Kapitel 4
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Only the one who hurts you, can comfort you
only the one, who inflicts the pain, can take it away
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Es waren ein paar Tage seit dem Vorfall in Snapes Büro vergangen, bevor Hermine sich wieder dorthin wagte. Der Klassenunterricht lief weiter so, als sei nie etwas geschehen und langsam glaubte sie das selbst. Und irgendwann kam sie zu dem Schluß, daß sie beide übermüdet gewesen waren, und daß irgendwann der Punkt erreicht sein würde, an dem sie nicht mehr zu diesen Büchern zurückkehren konnte, weil es dann einfach zu peinlich gewesen wäre.
So tun, als sei nichts gewesen - das sollte ihre Devise sein. Also machte sie sich abends erneut auf und zählte auf ihrem Weg hinab zu den Büros ihre Schritte, die laut auf dem Steinboden hallten, um über nichts anderes nachdenken zu müssen.
Sie klopfte an, es wurde "herein" gerufen und sie wußte gleich, daß es die Frau aus dem Bild war. Als Hermine den Raum betrat, begrüßte sie erst die Dame über dem Kamin und zögerte dann einen Moment, bevor sie sich umwandte und ihn "ihre" Ecke sah.
Der Schreibtisch stand noch dort.
Erleichtert atmete sie auf: "Da ist mein Tisch ja noch!"
"Wo soll er denn sonst sein?", fragte die Frau aus dem Bild.
Etwas verschämt wandte sich Hermine wieder ihr zu.
"Nun ja, ich dachte, nach dem was hier letztens passiert ist...", schnell wechselte sie das Thema: "...ob ich wohl alleine anfangen kann?"
"Hier ist doch nichts passiert, junge Dame. Hier war nur endlich mal Gefühl in der Luft - das kommt in diesen Wänden selten genug vor. Und natürlich kannst du schon anfangen." Sie lachte und Hermine fiel in das Lachen ein.
Noch immer lächelnd, ging sie zu ihrem Tisch hinüber und setzte sich. Darauf stand, wie schon am ersten Abend, eine Karaffe mit frischem Wasser und daneben ein Becher. Und vor ihr lag ein neues Buch. Er hatte also erwartet, daß sie kommen würde.
Sie goß sich einen Becher Wasser ein, trank einen großen Schluck, stellte den Becher dann außer Reichweite des Buches ab, um es nicht zu gefährden und schlug das große Buch auf.
Es dauerte keine fünf Minuten, bis sie wieder tief in den Zeilen versunken war.
Sie hätte nicht sagen können, wieviel Zeit vergangen war, als, mit einem lauten Ruck, die Türe in den Raum aufgestoßen wurde, Snape hindurchrauschte und sie mit einem so lauten Knallen wieder zuwarf, daß die Frau im Bild sich die Ohren zuhielt. Hermine hatte sich zu Tode erschrocken, war aber mucksmäuschenstill geblieben. Die Feder noch immer in der Hand, sah sie Snape verschreckt an, ohne daß er ihre Anwesenheit zu bemerken schien. Sie hatte ihn schon häufig verärgert gesehen - aber noch nie so aufgelöst.
"Oh", sagte die Dame im Bild. "es war wieder ‚dieses' Gespräch?"
"Ja, Felina, es war mal wieder ‚dieses' Gespräch - das Jahr war wohl wieder rum. Aber fang du jetzt bitte nicht auch noch an, ja?! Laß mich in Ruhe!"
Felina zuckte mit den Schultern und verließ das Bild ohne ein weiteres Wort.
Ohne sich in Hermines Richtung umgesehen zu haben, murmelte Snape ein paar Worte, die einen gemütlichen, geradezu riesigen Sessel vor dem Kamin erscheinen ließen, wo Sekunden vorher noch ein kleiner Teppich gelegen hatte. Snape ließ sich mit einem genervten Geräusch hineinfallen.
Hermine wußte nicht, wie sie reagieren sollte. Sollte sie sich bemerkbar machen? Sollte sie so tun, als sei sie gar nicht da? Sollte sie so tun, als hätte sie nichts mitbekommen? Jeder Moment den sie wartete, machte die Entscheidung schwieriger.
Aber dann entschied sie sich doch und stand auf. Das Rucken des Stuhles kratzte durch die Stille des Büros.
"Havaca...!" mit einem Satz war er aus dem Sessel aufgespungen und als er stand, sah Hermine für einen kurzen Moment den Zauberstab in seiner Hand aufglimmen, den er aber sofort wieder unter seine Robe gleiten ließ, als er sie erkannte - der Spruch den er augenblicklich begonnen hatte verhallte ungesprochen. Hermine ahnte, daß es nichts Gutes für sie gebracht hätte, wenn die Zauberformel zuende gesprochen worden wäre.
Snape sah, wie sich die Gesichtsfarbe Hermines um etliche Nuancen aufhellte. Er blickte sie kurz irritiert an, als sortiere er seine Gedanken, ließ dann die angehaltene Luft aus, drehte sich seinem Sessel zu und ließ sich wieder hineinfallen.
