Kapitel 1
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Ich bin nicht hier, um dir zu sagen, wie es enden wird
ich bin hier, um dir zu sagen, wie es beginnen wird.
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"Wie kommen Sie auf die Idee, ich könne Ihnen Zutritt zum bibliophilen Bereich meines Büros gestatten, Miss Granger? Habe ich Ihnen mit irgendetwas Grund zu der Annahme gegeben, Sie seien die eine Schülerin Hogwarts, die sich bereits so weit über den Schulstoff erhoben hat, daß Informationen erforderlich seien, die weit über den Möglichkeiten Ihres Jahrgangs liegen? Ich weiß, daß dies hier Ihr letztes Jahr in Hogwarts ist, das ändert aber nichts an ihrer bisherigen nach wie vor sehr beschränkten Erfahrung im Umgang mit Magie. Sie sind gut, zweifellos, aber nicht so gut, Miss Granger."
Snape, brachte es zustande sie zu belächeln, ohne dabei seine Mundwinkel nach oben wandern lassen zu müssen. Hermine haßte ihn für diesen bemitleidenden und gleichzeitig zynisch-erheiterten Gesichtsausdruck.
Seit dem seltsamen Zwischenfall im Sonderkurs vor einer Woche, war wirklich alles wieder ganz und gar beim alten. Bis auf die nicht unerhebliche Tatsache, daß Hermine, seit sie bei dieser Gelegenheit zum ersten Mal einen freundlichen Ausdruck in seinen Augen gesehen hatte, keine Angst mehr vor ihm hatte.
"Professor Snape, es gab in Ihrem Unterricht keinen einzigen Zaubertrank, den ich nicht anhand des Rezeptes auf Anhieb korrekt zubereitet hätte. Sie können mir jedes Rezept, in jedem normalen Zauberbuch geben und ich werde es Ihnen zusammenmischen. Das ist eine Sache der Konzentration und nicht des Könnens..."
"Beinahe, Miss Granger - es ist eine Sache des sich konzentrieren 'könnens'..." er verlagerte seine angespannte und doch gleichzeitig auch irgendwie gelangweilte Körperhaltung auf das andere Bein und verschränkte die Arme vor dem Körper. Hermine glaubte, einen Funken Interesse in seinem Gesicht erkennen zu können.
'Jetzt dranbleiben', feuerte sie sich innerlich an.
"... gut, das ist wohl korrekt, aber offensichtlich 'kann' ich mich konzentrieren. Und, Professor, ich WILL mich konzentrieren! Die Welt der Zaubertränke ist mehr als faszinierend, und ich habe so unendlich viel über den experimentellen Teil der Tränke gelesen. Mich interessiert es nicht, wie Tränke durch Zufälle, Unfälle oder nur durch leichte Variationen entstanden sind - ich will wissen, wie man selbst, ganz ohne Rezept, Zaubertränke erdenken und zubereiten kann!"
Snape gab ein Geräusch von sich, das in etwa einem "Pffff" entsprach. Er verdrehte die Augen.
"Ich soll Sie also, Ihrer Meinung nach, ernsthaft mit meinen Büchern im Alleingang die Magie der experimentellen Zaubertränke austesten lassen."
Hermine hatte nicht geglaubt, daß es leicht werden würde, und so schnell beabsichtigte sie nicht aufzugeben. Es hatte sie Überwindung genug gekostet, sich mit dem von Harry am meisten gehaßten, und ihr ebenfalls mehr als unsympathischen Lehrer zu treffen. Sie würde sich jetzt nicht durch im Vorfeld bereits erwartete Schwierigkeiten von ihrem Vorhaben abbringen lassen. Wenn sie ihr Wissen erweitern konnte, dann war sie bereit, fast jeden Weg zu gehen.
"Genau. Allerdings bin ich nicht so dumm zu glauben, ich könne im Alleingang tatsächlich experimentieren. Ich will nur darüber lesen. So viel wie möglich, damit dann, wenn es einmal soweit ist, ich tatsächlich sofort anfangen kann und nicht erst bei Null beginnen muß. Professor Snape...." sie sah ihn so eindringlich an, wie es ihr möglich war, "ich will nicht spielen, ich will nicht mit Dingen hantieren, von denen ich nichts verstehe, ich will mir Grundlagen schaffen, die mich andere Dinge leichter verstehen lassen. Aber die Grundlagen für das was ich verstehen will, finde ich nicht in unseren Schulbüchern. Dort lerne ich nur, was ich wie zusammenmische - aber ich lerne dort nicht WARUM!"
