Kapitel 2

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That not everything is gonna be the way
You think it ought to be
It seems like every time I try to make it right
It all comes down on me

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"BITTE WAS?! Du hast die ganze Nacht...." "Sei doch STILL!" zischte Hermine Ron entgegen, während sie sich weit zu ihm rüberbeugte und ihre Sitznachbarn im Auge behielt, die aber glücklicherweise mit sich selbst beschäftigt waren. Obwohl sie als Schulsprecherin auf der Lehrerempore sitzen durfte, aß sie manchmal mit ihren Freunden am Gryffindor-Tisch. Harry, ihr gegenüber, sah sie einfach nur fassungslos an.

"Ja, ich habe die komplette Nacht mit Lernen verbracht. Ich habe Professor Snape um die Erlaubnis gebeten und ich habe sie bekommen. Er hat das vorher sogar mit Professor Dumbledore abgeklärt."

Harry fing sich wieder.

"Wie hältst du das denn aus? So viele Stunden am Stück mit ihm in einem Raum und dann auch noch alleine?"

"Er war eigentlich ganz freundlich", sagte Hermine leise und verdrehte sofort entnervt die Augen, als sie Rons und Harrys ungläubigen Blick sah.

"Ja - er kann auch freundlich sein!"

Harrys und Rons Gesichter schienen dieser Erkenntnis keinen Millimeter näher zu kommen.

"Vielleicht hat es ja auch einfach etwas damit zu tun, daß ich mich für sein Fach interessiere!"

"Das hat in den letzten sieben Jahren im Unterricht aber auch nicht viel geholfen, oder?", gab Ron zu bedenken.

Hermine stockte in ihrer Erklärung. Zugegebenermaßen war es in den letzten Jahren gerade ihre Wissgier gewesen, die sie für Snape immer wieder zur Zielscheibe für Punktabzüge und verbale Angriffe aller Art gemacht hatte.

Ihr größtes Problem bei dem Versuch die freiwilligen Stunden bei Snape zu erklären, war die Tatsache, daß sie selbst nicht ganz begreifen konnte, warum es ihr so gefallen hatte und warum sie sich auf den nächsten Abend in seinem Büro geradezu freute. Aber das konnte sie ihren Freunden gegenüber unmöglich zugeben. Also ging sie weiterhin zur Gegenwehr über.

"Anstatt mir jetzt Vorhaltungen zu machen, daß ich Extraunterricht bei Snape bekomme, solltet ihr euch lieber mit mir darüber freuen, daß ich an Bücher heran darf, an die ich sonst niemals herangekommen wäre - und das ganze auch noch mit dem Einverständnis und Segen der Lehrerschaft."

"Trotzdem - ausgerechnet Snape!?" Ron verzog eine angewiderte Grimasse. "Hättest du nicht Dumbledore um Hilfe bitten können? Oder McGonagall? Warum direkt den Teufel persönlich?" Harry nickte Ron beipflichtend zu.

"Ach ja", Hermine war wütend "Dann wäre ich also zum Schulleiter gegangen mit der Bitte ein Buch sehen zu dürfen, von dem ich weiß, daß Snape es hat, mit der Begründung, daß ich mich nicht traue ihn selbst zu fragen? Himmel, Jungs! Snape ...." ihre Stimme wurde ein Flüstern "... gehört ebenfalls dem Orden an! Natürlich ist er nicht jedermanns Liebling, aber darum geht es doch auch gar nicht - ich will nicht, daß er mich zu seiner Geburtstagsfeier einlädt, sondern daß er mich unterrichtet - und glaubt mir, daß macht er verdammt gut!"

"Ja... klar...und zu jeder Unterrichtseinheit gehört dann eine kostenlose Lektion in Wie-mache-ich-Harry-Potter-fertig?"