"Entschuldigen Sie..." murmelte er. Gefolgt von einem weiteren Murmeln, das einen zweiten Sessel neben ihm erscheinen ließ. Hermine hatte nicht einmal sehen können, aus was er den Sessel erschaffen hatte, so nebenbei war es geschehen.
"Setzen Sie sich..." hörte sie ihn sagen und sah hinter der Lehne des ersten Sessels kurz seine Hand auftauchen, die auf den zweiten Sessel deutete.
Als Hermine näher kam, spürte sie die wohlige Hitze, die von dem offenen Feuer im Kamin ausging. Die Sessel standen sehr nah davor - Snape schien diese Hitze genauso zu mögen wie sie - oder sie war ihm egal.
Als sie erst einmal in dem großen Sessel Platz genommen hatte, hatte sie, ehe sie darüber nachdenken konnte, ihre Füße aus den Schuhen gleiten lassen und die Beine mit auf die Sitzfläche hochgezogen. Der erstaunte Seitenblick von Snape ließ sie erstarren, als ihr bewußt wurde, wie gemütlich sie es sich gemacht hatte.
"Ähm... entschuldigung" Sofort wollte sie sich wieder "ordentlich" hinsetzen, als Snape abwinkte.
"Unfug", knurrte er, "Wenn ich gewollt hätte, daß Sie ungemütlich sitzen, hätte ich keinen Sessel gewählt. Wir müssen reden - und das wird ungemütlich genug."
Hermines Gesichtsfarbe, die gerade noch von erschrockenem Hell zu peinlichem Rot gewechselt war, wurde nun wieder sehr hell.
Verdammt, sie hatte das Thema vermeiden wollen - und nun brachte er es selbst wieder auf. Aber was hatte sie auch anderes erwartet? Nun ja - der Sessel sprach eigentlich dafür, daß er ihr die Szene nicht übel nahm, aber wie sollte sie es erklären, falls er eine Erklärung forderte? Wie sollte sie beginnen? Sie entschied sich erst einmal dafür, ihre Knie mit den Armen zu umfassen und an sich heranzuziehen.
"Ich möchte mich entschuldigen!" sagten sie beide absolut zeitgleich und sahen sich dann völlig verdutzt an. Während Hermine einen Moment benötigte, in dem ihr klar wurde, daß er gerade quasi zugegeben hatte, daß die Situation seiner Meinung nach von ihm ausgegangen war, lehnte er mit einem leisen, merkwürdigen Lachen den Kopf zurück gegen die große Lehne des Sessels und schloß die Augen.
"Miss Granger, Miss Granger..." raunte er vor sich hin "Sie haben mir wirklich noch gefehlt."
Der Ton, in dem er das sagte, war so seltsam, seine Stimme dabei so angenehm, daß es ihr schwer fiel, es als Tadel anzusehen - stattdessen ging ihr seine Stimme durch und durch.
Eine ganze Weile saßen sie einfach nur still nebeneinander und sahen in die tanzenden Flammen des Kamins. Auf alles, auf Hermines Haut, ihre Hände, ihre Arme mit denen sie fest ihre Beine an sich heranzog, so daß sie ihr Kinn auf den Knien ablegen konnte, auf ihr Gesicht - auf alles legte sich die wohlige Hitze des offenen Feuers.
Als sie dann irgendwann doch zu Snape herübersah, saß er dort mit geschlossenen Augen und genoss ganz offensichtlich ebenfalls das ungefährliche Glühen der Flammen auf seinem Körper.
Ruhig sah er aus, und entspannt. Trotz der Wut die er eindeutig beim Betreten des Raumes noch in sich gehabt hatte, war er in der Lage gewesen, innerhalb kürzester Zeit so weit abzuschalten, daß von der Wut in seinem Gesicht nun nichts mehr zu sehen war.
Eine Weile betrachtete sie ihn, legte ihren Kopf seitlich mit ihre Wange auf ihre Knie, so daß sie nur die Augen aufhalten brauchte, um ihn zu sehen. Ihre Unruhe und die Unsicherheit waren gänzlich einem anderen Gefühl gewichen. Einem Dejavu gleich hatte sie das Gefühl, zu Hause zu sein, und als säße neben ihr ein Mensch, der in ihrem Leben eine wichtige Rolle spielte, der ihr wichtig war - - - dem sie wichtig war...
"Kein guter Tag?", fragte sie ganz unvermittelt leise in die Stille hinein, die nur vom Knistern des Feuers durchzogen war.
"Kein guter Tag, in einer Reihe von nicht guten Tagen.", antwortete er ruhig und seufzend, ohne dabei die Augen zu öffnen.
Tief in ihm stieg Verwunderung auf, über die Selbstverständlichkeit mit der er mit Hermine sprach, als seien sie schon lange miteinander befreundet.
