Kapitel 3
-.-.-
-.-.-
Please say honestly you won't give up on me
And I shall believe
-.-.-
In Dumbledores Büro würde Snape sich immer fühlen, als sei er gerade eben erst in Hogwarts angekommen. In diesem Raum mache er stets gedanklich einen Sprung in die Vergangenheit.
Hier war ihm vor mehr als einem Vierteljahrhundert mitgeteilt worden, was ihn in seiner Zeit an der Schule erwarten würde und hier hatte er von dem erfahren, was seine Bestimmung war, lange bevor er mit den anderen Erstklässlern zum ersten Mal in die große Halle eingezogen war.
Ganz gleich wie viele Jahre es zurücklag, der erste Tag in Hogwarts war für alle Schüler stets fest in der Erinnerung verankert. Die fröhliche Aufregung, das Neue, die fremden Kinder, die ehrwürdig erscheinenden Lehrer... Für Snape war es anders gewesen.
Dumbledore hatte den Zaubertrankmeister rufen lassen und beobachtet ihn nun, wie er gedankenverloren vor Fawkes stand und jede seiner leuchtenden Federn fasziniert betrachtete. Der Schulleiter wußte genau, daß der Professor in Wirklichkeit mit seinen Gedanken weit weg war. Er war einer der wenigen, wenn nicht der einzige, der fast immer sehen konnten, was ihn Snape vorging.
Er hatte es auch damals sehen können. Damals, als er dem gerade erst elfjährigen Jungen erklärte, warum sein Wunsch nach Ravenclaw zu kommen nicht erfüllt werden würde.
Wie Harry bei seiner Einteilung, hatte der hellhäutige, hagere Junge während des Gesprächs in Dumbledores Büro immer wieder vor sich hingemurmelt "Nicht Slytherin, nicht Slytherin...", aber es laut auszusprechen hatte er nicht gewagt.
Dumbledore stiegen heute noch Tränen in die Augen wenn er daran zurückdachte, wie sich die schmalen Schultern des Jungen vor ihm mit einem tiefen Atemzug gestrafft hatten und er laut und vernehmlich gesagt hatte: "Dann erklären Sie mir jetzt bitte, was genau danach geschehen wird und wie ich mich verhalten soll." Der Ernst der damals bei diesen Worten in seine Augen gestiegen war, hatte sie bis heute nicht mehr verlassen. Der Elfjährige war damals, vor Dumbledores Augen, erwachsen geworden.
Das letzte Mal das Severus Snape seine Gefühle beinahe öffentlich gezeigt hatte, war der Moment, als der sprechende Hut auf seinem Kopf, in merkwürdigem Ton und undeutlicher als bei den anderen, fast widerwillig "Slytherin" ausgerufen hatte. Der Erstklässler hatte die Augen geschlossen, als der Jubel an der Slytherin-Tafel ausgebrochen war, aber Dumbledore, der schräg vor ihm gestanden hatte, hatte einen Herzschlag davor in Snapes Augen das Entsetzen gesehen, als es tatsächlich wahr wurde, als der Junge begriff, daß begonnen hatte, was Albus ihm wenige Tage vorher erklärt hatte.
Dann hatte der Erstklässler wieder tief durchgeatmet, wie schon in Dumbledores Büro die Schultern gestrafft und mit einem sarkastischen, triumphierend wirkenden Lachen den ersten Akt seines bis heute gespielten Theaterstücks begonnen.
Es hatte nur einen einzigen Herzschlag gedauert, aus dem dem stillen, zurückhaltenden Jungen den Mann zu machen, der Severus Snape heute war.
Snape hatte in all den Jahren seine Rolle gespielt, war eins mit ihr geworden. Er war älter geworden und seiner Aufgabe nachgekommen, an ihr gewachsen und sein Wissen um die Dinge der Zauberei hatte sämtliche Hoffnungen und Vorstellungen Dumbledores bei weitem übertroffen.
