Titel: Todesengel; Kapitel 2

Disclaimer: Die Idee, dass Narcissa Malfoy eine geborene Lestrange ist, habe ich aus Yamatos Geschichte „Amicus Draconis", ist also ebenfalls nicht meinem Kopf entsprungen. Danke an dieser Stelle, dass ich das verwenden durfte (*grinst zu Yama rüber*)! Der Rest: siehe Anmerkungen vor dem Prolog.

Altersfreigabe: R bezw. FSK16

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Neue Entwicklungen

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Abenddämmerung hatte sich über das Land gelegt, am Horizont glühten die Wolken in einem leuchtenden Orangerot und ließen den tristen grauen Himmel noch dunkler erscheinen. Unter heftigen Windböen schlugen Wellen wütend gegen die Klippen und zerschellten donnernd an dem grau-braunen Gestein.

Eine in die Klippen gehauene Treppe führte von der grasbewachsenen Ebene durch spitze Felsen hindurch bis vor die breite Flügeltür aus dunklem Eichenholz, die den Eingang zu einem der architektonisch eindrucksvollsten Gebäude Englands bildete.

Malfoy Manor, eingehauen in das massive Gestein der Klippen vor Ilfracombe, seine Wände nur aus naturbelassenen Felsen bestehend, war eine Mischung aus einem alten Herrenhaus und einer kleinen Burg. Bereits im dreizehnten Jahrhundert erbaut, hatte es in seiner nunmehr beinah siebenhundertjährigen Existenz Überflutungen überstanden, Seeschlachten miterlebt und war selbst unter den größten Stürmen nicht zerbrochen. Kalt und unnahbar thronte es auf den Felsen und beinah erhaben trotzte es allen Widerständen.

Die riesige Eingangshalle umfasste zwei Stockwerke und endete mit einer Decke aus unregelmäßigen Gesteinsschichten. Der Boden war ausgelegt mit schwarzem Marmor, der immer wieder mit grünen, türkisen und blauen Kristallen durchsetzt war. Eine ausladende Treppe führte in das obere Stockwerk, das Geländer bestand aus einzelnen Säulen in ebenfalls dunklem Marmor; direkt daneben führte eine Treppe nach unten in die Kerker.

Wandte man sich von der Halle aus nach links, gelangte man in die Bibliothek. Wandte man sich nach rechts, erreichte man durch einen Rundbogen hindurch den Salon, in dem Lucius Malfoy seine Gäste zu empfangen pflegte. Weiter gelangte man von dort in einen dunklen Gang, der sich, lediglich durch Fackeln erhellt, in vielen Windungen und Biegungen durch das Erdgeschoss schlängelte. Von ihm gingen erneut einzelne Rundbögen ab, die ebenfalls immer wieder in eindrucksvolle, prachtvoll ausgestattete Räume führten.

Am Ende des Ganges führte ein Durchgang in einen großen, rechteckigen Speisesaal, dessen steinerner Boden fein säuberlich glatt und eben gehauen worden war. Auch die Wand bestand zu einem Drittel aus Stein, bevor sie in dunkelgrüne Tapeten überging, durch die sich feine Muster aus silbrigen Fäden zogen. 

Ebenfalls in die natürliche Felswand gehauen waren einzelne Fenster, deren kristallene Scheiben im Licht der vielen Kerzen funkelten und die verziert wurden durch schwere Vorhänge aus dunkelrotem, beinah schwarz erscheinendem Samt.

An einem langen Tisch aus Ebenholz wurde eben das Abendessen serviert.

Draco saß an einer der beiden langen Tischseiten und starrte auf sein Glas, in dem sich ein trockener Rosé-Wein befand. Er hatte keine große Lust, seinen Vater Lucius anzuschauen, in dessen Blick er doch nichts anderes lesen würde als den stummen Befehl, sich endlich ein bisschen mehr anzustrengen. Denn sicher hatte Narcissa ihm bereits von den „Fortschritten" erzählt, die er im Bezug auf die Unverzeihlichen Flüche machte.

„Du warst heute in Askaban?", fragte Narcissa ihren Mann und nun hob Draco interessiert den Kopf.

Lucius nickte, während er ein Stück von seinem Fasan abschnitt. „Fudge gab mir heute morgen zu verstehen, ich sei einer der wenigen im Ministerium, dem er noch vertrauen könnte.", ein höhnisches Lächeln überzog seine Lippen. „Aus diesem Grund durfte ich ihn begleiten."

„Wie geht es Girard und Amelie?"

Draco verdrehte unmerklich die Augen. Girard Lestrange, der Bruder seiner Mutter, und dessen Frau Amelie waren Voldemort so treu ergeben gewesen, dass sie nach Askaban gewandert waren, als sie nach ihrer Verhaftung nichts getan hatten, um ihre Verbrechen zu verleugnen. Dracos Meinung nach war das der idiotischste Fehler, den die beiden je hatten machen können. Wären sie freigesprochen worden, hätten sie Voldemort schon früher zu seiner Wiederauferstehung verhelfen können, aber so . . .

„Ich habe sie gesehen. Beiden scheint es trotz der Umstände relativ gut zu gehen. Natürlich wissen sie nicht mehr, wer sie sind und wo sie sind, doch im Gegensatz zu anderen Gefangen wissen sie wenigstens noch, worüber sie reden. Wenn sie reden.", erklärte Lucius nüchtern.

Narcissa warf ihm einen kalten Blick zu. „Du solltest nicht so über meinen Bruder reden."

Lucius erwiderte ihren Blick ohne mit der Wimper zu zucken. „Es ist wie es ist."

Draco fragte sich gerade, warum er eigentlich hier war und sein Essen nicht wie in den letzten Tagen in der Bibliothek einnahm, als sein Vater seine Aufmerksamkeit auf ihn richtete.

„Was macht deine Aufgabe?"

Tu doch nicht so, als hätte Mutter dir noch nicht alles erzählt, dachte Draco widerwillig, antwortete aber: „Ich habe heute mit dem Buch über den Todesfluch angefangen."

„Du sollst nicht lesen, du sollst die Flüche erlernen."

Draco verkniff sich eine beißende Bemerkung. „Ich bemühe mich, Vater."

„Anscheinend nicht genug.", meinte Lucius ungerührt.

Draco senkte den Kopf, sodass Lucius seine zornfunkelnden Augen nicht sehen konnte. Doch bei dem, was sein Vater als nächstes sagte, hatte er sofort wieder die ungeteilte Aufmerksamkeit seines Sohnes:

„Seine Lordschaft will dich sehen."

Draco setzte den nüchternsten Gesichtsausdruck auf, zu dem er im Stande war. „Wann?"

„In den nächsten Tagen.", erwiderte Lucius und schien nichts weiter dazu sagen zu wollen.

Draco richtete seinen Blick wieder auf den Teller. Nun trat also das ein, worauf er schon seit den Sommerferien gewartete hatte. Voldemort wollte ihn sehen. Und obgleich er mit einem Gefühl der Aufregung und freudigen Erwartung gerechnet hatte, sobald er es erfahren würde, wusste er jetzt nicht, was er davon halten sollte.

„Er will dich zu einem Todesser machen. Noch nicht sofort, aber in absehbarer Zeit. Und ich erwarte, dass du deinem Namen Ehre machst.", informierte ihn Lucius schließlich noch.

Und zu einem Sklaven wirst, wie du einer bist, fuhr Draco fort, doch er hütete sich, diese Gedanken laut auszusprechen.

Stattdessen hob er den Kopf und sah Lucius fest in die Augen. „Ich werde meiner Familie gerecht werden, Vater."    

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Rubeus Hagrid sah grimmig zum wolkenverhangenen Himmel hinauf. Es schien, als wollten die Wolken jeden Moment ihre Schleusen öffnen, um eine zweite Sintflut über die Erde zu schicken.

Es war verrückt: der Süden Englands versank in Schneemassen, die in der Geschichte ihresgleichen suchten und der hohe Norden war schon seit Wochen mit heftigen und beinah ununterbrochenen Regenfällen gestraft.

Mit einem Seufzen wandte Hagrid sich zu seiner Begleiterin um. „Alles in Ordnung, Olympe?"

Madame Maxime, Leiterin der Hexenakademie Beauxbatons in Frankreich und eine Frau von nicht minder geringerer Statur als Hagrid, hatte einen blauen Regenschirm in einer ihrer großen Hände und stapfte mit finsterem Blick über den schlammigen Weg. „Mir geht es gut, 'agrid.", erwiderte sie ungehalten.

Hagrid konnte ein gutmütiges Lachen nicht zurückhalten. „Wir sind bald da. Und wenn wir Glück haben, sind die Riesen noch nicht auf ihrer allmorgendlichen Jagd."

Olympe nickte, schwieg allerdings.

Seit einem halben Jahr hatte er zusammen mit Olympe den Riesen regelmäßige Besuche abgestattet. Dumbledore hatte ihnen aufgetragen, sie für die Sache der Weißen Magie zu gewinnen und zu verhindern, dass sie sich erneut Voldemort anschlossen.

Doch die Riesen waren nicht bereit gewesen, den Zauberern ihre Verbannung ins Kaledonische Gebirge im höchsten Norden Schottlands und die Bannzauber um dieses Gebiet zu vergeben. Vor allem Fridwulfa, Hagrids Mutter, die Hagrid zu einem Halbriesen machte und die Anführerin ihres Stammes war, hatte sich hartnäckig dagegen gesträubt.

Hagrid hatte ihre Beweggründe verstanden. Auch er wäre nicht bereit dazu gewesen, der magischen Welt ohne zu Zögern zu helfen, wenn diese ein Problem hatte, bei dem sie mit einem Mal die Hilfe derjenigen bedurfte, die sie vor fünfzehn Jahren verbannt hatten.

An diesem heutigen Tag würde der Stamm seiner Mutter wahrscheinlich seine endgültige Entscheidung treffen und Hagrid konnte nur hoffen, dass seine und Olympes Argumentation in den letzten Monaten geholfen hatte.

Im grauen Nebel vor sich erkannte Hagrid nun die Umrisse des Riesendorfes. Es war eingebettet in ein kleines Tal, an dessen Ende sich einer der typisch schottischen Gebirgsseen befand. Immer mehr Hütten, errichtet aus Holz und Lehm und so riesig wie Bäume, tauchten aus dem Dunst vor ihnen auf und Hagrid erkannte inmitten der kreisförmig angeordneten Behausungen eine brennende Feuerstätte, um die sich einige der ältesten Riesen, darunter auch Fridwulfa, versammelt hatten.

Sie waren furchterregend aussehende Wesen; die Männer trugen lange, wilde und ungekämmte Bärte und ihre Haare waren, wie auch die der Frauen, meist zu einem buschigen Zopf zusammengefasst oder fielen ihnen offen und struppig über den Rücken. Sie waren mindestens sieben Meter groß und kleideten sich in allen möglichen Sorten von braunen und beigefarbenen Tierfellen. Ihre Hände waren groß wie ein durchschnittliches Schwimmbad, die Füße kaum kürzer als ein Oberklassewagen der Muggel. Unter ihren buschigen Augenbrauen blitzen und funkelten Augen in allen Farben und auf ihren Gesichtern stand momentan ein Ausdruck von Unwille und Uneinigkeit.

Hagrid hatte sich mittlerweile an ihr Aussehen gewöhnt, doch Olympe stieß immer wieder aufs Neue einen leicht entsetzten Laut aus, wenn sie auf die Riesen traf, so auch in diesem Moment.

„'agrid, sie sehen nicht aus, als 'ätten sie es sisch anders überlegt.", bemerkte sie.

Hagrid nickte, doch auf seinem Gesicht lag ein entschlossener Ausdruck. Dumbledore hatte ihm einen Auftrag gegeben und diesen gedachte er zu erfüllen. „Das werden wir erst noch sehen.", verkündete er und trat zielstrebig auf die Versammlung zu.

Olympe folgte ihm nur zögerlich.

„Nun, da bist du, mein Sohn.", erklang Fridwulfas tiefe Stimme und Hagrid richtete die Aufmerksamkeit auf seine Mutter. Sie war eine Frau mit langen braunen Haaren und stechend blauen Augen, die ihn jetzt aufmerksam und misstrauisch musterten.

  „Ich bin hier, um eure Entscheidung zu hören.", erwiderte Hagrid.

Fridwulfa runzelte die Stirn, doch ein anderer Riese, ein Mann mit braunen Haaren und Augen, kam ihrer Antwort zuvor: „Wir werden uns nicht deiner Seite anschließen, Rubeus Hagrid.", verkündete er.

Hagrid spürte, wie Olympe sich neben ihm versteifte und warf ihr einen raschen Blick zu. Ihr hübsches Gesicht war schneeweiß, doch das hinderte sie nicht daran, einen Schritt nach vorne zu treten und dem Mann fest in die Augen zu sehen. „Das 'eißt, ihr werdet eusch

Du-weißt-schon-wem anschließen?", fragte sie.

Wieder einmal bewunderte Hagrid still ihren großen Mut und sah seine Mutter daraufhin an, eine Antwort erwartend.