Sie hatte ihr Pulver verschossen, das ihr jetzt, wo es heraus war, plötzlich sehr mager erschien. Würde er darauf reagieren? Oder würde er sie hämisch lachend stehenlassen und gehen?
Für etliche Sekunden passierte gar nichts. Snape sah auf die junge Frau vor sich hinab, die vor innerer Energie fast zu vibrieren schien, deren Atem flach und schnell ging und die ganz offenbar keine Regung wagte, um ihn nicht im letzten Moment doch von der Antwort abzubringen, die sie hören wollte - er konnte in ihren Augen sehen, daß sie ahnte, daß sie dicht daran war, zu erreichen was sie wollte.
Snapes Blick veränderte sich, seine Haltung veränderte sich und er sah Hermine Granger auf eine Weise an, als suche er in ihrem Gesicht etwas, das ihm bei seiner Entscheidung helfen könne. Und die Tatsache, daß sie atemlos seine Antwort erwartete, gab ihm die Möglichkeit, dies ungestört zu tun. Vor ihm stand der Ausbildungs-Traum eines jeden Lehrers. Ein junger Mensch, der das Wissen um des Wissens wegen in sich aufsaugte, der nicht nur dem Stoff folgen wollte, sondern ihm auch folgen KONNTE, der begriff, was er Stunde für Stunde erzählte, der die Zusammenhänge erkannte, und der nun auch noch so sehr hinterfragte, wie man überhaupt hinterfragen konnte. Eine Schülerin, die 'warum' fragte - und zwar nicht, wie üblich 'warum muß ich das machen' sondern 'warum geschieht dies', 'warum kann das nicht geschehen', 'warum kann ich nicht mehr lernen'.
Bei Trelawney zum Beispiel wäre sie mit ihrer Frage an der falschen Stelle gewesen. Trelawney, so talentiert sie ihn ihrem Inneren sein mochte, hatte keinen blassen Schimmer von dem was sie erzählte. Wie diverse andere Lehrer, konnte sie sich selbst im besten Fall inhaltlich an ihren Büchern festhalten - aber er, Snape, er war durchaus in der Lage ihr das Wissen zukommen zu lassen, um das Miss Granger hier so unerwartet bettelte.
Das leichte Geschmeichelt-Sein, kämpfte er auf der Stelle nieder und ließ lediglich eine gewisse Befriedigung darüber zu, daß eine Schülerin so sehr an dem Fach interessiert war, das er unterrichtete.
"Nun gut..." er zögerte noch, sah aber an dem Leuchten in Hermines Augen, daß es jetzt kein Zurück mehr gab.
"Aber Sie werden die Bücher nicht aus meinem Büro entfernen und darin nur lesen, wenn ich anwesend bin." fauchte er sofort hinterher, um ihren Enthusiasmus zu bremsen.
"Der Zugang zu diesem Wissen ist Zauberern und Hexen Ihres Alters eigentlich nicht gestattet, aber ich werde mit Professor Dumbledore sprechen und das klären. Ich denke, in Ihrem Falle dürfte eine Genemigung kein Problem sein, da sie ja zum Kreis um Mr. Potter..."
"Harry hat damit nichts zu tun..." unterbrach sie ihn mit einer Giftigkeit in der Stimme, die sie offenbar sofort wieder bereute und fuhr deutlich freundlicher, in fast entschuldigendem Ton fort, "...und das wissen Sie auch. Ich bin eine Freundin von Harry Potter aber ich bin weder ein Groupie, noch stehen mir irgendwelche Sonderbehandlungen zu, nur weil ich zu seinem Freundeskreis gehöre. Wenn Sie mir Zugang zu diesen Büchern gewären, dann will ich, daß Sie das tun, weil Sie glauben, daß es Sinn macht."
"So, so... Sie WOLLEN also... und Sie meinen, es macht Sinn..." der amüsierte Klang, so sarkastisch er auch war, spiegelte sich erstmals in seinen Zügen wieder. Kurz war Hermine dadurch verwirrt. Hatte sie es jetzt verdorben? Zog er sein Angebot jetzt wieder zurück? - Sie hielt zum wiederholten Male die Luft an. Nein, er schien dabei zu bleiben. Erleichtert atmete Sie aus. Über sie lächeln konnte er ruhig, solange sie an diese Bücher durfte!
