Meine Lieben! Ich hatte ursprünglich nicht vor, dass sich Elydrith und Boromir noch mal begegnen, aber nachdem ihr in eueren Reviews so lieb darum gebeten habt, dass sich die Beiden unbedingt noch mal begegnen sollen, habe ich das nächste Kapitel umgeschrieben.
Voilà!
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Kapitel 9: Boromirs letzter Wunsch
Kaum waren die Uruk-Hai verschwunden, wagte sich Elydrith aus ihrem Versteck hervor und hastete den Berg hinauf. Das Horn Gondors war längst verstummt. Auf der Waldlichtung vor ihr bot sich ein Schlachtfeld: viele tote Uruk-Hai lagen verstreut da.
Ein Mann in dunklen, zerfetzten Kleidern kämpfte noch mit einem riesigen Uruk-Hai. Elydrith überlegte, ob sie ihm zur Hilfe kommen sollte, doch da fiel ihr Blick auf Boromir, der vor ihr in einer Bodensenke lag. Sein Oberkörper war von drei Pfeilen durchbohrt worden. Sie unterdrückte einen Schreckensschrei, als sie das sah. Aber er war noch am Leben. Den Tränen nahe kletterte sie zu ihm herab.
„Boromir!", hauchte sie tonlos.
Der Schwerverwundete öffnete die Augen und lächelte.
„Dann war mein Traum also die Wahrheit: du bist am Leben und ich sterbe", flüsterte er mit brüchiger Stimme.
„Nein, nein, du wirst am Leben bleiben", beteuerte Elydrith schniefend. „Es besteht noch Hoffnung ".
Boromir lachte leise und musste husten. Blut stand in seinem Mundwinkel, als der Hustenanfall vorüber war.
„Du musst mir einen Wunsch erfüllen, Mädchen", sagte er kaum hörbar. „Ich möchte, dass du mein zerborstenes Horn zu meinem Bruder Faramir bringst. Er ist der Mensch, den ich nach dir am meisten auf der Welt liebe".
Er tastete nach dem Horn. Elydrith sah es liegen und drückte es ihm in die Hand.
„Du musst nun gehen, Liebste", ächzte er. „Es könnten noch Feinde in der Nähe sein. Ich will, dass du am Leben bleibst und mir meinen letzten Wunsch erfüllst".
„Ich liebe dich, Boromir", sagte Elydrith unter Tränen.
„Ich..ich liebe dich auch,"stammelte er mit letzter Kraft und gab ihr das Horn.
Elydrith hörte den Uruk-Hai brüllen und sie fuhr erschrocken zusammen.
„Geh, geh!", rief Boromir leise.
Elydrith hörte Geräusche im Wald. Da kamen anscheinend neue Feinde. Sie warf einen letzten liebevollen Blick in sein schon erblassendes Gesicht und lief dann blind vor Tränen davon.
Sie eilte wieder den Berg hinab, wo Ondoher schon auf sie wartete. Weinend umschlang sie den schönen Hals des Pferdes. Sie hatte niemanden sonst, mit dem sie ihren Schmerz teilen konnte.
Am nächsten Morgen ritt Elydrith mit geröteten, brennenden Augen los, um Boromirs Wunsch zu erfüllen.
Nach wenigen Tagen erreichte sie unbeschadet die Wälder Nord-Ithiliens. Sie hatte keine Ahnung, wie sie Faramir finden konnte. Eines Nachts lagerte sie in der Nähe eines kleinen Weihers. Ondoher war sehr unruhig. Er schien irgendeine Gefahr zu wittern.
„Was ist denn, mein Guter?", fragte Elydrith ängstlich.
Sekunden später tauchten vermummte Männer aus dem Unterholz auf. Sie waren mit Pfeil und Bogen bewaffnet. Das Mädchen konnte nur die Augen der Männer sehen, die sie nicht gerade freundlich anblickten.
„Sieh an, ein Mädchen", sagte einer von ihnen grimmig. „Und es trägt unsere Waldläufertracht".
Elydrith fiel ein Stein vom Herzen, als sie das hörte. Dann waren das Faramirs Leute, unter die sie geraten war. Sie blickte die vermummten Waldläufer stolz an.
„Bringt mich zu Faramir, Euerem Hauptmann. Ich bringe wichtige Botschaft für ihn von seinem Bruder".
Die Waldläufer sahen sich verblüfft an. Einer ging auf sie zu und verband ihr die Augen. Die Anderen fesselten sie.