„Wir werden uns nicht dem Dunklen Lord anschließen.", erklärte die Riesin. „Wir haben nicht vergessen, dass er uns nicht zur Hilfe kam, als wie diese am dringendsten benötigten. Doch wir werden auch nicht auf der Seite derer kämpfen, die uns an diesen Ort verbannten. Uns geht eure Welt nichts mehr an, entscheidet allein über Sieg oder Niederlage."

Hagrid sah sie an und wusste, dass ihre Entscheidung unumstößlich war. Und obwohl er die Wut der Riesen kannte, wenn man es wagte, ihnen zu widersprechen, tat er genau das: „Euch bittet nicht irgendein Zauberer um Hilfe, sondern Albus Dumbledore! Und ihr wisst, dass er euch damals hat helfen wollen! Ihr seid es ihm schuldig . . .", Hagrid kam nicht dazu, seinen Satz zu Ende zu führen, denn plötzlich fühlte er sich von einer großen Hand am Kragen gepackt und kurze Zeit später baumelte er direkt vor den zornblitzenden Augen seiner Mutter.

„Albus Dumbledore hat nichts getan, um uns von diesem Ort zu befreien.", zischte sie. „Wir werden nicht kämpfen. Nicht für den Lord und schon gar nicht für euch."

Hagrid wusste, dass jeder weitere provozierende Satz sein Ende bedeuten würde und obwohl er schwer schlucken musste, um die Anschuldigungen gegen Dumbledore ohne Verteidigung in der Luft stehen zu lassen, beherrschte er sich. „Wir werden es ausrichten.", sagte er möglichst ohne die Wut in seiner Stimme mitklingen zu lassen.

Fridwulfa nickte und stellte den Wildhüter von Hogwarts wieder auf den sicheren Boden zurück. „Ihr werdet jetzt gehen.", sagte sie noch.

Hagrid und Olympe tauschten einen kurzen Blick, warfen den Riesen noch ein knappes Nicken zu und entfernten sich dann von dem Lagerfeuer, bis das Riesendorf wieder im dichten Nebel verschwunden war.

„Isch denke, wir 'aben ein Problem.", bemerkte Olympe nüchtern und Hagrid musste zugeben, dass sie Recht hatte.

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Als Harry aufwachte, schien bereits die Sonne durch das Fenster in Rons Zimmer und mit einem ausgiebigen Gähnen setzte er sich auf und griff nach seiner Brille auf dem Nachttisch. Sofort wurden die Umrisse um ihn herum klarer und er erkannte, dass Ron bereits wach in seinem Bett lag und nachdenklich an die Decke starrte.

Als dieser jedoch bemerkte, dass sein Freund aufgewacht war, warf er ihm einen Blick zu und grinste mit einem Mal bis über beide Ohren.

Harry sah ihn irritiert an. „Was?"

„Harry, dein Haar sieht ja generell schlimm aus, aber heute übertrifft es alles, was ich je auf deinem Kopf gesehen habe."

Mit einem Stirnrunzeln stand Harry auf und sah in den winzigen Spiegel an der Wand neben der Tür, woraufhin sein Spiegelbild einen entsetzten und unglaublich lauten Schrei ausstieß. Harry schrak zurück, doch er hatte bereits genug gesehen. Sein Haar, ohnehin schon ohne jegliche erkennbare Ordnung, stand heute noch wirrer als sonst in alle Richtungen ab und sträubte sich widerspenstig gegen jede Glättung, die Harry mit den Händen zu erringen versuchte.

Nach ein paar Minuten, in denen sich auch sein Spiegelbild wieder einigermaßen beruhigt hatte, wandte er sich seufzend vom Spiegel ab. „Zwecklos."

Ron grinste immer noch. Doch dann wurde er ernst. „Du hast dich gestern Abend mit Sirius gestritten, oder?"

Harry warf ihm einen fragenden Blick zu. „War das so deutlich?"

„Man hat es im ganzen Haus gehört.", bestätigte Ron.

„Oh.", zu einer anderen Aussage war Harry nicht fähig. Ihm ging durch den Kopf, was er Sirius vorgeworfen hatte. Du bist nicht mein Vater. Wie hatte er das sagen können? Sirius war der Einzige, der für ihn einem Vater gleich kam und Harry wusste, dass sein Pate sich nur um ihn sorgte, dass er alles tun wollte, um ihn zu beschützen. Doch bei diesen Gedanken kehrte auch der Zorn wieder zu ihm zurück. Obwohl er bereute, was er gesagt hatte, war er noch immer der Meinung, Recht zu haben. Er war kein kleines Kind mehr.

Und nun kehrte auch der Grund für ihren Streit langsam in seine Erinnerung zurück. Sorcery. Die Begegnung auf den Friedhof. Seine drohenden Worte und die Entscheidung, die er selbst getroffen hatte. Er öffnete schon den Mund, um Ron davon zu erzählen, doch nach einem Augenblick schloss er ihn wieder. Er konnte es ihm nicht sagen. Und er wollte es nicht. Er wollte ihm nicht erklären, dass er den Mörder seiner Schwester auf dem Friedhof getroffen hatte, wollte sich nicht mit der Diskussion auseinandersetzen, die daraufhin folgen würde: warum hast du mir das nicht früher gesagt?, wir sollten noch mal auf Friedhof, vielleicht ist er wieder dort, . . .

Ihm war es zuwider, alles immer und immer wieder sagen zu müssen, all die widersprüchlichen und düsteren Gefühle, die er empfand, immer wieder durchleben zu müssen, wenn er anderen von seinen Erlebnissen erzählte. Er war es Leid, von allen wie ein offenes Buch gelesen zu werden.

Und so verbarg er seine Gefühle und unterdrückte die Zweifel, die ob der Tatsache, dass er seinem besten Freund nichts von dem Treffen mit Sorcery erzählte, in ihm hoch krochen.

Keine Regung in Harrys Gesicht wies auf seine Gedanken hin und so schien Ron nichts von dem zu bemerken, was im Kopf seines Freundes vor sich ging. Stattdessen sah er Harry nachdenklich an. „Du musst mit Sirius darüber reden. Ihr solltet euch aussprechen.", riet er.

Harry lehnte sich an das Fensterbrett und ließ sich von der Sonne den Rücken wärmen. „Du hast ja Recht.", meinte er. „Aber . . . war es denn wirklich so schlimm?", mit einem fragenden Blick in den grünen Augen sah er Ron an.

Dieser knetete die Bettdecke zwischen seinen Fingern und schaute schließlich zu Harry auf.

„Na ja . . . natürlich haben wir uns Sorgen um dich gemacht, aber Sirius . . . er war ziemlich nervös, wenn ich ehrlich bin. Er fühlt sich verantwortlich für dich."

Harry seufzte erneut. „Ich weiß . . . Ich sollte wirklich mit ihm reden, oder? Und mich entschuldigen?"

Ron nickte. „Ihr solltet nicht im Streit auseinander gehen.", mit diesen Worten stieg der Jüngste der Weasleys aus seinem Bett und verschwand kurz darauf beinah vollständig in einem kleinen Schrank, um sich Kleidungsstücke für den Tag zusammenzusuchen.

Harry betrachtete ihn und erkannte, wie seltsam erwachsen Ron in letzter Zeit geworden war. Seit Ginnys Tod hatte er sich verändert. Natürlich war er noch immer jähzornig und hatte ein unberechenbares Temperament, doch solch ein Gespräch, wie sie es eben geführt hatten, hätten sie noch vor einigen Wochen nicht halten können. Harry wurde bewusst, dass sein bester Freund sehr viel von seiner früheren Oberflächlichkeit, was die Gefühle anderer anging, verloren hatte.

In diesem Moment wandte sich Ron ihm wieder zu. Er hatte eine braune Cordhose und den mittlerweile altbekannten Weasley-Pullover in den Händen und auf seinem Gesicht lag nun wieder jenes unbeschwerte und ansteckende Grinsen, dass ihm, so hoffte Harry zumindest, nie abhanden kommen würde.

„Wir sollten uns anziehen und nach unten gehen. Es gibt Geschenke.", sagte Ron mit erwartungsvoll glitzernden Augen.

Harry folgte ihm, als Ron das Zimmer verließ, doch er konnte die Gedanken, die mit einem Mal wieder seinen Kopf überschwemmten und von denen er wusste, dass sie aus dem Streit mit Sirius und der Begegnung mit Sorcery resultierten, nicht unterdrücken. Er hatte sich in den letzten Jahren schon oft gewünscht, ein ganz normaler Junge sein zu können und nicht nur als derjenige angesehen zu werden, der Du-weißt-schon-wen besiegt hatte. Doch noch nie war der Wunsch nach Normalität, nach einem ruhigen Leben fern von Verschwörung, Gefahr und Verrat in ihm so übermächtig gewesen wie an diesem Morgen.

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Draco erwachte, weil ein Sonnenstrahl den Weg auf sein linkes Augenlid gefunden hatte. Unwillig begann er zu blinzeln, bis er schließlich die Augen aufschlug und sich aufsetzte. Böse funkelte er den Schlitz zwischen den Vorhängen vor dem Fenster in der steinernen Wand an, schlug aber letztendlich die Satindecke zurück und schwang seine Beine über den Rand des riesigen Bettes aus dunklem Holz, dessen Baldachin von vier schmalen Säulen gehalten wurde.

Langsam durchquerte er den kleinen runden Raum und steuerte auf das Fenster zu. Obwohl seine Räumlichkeiten im oberen Bereich des Hauses lagen und der Boden und die Wände unregelmäßig und nur grob behauen waren, besaß er jeden Luxus, den er sich wünschen konnte und er liebte die Dunkelheit und die Nostalgie, die nicht nur hier, sondern im gesamten Haus vorherrschten. Er hasste das grelle, verblendende Licht der Sonne, verbarg sich lieber im Schatten und so öffnete er auch nicht die Vorhänge, sondern spähte lediglich kurz nach draußen, um zu erkennen, ob sie heute erneut in Schneemassen zu versinken drohten. Zu seinem Erstaunen hatte die Sonne sich jedoch nicht nur ihren Weg durch eine kleine Wolkenlücke gebahnt, sondern strahlte vielmehr von einem azurblauen Himmel. Missgelaunt schloss er die Vorhänge wieder und wandte sich der Bogentür zu, die in seine weiteren Räume führte.

Neben seinem Schlafzimmer lag ein größerer Raum, in dem unter einem zweiten Fenster ein Schreibtisch aus Mahagoniholz stand und auf dem sich momentan seine Bücher aus Hogwarts stapelten, da er noch massenweise Hausaufgaben zu erledigen hatte. Außerdem gruppierten sich hier ein Sofa und zwei Sessel aus Leder um einen kleinen Tisch mit einem Sockel aus dunklem Marmor und einer Platte aus purem Kristall, eine mittelalterliche, imposante Standuhr gab in einer Ecke tickende Geräusche von sich und an einer Wand hingen Bücherregale, die sich unter ihrer Last bogen. Der kalte Steinboden war mit schwarzen Teppichen ausgelegt und überall im Raum verteilt standen schulterhohe, mehrarmige Kerzenständer aus angelaufenem Silber, in denen hunderte Kerzen flackerten und Licht spendeten, wenn die Vorhänge, wie es meistens der Fall war, zugezogen waren.

Durch einen weiteren Rundbogen gelangte er in ein riesiges Badezimmer (vor Blicken schütze ihn eine unsichtbare Barriere in dem Türbogen, durch die außer ihm niemand hindurchsehen konnte, wenn er es nicht wollte); der Boden, das Waschbecken, die Dusche, die in eine sechseckige Badewanne überging und selbst die Toilette waren vollständig aus cremefarbenem Marmor hergestellt und bildeten somit einen auffallenden Kontrast zu der natürlichen Felswand.

Langsam entledigte sich Draco seiner Hose, stieg unter die warme Dusche und band sich anschließend ein Handtuch um die schmalen Hüften, während er sich im Licht zweier Fackeln im Spiegel des Waschbeckens selbst betrachtete. Draco wusste, dass er genauso aussah, wie er sich fühlte: müde, gereizt, angespannt.

Und trotzdem würde er sich in wenigen Minuten mit seinen Eltern auseinander setzen müssen, denn schließlich war heute Weihnachten. Draco gab einen kurzen, abfälligen Laut von sich. Als ob Lucius und Narcissa dieses Muggelfest für irgendetwas anderes nutzen würden als für die Chance, sich zu profilieren. Er war gespannt, was sich seine Eltern in diesem Jahr ausgedacht hatten um zu beweisen, dass sie die reichste Familie im Umkreis von mindestens hundert Meilen waren.

Seufzend begab er sich wieder in sein Schlafzimmer, in dem er aus einem riesigen Mahagonischrank eine Hose und einen Pullover hervorkramte. In den Gängen der Burg würde es klirrend kalt sein, denn das Haus wurde nur durch Kamine beheizt, die in den meistgenutzten Räumen eingerichtet worden waren.

Als er sich angezogen hatte, steckte er seinen Zauberstab in die Tasche seiner Hose, die eigens hierfür, wie bei Designerstücken üblich, etwas tiefer angefertigt war.