"Kommen Sie heute abend gegen acht in mein Büro. Bringen Sie die Unterlagen des Unterrichts der letzten Woche mit und eine Menge leeres Papier." bei den letzten Worten wandte er ihr bereits den Rücken zu und rauschte den Gang entlang von ihr weg. Einen Atemzug später war Hermine alleine.
Sie wartete noch einige Sekunden länger, bis sie sicher sein konnte, daß sie alleine war, ballte dann beide Hände zu Fäusten und gab einen unterdrückten Triumphschrei von sich!
"YES!"
Die Stunden bis zum Abend zogen sich endlos. Als Hermine sich endlich aufmachen konnte, hatte sie bereits viermal überprüft, ob sie wirklich alle Unterlagen der letzten Woche bei sich trug. In ihrem Kopf rasten die Möglichkeiten die sich ihr ab heute abend bieten würden! Im Grunde genommen hatte sie keine Ahnung, was sie in diesen Büchern finden würde, aber sie wußte, daß es die Grundlage für das sein mußte, was sie wissen wollte. Niemals hätte sie Harry oder Ron gegenüber zugegeben, wie sehr sie die archaische Natur der Zaubertränke vom ersten Tag an fasziniert hatte. Sie wußte genau, daß ihre Freunde nicht nur den Lehrer sondern auch das dazugehörige Fach nicht ausstehen konnten und behielt ihre Meinung zu dem Thema daher besser für sich. Deshalb hatte sie ihnen auch nichts von ihrem Vorhaben erzählt, Snape um Einsicht in seine speziellen Bücher zu bitten.
Als sie den Aufenthaltsraum der Gryffindors verlassen hatte, hatte sie sich so vage ausgedrückt, daß die anderen davon ausgehen mußten, sie treffe sich mit einer anderen Schülerin zum Lernen. Eine Aussicht, die speziell Rons Interesse automatisch und prompt wieder auf das Schachspiel gelenkt hatte, das zwischen ihm und Harry positioniert gewesen war.
Sie versuchte die Aufregung ihn sich etwas im Zaume zu halten, als sie auf die Minute pünktlich an die Tür von Professor Snapes Büro klopfte.
"Herein" hörte sie es gedämpft von innen, atmete noch einmal tief durch, strich sich die Schuluniform unbewußt glatt und betrat das Büro.
Draußen war es bereits dunkel und so wurde das Büro von dutzenden von Kerzen erleuchtet, die sich teils in Kandelabern auf der Fensterbank und den beiden Schreibtischen befanden und teils einfach in der Luft schwebten, wie sie es von der großen Halle kannte. Zusätzlich erhellte ein relativ großes Feuer im Kamin den Raum.
Es war anheimelnd warm, und in dem gedämpften Licht wirkte das Büro auf eine angenehme Weise geheimnisvoll - zumal niemand hier zu sein schien... Sie konnte Snape nicht entdecken. Verwundert blickte Hermine sich um. Er war nicht hier, obwohl sie ein "Herein" gehört hatte.
"Professor?", fragte sie in das Büro hinein, als vermute sie, daß er plötzlich vor ihr erscheinen könne.
"Der Professor kommt etwas später", antwortete ihr die kleine Frau aus dem Bild über dem Kamin, die sie bisher kaum wahrgenommen hatte, wenn sie bei kurzen Gelegenheiten in Snapes Büro gewesen war.
"Oh..." entfuhr es Hermine entäuscht. Sie hatte gehofft, sofort beginnen zu können. "Nun gut, dann warte ich so lange hier."
Die Dame aus dem Bild lächelte sie neugierig an.
"Du bist also diese Schülerin, die unbedingt mehr wissen will?" Hermine sah sie erstaunt an und betrachtete das Bild nun etwas genauer. Die Frau darin schien etwa 70 Jahre alt zu sein, sie hatte schlohweißes Haar, das ihr in dicken Locken auf die Schultern fiel. Sie trug die Uniform der Hogwarts-Lehrer, und um ihre Mundwinkel und um die Augen hatte sie tiefe Lachfältchen, die ihr eine ungeheuer liebenswerte Ausstrahlung verliehen. Hermine mochte sie auf Anhieb und wunderte sich, wie dieses Bild ausgerechnet in Professor Snapes Büro geraten konnte.
"Ich habe mich schon gefragt, wie lange es wohl dauern würde, bis du hier für Extrastunden auftauchst." Ihr Lächeln verstärkte sich noch, als sie Hermines Verwunderung sah.
