Morgan: Danke für dein liebes Review! Ich beeile mich auch mit dem Weiterschreiben. ;-)

2. Kapitel: Geständnisse und ein Pferd

„Ja, es ist möglich!", zischte Movai wütend und schob Boromirs Hände von ihrem Lederwams. Sie rappelte sich hoch und begann die Knöpfe rasch wieder zu verschließen.

„So so, eine kleine Wildkatze", spöttelte Boromir grinsend und stemmte die Hände in die Hüften. „Und jetzt würde ich gerne erfahren, wer du wirklich bist, Mädchen".

„Das geht dich nichts an!", entgegnete Movai trotzig.

Boromir packte sie am Kragen und schüttelte sie.

„Ich könnte dich ohne weiteres töten, Kleine: schließlich wolltest du mein Pferd und meine Sachen stehlen. Also Schluß jetzt mit dem Spielchen!"

Movai kauerte zitternd am Boden und zog die Beine an. Sie begann erbärmlich zu frieren.

Boromir bekam ein wenig Mitleid mit ihr. Er holte schnell eine Decke.

„Pass auf: du ziehst jetzt die nassen Sachen aus und wickelst dich schnell darin ein".

„Aber du darfst nicht hergucken", meinte das Mädchen verlegen.

Boromir drehte sich lachend um. Heimlich riskierte er trotzdem einen Blick, denn es konnte ja gut sein, dass das gerissene Ding wieder einen Trick versuchte. Doch Movai machte einen ziemlich eingeschüchterten Eindruck. Ihre Dreistigkeit war wie weggeblasen. Sie legte ihre nassen Kleider auf einen Felsen, damit sie dort in der Sonne trockneten. Dann setzte sie sich selbst, in die Decke gehüllt, an einem sonnigen Platz am Ufer des Weihers.

Boromir ging jetzt wieder zu ihr hin. Er setzte sich gegenüber von ihr ins Gras und musterte sie nachdenklich. Movai war ein sehr hübsches Mädchen. Sie war höchstens 17 oder 18 Jahre alt.

„Wer bist du wirklich, Kleines?", fragte er leise.

„Ich stamme tatsächlich aus Pelargir", begann Movai stockend zu erzählen. „Ich bin ein Waisenkind und fiel einem Sklavenhändler aus dem Süden in die Hände. Der Händler war ein halber Haradhrim und wollte mich auch in das Land dieser Südmenschen bringen und dort verkaufen. Ich wurde mit vielen anderen Waisenkindern auf ein Schiff verfrachtet, das gen Süden segeln sollte. Doch das Schiff wurde von feindlichen Korsaren überfallen. Bei dem Überfall gelang es mir meine Fesseln mit einem Messer zu zerschneiden, das ich mir von einem toten Sklaventreiber angeln konnte. Anschließend bin ich während des Kampfgetümmels vom Schiff gesprungen und konnte mich ans Ufer retten. Seitdem bin ich auf der Flucht".

„Und wie kommst du zu dieser gondorianischen Waldläufertracht?", fragte Boromir misstrauisch.

„Meine Kleider waren zerrissen und ich fror", fuhr Movai fort. „Eines Abends beobachtete ich eine Gruppe von Waldläufer in Ithilien, die im Anduin ein Bad nahmen. Ihre Kleider lagen am Ufer. Ich suchte mir eine Ledertracht aus, die einigermaßen passte und floh dann. Seitdem bin ich nur noch auf der Flucht. Verstehst du jetzt, warum ich nicht nach Minas Tirith gehen kann?"

Boromir musste wieder lachen. Dieses Mädchen war mit allen Wassern gewaschen. Sie war nicht nur klug, sondern auch geschickt.

„Was soll ich jetzt mit dir machen?", fragte er kopfschüttelnd.

„Kannst du mir noch einmal verzeihen?"

Movai sah ihn mit ihren großen, grauen Augen bittend an. Boromir, der im Grunde ein gutes Herz hatte, konnte ihr nicht länger böse sein.