Er stieg eine kleine Wendeltreppe nach unten und stand schließlich auf einem breiteren, dunklen Gang. An den Wänden hingen Gemälde, doch in der Düsternis waren die Portraits und Landschaften kaum zu erkennen. Draco ging ein paar Meter, bis er an einem Wandteppich angelangt war, hinter dem eine in der Wand versteckte Tür zum Vorschein kam. Da er keine Lust hatte, den ganzen Weg bis zur Eingangshalle und anschließend durch all die Gänge bis hin zum Wohnzimmer zu laufen, hatte er beschlossen, einen der vielen Geheimgänge zu benutzen, die bei der Erbauung des Anwesens errichtet worden waren.

Als er die Tür mit Hilfe seines Zauberstabes geöffnet hatte und in das versteckte enge Treppenhaus trat, empfing ihn eine klamme Feuchtigkeit. Die verschiedenen Geheimgänge wurden beinah ausschließlich von den menschlichen Bediensteten genutzt und dementsprechend kümmerte sich Lucius um deren Instandhaltung. Nur alle zehn Meter wurde die enge Wendeltreppe vom Licht einer Fackel erhellt und Draco hatte Mühe, auf den nassen Stufen nicht auszurutschen.

Plötzlich hörte er eine Tür gehen und kurz darauf erklangen Schritte, die sich ihm entgegen einen Weg nach oben suchten. Als er noch ein paar Stufen weiter nach unten gegangen war, stieß er mit einem jungen Mädchen zusammen, das sein Vater erst vor kurzem als neues Dienstmädchen eingestellt hatte.

Draco wusste über sie lediglich, dass sie vierzehn Jahre alt war und Helena hieß. Doch als sie nun in ihn hinein rannte, machte sich seine ohnehin schon sehr hohe Gereiztheit und seine typische Arroganz sofort bemerkbar.

„Kannst du nicht aufpassen, wo du hinläufst?", herrschte er sie an.

Einen kurzen Moment sah sie ihn an und Draco erkannte, dass sie blaugrüne Augen hatte, bevor sie den Kopf senkte und scheu zu Boden blickte.

„Es tut mir Leid, Master Malfoy.", sagte sie leise.

Draco nickte knapp. „Das will ich auch stark hoffen."

Ungeachtet der Enge des Ganges drängte er sich an ihr vorbei, spürte kurz ihren Körper nah an seinem und zog ihren Duft ein, bevor er an ihr vorbei war und ungerührt die Treppe weiter nach unten stieg.

Er bemerkte, dass Helena noch einen kurzen Moment stehen blieb, bevor ihm ihre Schritte verrieten, dass auch sie weitergegangen war.

Endlich erreichte er nun das Ende der Wendeltreppe und zog erneut seinen Zauberstab, um die versteckte Tür zu öffnen. Der Geheimgang hatte ihn beinah direkt vor das Wohnzimmer geführt und als er durch den großen Torbogen trat, fand er sich in einem Raum wieder, der in der vorderen Hälfte eckig war und einen quadratischen Tisch beherbergte, um den sich vier lederbezogene Stühle mit hohen Rückenlehnen gruppierten. Statuen von Walküren standen in den Erkern vor den Fenstern und reich verzierte Schränke und Truhen hatten Platz an den steinernen Wänden gefunden. In der hinteren Hälfte ging der Raum in einen Halbkreis über. Hier stand ein von zwei Sofas und zwei Sesseln umringter kleiner Tisch vor einem großen Kamin aus schwarzem Backstein und einem Vorsprung aus dunkelgrauem Marmor, in dem ein flackerndes Feuer brannte.

Auf den beiden Sofas saßen seine Mutter und sein Vater, die gerade von einem Butler das Frühstück serviert bekamen. Als Draco den Raum betreten hatte, hatten die beiden ihr Gespräch sofort beendet.

„Guten Morgen.", grüßte Draco seine Eltern, ging zu ihnen hinüber und setzte sich auf einen der beiden Sessel. Als Antwort bekam er nur ein leichtes Kopfnicken seiner Mutter. Lucius sah ihn nur ungerührt an, stand auf und begab sich zum Kamin.

„Kaffee, Sir?", fragte der Butler.

Draco schenkte ihm ein knappes Nicken und sah zu, wie Daniel ihm daraufhin etwas von dem heißen Getränk in eine der feinen, weißen Porzellantassen schenkte.

Nachdem der Butler sich noch vergewissert hatte, dass es niemandem an etwas fehlte, verbeugte er sich kurz und zog sich zurück.

Als Lucius hörte, wie sich die Tür hinter dem Butler schloss, wandte er sich zu Draco um. In den Händen hielt er zwei Päckchen, von denen Draco im Stillen dachte, dass eines von ihnen für die Normalverhältnisse der Malfoys ziemlich klein war.

„Wie du weißt, Draco, ist heute Weihnachten.", begann sein Vater. „Und wie dir ebenfalls bekannt ist, halte ich nichts von diesem Fest der Muggel, das sich in den letzten Jahrhunderten auch in unserer Gesellschaft eingebürgert hat.", sein verächtlicher Gesichtsausdruck ließ keinen Zweifel an seinen Worten. „Doch deine Mutter legt Wert auf deine Geschenke und in diesem Jahr wirst du etwas erhalten, das dir in vielen Dingen nützlich sein kann, wenn du es richtig einsetzt."

Draco sah Lucius an und konnte die Spannung nicht ganz aus seinen Augen verdrängen. Eine solche Ansprache hatte sein Vater noch nie gehalten.

Lucius überreichte Draco nun das kleinere der beiden Geschenke, das sich in Dracos Händen sehr leicht und weich anfühlte. Vorsichtig löste er das Papier und hielt kurz darauf ein schwarzes Stück Stoff in den Händen, das er nach einigen Sekunden als Tuch identifizierte. Er breitete es auseinander und sein Blick fiel auf ein Wappen, in dem auf silbrigen Grund zwei schwarze, ineinander verschlungene Lilien abgebildet waren.

Er hob den Kopf und sah seinen Vater erstaunt an.

„Ich war der Meinung, es ist an der Zeit, dass du dein eigenes Siegel bekommst. Ich erwarte, dass du ihm gerecht wirst.", antwortete er auf die stumme Frage seines Sohnes.

Dracos Augen flackerten zu dem Wappen der Malfoys hinauf, das über dem Kamin an die Wand gemalt war. Ein schwarzer Schwan auf weinrotem Grund. Dieses Wappen stellte gleichzeitig das Siegel dar, mit dem die Malfoys – auch er – bisher ihre Briefe verschlossen hatten. Und in seinem Siegel standen nun Lilien, die Blumen des Todes. Friedhofsblumen.

Wie passend, dachte er sarkastisch. Doch trotzdem war er stolz darauf. Er war stolz darauf, sein eigenes Siegel zu besitzen und nicht mehr von dem seiner Familie abhängig zu sein.

„Danke, Vater.", sagte er.

„Außerdem schenken wir dir etwas, das meine Familie kurz nach deiner Geburt hergestellt hat.", fuhr seine Mutter fort.

Nun war Draco wirklich erstaunt, doch er ließ es sich nicht anmerken. Ein Geschenk der Familie Lestrange?

Sie überreichte ihm das zweite, größere Päcken, und als Draco es ausgepackt hatte, lag auf seinen Knien ein Schwert. Doch es war nicht so grob geschmiedet wie übliche Schwerter: seine Klinge, die mit geheimnisvollen Ornamenten verziert war und aussah, als sei sie sorgfältig scharf geschliffen, war nur wenig breiter als die eines Degens. Der Griff hatte die Form eines Drachens, die Augen wurden auf beiden Seiten verkörpert durch Smaragde und er lag trotz seiner einprägenden Kanten und Rundungen angenehm und griffig in seiner Hand, als Draco ihn umschloss.

„Es wurde auf magische Art geschmiedet und um die Wirkung zu verstärken und es für dich persönlich wirksamer zu machen als für andere, wurde dabei dein Blut verwendet.", erklärte Narcissa und Dracos Kopf schoss in die Höhe.

„Mein Blut?", wiederholte er.

„Ich dachte eigentlich, du wüsstest um die Magie des Blutes.", antwortete Lucius und Draco hörte aus seiner Stimme die Missbilligung heraus.

„Natürlich Vater.", entgegnete Draco. „Ich war nur für einen Moment erstaunt."

Die Blutmagie war eine uralte und hochkomplizierte Form der Magie, deren gesamte Wirkungen und Möglichkeiten Draco bis jetzt noch nicht vollkommen klar waren. Doch er wusste, dass eine Waffe wie sein Schwert für ihn mächtiger war als jede andere Waffe – ausgenommen sein Zauberstab – wenn sie mit seinem eigenen Blut geschmiedet worden war.

„Du hast seit Jahren Unterricht im Schwertkampf. Ich nehme an, dass du dieses Schwert mühelos beherrschen wirst.", begann Lucius und Draco antwortete ihm mit einem knappen Nicken, bevor Lucius fortfuhr: „Ich muss für zwei Tage geschäftlich nach Berlin. Wenn ich wieder zurück bin, wirst du mir demonstrieren, was du in den letzten Jahren gelernt hast. Außerdem erwarte ich bis dahin, dass du wenigstens eine der Hauselfen mit dem Cruciatus belegen kannst."

Draco nickte erneut, dachte dabei jedoch an den Moment, in dem er seinem Vater den Cruciatus würde vorführen müssen. Er wusste schon jetzt, dass er den Fluch auch in zwei Tagen nicht beherrschen würde. Und die Vorstellung davon, was Lucius dann tun würde, war etwas, worüber er heute noch nicht nachdenken wollte . . .  

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Als Harry mit Ron nach unten ging, stießen sie am Fuß der Treppe beinahe mit Hermine zusammen, die mit einem Korb voller Brötchen in den Händen gerade aus der Küche kam. Bevor sie jedoch fallen konnte, fing Ron sie reflexartig auf und für wenige Sekunden waren ihre Gesichter nur Zentimeter voneinander entfernt.

„'tschuldigung.", murmelte Ron und ließ sie los, als habe er sich verbrannt. Sein Gesicht hatte die Farbe seiner Haare angenommen und auch Hermine schien mit einem Mal den Inhalt des Brötchenkorbes äußerst interessant zu finden, denn sie schob konzentriert die Brötchen wieder zurecht, die durch ihren Beinah –Sturz unwesentlich verrutscht waren.

Harry räusperte sich kurz, bevor er auf Hermine zu ging und sie in seine Arme zog, sorgfältig darauf achtend, den Korb nicht runterzuwerfen. „Frohe Weihnachten, Hermine.", sagte er.

„Dir auch.", erwiderte Hermine und schenkte ihrem Freund ein dankbares Lächeln dafür, dass er die Stimmung zwischen ihnen wieder aufgelockert hatte. „Und dir natürlich auch.", fuhr sie an Ron gewandt fort.

Ron nickte. „Frohe Weihnachten.", seine Stimme war noch immer nicht mehr als ein undeutliches Nuscheln und Harry seufzte leise. Wann würden die beiden sich endlich eingestehen, dass sie mehr füreinander empfanden als nur Freundschaft?

„Gehen wir ins Wohnzimmer? Die anderen sind alle schon wach.", verkündete Hermine.

Die beiden Jungs nickten und folgten ihr ins Wohnzimmer, wo sie mit einem fünffachem „Frohe Weihnachten" der Weasley-Familie begrüßt wurden.

Nachdem Harry den Gruß erwidert hatte, blickte er sich in dem kleinen Raum um: in einer der Ecken stand ein riesiger Weihnachtsbaum, dessen mit einem Stern geschmückte Spitze fast an die Decke stieß und der mit dutzenden Kerzen, Christbaumkugeln und rot-weiß gestreiften Zuckerstangen behängt war; überall im Zimmer waren Kerzen aufgestellt worden, die eine behagliche Atmosphäre verbreiteten. 

Doch als Harry seinen Blick über die Anwesenden schweifen ließ, fiel ihm auf, dass eine Person fehlte und ihm wurde plötzlich kalt ums Herz. „Wo ist Sirius?"

Mrs. und Mr. Weasley sahen sich unbehaglich an. „Er musste in die Redaktion zurück. Man hat ihn dort ganz plötzlich gebraucht.", erklärte Mr. Weasley.

„Er hat aber versprochen, so bald wie möglich wieder hier zu sein.", fügte Mrs. Weasley hinzu, ihr Gesicht hatte einen sehr besorgten Ausdruck angenommen.

Harry nickte, doch er zweifelte nicht an dem wahren Grund für Sirius' Verschwinden. Er hatte gestern Abend selbst dafür gesorgt, dass Sirius so verletzt war, dass er nicht mehr hier bleiben und ihn sehen wollte. Ein bitteres Lächeln huschte über Harrys Gesicht. Du bist nicht mein Vater. Sehr taktvoll, Potter, wirklich. Doch als er eine warme Hand fühlte, die sich in seine schob und in dessen Besitzerin Hermine erkannte, verschwand sein resignierter Gesichtsausdruck und er schaute seine Freundin dankbar an. Irgendwann würde Sirius wiederkommen. Und dann würde er mit ihm reden.

„Ihr solltest jetzt eure Geschenk auspacken.", bemerkte Mrs. Weasley und in ihre Stimme war der alte, unbekümmerte und liebevolle Tonfall zurückgekehrt.