"Oh, Severus hat mir viel von dir erzählt, mußt du wissen - auch wenn ich ihm an deiner Stelle nicht verraten würde, daß ich dir das gesagt habe." Sie blickte mit verschwörerischer Miene einmal nach links, einmal nach rechts, als wolle sie sich vergewissern, daß der Professor noch nicht wieder im Büro war.
Noch bevor Hermine sie etwas fragen konnte, deutete die Dame auf den zweiten Schreibtisch im Raum, der direkt neben dem Regal stand in dem sich die Bücher befanden nach denen das forschende Herz in Hermine sich so gesehnt hatte. Sie war sich nicht sicher, aber sie hätte schwören können, daß dieser zweite Tisch bei ihrem letzten Aufenthalt in diesem Raum noch nicht dagewesen war. Auf dem Tisch lag ein extrem alt aussehendes, sehr umfangreiches Buch mit einem dunkelbraunen, fast schwarzen Holzeinband. Am Rand des Tisches standen eine Karaffe, ein Becher, ein Federhalter mit Feder, und ein fünfarmiger Kandelaber, dessen lange Kerzen sich von selbst anzündeten, als Hermine einen Schritt auf den Tisch zumachte.
"Du kannst anfangen wenn du es möchtest, soll ich dir sagen" hörte sie die Frau hinter sich sagen, während Hermine wie hypnotisiert auf den Tisch zuging, der hier ganz offensichtlich konkret für sie aufgestellt worden war. Angenehme Wärme machte sich in Hermine breit. Damit hatte sie nicht gerechnet.
Sie ging um den Tisch herum, legte ihre eigenen Unterlagen ordentlich neben dem Buch ab und nahm auf dem bequemen Sessel Platz.
Sie legte beide Hände mit den Handflächen auf die leicht kühle Tischplatte, spreizte die Finger und strich vorsichtig darüber. Die Oberfläche war fast samtig weich, weil das vermutlich sehr alte Holz sehr gut gepflegt war.
Aber so schön der Tisch auch war, das Buch darauf übertraf ihre wildesten Hoffnungen: ‚Erklärungen für das Wirken von Zaubertrankzutaten, von Felina Grandelord' der Untertitel lautete: "oder: Was bewegt eine Kamelie dazu, magisch zu wirken?"
Hermine legte ein leeres Blatt neben das Buch, schlug es auf der ersten Seite auf, begann zu lesen und nach kaum einer Stunde, hatte sie bereits diverse Blätter beschrieben und war tief abgetaucht, in die Grundlagen für das Verständnis von Zaubertränken.
So tief, daß sie nur unbewußt bemerkte und überhaupt nicht darauf reagierte, daß Snape irgendwann kurz vor Mitternacht das Büro betrat und sich seinerseits an seinen eigenen, großen Schreibtisch setzte und dort wortlos ebenfalls zu arbeiten begann. Nicht allerdings, ohne vorher der zufrieden lächelnden Dame aus dem Bild einen ungehaltenen Blick gewidmet zu haben.
Lange Zeit arbeiteten beide konzentriert und völlig still.
Als Hermine jedoch auch weit nach Mitternacht noch kein einziges Mal auch nur den Kopf erhoben hatte, um jede Sekunde mit dem Buch vor ihr nutzen zu können, beendete Snape seine Arbeit und lehnte sich in seinem Sessel zurück, um sie zu betrachten.
Er saß völlig gelöst, die Unterarme auf die breiten Armlehnen gelegt und spürte, wie ihn langsam eine wohlige Müdigkeit überkam, der er aber noch nicht nachzugeben beabsichtigte.
Hermine saß so still, daß man, hätte sich nicht der Federkiel unentwegt bewegt, hätte glauben können, sie sei nicht echt. Snape war fassungslos darüber, mit welcher Gier sie sich auf ihre Unterlagen stürzte. Er konnte sich nicht daran erinnern, jemals irgendjemanden so intensiv lernen gesehen zu haben und dies obendrein nicht aus Zwang, sondern aus freiem Wollen. Ob er genauso ausgesehen hatte, als er sich bereits vor seiner Zeit in Hogwarts mit Sprüchen und Tränken befasst hatte?
Er mochte Granger wegen ihres Fleißes und der Beharrlichkeit in dem was sie tat. Er fand es bewundernswert für eine Frau ihres Alters, daß sie ihre offensichtliche Außenseiterstellung unter den Klassenkameraden in Kauf nahm, damit sie nicht auf ihre Studien verzichten mußte. Manch einer, Schüler wie Lehrer, hielt ihr Verhalten für unnatürlich und arrogant, aber er konnte sehen was dahinterlag. Er war in diesem Punkt genauso gewesen.