Hermine sah ihn wütend an: "Du spinnst doch total, Ron Weasley! Du weißt ganz genau, wie wichtig es für mich ist zu lernen. Du hast es einfach. Obwohl du es bist der meine Hausaufgaben abschreibt, käme bei dir nie jemand auf die Idee deine Fähigkeiten als Zauberer anzuzweifeln. Du bist ja reinblütig!" das letzte Wort sagte sie mit albern verzogenem Gesicht und total überzogen.

Inzwischen sah nun doch der ein oder andere Gryffindor zu den dreien hinüber.

Hermine hatte sich in Rage geredet.

Ron warf Harry seinen verzweifelten 'oh-jeh'-Blick zu.

"Du stehst nicht, wie ich, zwischen den Welten. Ich dagegen kämpfe hier noch immer jeden Tag gegen meinen Ruf als Schlammblut an - und ganz gleich was ich mache, es reicht nicht. Entweder bin ich, um Malfoy zu zitieren, 'die dreckige Muggelgeborene' oder um dich, Ron, zu zitieren 'die Streberin' - ein dazwischen gibt es nicht. Offenbar nicht einmal für euch beide."

Ron sah geknickt aus.

"Das hab ich doch nicht so gemeint, und das weißt du auch, Hermine. Es war das dritte Quidditch-Spiel in Folge bei dem du nicht zugesehen hast, weil du mal wieder in die Bibliothek mußtest. Da war ich halt etwas entäuscht. Und ich habe mich dafür doch auch schon entschuldigt."

"Das ändert nichts daran, daß du es so gemeint hast.", fauchte Hermine.

Sie wußte, daß sie ihnen damit Unrecht tat - vor allem Harry -, aber sie war so unglaublich wütend darüber, daß sie sie wieder einmal dazu gezwungen hatten, zu verteidigen, daß sie das tat, was sie liebte - lernen.

"Ich habe keinen Appetit mehr." Sie stand auf und verließ die Halle.

Vom Lehrertisch aus hatte Snape beobachtet wie Granger ihren Freunden von ihren Extrastunden erzählt hatte. Daß es um ihn ging, konnte er schnell an der Reaktion der zwei erkennen. Er sah Hermine hinterher, als sie den Raum verließ. Potter war ganz offensichtlich entsetzt darüber, daß sie zu ihm gekommen war.

Es hätte ihn freuen müssen. Aber stattdessen tat Granger ihm leid.

Fast täglich erschien Hermine nun abends, anstatt mit den anderen im Aufenthaltsraum der Gryffindors zu sitzen in Snapes Büro. Sie blieb keine ganzen Nächte mehr dort, aber doch oft bis spät in die Nacht.

Wochen vergingen und die Abendstunden in Snapes Büro wurden für Hermine beinahe die schönsten des Tages. Ron und Harry machten zwar keine abfälligen Bemerkungen mehr, aber ihre Blicke, wenn sie abends den Gemeinschaftsraum verließ, zeigten mehr als deutlich, was sie davon hielten. Hermine war entäuscht, wußte aber, wenn sie ehrlich war, nicht genau was sie den Freunden vorwerfen sollte. Die Feindschaft zwischen dem Zaubertranklehrer und ihnen hatte in der Tat an ihrem ersten gemeinsamen Schultag in Hogwarts begonnen und sich seitdem eigentlich kontinuierlich fortgeführt.

Aber sie hatte inzwischen Gelegenheit bekommen, ihn näher kennenzulernen und sie fand faszinierend was sie gefunden hatte.

Er war ein unerschöpflicher Quell an Wissen und er strahlte, wenn er nicht gerade so gereizt war, wie sie es aus dem Unterricht von ihm kannte, eine absolut unglaubliche Ruhe aus, in deren Umfeld sie noch konzentrierter arbeiten konnte, als dies ohnehin schon der Fall war.

So manches Mal unerhielten sie sich über alltägliche Dinge und Hermine erkannte in ihm, auch wenn er nie lachte, einen ganz erstaunlichen Humor. Selbstverständlich war es ein rabenschwarzer, aber nichtsdestotrotz hatte sie sich oft die Hand vor den Mund gehalten, um nicht laut loszulachen.