„Das ist doch mal ein Wort, Mum.", verkündete Fred und stürzte sich mit vorfreudiger Miene auf den Weihnachtsbaum, dicht gefolgt von seinem Bruder George.

„Hier, das ist für dich, Harry. Wir wünschen dir alle Frohe Weihnachten.", sagte

Mrs. Weasley jetzt und überreichte Harry ein Päckchen, bevor sie ihn in ihre Arme zog und fest an sich drückte.

„Danke, Mrs. Weasley.", erwiderte Harry und nachdem Rons Mutter dieselbe Zeremonie mit Hermine und ihrem jüngsten Sohn vollzogen hatte, ließen sich die drei Freunde auf dem Boden neben dem Weihnachtsbaum nieder.

„Ok, ich wette ich weiß, was in diesem Päckchen ist . . .", verkündete Ron und konnte sich ein Lächeln nicht verkneifen. Jedes Jahr schenke Mrs. Weasley ihren Kindern den obligatorischen und mittlerweile schon altbekannten Weasley –Pullover. Ron riss das Papier auseinander – doch zum Vorschein kam kein brauner, sondern ein Pullover in einem dunklen blau. Ron hob die Augenbrauen. „Ich denke, Mum ist die braune Wolle ausgegangen.", sagte er trocken und Harry konnte nichts anderes als grinsen, als er zusah, wie Hermine Ron daraufhin tadelnd in die Seite stieß und er währenddessen sein Geschenk auspackte, aus dem diesmal ein roter Pullover zum Vorschein kam.

„Was hast du bekommen, Hermine?", fragte Ron und sah ihr neugierig über die Schultern, als sie ihr Geschenk öffnete. Es war kein Pullover, der darin verpackt war, sondern ein warmer Reiseumhang aus dichter, dunkelbrauner Wolle. „Also, das ist echt praktisch. Unsere Hogwarts-Umhänge sind im Winter nämlich manchmal immer noch zu dünn.", stellte sie fest und ließ den Umhang durch ihre Finger gleiten.

Harry griff in der Zwischenzeit hinter sich und holte ein kleines Paket hervor, dass er Hermine überreichte. „Das ist von mir."

Als Hermine vorsichtig das Papier gelöst hatte, kam schließlich eine etwa zwanzig Zentimeter lange, goldbraune Feder zum Vorschein, woraufhin sie Harry etwas irritiert ansah.

Harry grinste. „Wie, du weißt nicht, was das ist? Also Miss Granger, das gibt zehn Punkte Abzug von Gryffindor.", tadelte er, was ihm einen funkelnden Blick von seiner bestem Freundin einbrachte. „Das ist eine magische Greifen-Feder. Wenn du eine bestimmte Zauberformel über sie sprichst und in deine Tasche legst, spürst du das Gewicht deiner vielen Bücher nicht mehr.", ließ er sich dann zu erklären herab.

Hermines Augen wurden groß. „Echt?! Hey, das ist super! Wenn ich gewusst hätte, dass es so was gibt, hätte ich mir schon viel früher so eine Feder besorgt!", und unter diesen Worten fiel sie Harry dankend um den Hals.

„Tja, warum selbst denken, wenn man Freunde hat, die so was für dich übernehmen?", wieder grinste Harry von einem Ohr bis zum anderen und diesmal belohnte Hermine den Kommentar mit einem Schlag gegen seine Schulter.

„Das ist für dich.", begann Hermine und überreichte Harry sein Geschenk. „Es war eigentlich für etwas anderes gedacht, aber vielleicht kannst du ja auch deine schlauen Sprüche hinein schreiben.", fuhr sie mit einem spitzen Blick auf ihren Freund fort.

Harry öffnete das Päckchen und hielt ein kleines, in roten Damast eingewickeltes Buch, das auf der Seite, an der man es öffnen konnte, mit einem kleinen Schloss versehen war, in der Hand. Es war definitiv ein Tagebuch.

„Ich dachte, es hilft dir vielleicht, wenn du wieder einen deiner Albträume hast.", erklärte Hermine leise.

„Danke.", sagte Harry lächelnd.

„Und das ist für dich.", verkündete Hermine daraufhin und überreichte Ron ein sehr kleines, flaches, rechteckiges Geschenk.

Ron runzelte die Stirn und sah Hermine verwirrt an, doch diese lächelte nur äußerst geheimnisvoll und schlug Ron vor, es zu öffnen.

Nachdem Ron ihrer Aufforderung nachgekommen war und er das Papier entfernt hatte, weiteten sich seine Augen und er sah Hermine mit einem ungläubigen und perplexen Gesichtsausdruck an. „Das ist Agrippa!", hauchte er ehrfürchtig. „Das ist die einzige Bildkarte, die ich noch nicht habe!"

„Ich weiß.", Hermine amüsierte sich großartig über Ron.

Nach einem kuren Moment der Stille, fiel Ron Hermine um den Hals und warf sie mit seinem Schwung zu Boden. Als er jedoch merkte, was er da gerade tat, ließ er sie sofort wieder los und räusperte sich. „Ähm . . . danke.", sagte er verlegen.

„Kein Ursache.", erwiderte Hermine mit einem leichten Anflug von Rosa um die Nase.

„So, und damit du wieder von deiner Wolke runterkommst: hier, das ist von mir.", unterbrach Harry die beiden und als Ron dessen Geschenk geöffnet hatte, fiel ihm eine Armbanduhr in den Schoß, für die er sich so viele Male überschwänglich bedankte, bis es Harry zuviel wurde und er Ron mitteilte, dass das Geschenk reiner Eigennutz gewesen sei, damit seine Nerven nicht mehr von ständiger Fragerei nach der Uhrzeit strapaziert würden.

„Also, ich hab ja auch was für dich, nur . . . es ist auch von den Zwillingen und Bill und . . . na ja, mach es einfach auf.", Ron überreichte seinem besten Freund ein Paket verborgen in silber-goldenem Geschenkpapier und als Harry das Papier entfernt hatte, hielt er einen kleinen, fein geschliffenen Dolch in den Händen, in dessen Klinge die Initialen H.J.P. eingraviert waren und dessen Griff auf der einen Seite zu einem Löwen und auf der anderen Seite zu einer Schlange geformt war.

Ungläubig hob Harry den Kopf und sah Ron in die Augen, der ihn nun unbehaglich musterte. „Ich hoffe, er gefällt dir. Ich . . .wollte nur . . . na ja, du weißt schon . . . ich . . .", stotterte er.

Doch Harry wusste, was er sagen wollte, Ron brauchte es nicht auszusprechen. Und die Erleichterung und die Freude, die ihn durchströmten waren größer, als er es sich je vorgestellt hatte. Er hatte immer gehofft, dass Ron ihm eines Tages sagen würde, dass er die Seiten eines Slyhterins in ihm, Harry, akzeptierte, doch er hatte nie damit gerechnet, dass es ihn so glücklich machen würde, es tatsächlich zu hören. Er wusste nicht, ob die Zwillinge und Bill in die Hintergründe dieses Geschenks eingeweiht waren, doch es war ihm egal. Wichtig war ihm, was Ron davon hielt und als er ihn dankbar umarmte, war ihre Umarmung so vertraut wie schon lange nicht mehr.

„Danke.", flüsterte Harry.

Ron lächelte, als er sich von seinem Freund löste. „Ich glaub, du weißt, was ich damit sagen wollte, oder?", fragte er.

Und Harry nickte. Er wusste, wie schwer es Ron fiel, über seine Gefühle zu sprechen.

Nun wandten sich die beiden wieder an Hermine, die sich daraufhin eilig eine vereinzelte Träne aus den Augenwinkeln wischte.

„Ein Geschenk für dich habe ich noch.", verkündete Ron jetzt und überreichte Hermine ein kleines Kästchen aus rotem Samt, das ansonsten unverpackt war.

Als Hermine es öffnete, kam darin eine feingliedrig gearbeitete, silberne Kette zum Vorschein, an der ein ebenfalls silberner Anhänger hing, auf dessen einer Seite Hermines Name und auf dessen anderer Seite eine Katze eingraviert war.

„Die Katze ist dein magisches Sternzeichen. Ich dachte, es würde dir vielleicht gefallen.", meinte Ron unsicher.

„Mir gefallen? Ich finde es wunderschön!", sagte Hermine leise und zog Ron in eine sanfte Umarmung.

In diesem Moment ließ Harry seine beiden Freunde allein und begab sich zu Fred, George und Bill, die in einer anderen Ecke gestanden und schon die ganze Zeit grinsend zu ihnen hinübergesehen hatten.

„Danke für euer Geschenk.", bemerkte Harry, als er bei den Dreien angekommen war.

„Kein Ursache. Wir wollten ja eigentlich einen anderen nehmen, aber Ron bestand darauf, dass es nur dieser Dolch und kein anderer sein dürfe. Er meinte, du würdest das schon verstehen.", erwiderte Fred achselzuckend.

„Verstehst du es?", wollte George neugierig wissen.

Also wussten sie es nicht. „Ja, das tue ich.", wich Harry aus und die Zwillinge erkannten, dass er wohl nicht weiter darüber reden wollte.

„Sagt mal, was ist da eigentlich zwischen Ron und Hermine? Seit ich hier angekommen bin, kommt es mir so vor, als würden die beiden ständig umeinander herumscharwenzeln.", warf Bill plötzlich ein.

Harry, Fred und George sahen zu den beiden hinüber. Sie waren in einen verlegene aber trotzdem angeregte Unterhaltung vertieft und Harry erkannte in Rons Augen ein Funkeln, das er noch nie in ihnen gesehen hatte. Und auch auf Hermines Gesicht lag ein Ausdruck, den Harry bis jetzt noch nicht von ihr kannte.

„Die beiden sind vollkommen ineinander verschossen, aber keiner von ihnen traut sich, den ersten Schritt zu machen.", informierte Fred seinen älteren Bruder nüchtern.

„Wir könnten ihnen ja dabei behilflich sein . . .", überlegte George.

„Glaubt ihr nicht, die beiden bekommen das allein auf die Reihe?", erwiderte Bill.

Fred und George sahen ihn skeptisch an. „Vielleicht in hundert Jahren, ja. Aber bis dahin werden sie ihre Zeit sinnlos mit jemand anderem verschwenden und das können wir doch nicht zulassen!"

Harry grinste, doch er gab Bill Recht. „Lasst den beiden noch ein paar Tage Zeit, vielleicht bis Sylvester. Wenn dann noch nichts passiert ist, helfe ich euch sogar beim Verkuppeln."   

Fred und George blieben zwar weiterhin skeptisch, doch als auch Bill Harrys Vorschlag zustimmte, fügten sie sich.

Harry sah von ihnen zu Mrs. und Mr. Weasley und schließlich zu Ron und Hermine. Er konnte sich glücklich schätzen, zwei so großartige Freunde zu haben und in einer Familie willkommen zu sein, die soviel Wärme und Geborgenheit zu geben hatte.

Doch er konnte nichts gegen die dunklen Gedanken tun, die sich in seinem Kopf festgesetzt hatten und sich nicht mehr vertreiben ließen.

Denn obgleich er alles tun würde, um diese Menschen zu beschützen und ihre Lebensfreude aufrecht zu erhalten, hatte er an diesem Tag das Gefühl, dass das nicht mehr reichen

würde . . .

****

„'Aben Sie Tele-Pulver?", erkundigte sich Olympe an der Rezeption des kleinen Hotels, in dem sie und Hagrid abgestiegen waren, um die Sache mit den Riesen zu erledigen.

„Aber natürlich.", erwiderte die etwas rundlichere, ältere Hexe, die das Hotel zusammen mit ihrem Mann führte. Während die Dame verschwand, um das Pulver zu holen, sah Olympe sich nach Hagrid um. Durch das Fenster konnte sie erkennen, dass der Halbriese draußen stand und sich mit dem Fahrer der Postkutsche unterhielt, der einmal am Morgen hier vorbeikam um die Post zu bringen und einmal am Abend, um zu verschickende Post abzuholen. Da das Haus nicht nur ein rein magisches Hotel war, war dies die beste Möglichkeit, die Muggel nicht misstrauisch zu machen.

Olympe erkannte, wie Hagrid wild gestikulierte, doch seine Worte konnte sie nicht verstehen. Nichtsdestotrotz huschte ein Lächeln über ihr Gesicht, als sie ihn liebevoll betrachtete. Sie hatte noch nie einen Mann wie Hagrid kennen gelernt. Bei ihm fühlte sie sich geborgen und beschützt. Und gleichzeitig war er der Erste, dem sie sich ebenbürtig fühlte. Das Auftauchen der Hotelchefin unterbrach ihren Gedankengang.

„Wohin wollen sie denn telen, Madame Maxime?", fragte die Dame.

„Nach 'ogwarts.", antwortete Olympe in einem Tonfall, der ihrer immer sehr neugierigen Gastgeberin klar machte, dass sie nichts weiter erfahren würde.

„Dann dürften hundert Gramm reichen. Damit können Sie etwa eine viertel Stunde telen."

„Das wird genügend Zeit sein. Wie viel macht das?"

