kapitel 16
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It doesn't matter, what I want
It doesn't matter, what I need
It doesn't matter if I cry
No matter if I bleed...
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'Umsehen, ob ich eine Nachricht finde', dachte sie ängstlich. Und begann nach etwas Ausschau zu halten, das der Zaubertrankmeister für Dumbledore zurückgelassen haben könnte.
Aber so sehr sie auch schaute, sie fand nichts. Und der Schulleiter kam nicht zurück.
Was sollte sie tun?
Hier warten? Dumbledore hinterherlaufen? Er hatte gesagt, daß er ihr eine Nachricht zukommen lassen würde, wenn sie kommen sollte.
Also sollte sie weiter hier warten.
Also wartete sie.
Die Sorge um Snape machte sie rastlos, und es war ihr unmöglich nichts zu tun. Also begann sie aufzuräumen. Sie stellte das benutzte Geschirr auf ein kleines Tablett, das sie an den Tisch gelehnt fand. Sie faltete die große Decke zusammen, die auf dem Sofa gelegen hatte. Sie legte einige Bücher, die auf zur Seite weggerutschten Stapeln lagen, ordentlich zusammen.
Als sie mit den Büchern beschäftigt war, wurde ihre Aufmerksamkeit eine Weile von den Titeln gefesselt und ihr Blick fiel wieder auf "Baudolino". Sie hatte gehört, das es von einem Betrüger und Lügner handelt, von jemandem, der im Verborgenen agierte... wie treffend, daß ausgerechnet dieses Buch von Eco signiert worden war...
Sie löste sich von den Büchern und mit Hilfe ihres Zauberstabes begann sie, hier und da etwas Staub zu beseitigen.
Immer wieder kam sie an dem Flügel vorbei, dessen geschlossener Deckel mit Notenblättern vollgelegt war.
Die Abdeckung über den Tasten war hoch. Ob sie es wohl wagen konnte?
Sie setzte sich auf den Klavierhocker und schlug vorsichtig eine Taste an.
Ein satter, leiser Ton ohne jedes Klirren, das man hätte hören können, wenn das Instrument nicht sauber gestimmt gewesen wäre. Der Flügel wurde benutzt.
Hermine legte beide Hände auf die Klaviatur und drückte sie zu einem Akkord herunter. Ein wunderschöner Klang erfüllte den Raum.
Aber mehr traute sie sich nicht, zumal die Unruhe in ihr immer größer wurde. Wo blieb Dumbledore nur? Hatten sie Severus immer noch nicht gefunden? Was, wenn er tatsächlich beim dunklen Lord war?
Als Hermine die Finger von den Tasten hob, fühlte sie, daß die Fingerspitze ihres rechten Ringfingers feucht war. Sie sah sie an und erschrak. Es war Blut daran. Sie sah auf die schwarze Taste die sie damit gedrückt hatte und in der Tat war dort noch ein wenig mehr davon.
Severus' Blut? Sie sah von den Tasten auf und stutzte. Direkt vor ihr, auf dem Notenhalter, stand ein Blatt auf dem etwas von Hand geschriebenes stand. Hermine fragte sich, wie, um alles in der Welt, sie das gerade hatte übersehen können! Dabei war das Blatt nicht dumm platziert - wenn man den Raum betrat, sah man direkt darauf. Trotzdem war es weder Dumbledore noch ihr aufgefallen. In Snapes Handschrift las sie dort:
'Albus, konnte nicht warten. Bitte Poppy sagen, sie soll Vorbereitungen treffen. Hoffe, daß ich bald bei ihr eintreffe. Halte Hermine raus. S.'
Sie riß das Blatt von der Notenhalterung und starrte es an. Das Herz schlug ihr bis zum Hals.
Da war sie, die Nachricht, die sie gesucht hatten!
Aber wie informierte sie jetzt den Schulleiter?
Verdammt! Er hatte ihr doch aufgetragen, nach einer Nachricht zu suchen, dann mußte er doch zwischendurch auch mal irgendwie nachfragen ob sie eine gefunden hatte!
Warum war immer noch niemand hier?