Nur der Schulleiter von Hogwarts wußte, daß es zwar gerechtfertigt war, daß Voldemort Respekt vor Dumbledore hatte, daß seine größere Sorge aber Professor Severus Snape gelten sollte. Allerdings wähnte der dunkle Lord den Professor ja nach wie vor auf seiner Seite - warum also vorsichtig sein...
Snape war noch keine zwanzig Jahre alt gewesen, als er Dumbledore bereits beinahe ebenbürtig war - nur die Weisheit der Jahre fehlten ihm damals noch.
Er hatte in geradezu perfekter Weise Kontakt zu Lucius Malfoy und seiner Gruppe bekommen. Er spielte den durchtriebenen, vielversprechenden Todesser-Kandidaten so großartig und so glaubwürdig, daß Voldemort bereits in seiner Schulzeit auf ihn aufmerksam wurde und ihn rekrutierte - so wie es vom Orden geplant gewesen war.
Dumbledore konnte schon bald nicht mehr zählen wie viele Unterrichtsstunden er ihm gegeben hatte, damit Snape in der Lage war, vor dem dunklen Lord seine Gedanken verheimlichen zu können. Immer und immer wieder war er in seinen Geist hineingefahren, hatte ihn, ohne es zu wollen, aber unter dem Druck der Notwendigkeit, aufs Fürchterlichste angegriffen und jeder dieser Angriffe hatte Snape erschüttert bis ins Mark - aber auch stärker gemacht. Und irgendwann war der Punkt erreicht, an dem nicht einmal Dumbledore mehr in der Lage war, in die Tiefen von Severus Snape hineinzusehen - selbst dann nicht, wenn er ihn überraschte oder sogar im Schlaf heimsuchte.
In der Zeit dieser Lektionen hatte Dumbledore mehr als einmal befürchtet, Snape würde an der Aufgabe zerbrechen. Es zeigten sich deutlich sichtbare Anzeichen von starker Paranoia bei dem Jungen - hervorgerufen durch Albus selbst und seine kontinuierlichen Angriffe.
Alpträume, zitternde Hände, die teilweise die Teilnahme am Unterricht unmöglich machten, sogar Fieber.
Albus hatte Madame Pomfrey gebeten, sich um Severus zu kümmern, und sie tat, was sie konnte. Aber sie konnte nicht mehr tun, als Severus zuließ. Und das war nicht viel.
Angesichts dessen, was Dumbledore dem Jungen antun mußte, war der Schulleiter noch heute fassungslos darüber, daß Snape kein einziges Mal sein Vertrauen in ihn verloren hatte. Wenn der alte Zauberer seinem Schüler eine Verschnaufpause in den Übungen anbot, hatte dieser stets abgewehrt und gefordert, daß man es 'zu Ende bringe'.
Aber auch als Dumbledore schon lange keinen Angriff mehr auf ihn durchgeführt hatte - weil die Barrikade in Snapes Geist nun perfekt war - wartete der Schüler in unterdrückter Panik noch wochenlang auf ein erneutes Eindringen in die Tiefen seiner Seele.
Erst als Severus begriffen hatte, daß sein Innerstes nun endgültig vor allem verschlossen war, kehrte wieder etwas ähnliches wie Ruhe in ihm ein. Er konnte seinen Unterricht wieder aufnehmen und Dumbledore hatte nach dieser Zeit nie wieder gesehen, daß Snapes Hände gezittert hätten.
Und als diese Ruhe ihn endlich erreicht hatte, hatte sich auch sein Wesen endgültig vollständig in den Mann verwandelt, den die Schüler von Hogwarts heute so fürchteten.
Mit der Notwendigkeit sich selbst vor den anderen zu verschließen, hatte sich seine Art mit den Mitschülern umzugehen so verändert, daß er vielen damit Angst einjagte. Und schnell hatte er Vergnügen daran gefunden, andere mit seinen Kommentaren und Sticheleien zu verschrecken. Sein Wunsch dazuzugehören, wandelte sich in den Wunsch in Ruhe gelassen zu werden. Die Schüler um ihn herum waren ein notwendiges Übel, weil er nur hier seiner Aufgabe nachkommen konnte. Als Schüler waren sie ihm irgendwann gleichgültig und später als Lehrer wurden sie ihm in ihrer Unwissenheit lästig, was seine Arbeit nicht einfacher gemacht hatte. Die wenigen Ausnahmen unter den Schülern, die echtes Talent mitbrachten, machten die Sache für ihn trotzdem lohnenswert.