„Eine Galleone und dreizehn Sickel."

Olympe zahlte der Hotelchefin den genannten Betrag, nahm das Tele-Pulver in Empfang und zog sich in den eigenes dafür vorgesehen Tele-Raum zurück, der für Muggel mit der Illusion eines Privat Schildes getarnt war.

Nachdem sie ihre Jacke abgelegt hatte, schob sie zwei der Stühle vor den munter prasselnden Kamin, zog ihren Zauberstab und murmelte „Magnus est!"

Nach diesen Worten durchlebten die Stühle eine seltsame Wandlung: sie wurden größer, ihre Beine und die Sitzflächen dicker und stabiler.

Zufrieden strich Olympe ihre blau-weiß-rot karierte Bluse glatt und blickte erwartungsvoll zur Tür.

In diesem Moment ging dieselbe auf und Hagrid polterte in den Raum. Von seinem Regenmantel liefen ganze Sturzbäche aus Regenwasser auf den steinernen Boden und nachdem er seinen Hut abgesetzt hatte, der nicht minder nass war, schüttelte er seine Haare, um die Wassertropfen loszuwerden, die über seinen Nacken in den Kragen zu rinnen drohten.

„Sauwetter.", schimpfte er vor sich hin und hing seinen Mantel ebenfalls an den Hacken. Danach wandte er sich zur Tür und schloss sie ab.

„Isch 'abe das Pulver. Wir können Minerva jetzt informieren.", verkündete Olympe, setzte sich auf einen der beiden Stühle und schlug elegant die Beine übereinander, während sie dabei zusah, wie auch Hagrid neben ihr Platz nahm.

„Sie wird von der Entscheidung der Riesen nicht sonderlich begeistert sein.", erwiderte Hagrid.

„Nein. Aber je frü'er sie davon erfährt, desto e'er kann sie entspreschende Maßnahmen treffen.", mit diesen Worten warf sie das Tele-Pulver in das Kaminfeuer, woraufhin sich dieses leuchtend blau verfärbte.

„'ogwarts, Verwandlungszimmer. Dies diem docet.", mit den letzten Worten nannte Olympe das Passwort für Minerva McGonagalls Büro.

Nach einem kurzen Moment erschien der Kopf der Verwandlungslehrerin in den Flammen. Sie wirkte müde und abgespannt.

„Hagrid, Olympe.", begann sie. „Schön, von euch zu hören." 

„Warte auf unsere Nachrichten.", entgegnete Hagrid düster.

Minervas letztes bisschen Haltung, die sich auf ihrem Gesicht gezeigt hatte, fiel bei diesen Worten in sich zusammen. „Sie werden nicht auf unserer Seite kämpfen.", stellte sie fest.

Olympe und Hagrid schüttelten die Köpfe.

„Wir konnten sie nischt überzeugen. Aber sie werden auch nischt für Voldemort kämpfen.", erklärte Olympe.

Einen Moment lang sah Minerva mit nachdenklich gerunzelter Stirn auf den Boden vor dem Kamin, dann jedoch strafften sich ihre Schultern und sie hob den Kopf. Stolz hatte sich in ihre Augen gelegt. „Gut. Dann verzichten wir auf die Riesen. Wir haben schon jetzt die Kobolde aus dem Verbotenen Wald auf unserer Seite, Dobby hat das für uns erreicht. Charly Weasley versucht, einige Drachen zu zähmen, um sie für unsere Sache zu gewinnen und er ist optimistisch, was das Gelingen angeht. Sirius hat in den letzten Wochen mit den Zentauren, Elfen und Feen im Verbotenen Wald geredet und auch diese werden sich höchst- wahrscheinlich auf unsere Seite schlagen.

Die einzigen, um die wir uns jetzt noch sorgen müssen, da sie ausreichend entwickelt sind, um sich einer der beiden Seiten anzuschließen, sind die Werwölfe, die Veela und die Vampire. Remus wird sich um die Werwölfe kümmern, er ist sicher, dass zumindest einige von ihnen unsere Seite wählen werden. Bei den Vampiren ist es ebenso. Einige von ihnen werden sich uns anschließen, andere Voldemort. Und bei den Veela hatte ich auf Fleur Delacour gehofft.", endete Minerva und schaute Olympe fragend an.

Diese nickte langsam. „Isch denke, isch werde Fleur nischt dazu überreden müssen, sisch für uns einzusetzen."

Hagrid hingegen blickte nachdenklich. „Was ist mit den Hippogreifen? Wenn wir sie zähmen, oder sie zumindest an uns Zauberer gewöhnen würden, wären sie gute Reittiere. Oder die Einhörner. Was ist mit ihren außerordentlichen magischen Fähigkeiten?"

Minerva sah ihn an. „Ich werde die Idee mit den Hippogreifen beim nächsten Rat des Phönixordens zur Sprache bringen, doch wenn wir dafür stimmen sollten wirst du das übernehmen müssen. Es kämen dafür niemand außer dir und Charly in Frage und Charly ist bereits mit den Drachen beschäftigt.

Über die Einhörner haben wir bereits diskutiert und sind zu dem Schluss gekommen, dass sie als magische Tiere zu kostbar sind, als dass wir ihr Leben mutwillig aufs Spiel setzen dürften. Zudem sind sie zu scheu. Sie würden niemals einem Menschen zuhören."

Nun war es an Hagrid, zu nicken. „In Ordnung. Dann werden wir uns morgen auf die Heimreise begeben. In etwa drei Tagen sind wir in Hogwarts."

„Gut. Dann wünsche ich euch eine angenehme Reise und eine gute Nacht.", schloss Minerva und nachdem Olympe und Hagrid ihren Gruß erwidert hatten, verschwand ihr Kopf aus dem blauen Feuer des Kamins.

„Wenn Voldemort die Dementoren, die Veela, Vampire und Werwölfe auf seiner Seite 'at, dann . . . isch will nischt pessimistisch klingen, aber . . . es sieht nischt wirklisch gut für uns aus.", sagte Olympe und Hagrid musste ihr widerwillig Recht geben.

****

Als Ron aus dem Bad kam und sein Zimmer betrat, sah er Harry bereits an die Decke blickend in seinem Bett liegen. Langsam ließ er sich auf seinem eigenen Bett nieder und rieb sich mit dem Handtuch durch die vom Duschen noch immer feuchten Haare. Der Tag war mit einem Quidditchspiel bei klirrender Kälte und einer Schneeballschlacht vergangen und Ron war vollkommen erschöpft und dankbar, sich nun in sein Bett fallen lassen zu können. Doch zuvor musste er noch etwas erledigen.

„Sirius ist wieder da.", informierte Ron seinen Freund.

Harry erwachte aus seiner Lethargie und richtete seinen Blick auf Ron. „Wann ist er zurück gekommen?"

„Vor ein paar Minuten. Ich habe gehört, wie Dad mit ihm geredet hat. Danach ist er allerdings ins Bett, das heißt, Sirius dürfte jetzt alleine sein.", der Wink mit dem Zaunpfahl war überdeutlich.

Als Harry daraufhin nichts erwiderte, seufzte Ron. „Geh zu ihm, Harry. Ihr müsst miteinander reden!"

Harry blieb noch einen Moment lang in seine Kissen gedrückt liegen, dann setzte er sich ruckartig auf und sah Ron an. „Du hast recht.", mit diesen Worten schlug er die Bettdecke zurück und schwang die Beine aus dem Bett. Seine grünen Augen funkelten entschlossen, als er sich den blauen Morgenmantel überzog, den Mrs. Weasley ihm gegeben hatte. „Ich werde mich entschuldigen."

Er sah Ron noch einen kurzen Augenblick lang an, dann öffnete er die Tür und stieg im Dunkeln die Treppe nach unten. Seine nackten Füße erzeugten kein Geräusch auf dem kalten Boden und so trat er unbemerkt an die Wohnzimmertür heran und sah seinen Paten auf dem Sofa vor dem Kamin sitzen. Ein Glas dunklen Rotwein in der Hand haltend starrte er in das unruhig flackernde Feuer. Er schien in tiefes Nachdenken versunken zu sein.

„Hey.", sagte Harry leise und betrat langsam den Raum.

Sirius fuhr erschrocken herum, doch als er erkannte, wer vor ihm stand, verschloss sich sein Gesicht. „Abend, Harry."

Schweigend sah er dabei zu, wie sein Patensohn mit zögernden Schritten näher kam und sich schließlich in die andere Ecke des Sofas setzte als habe er Angst, Sirius zu nahe zu kommen.

Harry schaute angestrengt auf seine Hände und schwieg. Er wusste nicht, wie er anfangen sollte. Sirius war verletzt, das wusste er und er konnte es verstehen. Und er kannte Sirius mittlerweile so gut, dass er wusste, dass dieser in diesem Fall nicht den ersten Schritt machen würde. Nicht nach Harrys letztem Satz.

Schließlich richtete er seinen Blick auf seinen Paten, sah ihm direkt in die schwarzen Augen, bei denen Harry immer das Gefühl hatte, als schließe sich eine Tür hinter ihnen, wann immer sie so emotionslos und starr waren wie in diesem Moment. „Es tut mir Leid."

Sirius antwortete nicht und Harry verzog gequält das Gesicht. Er hatte sich noch nicht oft für etwas entschuldigen müssen, doch nichtsdestotrotz hasste er es.

„Ich habe das was ich gesagt habe, nicht so gemeint, ich war wütend. Sirius . . . natürlich bedeutest du mir etwas! Du bist mein Vater. Oder zumindest das, was dem am nächsten kommt. Es . . . tut mir wirklich Leid."

Einen Moment lang geschah nichts. Dann griff Sirius in seine Tasche und zog etwas heraus, dass er in der geschlossenen Hand verborgen hielt. Schließlich öffnete er die Faust und heraus fiel ein etwa acht Zentimeter großes christliches Kreuz, das an einem schwarzen Lederband befestigt an Sirius' Mittel- und Zeigefinger hing.

„Das ist mein Weihnachtsgeschenk. Eigentlich wollte ich es dir zusammen mit deinen anderen Geschenken überreichen.", er blickte von dem Kreuz auf und sah Harry aufmerksam an. „Ich akzeptiere, dass du kein Kind mehr bist, Harry. Aber du wirst mich nicht davon abhalten können, das zu tun, was ich mir versprochen habe.", mit diesen Worten überreichte er Harry die Kette.

Das Kreuz war aus dunklem Silber gefertigt und dort, wo sich die beiden Balken trafen, war ein durchsichtiger, hell funkelnder Stein eingefasst.

Harry sah Sirius aus großen Augen an. „Ist das . . . ein Diamant?", fragte er ungläubig und zu seiner Verblüffung nickte Sirius.

„Sie sind in unserer Welt zwar auch nicht grade häufig, aber bei weitem nicht so selten wie bei den Muggeln. Es sind Glücksbringer. Diamanten sind vollkommen rein und sollen deshalb alles Böse von dir abhalten."

Harry lächelte und streifte sich die Kette über den Kopf. Das Lederband war lang genug, dass er das Kreuz immer unter seiner Kleidung würde verbergen können um nicht ständig neugierigen Fragen ausgesetzt zu sein.

„Danke.", sagte er und nach ein kurzen Zögern rutschte er ein Stück und umarmte seinen Paten, der diese Umarmung widerstandslos erwiderte, woraufhin Harry eine riesige Erleichterung durchflutete. Sirius hatte ihm verziehen. Alles andere war in diesem Moment vollkommen unwichtig geworden.

Nach einigen Sekunden lösten sie sich wieder voneinander und blickten in einträchtigem Schweigen ins Feuer.

„Ich habe Sorcery gesehen.", bemerkte Harry mit einem Mal, ohne dass er vorher überhaupt darüber nachgedacht hatte, was er sagen wollte. Er erschrak selbst vor seiner Aussage, doch gleichzeitig spürte er, dass er es hatte loswerden müssen. Er hatte nicht mit Ron und Hermine darüber gesprochen, weil er nicht wollte, dass sie sich wieder um ihn sorgten. Er wollte nicht, dass sie ihn schon wieder mit ihren Fragen quälten, auch wenn sie es nur gut meinten.

Sicher, auch Sirius würde sich sorgen und Fragen stellen, doch bei ihm war es anders. Bei ihm fühlte Harry mehr Verständnis, mehr Entgegenkommen. Und für diese Gefühle schämte er sich beinahe. Denn warum konnte Sirius ihm etwas geben, das ihm seine besten Freunde nicht entgegenbringen konnten? Warum hatte er das Gefühl, Sirius würde ihn besser verstehen?

Sirius' Augen weiteten sich, als er die letzten Worte seines Patensohnes hörte. „Was?!" 

Harry nickte. „Als ich auf dem Friedhof war. Er war auch dort und er . . . er hat mir erneut angeboten, auf seine Seite zu wechseln. Ich bin nicht darauf eingegangen, aber . . . ich habe Angst, das Falsche getan zu haben.", endete er flüsternd.

Sirius hatte eigentlich zu einer erneuten Strafpredigt ansetzen wollen, doch als er bemerkte, wie verunsichert Harry wirkte, verblasste seine aufkeimende Wut und machte einer tiefen Besorgnis Platz. „Warum hast du Angst?", fragte er leise.