„Was soll das?", schrie Elydrith wütend. „Warum bin ich auf einmal Euere Gefangene?"
„Wir können hier niemanden trauen", sagte der Eine wieder. „Wir bringen dich zu einem geheimen Ort, den Fremde normalerweise nicht betreten dürfen".
Elydrith blieb nichts anderes übrig, als sich in ihr Schicksal zu fügen.
Das Mädchen merkte, dass sie in eine Art Höhle gebracht wurde. Sie hörte ganz in der Nähe einen Wasserfall rauschen und wunderte sich etwas. War das etwa ein Geheimversteck der Waldläufer? Jemand nahm er die Augenbinde wieder ab und Elydrith versuchte, ihre Augen an die Dunkelheit zu gewöhnen. Sie durfte sich auf einen Hocker setzen. Die Waldläufer betrachteten sie argwöhnisch. Elydrith befürchtete, einen Fehler gemacht zu haben. Vielleicht hätte sie besser nicht nach Ithilien reiten sollen, sondern gleich nach Minas Tirith. Dann sah sie Faramir. Sie wusste sofort, dass er es war. Er hatte die gleiche rotblonde Haarfarbe und eine ähnlich markante Nase wie Boromir. Er war etwas vornehmer gekleidet wie die anderen Waldläufer. Er trug ein grünes, gestepptes Hemd, einen ärmellosen Mantel darüber und eine Wildlederhose mit Stiefeln. Seine Miene wirkte streng und traurig zugleich. Elydrith stand auf.
„Ihr müsst Faramir sein, der Bruder von Boromir", flüsterte sie aufgeregt.
Faramir wies auf das gespaltene Horn, das er in der Hand hielt.
„Wo hast du es her, Mädchen?", fragte er mit beherrschter Stimme.
Elydrith begann zu erzählen. Während Faramir sie forschend mit seinen seeblauen Augen anblickte, erzählte sie ihm schließlich alles, von Anfang an. Nur als sie von ihrer letzten Begegnung mit dem sterbenden Boromir erzählte, konnte sie sich nicht länger zurückhalten und begann zu weinen. Plötzlich merkte sie, wie Faramir sie tröstend in den Arm nahm.
„Ihr glaubt doch nicht etwa dieser kleinen Diebin, Heermeister Faramir?", fragte einer der Waldläufer entsetzt. „Es ist meine Kleidung, die sie trägt. Vor einigen Monaten wurde sie mir am Anduin gestohlen".
Faramir stand auf und sah Amrond finster an.
„Ich fühle, dass Elydrith die Wahrheit spricht", sagte er zu dem Waldläufer. „Ich habe Boromirs Totenboot in einem Traum gesehen. Sie erzählte mir Dinge von Boromir, die nur jemand wissen kann, der ihn gut kennt. Und was deine Kleidung anbelangt, Amrond: so gib in Zukunft besser darauf acht".
Amrond senkte beschämt den Blick. Elydrith sprang auf:
„Es tut mir leid, Herr Amrond. Ich wollte das eigentlich nicht tun. Aber ich hatte nichts außer Lumpen zum Anziehen. Und ich wollte doch nach Rohan".
Der Waldläufer und selbst Faramir in seiner Trauer mussten schmunzeln über die offenen Worte des Mädchens. Sie bekam etwas zum Essen und ein Nachtlager. Am nächsten Morgen durfte sie zusammen mit Faramir frühstücken.
„Du kannst leider nicht hierbleiben, Elydrith", sagte er bedauernd. „Ich werde dich zusammen mit einigen Männern nach Minas Tirith schicken. Dort wirst du das Horn Boromirs meinem Vater überbringen. Ich werde dafür sorgen, dass es dir in Minas Tirith an nichts fehlen soll".
Elydrith musste am gleichen Tag aufbrechen. Zunächst verstand sie Faramirs Eile nicht, doch dann sah sie die Haradhrim-Verbände, die durch Ithilien zogen. Faramir geleitete sie noch ein Stück des Weges. Er trug seine Lederrüstung und war mit Pfeil und Bogen bewaffnet.
„Ich muss mich nun von dir verabschieden, kleines Mädchen. Wir werden nun die Haradhrim in einen Hinterhalt locken und hoffentlich viele von ihnen vernichten können. Komm du gut nach Minas Tirith und lebe wohl".
Er küsste Elydrith auf die Stirn. Das Mädchen starrte ihm traurig nach. Was für ein edler Mann doch Faramir war! Sie begriff nun, warum Boromir ihn so geliebt hatte.
