das Gesicht ab.

„Kann ich euch behilflich sein? Habt ihr ein Problem?"

„Nicht mehr lange...", hörte sie Lothiriel flüstern.

„Lasst mich euch helfen. Ich kenne mich mit gebrochenen Herzen aus..."Die Prinzessin sah sie nun wieder an und Wut verwandelte ihr weiches Gesicht in harte Züge.

„Gar nichts wisst ihr. Ihr müsst nicht mit ansehen, wie der Mann, den ihr liebt, eine Frau küsst, die weder elbisch noch menschlich ist. Ein Halbblut, dass noch nicht mal königlich ist!", brach es aus ihr heraus.

Élwen schluckte die Beleidigung runter, in Angesicht der Verzweiflung, in der die Frau steckte.

„Aber Lothiriel, ihr seid eine Prinzessin und eine wunderschöne noch dazu. Ihr seid von jeder Menge Verehrern umgeben, bei denen der richtige bestimmt dabei ist."

„Aber kein König!"

„Wenn es euch nur darum geht, einen König zu heiraten, kann die Liebe ja nicht so groß sein, als dass ihr euch deswegen umbringen müsstet!"

Lothiriel schluckte und kniff die Lippen zusammen. Sie fühlte sich ertappt und wusste, dass Élwen das Gefecht gewonnen hätte, wenn sie nun springen würde. Élwen hatte sie bei ihrem Stolz gepackt und damit ihr Ziel erreicht.

Die Verwirrung der Prinzessin nutzte sie aus.

„Ihr seid eine so schöne und anmutige Frau. Es wäre zu schade, wenn solch ein Wesen diese Welt verlässt..", sprach sie weiter und streckte eine Hand aus. Zwar war es ihr zuwider, die Eitelkeit dieser Frau anzufeuern, doch was bliebe ihr anderes übrig, um sie vom Sprung abzuhalten.

Nach einer Weile, die ihr endlos zu dauern schien, besann sich Lothiriel endlich und ergriff Élwens Hand. Als sie von der Mauer herunter stieg, merkte sie erst, wie jung die Prinzessin noch war, höchstens zweiundzwanzig aber auf keinen Fall älter.

„Nun setzt euch erst einmal hin und beruhigt euch."Doch die Prinzessin hatte schnell zu ihrer Arroganz zurückgefunden.

„Von euch lasse ich mir nichts befehlen!"

Erneut holte Élwen tief Luft, um keine schlagfertige Antwort zu geben.

„Ihr seid noch so jung, meine Herrin. Warum wolltet ihr euer Leben aufgeben, weil euch eine unerfüllte Liebe verletzt? Damit hättet ihr nur den Menschen weh getan, die euch lieben und somit wärt ihr nicht besser gewesen."

Da Lothiriel nur auf den Boden vor sich schaute, ergriff Élwen wieder das Wort.

„Wisst ihr, Liebe ist eine komplizierte Sache. Manche verbringen ganze Jahrtausende damit, ihr Geheimnis zu ergründen. Ich kannte mal einen Mann, der sich auch unglücklich verliebt hatte. Die Frau seiner Wahl sagte ihm jedoch, dass sie ihn nicht liebte und das verletzte ihn sehr. Von da an verhielt er sich sehr abwesend zu ihr."

„Und was hat dieser Mann dann getan?", das Mädchen war neugierig geworden.

„Er hat sein Leben geopfert, um das ihre zu retten. In seinen letzten Atemzügen hat er sich für sein Verhalten entschuldigt. Und die Frau hat über seine Tod geweint, denn er hat ihr als Freund sehr viel bedeutet."

Die Prinzessin schnaubte.

„Wenn er ihr soviel bedeutet hat, warum hat sie ihn dann nicht geliebt?"

„Weil man keine Gefühle erzwingen kann, Lothiriel, selbst nicht von Menschen, die einem sehr nahe stehen. Und das will ich dir damit sagen, lass dich von deiner Enttäuschung nicht dazu hinreißen, Sachen zu machen, die dein Leben und das deiner Liebsten zerstören könnte..."

Die Prinzessin nickte und obwohl sie keine Anstalten machte, etwas zu erwidern, wusste Élwen, dass ihre Worte die gewünschte Wirkung erzielt hatten. So verabschiedete sie sich und machte sich auf den Weg zurück in die Zitadelle, mit dem friedlichen Gefühl in ihrer Brust, eine alte Schuld wieder gut gemacht zu haben.