„Er hat mir gedroht, euch zu verletzen. Dich, Ron, Hermine . . . Sirius, Ginny ist schon tot. Wie soll ich mit der Schuld leben, wenn ihr auch . . .", hilflos ließ Harry seinen Satz in der Luft hängen.

Sirius fasste Harry um die Schultern, drehte seinen Patensohn zu sich herum und sah ihn eindringlich an. Was er sah, erschreckte ihn: Harrys Augen waren erfüllt von Sorge, Schuldgefühlen, Unsicherheit . . . und einer Dunkelheit, die Sirius unwillkürlich erschaudern ließ. Trotzdem hatte er nicht vor, Harry mit seiner Angst allein zu lassen.

„Harry, du bist nicht Schuld!", sagte er nachdrücklich. „Weder an Ginnys Tod, noch an Cedrics, noch an sonst einem derer, die noch sterben werden. Es sind Voldemort und seine Leute, die daran Schuld sind, nicht du, verstanden?"

Harry nickte, doch Sirius erkannte, dass er nicht überzeugt war.   

„Du willst deine Freunde beschützen, Harry, und . . ."

„Aber tue ich das denn?", unterbrach ihn Harry. „Beschütze ich sie? Oder lasse ich sie durch meine Entscheidung in ihr Verderben laufen?"

„Du weißt nicht, welche Folgen deine Entscheidung haben wird, aber du kannst sicher sein: sie war richtig! Glaubst du denn, das Chaos, das ihr beide auslösen würdet, würde vor deine Freunden Halt machen? Sie leben in ständiger Gefahr und das nicht nur, weil sie deine Freunde sind. Du kannst dir nicht alles Übel der Welt auf die Schultern legen!"

Harry lächelte bitter. „Wahrscheinlich hast du Recht."

Sirius sah seinen Patensohn beunruhigt an. Harry war mit einem Mal so verunsichert, so wenig von sich selbst überzeugt, er glaubte nicht mehr an sich. Und Sirius wusste nicht, was er dagegen tun sollte. Er wusste nicht, wie er Harry seine Selbstvorwürfe nehmen sollte.

Hilflos legte er ihm deshalb eine Hand auf die Schulter und zog ihn in eine kurze Umarmung. „Du hast das Richtige getan.", sagte er leise.

Und Harrys Gesicht verzog sich zu einem jener ehrlichen und echten Lächeln, von denen beide nicht wussten, wie selten sie in nächster Zeit werden sollten.

****

Jack Heed war in vielerlei Hinsicht ein vollkommen normaler Mann.

Man würde sein Alter auf Mitte bis Ende Dreißig schätzen, er hatte aschblondes Haar, helle blaue Augen, war durchschnittlich groß und zu hause warteten seine Frau und seine beiden Kinder auf ihn.

Der erste Punkt, der seine Normalität störte, war die Tatsache, dass er ein Zauberer war. Und der zweite Punkt, der ihm sogar nach Zaubererstandarts jegliche Normalität absprach, war die Tatsache, dass er genau in diesem Moment das Eingangstor zu dem Gefängnis bewachte, in dem die gefährlichsten Verbrecher der magischen Welt ihre Strafe absaßen.

Eilean Donan Castle war eine kleine, mittelalterliche Burg. Sie lag auf einer winzigen Insel inmitten eines schottischen Sees, die nur durch eine lange, schmale Brücke aus Stein mit dem Festland verbunden war. Vor einigen Wochen waren die Hochsicherheitsgefangenen aus Askaban hierher gebracht worden, da sich das Gerücht verbreitet hatte, Du-weißt-schon-wer wolle Askaban einnehmen.

Und Jack war mitgegangen. „Sie werden versetzt, da Sie einer der Wenigen sind, denen wir diesen Job zutrauen.", hatte es geheißen. Jack schnaubte abfällig.

Es war der Abend des achtundzwanzigsten Dezembers, sein erster Arbeitstag nach Weihnachten. Momentan stand er alleine vor dem hölzernen Eingangstor; ein Wachwechsel wurde gerade vorgenommen.

Abwesend sah er zum Nachthimmel hinauf, an dem eine schmale Mondsichel verkündete, dass es in spätestens drei Wochen Vollmond sein würde, und inhalierte einen tiefen Zug aus seine Zigarette, die er daraufhin an der Burgmauer ausdrückte und achtlos ins Gras warf. Plötzlich hörte er ein Rascheln und er wirbelte erschrocken herum, den Zauberstab einsatzbereit in der Hand.

„Wer ist da?", fragte er mit herausfordernder Stimme, die jedoch nicht ganz so sicher klang, wie er es gerne gehabt hätte.

Als er keine Antwort erhielt, wollte er sich schon abwenden, als er zu seiner Linken eine schnelle Bewegung wahrnahm. Das letzte, was er hörte und fühlte, war eine Stimme, die „Expelliarmus!" schrie und eine Klinge, die über seinen Hals schnitt, bevor er sich nach Luft röchelnd die Hand auf den Hals presste, spürte, wie seine Finger warm und nass von seinem eigenen Blut wurden und er tot auf dem Boden zusammenbrach.

****

Zaubereiminister Cornelius Fudge war ein sehr ordnungsliebender, wenn nicht sogar schon pedantischer Mann. Aus diesem Grund hasste er Unordnung. Und nun stand er vor seinem Schreibtisch, auf dem das pure Chaos herrschte, da er seinem Stellvertreter gestern unglücklicherweise erlaubt hatte, daran zu arbeiten.

Da Cornelius Fudge auch ein sehr jähzorniger und ungeduldiger Mensch war, ließ sein Wutausbruch nicht lange auf sich warten.

„Holly!", brüllte er und keine fünf Sekunden später trat seine Sekretärin in das Büro .

„Ja, Sir?", fragte die Hexe nüchtern. Mit der Zeit hatte sie sich an die Anfälle ihres Chefs gewöhnt und nahm sie nun nicht mehr sonderlich ernst. Im Grunde genommen nahm sie niemand mehr ernst.

„Ich habe angeordnet, dass Michael den Schreibtisch wieder aufräumt, sobald er mit seiner Arbeit fertig ist! Warum ist das nicht befolgt worden?!", Cornelius' Gesicht hatte mittlerweile einen ungesunden roten Farbton angenommen und erinnerte unschön an einen gerade aus dem kochenden Wasser geholten Krebs.

„Ich bin vor Mr. Houston gegangen und konnte nicht mehr kontrollieren, ob er ihren Anweisungen folgt. Es wird nicht wieder vorkommen, Sir.", erklärte Holly.

Cornelius atmete noch immer schwer, beruhigte sich aber langsam wieder. „Das will ich auch stark hoffen. Machen Sie mir bitte einen Tee, und sorgen Sie dafür . . .", weiter kam Cornelius nicht, denn seine Ansprache wurde unterbrochen von einem kleinen Mann, der ohne sich anzukündigen in das Büro gestürzt kam.

Und da Cornelius Fudge nichts mehr hasste, als Unhöflichkeit, wollte er gerade zu einem erneuten Ausbruch ansetzen, doch der Mann ließ ihn nicht zu Wort kommen.

„Cristian Neal, mein Name, Sir, und ich habe Neuigkeiten aus Schottland.", sprudelte er hervor.

An dieser Stelle umklammerte Cornelius die Lehne des Stuhles, der vor seinem Schreibtisch stand, denn ihm schwante Böses.

„Er, Dessen Name Nicht Genannt Werden Darf, hat Eilean Donan Castle eingenommen. Alle Wärter wurden auf . . . bestialische Art ermordet und die Gefangenen sind auf freiem Fuß, Sir."

Totenstille breitete sich in dem kleinen Raum aus, bevor die sonst immer so resolute Holly „Gott der Allmächtige" ausstieß und sich mit ängstlichem Blick bekreuzigte.

Cornelius sank fassungslos auf einen Stuhl und schlug die Hände vors Gesicht. Wie hatte er diesen Fehler begehen können? Seine Minister hatten ihm zu diesem Schritt geraten und er war darauf eingegangen. Ohne sich um die Warnungen des Nachrichtendienstes und der Weißen Rose zu kümmern.

Doch da Cornelius Fudge auch kein Mann war, dem in dringenden Situationen sofort die richtigen Worte und Taten einfallen, schickte er seine Sekretärin und Cristian nach draußen und fragte sich, was in Merlins Namen er jetzt tun sollte.

****

Der Morgen des neunundzwanzigsten Dezembers begann für Severus nicht anders, als die dreihundertvierundsechzig anderen im Jahr. Er wachte auf, als die Standuhr an der Wand seines Schlafzimmers zur eingegeben Zeit eine düster-melancholische Melodie anzustimmen begann und fluchte wie an jedem Morgen, wie unendlich verstimmt das Glockenspiel war und warum zum Merlin er am vergangenen Tag nicht daran gedacht hatte, dieses Problem zu beheben. 

Dann schlug er die schwarze Bettdecke zurück, ging über den kalten Steinboden zu einem hohen, zweitürigen Schrank, der wie das Bett aus Tannenholz gezimmert war und warf einen Blick zu dem kleinen Fenster nach oben, das direkt unter der Kerkerdecke lag und ihm jeden Morgen verriet, ob die Sonne schien, oder nicht, da sein Schlafzimmer nach Osten ausgerichtet war.

Noch bevor er sich zum Bad begab, sah er nach etwaigen Zaubertränken vom Vortag, die in einer abgetrennten Ecke seines geräumigen Wohnzimmers, die er sich als Forschungslabor eingerichtet hatte, vor sich hin kochten und die er auch sofort berichtigte, wenn er einen Fehler in Farbe, Geruch oder Konsistenz bemerkte. Was aber so gut wie nie der Fall war.

Üblicherweise würde er sich danach waschen und anziehen, einige liegengebliebene Arbeiten erledigen und sich dann auf den Weg zum Frühstück in die Große Halle machen, doch dem sollte an diesem Morgen nicht so sein.

Denn als Severus an diesem Morgen gerade einen Kessel gefüllt mit Halluzinogen-Trank betrachtete und ihm nach eingängiger Prüfung drei Fischschwänze und fünf Hanfblätter beifügte, klopfte es an der Tür und ohne eine Antwort abzuwarten, stürmte eine sehr ernst aussehende Minerva McGonagall in sein Büro.   

„Guten Morgen, Severus.", begann sie und schloss die Tür hinter sich.

„Darf ich fragen, was dich zu dieser Uhrzeit in mein Büro führt?", fragte Severus ungehalten. Er konnte nicht gerade behaupten, es akzeptabel zu finden, dass die Verwandlungslehrerin ihn mit zersausten Haaren und in einem Morgenmantel zu Gesicht bekam.

Allerdings schien sich Minerva daran nicht zu stören. „Ich will dich in einer viertel Stunde im Versammlungsraum sehen. Es gibt etwas Wichtiges zu besprechen.", erklärte sie ohne Umschweife.

Herablassend hob Severus eine Augenbraue. „Und was ist so wichtig, dass es nicht bis zum nächsten Phönixtreffen warten kann?"

Minerva funkelte ihn wütend an. Severus schaffte es immer wieder, sie an den Rand ihrer Nervenkraft zu treiben. „Das erkläre ich dir, wenn du oben erscheinst.", mit diesen Worten wandte sie sich ab und rauschte unter erregtem Gemurmel aus dem Raum.

Severus seufzte, wandte sich mit einem bedauernden Blick von seinem Zaubertrank ab und begab sich ins Badezimmer.  

„Was kann so wichtig sein, dass uns Minerva zu dieser Uhrzeit zusammenruft?", fragte Sirius, während er mit Remus durch die Gänge von Hogwarts eilte. An diesem Morgen hatte sie beide in aller Herrgottsfrühe eine Eilige Eule erreicht, die ihnen aufgeregt krächzend einen Brief überbracht hatte, in dem Minerva sie aufforderte, sich umgehend nach Hogwarts zu begeben.

Remus zuckte die Schultern. „Aber da Arthur auch ins Ministerium gerufen worden ist, schätze ich, dass es etwas mit Voldemort zu tun hat."

Sirius nickte, ein Ausdruck von dunkler Vorahnungen hatte sich über sein Gesicht gelegt.

„Sag, hat Harry noch mal mit dir geredet?", fragte Remus vorsichtig.

Sirius seufzte. „Ja. Zwischen uns ist wieder alles okay, aber . . .", er brach ab, nicht wissend, wie er seinem Freund erklären sollte, was Harry empfand, ohne diesen wie einen ängstlichen kleinen Jungen darzustellen.

„Aber was?"

Sie waren mittlerweile im Südturm angekommen und lehnten sich an die Wand. Sirius fuhr sich mit den Händen über die Augen und sah Remus daraufhin resigniert an. „Er macht sich Vorwürfe. Er gibt sich die Schuld an allem, was gerade passiert. An Cedrics Tod, an Ginnys Tod . . . und ich weiß nicht, wie ich ihm helfen kann. Ich weiß nicht, wie ich ihm klar machen kann, dass das verdammt noch mal nicht richtig ist!"

„Diplomatie war eben noch nie deine Stärke, Black.", ertönte eine höhnische Stimme und Sirius und Remus fuhren herum.