Er konnte sich nicht erklären warum ihre Gesellschaft ihm so unglaublich gut tat. So gut, daß es ihn hätte mißtrauisch machen müssen!
Himmel, vor wenigen Wochen noch war ihm diese Schülerin regelmäßig auf die Nerven gefallen, wann immer sie ihm über den Weg gelaufen war, und heute saß er mit ihr spät abends vor dem Kamin in seinem Büro und plauderte darüber, daß er einen schlechten Tag gehabt hatte. Und seine komplette Reaktion auf dieses ungewöhnliche Ereignis war, daß er mit einem wohligen Laut seine Arme noch etwas entspannter, seine Schultern noch etwas lockerer hängen ließ und sich intensiver der Hitze des Feuers hingab.
"Der Schulleiter hat sein alljährliches Keks-Gespräch mit mir geführt."
Hermine lachte laut auf "Sein WAS?"
Snape schmunzelte ohne die Augen zu öffnen. Hier, mit ihr, bekam die ganze Situation mit Dumbledore zum ersten Mal etwas Erheiterndes.
"Sein Keks-Gespräch... Einmal im Jahr hat er das Bedürfnis mich zu verhätscheln, mich wie einen kleinen Jungen an die Hand zu nehmen, mir - sinnbildlich gesprochen - Kekse in den Mund zu stopfen und dafür zu sorgen, daß ich mein Herz bei ihm ausschütte."
"Ah ja...", er hörte aus Hermines Stimme, daß sie breit grinste bei dem Gedanken.
"Diese sinnbildlichen Kekse kriegen wir auch, und manchmal nötigt er mich sogar, eche Süßigkeiten zu essen", kicherte sie.
"Ja, das ist wohl seine Art..."
"Das ist es wohl..."
Und dann herrschte wieder angenehme Stille.
Erst als Snape aufstand, sah Hermine wieder vom Feuer weg und zu ihm hoch.
"Möchten Sie auch einen Kaffee?", fragte er sie, als ob er das jeden Tag täte. Aber anstatt, daß es der Schulsprecherin merkwürdig vorgekommen wäre, überlegte sie kurz und antwortete ganz selbstverständlich: "Ja, gerne."
Einen Moment später kehrte er mit zwei dampfenden Bechern zurück und stellte sie auf einem kleinen Tischchen ab, das er dann mitsamt der Becher zu den Sesseln trug.
Er stellte das Tischchen ab, setzte sich wieder, nahm einen Becher und hielt ihn Hermine hin. "Hier, ich hoffe, der Kakao war noch frisch genug, ich habe das Paket seit einer Ewigkeit nicht angerührt."
Hermine sah ihn fragend an "Kakao?"
"In Ihrem Kaffee... sie trinken doch Ihren Kaffee mit Kakao..." sagte er im Plauderton, als er plötzlich innehielt.
Er stellte seinen eigenen Becher, den er gerade an seine Lippen hatte heben wollen, wieder auf dem Tischchen ab.
"Sie... trinken doch Kakao im Kaffee, oder?"
Hermine blickte zweifelnd in ihren Becher.
"Ich... weiß nicht...?!" Sie roch daran und ein herrlicher Duft stieg ihr in die Nase. Sie pustete erst ein, zwei mal, dann nippte sie an der heißen Flüssigkeit.
Ein Genuß sondergleichen! Das herbe Aroma des Kaffees, gemischt mit der schokoladigen Süße des Kakaos... sie erklärte dieses Getränk auf der Stelle zu ihrem absoluten Favoriten!
"Ja! Ich trinke Kakao im Kaffee! Das schmeckt ja herrlich! Wie sind Sie denn auf diese Idee gekommen? Hmmmm... "Sie nippte wieder daran.
Als sie jedoch hochsah in Snapes Augen, ahnte sie etwas. Sie senkte den Becher in ihren Schoß.
"Sie haben jetzt nicht nur etwas ausprobiert - richtig?"
Er nickte wortlos.
"Sie haben 'gewußt', daß ich das mag - stimmt das?"
Er nickte wieder.
"Und damit meinen Sie nicht 'Sie waren sich sicher, daß ich das mögen würde' - sondern sie 'WUSSTEN' es - richtig?"
"Ganz genau. Ich habe überhaupt nicht darüber nachgedacht, als ich Ihnen den Kakao in den Becher gerührt habe, es war völlig selbstverständlich, als hätte ich das schon hundertemale getan..."
"Was ist hier los, Severus?", Hemine erschrak darüber, daß sie ihn beim Vornahmen genannt hatte. Aber vielleicht erschrak sie sogar noch mehr darüber, wie richtig es sich angefühlt hatte, es zu tun und darüber, daß es ihm sogar erst einen Moment später überhaupt auffiel.
Kurz schien es, als wolle er wieder aufstehen, dann blieb er jedoch sitzen, nahm seinen Becher, trank einen Schluck daraus und sah sie wieder an.
"Ich weiß es nicht, Hermine..."