Sie waren sich unzweifelhaft sympathisch geworden.

Sie fühlte, daß auch er ihre Gegenwart als angenehm empfand, was für sie das größte Wunder war.

Sie war sich sicher, daß keiner von beiden das jemals zugeben würde. Aber das war auch nicht notwendig. Manchmal ließ er sie an seinen Experimenten teilhaben und mehr als einmal konnte sie einen wertvollen Teil zu den Versuchen beitragen.

Die Tatsache, daß sie dafür keine Hauspunkte kassierte, wertete sie - und sie war sicher, daß sie damit richtig lag - als Kompliment. Denn in diesen Abendstunden war sie nicht die Schülerin - sondern eine junge Frau, der er die Gelegenheit gab, ihren wissenschaftlichen Horizont zu erweitern.

Ja, Hermine genoss die Gegenwart von Professor Snape unbestreitbar und mehr als einmal ertappte sie sich dabei, daß sie ihn in ihren stillen Studien lange und intensiv beobachtete.

Sie sah etwas, daß niemand sonst in Hogwarts zu sehen bekam. Den entspannten Snape, den ruhigen, ausgeglichenen Snape, den Mann, dessen schmalen Hände unaufhaltsam eine Klassenarbeit nach der anderen bearbeiteten oder seitenweise Eintragungen in die unterschiedlichsten Bücher machten.

Mehr als einmal mußte Hermine sich zwingen, sich wieder ihren Studien zuzuwenden.

Einige weitere Wochen waren vergangen, als Snape und Hermine wieder einmal viele Stunden gemeinsam in seinem Büro verbracht hatten. Beide arbeiteten in völliger Stille, die lediglich durch das Kratzen der Federn auf Papier oder das raschelnde Geräusch einer umgeschlagenen Buchseite leise unterbrochen wurde. Plötzlich unterbrach der Zauberer seine Arbeit, sah zu ihr hoch und sprach sie an: "Miss Granger?" Sie blickte von ihren Aufzeichnungen hoch.

"Ja?"

"Ist es das wert?"

Als sie ihn verwirrt ansah, setzte er hinzu: "Sind diese Bücher es Ihnen wert, daß Sie im Moment im Zwist mit Potter und Weasley leben? Ich habe beobachtet, wie Sie sich aus dem Wege gehen."

Hermine legte die Feder zur Seite und schlug das Buch vor sich zu. Dann sah sie ihn direkt an, holte tief Luft und antwortete: "Ja, das ist es wert. Wenn Harry und Ron nicht verstehen was ich hier tue, kann ich ihnen nicht helfen. Ich werde ihnen nicht erklären können, was das hier für mich ist. Entweder sie begreifen es von alleine, oder sie tun es nicht. Nichts ist mir so wichtig, wie das Wissen, das ich hier erlernen darf und das ist etwas, was sie eigentlich nach all den Jahren von mir wissen sollten. 'Stelle dich nicht zwischen Hermine und ihre Bücher' hat Ron oft lachend gesagt - aber in diesem Fall scheint er sich daran nicht mehr erinnern zu wollen. Ich habe mir ein Ziel für mein Leben gesetzt und auch wenn ich in vielen Situationen abwäge, ob es gut oder schlecht für mich ist, und auch wenn, für mich selbst überraschend, mehr als einmal die Freundschaft zu Ron und Harry gewonnen hat, ist es trotzdem so, daß ich jede Sekunde die mir hier in Hogwarts gegeben ist, auch nutzen muß."

"Muß?", fragte Snape und legte den Kopf dabei fragend ein wenig schräg.