„Warum kannst du nicht einfach mal dein dreckiges Maul halten, Snape?", fauchte Sirius, als er seinen verhassten ehemaligen Mitschüler erkannte.

Auf Severus' Gesicht breitete sich ein gönnerhaftes Lächeln aus. „Sehr eloquent ausgedrückt, wirklich."

„Wenn du nichts sinnvolleres zu sagen hast, kannst du auch verschwinden!", giftete Sirius.

„Er ist auf meine Einladung hin hier, ebenso wie ihr beide.", unterbrach die eben ankommende Minerva McGonagall ihren aufkeimenden Streit. „Und nun hört auf, euch wie kleine Kinder zu benehmen. Man sollte wirklich meinen, aus dem Alter wärt ihr raus."

Nach einem weiteren kurzen, scharfen Blick auf die drei Männer schloss sie die Tür zum Versammlungsraum auf und trat hinein.

Sirius, Remus und Severus folgten ihr und setzten sich zu ihr an den ovalen Tisch.

„Also, was gibt's?", fragte Sirius, seine ihm angeborene Neugier nicht unterdrücken könnend.

„Heute morgen hat mich Cornelius Fudge aus dem Bett getelt.", begann Minerva. „Eilean Donan Castle ist heute Nacht eingenommen worden. Die Wärter sind tot, die Gefangenen entkommen."

Ungläubige Stille legte sich über die kleine Runde, selbst Severus hatte seinen üblichen kalten Gesichtsausdruck abgelegt und wirkte ehrlich erschüttert.

„Wer nicht hören will, muss fühlen.", kommentierte Remus schließlich nüchtern, was ihm einen tadelnden Blick von Minerva einbrachte.

„Das war nun wirklich nicht gerade passend, findest du nicht auch?", fragte sie.

„Remus hat Recht.", kam Sirius seinem Freund zur Hilfe. „Die Weiße Rose hat ihn vor der Verlegung gewarnt, der NMW hat ihn gewarnt, aber Fudge wollte nicht hören. Und zwar weil er ein kurzsichtiger, unfähiger und engstirniger Dilettant ist. Hätte diese Tatsache nicht solche Auswirkungen, könnte man beinahe darüber lachen."

„Deiner Meinung über Fudge kann ich leider nicht widersprechen.", bestätigte Minerva. „Ich habe nur euch Drei zusammengerufen, weil für ein groß angelegtes Treffen keine Zeit ist. Severus, ich gehe davon aus, dass Voldemort dich in den nächsten Tagen zu sich rufen wird. Ich möchte von dir eine genaue Beschreibung der Lestranges, wenn du sie siehst."

„Amelie und Girard Lestrange waren in Eilean Donan Castle?", wiederholte Sirius entsetzt.     

Das Ehepaar Lestrange war vor Jahren an dem Verbrechen an Frank und Tara Longbottom beteiligt gewesen. Sie waren eine der treuesten und mächtigsten Gefolgsleute Voldemorts, und ihre Skrupellosigkeit und ihre großen magischen Fähigkeiten machten sie neben nur wenigen anderen zu den gefährlichsten Todessern des Dunklen Lords

„Sie gehörten zu den Hochsicherheitsgefangenen in Askaban.", erklärte Minerva.

„Wer genau war alles in der Burg untergebracht? Wer gehört zu den Hochsicherheits- gefangenen?", wollte Severus wissen.

Minerva seufzte. „Die Unterlagen über die genauen Namen hält das Ministerium noch zurück. Sie sind streng vertraulich.", der Tonfall der Verwandlungslehrerin ließ keinen Zweifel daran, was sie davon hielt. „Aber dass die Lestranges dabei sind, ist selbstverständlich. Und . . . Peter Pettigrew gehörte auch dazu.", schloss sie und warf Sirius einen ernsten Blick zu.

Sirius starrte die Lehrerin für Verwandlung an. „Wie bitte?!", fauchte er schließlich, stieß seinen Stuhl zurück und stand auf.

Remus bemerkte, dass er, von einer haltlosen Wut ergriffen, zitterte.

„Peter ist auf freiem Fuß?!", in Sirius' Stimme war deutlich der Hass zu hören, den er bei dem Gedanken an seinen ehemaligen Freund empfand. „Das kann nicht sein!"

Aufgeregt ging er mittlerweile auf und ab, fassungslos den Kopf schüttelnd. Plötzlich blieb er stehen. „Dieser miese, kleine . . ."

„Sirius!", unterbrach Remus ihn mahnend.

Als Sirius daraufhin seine Aufmerksamkeit auf seinen Freund richtete, sah er Remus beruhigend den Kopf schütteln.

„Genau deshalb habe ich auch dich gebeten zu kommen, Sirius.", schaltete Minerva sich ein. „Ich will nicht, dass du jetzt losgehst und anfängst, Pettigrew zu suchen. Ich kann deinen Hass verstehen, aber momentan gibt es weitaus Wichtigeres. Irgendwann bekommt Peter seine gerechte Strafe, aber jetzt haben wir keine Zeit dafür."

Sirius sah sie einen Moment lang angriffslustig an und schien ihr widersprechen zu wollen, doch schließlich überlegte er es sich anders, setzte sich wieder und nickte widerwillig.

„Wie du meinst, Minerva.", fügte er sich, doch Remus kannte Sirius zu gut, als dass er ihm seine Worte abgekauft hatte. Sirius würde alles dafür tun, Peter zu finden. 

„Remus", wandte Minerva sich an den Werwolf, „ich möchte, dass du nach Askaban gehst und Dumbledore darüber informierst, dass Eilean Donan Castle gefallen ist. Ich möchte gerne seine Meinung dazu hören und eigentlich solltest du keine Probleme bekommen. Ich bin bis jetzt erst einmal bei ihm gewesen, sie können uns nichts vorwerfen."

Remus nickte.

Für wenige Sekunden erfüllte tiefes Schweigen den kleinen Raum, dann schüttelte Severus verächtlich lächelnd den Kopf. „Voldemorts Reihen verdichten sich immer mehr. Und wenn Amelie und Girard ihre geistige Gesundheit – oder zumindest ihre Zauberkraft – zurück erlangt haben, hat er zwei neue verlässliche Verbündete, die alles tun werden, was er verlangt." 

„Ist Lestrange nicht der Bruder von Narcissa Malfoy?", fragte Remus stirnrunzelnd.

Minerva nickte.

Sirius, der erkannt hatte, auf was sein Freund hinaus wollte, führte Remus' Gedanken weiter. „Dann ist es doch wahrscheinlich, dass sie zunächst bei den Malfoys unterkommen werden. Wenn wir sie dort festnehmen könnten, dann . . .", weiter kam er nicht, denn Severus unterbrach ihn.

„Oh, bitte, Black. Glaubst du, du kannst einfach in Malfoy Manor einmarschieren? Lucius ist der Minister für Innere Sicherheit. Und wenn du vor seiner Tür stehst und sein Haus durchsuchen willst, wird er dir ins Gesicht lachen und dir die Tür vor der Nase zuschlagen. Deine Naivität ist beinah . . . niedlich."

Sirius funkelte ihn wütend an. „Du glaubst wirklich, dass du die Weisheit mit dem goldenen Löffel gefressen hast, oder?", zischte er.

„Einer von uns muss sie ja bekommen haben.", entgegnete Severus ungerührt.

Sirius wollte gerade etwas bissiges erwidern, als er Minervas ungeduldigen Blick bemerkte und seinen Kommentar unwillig hinunterschluckte.

„Du könntest mit deiner Chefredaktion darüber reden, ob die Weiße Rose etwas tun kann, um die Menschen zu informieren.", schlug Remus vor.

Sirius nickte. „Ich denke, Jeremy wird einverstanden sein."

„Und ich werde schauen, ob ich Fudge die Liste derjenigen entlocken kann, die in der Burg gefangen waren.", fügte Minerva hinzu. „Ich bezweifle es zwar und ich gehe davon aus, dass er in seiner Unfähigkeit auch den Nachrichtendienst nicht informieren, sondern nur mit den Auroren sprechen wird, aber warum sollte man es nicht wenigstens versuchen."

****

Narcissa Malfoy saß gerade am Tisch des Salons und trank eine Tasse französischen Kaffee, als ihr Mann den Raum betrat.

„Es ist vollbracht.", verkündete Lucius und legte die Todessermaske, die er unter dem Arm getragen hatte, auf den Tisch. „Eilean Donan Castle befindet sich in der Hand des Lords. Und das Ministerium steht Kopf.", ein böses Lächeln stand auf seinem Gesicht.

„Wo sind Girard und Amelie?", erkundigte sich Narcissa, legte das Buch, in dem sie gelesen hatte, zur Seite und stand auf.

In diesem Moment ging die Tür erneut auf und Draco trat in den Raum. „Guten Morgen.", grüßte er seine Eltern höflich, setzte sich dann allerdings ohne ein weiteres Wort an den Tisch und nahm sich ein Croissant aus dem Brotkorb.

„Guten Morgen, mein Sohn. Wir haben heute einen großen Durchbruch erzielt. Interessiert es dich zu hören, welchen?", fragte Lucius und Draco sah auf.

Narcissa bemerkte, wie das Gesicht ihres Sohnes von größtem Respekt zeugte. Doch sie bezweifelte, dass es in seinem Inneren ebenso demütig aussah. Draco war wie Lucius ein hervorragender Schauspieler: bereit, seine Emotionen gewinnbringend einzusetzen; unberechenbar in diesen seltenen Momenten, wenn seine echten Gefühle die Oberhand gewannen; scheinbar kalt und unbeteiligt, wenn er Magie ausübte und dennoch mit einem flackernden, alles verschlingenden Feuer in den Augen; fähig dazu, ohne Reue mit seinen schlanken Fingern die grauenvollsten Taten zu begehen und mit seinen Lippen die dunkelsten Flüche auszusprechen.

Ebenso wie Lucius hatte Draco jenes weißblonde, unwirklich helle Haar; jene sturmgrauen und kristallklaren Augen, die jeden dazu bringen konnten, alles für ihn zu tun. Sei es aus purer Angst oder weil sie seinen Augen verfallen waren. Und wie Lucius war sich Draco vollkommen dessen bewusst, was er war. Er war mit einer Arroganz, einer Selbstherrlichkeit und einer Bösartigkeit ausgezeichnet, die schon jetzt beinah die Lucius' übertrumpften.

Manchmal fragte Narcissa sich, ob Draco nichts von ihrer Familie, den Lestranges, geerbt hatte. Doch dann rief sie sich Dracos hohe Wangenknochen ins Gedächtnis, mit welchen in ihrer Familie jeder versehen war. Hinzu kam Dracos unbeugsamer Stolz. Draco war sich selbst der nächste. Alles, was er tat, tat er, um sich selbst einen Gewinn zu verschaffen. Er tat alles, um seine Ziele zu erreichen, auch wenn sein Weg dabei von Leichen gepflastert wurde und er brachte seinen Mitmenschen nur dann scheinbaren Respekt entgegen, wenn er sich daraus einen Vorteil errechnete. Er war nicht umsonst ein Slytherin.

Und anders als Lucius würde Draco es sich nicht erlauben, in einen regelrechten Blutrausch zu verfallen, sobald er die Gelegenheit dazu bekam. Narcissa war sich vielmehr sicher, dass er auch in Situationen, in denen andere sich in voller Mordlust und einer unstillbaren Gier nach Leid selbst vergaßen, seine Selbstbeherrschung bewahren würde. Und das war typisch für die Familie Lestrange. Sie erfreuten sich am Elend anderer, sie verachteten alles, was nicht ihren Standarts entsprach, doch sie vergaßen nicht, was sie waren.

Und so würde auch Draco nicht vergessen was er war, sondern Minderwertigen stilgerecht und gefasst Schmerzen zufügen und ihren Tod verursachen, ohne sich so offensichtlich daran aufzugeilen, wie die meisten Todesser es taten.

Dracos Stimme war ungerührt und gefasst, als er seinem Vater antwortete und Narcissa wurde wieder von jenem kalten Stolz erfasst, der das einzige Gefühl war, das sie für ihren Sohn hegte. „Er hat Eilean Donan Castle eingenommen?"

Ja, mein Sohn, dachte Narcissa innerlich lächelnd, zeige niemandem deine wahren Gefühle, so wie wir es dich immer gelehrt haben. Wahre Gefühle machen dich angreifbar, denn wenn man dich lesen kann wie ein offenes Buch, ist es nicht schwer, deine Schwachstellen herauszufinden. Und sowohl Malfoys als auch Lestranges haben keine Schwachstellen. Also verhindere alles Ehrliche und halte die Welt mit deinen Lügen zum Narren, denn sonst narrt die Welt dich.

Lucius nickte. „Und nun ist es nur noch eine Frage der  Zeit, bis Seine Lordschaft dich zu sich ruft. Ich vermute, dass es noch in den Ferien der Fall sein wird."

„Wo sind Girard und Amelie?", wiederholte Narcissa nun die Frage, die sie schon vor einigen Minuten gestellt hatte.