„Gut, ich nehme dich mit nach Rohan", seufzte er schließlich. „Aber Krieger kannst du dort bestimmt nicht werden".

Movai sprang jubelnd auf, so dass ihr fast die Decke vom Leib gerutscht wäre. In letzter Sekunde zog sie die Decke wieder hoch. Jetzt war Boromir derjenige, der ein bisschen rot wurde.

„Ich will mich in den Ställen Edoras als Magd verdingen", erklärte sie begeistert. „Ich liebe Pferde".

„Wie heißt du eigentlich in Wirklichkeit?", wollte Boromir noch wissen.

„Willst du das wirklich wissen?", seufzte das Mädchen beschämt. „Nun gut, ich heiße Elydrith".

„Ein seltener, aber schöner Name",bemerkte der Gondorianer grinsend.

„Und wer bist du?"

„Ich bin Boromir, der Sohn Denethors", sagte er gelassen.

Elydrith warf sich erschrocken vor ihm nieder.

„Verzeiht mir, mein Herr, dass ich so forsch mit Euch gesprochen habe. Ich wusste nicht, dass Ihr der künftige Truchseß von Gondor seid".

„Nun steh aber auf, Mädchen", sagte Boromir etwas genervt. „Du redest mit mir genauso wie vorher, verstanden? Das ist mir viel angenehmer als dieses höfische Geplänkel".

Als Elydriths Sachen wieder trocken waren, setzten sie zusammen ihre Reise fort. Sie liefen zu Fuß auf der Großen Weststraße Richtung Norden. Boromir führte Elphros am Zügel. Er beschloß, für Elydrith im nächsten Dorf ein Pferd zu kaufen, sonst würde seine Reise nach Bruchtal bis in den Winter hinein dauern.

Asenach war ein etwas größeres Dorf an der Weststraße. Es gab sogar mehrere Gasthöfe, wo man gut essen und übernachten konnte. Boromir ging mit Elydrith in den „Weißen Adler", um Mittag zu essen. Er fragte den Wirt, ob es in Asenach einen Pferdehändler gab.

„Am besten, Ihr geht zu Herrn Andril, dem Bürgermeister", riet der Wirt. „Er ist weit und breit bekannt für sein edles Gestüt".

„Wahrscheinlich auch teueres Gestüt", raunte Elydrith Boromir zu.

„Geld spielt für mich keine Rolle", meinte der Gondorianer lässig. „Allerdings zahle ich keine Wucherpreise".

Elydrith war so aufgeregt wegen des Pferdes, dass sie fast nichts hinunterbrachte. Sie würde ein eigenes Pferd haben! Sie, die noch nie etwas besessen hatte.

Auf Boromirs Anraten hin war sie auch weiter als Junge getarnt. Und so betrachte Andril, der beleibte Bürgermeister erstaunt das seltsame Paar, das sich seinem Hof näherte. Der große blonde Mann, dem man die edle Herkunft schon von weitem ansah, und der schmächtige Junge, dem die lederne Waldläufertracht am Leibe schlackerte. Der Junge war Andril egal, aber der große Blonde sah nach viel Geld aus. Andril hoffte, dass er ein Pferd kaufen würde. Er beschloß von dem fremden Edelmann das Doppelte des Normalpreises zu verlangen.

Boromir klopfte an die Tür des Bürgermeisters.

„Zu Diensten, mein Herr", sagte Andril unterwürfig, als er die Tür geöffnet hatte.

„Ich brauche ein Pferd für den Jungen hier", erklärte Boromir ungeduldig, der es hasste, wenn jemand so vor ihm herumbuckelte.

„Gut, dann folgt mir, mein Herr", nuschelte Andril und führte die Beiden auf die Weide.

Elydrith kletterte sofort auf den Weidenzaun und sah begeistert den Pferden zu, die dort übermütig herumgaloppierten. Ihr fiel sofort ein edler, weißer Hengst ins Auge. Er war größer als die anderen Pferde und hatte den schönen Kopf stolz erhoben.

„Wie heißt dieser Schimmel?", fragte Elydrith atemlos.

Der Bürgermeister sah den Jungen erstaunt an.