"Ja, natürlich ‚muß'. Wie viele Muggelgeborene bekommen denn die Chance das zu lernen was ich lernen darf? Obwohl ich so sehr gehofft habe, daß Sie mir gestatten die Bücher zu studieren bin ich eigentlich auch im nachhinein noch überrascht, daß Sie es getan haben. Ich bin im Grunde genommen doch selbst ein Muggel. 'Muggel', 'Muggelgeboren' - ich fürchte, für reinblütige Zauberer ist da kaum ein Unterschied. Wenn ich bedenke zu welchem Haus Sie gehören, ist es mehr als verwunderlich, daß Sie sich zu diesen Abenden hier bereiterklärt haben. Ich bin nicht nur nicht reinblütig - weder mein Vater noch meine Mutter hatten etwas mit Zauberei zu tun."

"Was ist für Sie ein Muggel, Miss Granger?"

Die Frage kam unerwartet, aber trotzdem kam die Antwort prompt.

"Ein Muggel ist jemand, der nicht zaubern kann, jemand der weder eine Hexe noch ein Zauberer ist. Ein durch und durch nicht magisches Geschöpf."

Snape sah auf seine Hände herab, die er vor sich auf dem Tisch auf einem aufgeschlagenen Buch liegend gefaltet hatte.

"Nein, Miss Granger, das ist so nicht richtig." Er sah wieder hoch und zu ihr, als er weitersprach. "Es gibt keine nicht magischen Geschöpfe - es gibt nur Menschen die entweder zu dumm sind, Magie zu erlernen ,oder die in ihrem Geist nicht genügend Phantasie für die Vorstellung einer magischen Welt haben, oder Menschen die sich ganz bewußt dafür entschieden haben, ein nicht magisches Leben in einer nicht magischen Welt zu führen. Und dann gibt es noch eine Unzahl an Menschen, die deshalb niemals die Möglichkeit haben werden Magie zu erlernen, weil sie nicht ahnen, daß es sie gibt, weil sie in der Muggelwelt aufgewachsen sind. Unter diesen gibt es dann nur einige ganz wenige Perlen, die ganz von alleine darauf kommen, was sie zu tun in der Lage sind. Sie sind zum Beispiel so eine Ausnahme. Obwohl Sie in einer Umgebung groß geworden sind, die einzig und alleine von Muggeln bestimmt war, sitzen Sie heute trotzdem hier. Ich bin ein Slytherin - richtig, und ich verachte fast alles für das das Wort Muggel steht. Aber nur deshalb, weil Muggel-Sein geradezu sträfliche Verschwendung ist. Niemand müßte ein Muggel sein. Ich verachte es, wenn jemand nicht das ganze Potential ausschöpft das ihm zur Verfügung steht. Denken Sie an Petunia Dursley. Nur weil ihre Schwester weit mehr begabt war als sie, weigerte sie sich, den gleichen Weg einzuschlagen und entschied sich stattdessen zu leugnen, daß es die magische Welt überhaupt gibt. Ein Muggel durch und durch... aber auch sie ist magisch - bedenken Sie doch das Siegel, das Dumbledore auf sie gelegt hat und den Schutzzauber, der durch Lilllys Opfer auch mit Petunias Blut wirksam wird. Muggel-Sein von den Eltern abhängig zu machen, ist genauso dumm, wie Muggel sein."

Hermine hatte ihm erstaunt zugehört. So hatte sie es noch nie gesehen. Alle Menschen sollten magisch sein? Die Erkenntnis setzte sich nur langsam in ihr fest. Seiner Definition nach war sie kein Schlammblut - oder hatte sie das falsch verstanden? Die Unsicherheit stand ihr ins Gesicht geschrieben.

Snape stand auf und ging zu ihr an den Tisch, ging um den Tisch herum, drehte ihren Sessel so zur Seite, daß er unter ihrem, von der so plötzlichen, unerwarteten Nähe verwirrten Blick, vor ihr ihn in die Hocke gehen konnte. Er mußte so nun leicht zu ihr hochsehen und legte seine Hände auf ihre Hände die sie auf ihrem Schoß übereinandergelegt hatte. Er sah sie eindringlich an: "Hermine, vergessen Sie diesen ganzen Unfug in Bezug auf Ihr Blut."