Gerade in der letzten Woche hatte er sie noch genauer im Auge gehabt, als davor schon. Natürlich war sie eine Nervensäge mit ihrer ewigen Alles-Wisserei, doch letztendlich war es doch genau das, was sich ein Lehrer von seinen Schülern wünschte, oder? Aber sie gehörte ausgerechnet zum engen Kreis um Potter, was er nie unberücksichtigt hatte lassen können. Der Gedanke an Harry zog ihm sofort wieder den Magen zu. Er wußte, daß der junge Mann nichts getan hatte um seinen Haß heraufzubeschwören, aber er sah James so unendlich ähnlich, daß er am liebsten die Schule verlassen hätte, als er dem Jungen das erste Mal gegenüber gestanden hatte.
Bis zu jenem Tag war ihm selbst nicht bewußt gewesen, wie groß der Groll von damals noch war. So groß, daß er es genoß, den Jungen anstelle seines Vaters leiden zu sehen. Er haßte Potter nicht wirklich. Er haßte sich selbst dafür, daß er es zuließ, daß er die Gefühle für den Vater auf den Sohn projizierte - aber er konnte es nicht verhindern... wozu auch.
Die Gegenwart von Hermine bewirkte, aus einem ihm nicht verständlichen Grund, daß er zum ersten Mal seit langem in Ruhe und ohne das Aufwallen von ungewollten Emotionen über dieses Thema nachdenken konnte. Und während er die still arbeitende junge Frau beobachtete, entspannten sich seine Gesichtszüge weiter, und er rief sich Gegebenheiten zwischen ihm und den beiden Potters in Erinnerung.
Zum ersten Mal war er bereit, anzuerkennen, daß Harry nicht James war, und daß er vielleicht versuchen sollte, dem Jungen nicht nur das Mindestmaß an Unterstützung zukommen zu lassen, sondern sich auch anders auf ihn einzulassen. Wenn Potter den Weg weiterging, auf dem er war, würde man in der Zukunft unweigerlich zusammenarbeiten müssen. Dafür wäre es natürlich vorteilhaft, auf einer anderen Basis zusammenzufinden. Und zum allerersten Mal, erschien dies plötzlich möglich. Allerdings war Snape nicht so dumm zu glauben, dieses friedliche Gefühl könne die Nacht überleben.
Als Hermine in der Morgendämmerung das erst Mal hochsah, erkannte sie den Mann der wenige Meter von ihr entfernt in seinem Sessel saß und sie unverwandt anblickte, erst nicht. Dieser ruhige, mit etwas müden Augen blickende Mann mit dem entspannten Ausdruck im Gesicht, konnte nicht Professor Snape sein.
Aber doch...
Sie sagte nichts.
Sie sagten beide nichts.
Viele Herzschläge lang, blickten sie sie einfach nur an, bis Hermine leicht lächelte.
Snape stand auf und kam zu ihr herüber, zog sich einen Stuhl heran und setzte sich zu ihr.
"Und? Gefunden, was Sie gesucht haben, Miss Granger?"
Hermine nickte. "Oh ja.. und mehr."
"Das freut mich. Dann erzählen Sie mir mal, an welcher Stelle Sie zu dem Buch noch Fragen haben"
Nie hatte Hermine ihn mit so ruhiger, Stimme sprechen hören. Sie klang viel tiefer als sonst und die üblicherweise stets vorhandene Schärfe und der Sarkasmus waren völlig daraus gewichen. Sie fragte sich, ob es an der Müdigkeit lag, daß sie es so wahrnahm oder ob sie vielleicht sogar schlief und gleich davon aufwachen würde, daß Snape sie aus seinem Büro scheuchte. Aber stattdessen warf sie einen Blick in ihre Aufzeichnungen, die so geordnet waren, daß sie mit Leichtigkeit die Stellen finden konnte zu denen sie noch Fragen hatte.
"Hier zum Beispiel, Da schreibt die Autorin, daß die Magie die allen Dingen innewohnt manchmal beim Trocknen entweicht. Sie schreibt zwar wie man das verhindern kann, aber wenn es dann doch passiert schreibt sie nicht wohin die Magie entweicht. Ich meine, wenn sie ‚entweicht' heißt es doch, das sie herausgeht - also woanders hin. Wohin geht sie?"