Aber selbst diese gerieten oft unvermittelter Dinge zwischen die Fronten von Snapes Dasein als Lehrer und seinen tiefen, weiterhin vorhandenen Wunsch, in Ruhe gelassen zu werden, was für die Schüler für gewöhnlich Abzüge von Hauspunkten sowie zusätzliche Strafarbeiten zur Folge hatte.
Für ihn war das in Ordnung - beschehrte es ihm doch die angenehme Tatsache, daß Schüler wie Lehrerkollegen es sich in der Regel mehrfach überlegten, ob sie ihn ansprachen oder besser nicht.
Snape wurde oft vorgeworfen, er sei hart und grausam - aber er wußte, daß das "leichte Gruseln" daß die Schüler bei seinem Anblick überkam ein Witz war, gegenüber den Grausamkeiten die ihre eigenen Mitschüler ihnen antaten. Seine eigene Schulzeit war ihm diesbezüglich noch lebhaft in Erinnerung..
Ja, er konnte Schüler wie Neville auch nicht ernst nehmen. Aber bei einem Lehrer war das aus Sicht des Schülers vermutlich eher unangenehm als schrecklich. Wenn er aber sah, wie Neville von seinen Mitschülern behandelt wurde, dann tat er ihm manchmal leid. Er würde in Hogwarts vermutlich bis zu seinem Abschluß keinen Fuß auf den Boden bekommen. Wäre Neville ein bißchen talentierter, und wären nicht seine Eltern vom dunklen Lord geistig getötet worden - wäre er eigentlich ein perfekter Fang für Voldemort. Typen wie Longbottom konnten angebotener Macht, sich für das zu rächen was man ihnen angetan hatte, meist nur schwer widerstehen...
"Severus?", nach einer langen Weile des stillen Beobachtens, sprach der Schulleiter ihn an.
"Ja?" Snape drehte sich um, als habe er die ganze Zeit nur darauf gewartet, angesprochen zu werden.
"Was gibt es?" fragte Dumbledore.
Snape sah ihn fragend an.
"Was es gibt? Ich dachte ich sei hier, weil Sie mir etwas sagen wollen. Von meiner Seite aus gibt es keine Neuigkeiten." Er hob die Hand und strich Fawkes über den Rücken, was dieser sich mit einem wohligen Ausdruck gefallen ließ.
"Severus... setzen Sie sich." Der Schulleiter deutete auf den Sessel auf der anderen Seite seines Schreibtisches und Snape kam seiner Bitte nach.
"Severus, ich kann nicht mehr in Ihren Gedanken lesen, aber Sie wissen genausogut wie ich, daß ich Ihnen an der Nasenspitze ansehe, wenn etwas nicht stimmt. Und es stimmt etwas nicht. Also: was gibt es?"
Snape verzog das Gesicht.
"Ja, Albus, diesen einen Luxus haben mir all diese Jahre gebracht. Daß ich vermutlich der einzige Mensch bin, der sich sicher sein kann, daß seine Gedanken nur ihm alleine gehören."
"Es gäbe auch die Möglichkeit, daß Sie mir einfach sagen was los ist..." schmunzelte Dumbledore zurück.
Snape dachte kurz nach, schüttelte dann aber den Kopf.
"Es ist weder wichtig für die Schule, noch relevant für den Orden, und von daher darf ich wohl darauf hoffen, daß es meine persönliche Angelegenheit bleiben kann." Er wußte, daß es sinnlos war, Dumbledore gegenüber darauf zu beharren, es beschäftige ihn nichts.
"Aber es bedrückt Sie, Severus, das sehe ich. Glauben Sie immer noch, Sie seien in der Lage mit allen Dingen alleine klar zu kommen? Warum nutzen Sie nicht die Tatsache, daß es Menschen im Orden gibt - mich selbstverständlich eingeschlossen - die Ihre Freunde sein können, die Ihre Freunde sein wollen!"