Ihr Name klang aus seinem Mund so seltsam, als hörte sie ihn heute zum ersten mal.

"Ich weiß, daß das einer Ihrer wunden Punkte ist - aber glauben Sie mir, ich kenne keine andere Schülerin, die eine so reinblütige Zauberin ist wie Sie. Ich kenne niemanden, der so sehr angestrengt ist, sein Potential auszuschöpfen. Und ich habe für Ihre geistigen Fähigkeiten bisher nach oben noch keine Grenze gefunden. Das einzige was Sie bräuchten, wären Tage die mindestens 48 Stunden haben"

Mit verräterisch feucht glänzenden Augen aber auch einem kleinen Lächeln im Gesicht sagte sie: "Das habe ich mit Professor McGonagalls Hilfe vor einigen Jahren einmal versucht - das schaffe ich nicht..."

Snape zog amüsiert eine Augenbraue hoch "Ach ja? Das hat sie mir nicht verraten, da kann man ja mal wieder sehen.

Als sie über diese Antwort lachen mußte, entwischten ihren Augen nun doch zwei Tränen, die sie aus Erleichterung und Freude vergoß.

Als er das sah, verfinsterte sich sein Gesicht wieder auf die gewohnte Weise. Ihre Tränen schienen ihm unangenehm zu sein.

"Und jetzt fangen Sie nicht an zu heulen. Dazu gibt es keinen Grund."

Snape drückte ihre Hände trotzdem noch einmal kurz etwas fester, bevor er sie wieder los ließ und aufstand.

Erstaunt stellte Hermine fest, daß sie sich wünschte, er hätte sie nicht losgelassen und sie stand ohne Überlegung schnell ebenfalls auf. Er drehte sich, des Geräusches wegen, erstaunt wieder zu ihr um, so daß sie nun unweigerlich sehr nah beieinander standen. Er sah mit einem seltsamen, irritierten und zugleich undurchdringlichen Blick auf sie herab.

"Ja?"

Die Luft ihm Raum schien anders zu sein. Dunkler und wärmer als gerade eben noch. Schwerer zu atmen.

"Ich..." Hermine stockte, als sie ihm in die, im Halbdunkel des nächtlichen Büros fast schwarzen Augen sah, in denen sich die Flammen der Kandelaberkerzen als kleine leuchtende Punkte spiegelten

"Ja...? wiederholte er leise.

"Ich..." wiederholte auch sie, noch leiser als er.

Das konnte doch unmöglich der Mann sein, den sie aus dem Unterricht kannte. Was brachte ihn am Tage dazu so zu sein wie er war, wenn er in den Nächten, hier mit ihr in seinem Büro, so war wie er nun hier vor ihr stand, dieser warme Mensch, der sie aus so unendlich tiefen Augen ansehen konnte, der ihr das Gefühl geben konnte, etwas ganz Besonderes zu sein. Nicht die Streberin, von dem man die Aufzeichnungen abschreiben konnte, nicht die lernverrückte Freundin, die einem auf Zurufen die Tränke für unredliche Abenteuer zubereitete - sondern die Zauberin die sie immer sein wollte.

Ob irgendwer vorher schon einmal bemerkt hatte, daß seine Augenbrauen eine Spur heller waren als seine Haare? War irgendjemandem schon einmal aufgefallen, daß eine kleine Narbe sie auf der rechten Seite durchzog, die dem Gesamtbild seines harten Gesichtes auf geradezu hübsche Weise etwas Unsymmetrisches gab?

Ohne nachzudenken, hob sie ihre Hand zu seinem Gesicht und strich mit den Fingerspitzen leicht die Augenbraue entlang, fühlte die kleine Narbe als sie darüberfuhr.

Völlig erstarrt ließ Snape es geschehen und bewegte sich keinen Millimeter.

"Wie ist das passiert?", fragte sie, als ob es das selbstverständlichste der Welt sei und ließ nicht zu, daß irgendetwas diese Situation störte. Sie verbot sich darüber nachzudenken und es gelang ihr - und Snape ließ das was geschah weiter zu, auch wenn sein Herzschlag sich rapide beschleunigt hatte, während der ihre seltsamerweise langsamer geworden war.