Snape überlegte kurz "hmmm, wie erkläre ich das am besten....- ah, warten Sie" er stand kurz auf, griff in das Regal neben Hermine und zog ein weiteres Buch heraus, legte es neben dem ersten auf ihre Aufzeichnungen und schlug es auf
"Sehen Sie hier, da widmet sie diesem Thema ein ganzes Kapitel..." er setzte sich wieder neben sie, und gemeinsam gingen sie das Problem Seite für Seite an. Hermine fragte, Snape antwortete... keine Frage die Hermine hatte, blieb ungeklärt. Manchmal ließ er sie die Lösung mit kleinen Hinweisen und gekonnten Fragen selbst erarbeiten, so daß sie grübelnd vor ihm saß, bis plötzlich ein Strahlen ihr Gesicht erhellte und sie ihm stolz die fast immer korrekte Antwort präsentierte.
Bei einer Frage die aufkam war die Antwort so unfreiwillig und unerwartet komisch, daß Hermine laut lachte, während er immerhin schmunzelte.
Der Moment dauerte nur Sekunden, bevor sie sich beinahe erschrocken ansahen, weil sie sich der Ungewöhnlichkeit der Situation plötzlich mehr als bewußt waren.
Hermine hatte Snape noch niemals ein so freundliches Gesicht machen sehen...es veränderte ihn völlig. Und Snape konnte sich nicht daran erinnern, daß in seiner Gegenwart jemals ein Schülers in einer Stimmung gewesen war, die ihm oder ihr Anlaß gegeben hätte, so fröhlich zu lachen, wie Hermine es gerade getan hatte.
Sie wurden für einen Moment sehr still und arbeiteten dann ruhig weiter.
Erst als die Dame aus dem Bild sie daran erinnerte, daß es in einer halben Stunde Zeit fürs Frühstück sei, bemerkten sie, daß es draußen bereits Tag geworden war.
Sie beendeten beide sehr unwillig die Arbeit.
Hermine sah auf ihre Aufzeichnungen herab und blickte ihn dann an.
"Darf ich die Sachen hier liegen lassen?"
"Sie können die Sachen liegen lassen. Der Tisch wird dort erst einmal stehenbleiben, und Sie können, nach Absprache mit mir, jederzeit herkommen."
Hermine lächelte und ging auf ihn zu, bis sie unmittelbar vor ihm stand. Auch wenn sie in den letzten Jahren sehr viel größer geworden war, mußte den Kopf doch etwas in den Nacken legen, um ihm ins Gesicht sehen zu können.
"Ich danke Ihnen, Professor Snape. Sie können Sich nicht vorstellen, was mir dieser Unterricht hier bei Ihnen bedeutet. Vielen Dank!"
Er nickte nur, ging dann zur Tür und hielt sie auf.
"Machen Sie, daß Sie in die große Halle kommen, damit Sie nicht verhungern, bevor Sie sich auf das nächste Buch stürzen."
Hermine huschte auf den Gang und lief mit wehendem Umhang in die große Halle, während Snape die Bürotür wieder schloß, kurz unbewegt stehenblieb und dann leise sagte: "Ihr Potential scheint unerschöpflich, Felina. Sie begreift mit einer Schnelligkeit die ich nicht für möglich gehalten hätte - Für das was sie heute nacht gelernt und begriffen hat, habe ich mehrere Tage intensives Studium benötigt. Sie hat keine Ahnung wie außergewöhnlich ihre Begabung ist. Sie wird selbst dich übertrumpfen"
"Das weiß ich, und ich habe darauf gehofft. Aber du darfst nicht vergessen, daß sie dich als Lehrer hat, während du dir diese Dinge selbst erarbeiten mußtest", sagte die freundliche Dame aus dem Bild "Es gab viele Punkte, denen ich mich nicht mehr widmen konnte, die sie noch erforschen kann."
Snape drehte sich um und wandte sich ihr zu.
"Willst du das? Hast du es deshalb so gedreht, daß sie von den Büchern hier erfahren hat? Oder ist es wegen dieser verfluchten Prophezeiung?"
Die Frau lachte: "Beides! So gut solltest du mich kennen, oder?"
Snape lachte nicht: "Du hast Recht Felina, so gut sollte ich dich inzwischen kennen." Und etwas leiser setzte er hinzu: "Und ich bin wirklich gespannt, wann ihr auffallen wird, wie ähnlich sie dir sieht..."