Es war Hermine egal! Auf dem Zettel stand zwar, daß sie, aus was auch immer, herausgehalten werden solle, aber das hatte ganz offensichtlich nicht geklappt, denn schließlich hatte gerade sie seine Nachricht gefunden. Also konnte genausogut sie selbst Madame Pomfrey bescheid sagen - zumindest kannte sie sonst niemanden, der Poppy hieß.
Sie stürmte aus dem Zimmer heraus, in Richtung des Krankenflügels.
Als sie dort ankam, drang ihr ein lautes Krachen aus dem geschlossenen Krankenzimmer entgegen. Noch bevor Hermine es gewagt hatte, die Station zu betreten, flog die Türe auf und Madame Pomfrey kam bleich heraus und lief fast in sie hinein.
Die Medihexe bremste abrupt ab und sah Hermine erschrocken an.
"Gehen Sie bitte in Ihren Turm oder zum Unterricht", dann hielt sie kurz inne "Oder haben Sie etwas? Haben Sie sich verletzt?" Ihr Blick überflog Hermine.
"Nein, ich habe nichts - außer einer Nachricht von Professor Snape, daß Sie alles vorbereiten sollen, er sei bald bei ihnen."
Madame Pomfrey wurde noch ein wenig heller im Gesicht. "Er ist bereits da. Danke, Miss Granger. Gehen Sie jetzt. Schnell. Ich habe zu tun."
Die sonst immer so ruhige und liebenswerte Medihexe rannte an Hermine vorbei, in einen anderen Raum.
Aus dem Krankenzimmer drangen Geräusche, die Hermine erst nicht einordnen konnte. Aber dann wurde ihr klar, daß dort jemand tobte, der, offenbar vor Schmerzen, nicht bei Sinnen war. Plötzlich hörte sie, durch das Getöse hindurch, Dumbledores Stimme, die beruhigend auf jemanden einredete.
Die Gewissheit daß es sich bei diesem jemand um den Zaubertrankmeister handelte, auch wenn sie seine Stimme in diesen Schreien kaum erkennen konnte, war augenblicklich da und versetzte Hermine einen Schlag in den Magen. Ihr wurde übel.
Poppy kam zurückgelaufen. In der einen Hand hielt sie einen großen Tigel, in der anderen eine lange Fiole.
"Sie sind ja immer noch da! Gehen Sie, habe ich gesagt!"
"Ist das Professor Snape?" ihr Blick deutete ängstlich auf die geschlossene Türe des Krankenzimmes.
"Das geht Sie nichts an, mein Kind." Poppy war sehr aufgeregt und schien dringend wieder in das Krankenzimmer zu wollen. Trotzdem überlegte sie sehr kurz und sagte dann fast in ihrem normalen, liebenswürdigen Ton: "Ja, er ist es, aber er wäre nicht einverstanden, wenn ich Sie jetzt da hineinlasse, es geht ihm nicht gut - er wäre nicht einmal einverstanden, daß ich Ihnen gesagt habe, daß er es ist. Tun Sie nicht mir, sondern tun Sie vor allem ihm bitte den Gefallen und gehen Sie."
Mangels freier Hände, drückte Poppy die Türe hinter sich mit dem Rücken auf und huschte hindurch.
Durch die zufallende Türe konnte Hermine einen kurzen Blick hinein erhaschen. Dumbledore und McGonagall knieten von beiden Seiten neben, halb über, der schwarzen Gestalt und drückten Severus, der zwischen ihnen lag, auf den Boden. Die Betten links und rechts neben ihnen waren mit Wucht aus dem Weg gestoßen worden. Sie konnte sein Gesicht nicht sehen, aber sie konnte erkennen, daß er versuchte, um sich zu schlagen, um die beiden Magier loszuwerden - die ihn, aus irgendeinem Grund, nicht auf magischem Wege, sondern mit reiner Körperkraft, am Boden hielten.
Als die Türe gänzlich zufallen wollte, hielt Hermine sie einen Spalt weit auf und beobachtete atemlos, was in dem Zimmer geschah.
Madame Pomfrey hatte sich an Snapes Kopf gekniet, den Hermine nach wie vor nicht sehen konnte und flößte ihm offenbar ein, was in der Fiole war.