Er berührte ihr Gesicht nur mit den Augen. Betrachtete ihren sanften Haaransatz, die warmen Augen die stets die seinen suchten, wenn er sprach. Er verbot sich, ihren Mund anzusehen, als er die Antwort flüsterte.

"James..."

"Potter?"

"Ja..."

Zum ersten Mal brachte die Erinnerung an den Tag, an dem er die Narbe erhalten hatte, keine Wut hervor, weil die Tat von damals heute - jetzt und hier - ihre Berührung bewirkt hatte.

Hermine schien völlig ruhig zu sein.

Er stand viel zu dicht bei ihr! Ihre Kleidung berührte sich bereits.

Snape war mit der Situation völlig überfordert. Er mußte das hier jetzt sofort beenden. Sofort!

Der warme Duft ihrer Haare stieg ihm berauschend in die Nase. Oder war das ihre Haut? Er hob seine Hände, um ihre Hand zu greifen und von seinem Gesicht zu nehmen, weil er das Gefühl dieser Nähe nicht eine Sekunde länger ertragen konnte. Stattdessen fuhr er mit den Fingerspitzen an ihren Wangen vorbei, in ihre Haare hinein, faßte zart und fest zugleich ihren Kopf und während sie ihre Hand von seinem Gesicht löste und über seine Schulter hinweg an seinem Oberarm entlanggleiten ließ, zog er sie zu sich heran und gab ihr einen unsicheren, unendlich vorsichtigen Kuß, den sie mit der gleichen Vorsicht erwiderte.

Einen Atemzug lang blieben sie so stehen, völlig versunken in der intensiven Zärtlichkeit dieser sanften Geste, als das Knacken eines Holzspans im Kaminfeuer sie wieder zurückbrachte und sie beide heftig und völlig erschrocken auseinanderfuhren.

Entsetzt starrten sie sich an, nun beide heftig atmend und beiden schlug das Herz bis zum Hals..

Keiner war vermessen genug, dem anderen die Schuld für das zuzuschieben, was gerade geschehen war, aber sie waren auch beide außerstande überhaupt irgendetwas Sinnvolles zu sagen.

"Ich denke...." begann Hermine als erste wieder, während sie hektisch begann, die Notizen des heutigen Abends zu einem ordentlichen Stapel zusammenzulegen "... daß ich ins Bett gehen sollte, es ist spät, wir sind beide müde!"

Dankbar für die Rettung und die ‚gute Erklärung' nickte Snape nur und begab sich wortlos und fahrig zu seinem Schreibtisch. Als sie an der Türe angekommen war, dehte sie sich noch einmal zu ihm um und sagte, als ob nichts geschehen sei: "Gute Nacht".

Er sah hoch, lächelte etwas künstlich und erwiderte "Ja, gute Nacht, bis morgen."

Hermine flüchtete aus dem Büro und war in Windeseile in dem Einzelzimmer angelangt, das ihr inzwischen als Schulsprecherin glücklicherweise zustand. Ihre Mitschülerinnen in den Nachbarzimmern schliefen längst. Sie griff ihr Nachthemd und begab sich noch kurz ins Badezimmer, zog sich dort um, wusch sich und starrte dann lange Zeit unbewegt ihr Spiegelbild an. Irgendwann hob sie ihre Hand und berührte ihre Lippen, als könne sie ihn dort immer noch fühlen.

Zur gleichen Zeit stand Snape in seinem Büro vor dem Fenster in dem auch er sein Spiegelbild betrachte. Sein Gesicht war noch etwas heller als üblich und auch er spürte der Berührung hinterher.

Hinter ihm erheischte ein leises Geräusch seine Aufmerksamkeit. Ohne sich umzudrehen wußte er seufzend was es war.

"Hör auf zu kichern, Felina"