Lucius warf ihr einen scharfen Blick zu. „Seine Lordschaft kümmert sich um sie. Er versucht was Er kann, um ihnen ihre Identität wieder zu geben. Er hofft dabei auf die Hilfe des Giftmischers. Danach will Er, dass sie vorerst hier unterkommen. Natürlich habe ich Ihm Seinen Wunsch nicht abgeschlagen."

Narcissa sah ihren Ehemann durchdringend an, doch dann lächelte sie und ging auf Lucius zu. „Natürlich hast du das nicht, Liebling. Und ich unterstütze den Wunsch Seiner Lordschaft vollkommen.", sagte sie leise, während sie Lucius eine Hand an die Wange legte.

Und sich nicht daran störend, dass ihr Sohn am Tisch saß und sich angestrengt bemühte, seine Eltern nicht zu beachten, zog sie den Kopf ihres Mannes zu sich herunter und küsste ihn voller Verlangen und kalter Leidenschaft auf den Mund.

****

Als Sirius gegen Mittag die Redaktionsräume der Weißen Rose betrat, war er schon mehr oder weniger fertig mit den Nerven.

Nach dem Gespräch mit Minerva hatte er kurz die Redaktion davon in Kenntnis gesetzt, was in der Nacht geschehen war und war danach mit Remus an die Südküste Englands appariert, um Dumbledore einen Besuch abzustatten.

Warum er sich überhaupt dazu entschlossen hatte, Remus zu begleiten, war ihm selbst ein Rätsel, doch als er am Meer gestanden und dabei zugesehen hatte, wie das kleine Fischerboot klargemacht wurde, hatte er nicht mitgehen können. Er brachte es nicht über sich und obwohl er sich selbst einen unsagbaren Feigling und unwürdigen Gryffindor schimpfte, hatte er Remus nicht begleitet.

Er konnte nicht.

Also war Remus allein gegangen und er hatte sich in der Zwischenzeit in einer düsteren Hafentaverne aufgehalten und ungeduldig auf die Rückkehr seines Freundes gewartet. Dieser kam nach etwa drei Stunden zurück – und verkündete, man habe ihn nicht zu Dumbledore vorgelassen.

Daraufhin hatte Sirius einen Stuhl zertrümmert, sich mit dem Wirt angelegt, sich von Remus wieder beruhigen lassen und dem Wirt schließlich fünfzehn Galleonen für die Reparatur des Stuhles ausgehändigt.

Als sie wieder zurück in die Winkelgasse appariert waren, hatten beide sofort eine Ausgabe des – heute etwas verspätet erschienen – Tagespropheten gekauft und waren zum wiederholten Mal an diesem Tag von der Unfähigkeit des Ministeriums überzeugt worden.

Und nun durchquerte Sirius ein von Zauberern geführtes Geschäft für Muggel-Haushaltswaren am Trafalgar Square, das den Eingang zur Redaktion der Weißen Rose verbarg.  

Der Standort der Weißen Rose am Trafalgar Square war eine Idee des Gründungsmitgliedes Miranda Swansea gewesen. Man hatte die Zeitschrift weder in die Winkelgasse noch nach Hogsmeade legen wollen, denn zu offensichtlich und zu stark waren die Maßnahmen gegen die Dunkle Seite, die in der Zeitschrift zu Papier gebracht wurden. Bis heute kannte, abgesehen von den Mitarbeitern, niemand den tatsächlichen Platz der Weißen Rose.

Im hinteren Teil des Geschäftes trat Sirius durch ein Tür in ein altes Treppenhaus, das dringend einer Renovierung bedurft hätte, denn ein einigen Stellen zeigten sich bereits Risse in der Wand und der Putz begann, von den Wänden zu bröckeln. Doch von jenem heruntergekommenen Eindruck war nichts mehr zu sehen, wenn man im ersten Stock des Hauses die Redaktionsräume betrat: die Flure waren in einem hellen Grün gestrichen und große Fenster ließen alles hell und freundlich wirken. Die einzelnen Räume waren zu den Fluren und auch untereinander nicht durch Wände begrenzt, sondern durch Platten aus Glas und so erkannte Sirius, als er an seinem Büro ankam, dass sein Kollege Etienne Leconte bereits hinter seinem Schreibtisch saß und etwas in den Computer eintippte.

Etienne war kein Journalist, er war als Beauftragter des NMW ( Nachrichtendienst der magischen Weltgemeinschaft ) in der Redaktion tätig und diente als Verbindung zu der vom Ministerium unabhängigen Organisation. Waren die Auroren lediglich eine Untereinheit des Ministeriums und immer dann an Ort und Stelle, wenn Überfälle oder Verbrechen aller Art geschahen, so war der NMW die Spionageorganisation der magischen Welt und verfügte über mehr Hintergrund- und Detailwissen, als die Auroren es jemals haben würden.

Da die Weiße Rose eine Widerstandszeitung war, war sie zwar im eigentlichen Sinne eigenständig, doch sie hielt sich an die Informationen des NMW und Etienne war derjenige, der diese Informationen weiterleitete.

Doch die Weiße Rose hatte nicht nur Verbindungen zum NMW, sondern auch ins Ministerium, und so konnte die Redaktion sicher sein, dass das, was schließlich in der Zeitung gedruckt wurde, auch der Wahrheit entsprach.    

Sirius drückte nun die Klinke nach unten und betrat den Raum. Etienne war meistens früher hier als er.

„Morgen," grüßte Sirius, während er seine Jacke an einen Haken neben der Tür hängte.

Etienne hob den Kopf, grüßte zurück und runzelte dann die Stirn. „Sag mal, hast du in dem Hemd die Nacht verbracht?", fragte er skeptisch.

Sirius blickte an sich herunter. Das weiße Hemd, das er trug, sah tatsächlich etwas mitgenommen und verknittert aus. Dieser Umstand schien ihn jedoch nicht weiter zu stören, denn er zuckte nur unbekümmert die Schultern und ließ sich in seinen Schreibtischsessel fallen. „Minerva hat heute morgen nicht unbedingt so geklungen, als könnte ich mir viel Zeit lassen.", erwiderte er ungerührt.

Etienne zog eine Augenbraue in die Höhe. „Ach, und du meinst, du siehst nur heute morgen so aus?"

Sirius schenkte ihm ein sarkastisches Lächeln, wurde dann jedoch schlagartig ernst. „Sie haben nichts geschrieben.", erklärte er und warf den Tagesprophet auf seinen Schreibtisch, während er sich auf den Stuhl dahinter fallen ließ.

Etienne lehnte sich mit einem Seufzen in seinem Stuhl zurück. „Hast du etwas anderes erwartet?"

„Eigentlich nicht wirklich.", entgegnete Sirius. 

„Im Grunde gibt es nichts, was wir dagegen tun könnten.", stellte Etienne fest.

Sirius hob den Kopf. „Warum nicht? Die Weiße Rose hat sich bisher noch nie darum gekümmert, was der Tagesprophet geschrieben hat. Wenn wir einen Artikel schreiben wollen, schreiben wir einen Artikel!"

„Bis vor wenigen Stunden haben wir auch noch nie eine Nachricht von Fudge persönlich bekommen, die uns verbietet, etwas darüber verlauten zu lassen."

Auf Sirius' Gesicht legte sich ein perplexer Ausdruck. „Fudge hat uns persönlich eine Nachricht geschickt?"

Etienne nickte.

„Und?", fragte Sirius nach einem Augenblick des Schweigens.

Etienne starrte ihn an. Doch das leicht belustigte Funkeln in seinen dunkelgrünen Augen verriet, dass er mit solch einer Aussage gerechnet hatte. Er kannte Sirius mittlerweile gut genug. „Was ‚Und'?"

„Was interessiert uns dieses Verbot? Die Leute müssen wissen, dass da draußen ein paar verrückte und gefährliche Todesser rumlaufen, von denen sie annehmen, sie seien im Gefängnis! Und wenn weder das Ministerium, noch der Tagesprophet es für nötig halten, sie darüber zu informieren, müssen wir das eben tun!"

„Sirius, das geht nicht!", sagte Etienne nachdrücklich.

„Was sollte uns daran hindern? Fudges Verbot? Ich bitte dich.", entgegnete Sirius verächtlich.

„Fudges Verbot ist mit der Tatsache verbunden, dass er die Pressefreiheit einschränken oder sogar verbieten wird, wenn wir es ignorieren. Und dann können wir gar nichts mehr von dem schreiben, was wir bisher geschrieben haben.", erklärte Etienne nüchtern.

Sirius sah ihn wortlos an, dann stand er auf und trat ans Fenster. Nach einer Weile wandte er sich wieder zu seinem Freund um. „Und du glaubst, Fudge macht diese Drohung war?"

Der Angesprochene nickte.

„Idiot.", murmelte Sirius und setzte sich wieder. „Dann müssen wir uns wohl wirklich an dieses verdammte Verbot halten."

Etienne grinste. „Ich hätte nicht gedacht, dass es so leicht werden würde, dich von dieser Tatsache zu überzeugen."

Sirius ignorierte diesen Einwurf geflissentlich. „Und was machen wir stattdessen?"

„Jeremy denkt darüber nach.", Jeremy, eigentlich Jeremiah, war ein neunundvierzigjähriger Zauberer und Chefredakteur der Weißen Rose. „Und bis er entschieden hat, sollen wir den Nachrichtendienst dabei unterstützen, die entflohenen Todesser ausfindig zu machen."

„Die Liste kriegen wir von Anne? Denn ich glaube kaum, dass Minerva bei Fudge viel Erfolg haben wird, was das Erfahren der Namen angeht."

Etienne nickte. „Sie kümmert sich darum. Gott sei Dank haben nicht nur die Todesser Spione im Ministerium . . ."

In diesem Moment betrat eine junge Hexe den Raum. „Morgen, ihr zwei.", grüßte sie. „Ich hab hier die Liste derjenigen, die in Eilean Donan Castle eingesperrt waren. Es sind nicht nur Todesser, aber das seht ihr ja selbst.", mit diesen Worten überreichte sie Sirius eine Schriftrolle.

„Danke, Anne.", sagte Sirius und begann, das Pergament zu entrollen.

„Hat Jeremy schon was entschieden?", wollte Etienne wissen.

Anne schüttelte den Kopf. „Nein, er ist immer noch am telefonieren."

Bei dem skeptischen Blick, den Etienne daraufhin aufsetzte, mussten sowohl Anne als auch Sirius unwillkürlich lachen.

„Oh, Etienne, wann wirst du dich endlich daran gewöhnen?", fragte Anne lächelnd.  

Etienne war ein reinblütiger Zauberer und stand dem Telefon und dem Computer, beides in ihrer Branche meist praktischer als Floo-Netzwerk oder Feder und Pergament, noch immer mit Misstrauen gegenüber, auch wenn er nicht drum herum kam, beides zu benutzen.

Anne, deren beide Elternteile, und Sirius, dessen Mutter Muggel gewesen waren, amüsierten sich immer wieder über Etiennes Verhalten.

„Wahrscheinlich nie.", erwiderte Etienne auf Annes Frage hin trocken.

Anne lachte noch einmal und verschwand dann mit einem kurzen Abschiedsgruß.

Sirius sah Etienne aufmerksam an. „Sie ist nett, nicht wahr?", seine Stimme war voller Unschuld.

„Ja, und?", gab Etienne mit einem mörderischen Blick zurück.

Sirius grinste in sich hinein. Er wusste, dass Etienne es hasste, wenn man ihn aufzog oder sich über ihn lustig machte. Schließlich räusperte er sich und bemühte sich, einen ernsten Blick aufzusetzen, als er seine Aufmerksamkeit auf die Namen der Liste richtete.

„Okay . . .", begann er, während er stirnrunzelnd die Namen auf der Liste in Augenschein nahm. „Die Lestranges, aber das wussten wir bereits . . . Pettigrew . . . Ethan Forrester, Zoe Kong, George Bush, Manon Ricksfield, . . . und so geht es bunt gemischt weiter, es hält sich ungefähr die Waage, was die Anzahl von Frauen und Männern betrifft."

„Und Todesser waren davon die Lestranges, Forrester und Pettigrew, oder?", fragte Etienne.

„Ja, aber Forrester konnte man seine Todesser-Aktivitäten nicht nachweisen. Er ist nach Askaban gewandert, weil er im Alkoholrausch seine Frau umgebracht hat. Und Pettigrew . . . du weißt gar nicht, wie sehr es mich ankotzt, dass er wegen der Unfähigkeit des Ministeriums wieder auf freiem Fuß ist."

Etienne sah ihn verständnisvoll an, hielt es aber für besser, Sirius' Wut zu ignorieren.

„Der Rest sind normale Verbrecher, nicht wahr?", wollte er stattdessen wissen.

Sirius nickte. „Es wurden damals ja so gut wie keine Todesser gefasst, wenn ich das richtig mitbekommen habe. Aber ich gehe stark davon aus, dass sich die Reihen von Voldemort jetzt extrem verdichten werden. Denn wenn ich ein Gefangener von Eilean Donan Castle gewesen wäre und Voldemort mich befreit hätte, würde ich mich ihm wahrscheinlich auch anschließen."

„Da könntest du Recht haben.", erwiderte Etienne düster.

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