„Ich glaube nicht, dass dein Begleiter bereit ist, soviel Geld für dieses edle Roß auszugeben".

„Er hat nur nach dem Namen gefragt", sagte Boromir barsch zu dem Bürgermeister.

„Es heißt Ondoher", erwiderte Andril etwas eingeschnappt. „Wie die alten Könige von Gondor. Denn dieses Roß ist von wahrhaft königlicher Herkunft. Es stammt von den Mearas ab".

„Schön", meinte Boromir lakonisch.

Elydrith lockte Ondoher herbei, indem sie seinen Namen rief. Der Schimmel warf seinen Kopf zurück und wieherte. Dann kam er herangetrabt. Elydrith lachte und streichelte seinen schönen Kopf.

„Setz dich auf seinen Rücken", forderte Boromir das Mädchen auf.

Andril sah Boromir empört an, wagte aber nicht zu widersprechen. Auf jeden Fall würde er eine utopische Summe für Ondoher verlangen.

Elydrith war keine geübte Reiterin: sie hatte kaum Gelegenheit in der Vergangenheit gehabt, auf einen Pferderücken zu sitzen. Allerdings besaß sie die natürliche Gabe, mit Pferden gut umgehen zu können. Dass Boromirs Hengst sie abgeworfen hatte, war ein unglücklicher Zufall gewesen.

Jetzt sprengte sie lachend auf Ondoher über die Weide. Das kluge Tier merkte sofort, dass seine Reiterin ein Herz für Pferde hatte und ließ sie daher gewähren.

Andril verzog das Gesicht, als wenn er in einen saueren Apfel gebissen hätte. Dieser dreiste Junge konnte nicht einmal richtig reiten. Eine Schindmähre wäre das richtige für ihn.

„Ich habe noch andere Pferde, die nicht so teuer sind", erzählte er Boromir eifrig.

„Nein, ich nehme dieses hier", erklärte Boromir und nahm seinen prall gefüllten Lederbeutel vom Gürtel.

„Ondoher kostet 1500 Silberlinge", sagte Andril breit grinsend.

„Mehr als 1000 Silberlinge zahle ich nicht", erwiderte Boromir finster. „In Minas Tirith kostet ein gutes Pferd nicht mehr als 700 Silberlinge. Ihr könnt mir nichts erzählen".

„Ondoher ist etwas ganz besonderes", fuhr der fette Bürgermeister unbeeindruckt fort. „Ich sagte schon, es stammt von den..."

„Das ist mir egal", fiel ihm Boromir ungestüm ins Wort. „Falls Ihr mir dieses Pferd nicht für 1000 Silberlinge – und dann ist aber auch noch Sattel und Zaumzeug dabei – verkaufen wollt, gehe ich zu einem anderen Gestüt".

Er winkte Eleydrith herbei, die sofort von Ondoher absaß. Sie war enttäuscht, wagte aber Boromir nicht zu widersprechen.

„Wartet, Herr!", rief Andril plötzlich verzweifelt. „Gut, ich bin einverstanden, auch wenn das mein finanzieller Ruin sein wird".

Er rief seine Knechte herbei und gab ihnen Anweisungen, während er gierig auf Boromirs Geldbeutel starrte. Boromir ging mit ihm ins Haus und legte 10 schimmernde Goldmünzen auf den Tisch.

„Das dürfte genügen".

Andril riß erstaunt die Augen auf und betrachtete die Münzen genau.

„Das Wappen des Truchsessen! Wer seid Ihr, Herr?"

„Ich bin Boromir, Denethors Sohn", erwiderte dieser genervt.

Andril verbeugte sich unterwürfig.

„Verzeiht mir meine Dreistigkeit, mein Herr. Aber die Zeiten sind schlecht und man muß sehen, wo man bleibt. Hätte ich allerdings gewusst, dass Ihr...."

„Jetzt schweigt endlich!", sagte Boromir ungeduldig.

Eine Viertelstunde später verließ er mit einer überglücklichen Elydrith und dem Schimmel Ondoher das Gestüt.