"Ach ja?" der hämische Ton dieser zwei Worte brachte Dumbledores Rede zu ende.
"Wer denn?" er sah in die Luft, als zähle er im Geiste seinen Bekanntenkreis auf. "McGonagall? Nicht wirklich, sie akzeptiert mich, aber sie kann mich nicht leiden. Lupin? Nicht wirklich, er akzeptiert mich, aber er kann mich nicht leiden. Hagrid? Der akzeptiert mich nicht einmal, und er KANN MICH NICHT LEIDEN! UND DAS BERUHT AUF GEGENSEITIGKEIT" Bei den letzten, laut gerufenen Worten war er aufgesprungen und funkelte Dumbledore wütend an, dem man ansehen konnte, daß er wußte, daß er einen Fehler gemacht hatte.
"Albus, einmal pro Jahr glauben Sie, in meinem Gesicht lesen zu können, daß ich Probleme habe, und dann bestellen Sie mich hierher in Ihr Büro um mich darauf aufmerksam zu machen, daß ich mich doch mal mit diesen Problemen an mein Umfeld wenden soll. Und dieses Gespräch läuft IMMER gleich ab! Albus, ich bin kein Fall für die Therapeutik-Hexe, ich bin überhaupt nur hier UM von ihnen nicht als einer der ihren angesehen zu werden! Warum vergessen Sie das immer wieder, obwohl SIE es mir doch beigebracht haben? Ist es Harry? Hat Ihre Sorge um diesen Jungen die Sorge um den anderen, um mich, wieder aufgebracht? Ich bin inzwischen durchaus erwachsen. Bitte verschonen Sie mich damit, mich um Ihres schlechten Gewissens willen wieder auf das Glatteis der zwischenmenschlichen Beziehungen begeben zu müssen. Sie haben mir verdammt viel beigebracht - aber dieses Fach wurde ausgelassen - erinnern Sie sich daran? Und das hatte auch einen Sinn." mit dem letzten Satz wurde seine Stimme wieder ruhiger, beinahe beschwichtigend, und er setzte sich wieder hin.
"Wie sonst hätte ich denn der Aufgabe nachkommen können? Es gehörte nun einmal dazu. Der Erfolg gibt uns - gibt Ihnen - doch im Nachhinein Recht. Obwohl Sie genau wissen, daß ich das von der ersten Sekunde an nie angezweifelt habe. Wir hätten keine der Informationen die wir heute über den dunklen Lord haben. Wir könnte nicht planen was wir jetzt planen können." Und als er in Dumbledores Gesicht wieder kurz diese Verzweiflung aufkommen sah, die genauso zu diesem alljährlichen Gespräch gehörte wie jeder andere Teil, setzte er in versöhnlichem Ton hinterher: "Außerdem war es nicht eine Ihrer Ideen, sondern die Prophezeiung - dagegen hätten weder Sie noch ich, noch sonstjemand sich wehren können."
Er erhob sich wieder und ohne das der Schulleiter noch etwas gesagt hätte, erreichte er die Türe. "Sind wir dann hier jetzt fertig?"
Dumbledore sah ihn einen Moment lang an, setzte sein ruhiges Lächeln wieder auf und fragte dann: "Und was ist es, was Sie gerade beschäftig?", so als habe das ganze vorangegangene Gespräch nicht stattgefunden.
Snape verdrehte, angesichts dieser Sturheit, die Augen.
"Na gut. Wenn Sie es unbedingt wissen müssen - Miss Granger lernt, wie Sie ja wissen, derzeit außer der Reihe bei mir und wir hatten eine relativ heftige Meinungsverschiedenheit, die uns beiden noch ein wenig im Magen liegt. Mehr werden Sie nicht erfahren, ok?"
Dumbledore lächelte zufrieden.
"In Ordnung, Severus."
Kopfschüttelnd verließ Professor Snape das Büro des Schulleiters. Beim Lügen immer dicht an der Wahrheit bleiben - das war eine der ersten Regeln die Dumbledore ihm damals beigebracht hatte...