"Halt kurz still, Severus", hörte sie Poppy mit zitternder Stimme, aber bestimmt sagen. "Halte ganz kurz still, mein Junge, gleich ist es vorbei."
Und tatsächlich hörte Snape auf, sich zu wehren und die Schreie wandelten sich in keuchendes Stöhnen. Hermine sah, wie McGonagalls Gesichtsausdruck Erleichterung zeigte. Genau wie Dumbledore ließ sie erst lockerer und dann ganz los.
Es wurde ruhig. Hermine sah, wie auch Snapes Körper locker wurde . Nach einer Weile drehte er sich auf die Seite, zog die Beine an und rollte sich auf dem Boden zusammen.
Als Dumbledore und McGonagall aufstanden lag der Zaubertrankmeister mit dem Rücken zur Tür und Madame Pomfrey streichelte ihm immer und immer wieder über den Kopf und die Schultern. Sie war so weit zu ihm hingerutscht, daß sie seinen Kopf auf ihren Schoß heben konnte, was er regungslos zugelassen hatte.
Poppy sah zu Dumbledore hoch.
"Wann hat das endlich ein Ende, Albus?" Wut und Traurigkeit klang in ihrer Stimme "Wann hört das endlich auf?"
Der alte Zauberer ließ den Kopf hängen.
"Ich weiß es nicht, Poppy."
Hermine sah, daß die Wut der Medihexe sich komplett auf den Schulleiter richtete. Anscheinend machte sie ihn dafür verantwortlich, wie es Severus ging.
Und dann erklang, leise und schwach, wie benebelt, Snapes Stimme: "Er weiß es..."
"Was?" Minerva, die gerade aufgestanden war, ging sofort wieder neben ihm auf die Knie und beugte sich zu seinem Kopf herab.
"Er weiß es." wiederholte Snape leise.
"Er weiß, daß ich nur für den Orden arbeite - und er weiß es offenbar schon sehr lange"
Er drehte das Gesicht jetzt etwas nach oben, zu McGonagall gewandt, so daß Hermine es von der Seite sehen konnte. Die Wangen und seine Lippen waren kreideweiß, die Augen schienen, im krassen Gegenatz dazu, blutunterlaufen. Er sah aus, wie jemand der eigentlich tot sein müßte. Sie hatte das Gefühl, ihr Herz bliebe stehen.
Seine Stimme war schwach und er sprach undeutlich, aber Hermine konnte ihn trotzdem recht gut verstehen.
"Er sagte, er habe es schon gewußt, noch bevor ich zu seiner Rückkehr nicht erschienen sei." er hielt inne, um Luft zu holen. Das Atmen schien ihm schwer zu fallen. "Und daß es sehr günstig für ihn sei, daß Harry mir nie vertraut habe und es auch niemals tun werde." eine neuerliche Pause, bevor er weitersprach. "Harry sei damals dabeigewesen, als er den anderen Todessern erklärt habe, daß er mich, als seinen Getreuen längst verloren habe. Das muß bei seiner Rückkehr am Ende des Trimagischen Turmiers gewesen sein."
Er hustete und versuchte dann torkelnd, sich aufzurichten, was ihm sichtlich schwerfiel.
Minerva wollte ihm helfen, aber er schlug ihre hingehaltene Hand mit einer wischenden Bewegung weg, die ihn so aus dem Gleichgewicht brachte, daß er beinahe wieder hinfiel.
Dumbledore versuchte es erst gar nicht.
Die einzige, die ihm beim Aufstehen behilflich sein durfte, war Madame Pomfrey.
Auf wackeligen Beinen stehend stützte er sich auf die Medihexe.
"Wieviel war es diesmal, Poppy?", er sprach jetzt etwas lauter, aber Hermine hörte, daß seine Stimme völlig unnatürlich klang.
"Zuviel, Severus, viel zuviel!"
"Wie lange, bis ich mich wieder unter Menschen wagen kann?"
"Heute gar nicht mehr, es war auch Pranakraut dabei. In spätestens zehn Minuten bist du im Reich der Träume. Ich habe dir einen ausgewachsenen Vollrausch verabreicht, und es grenzt an ein Wunder, daß du stehst. Du müstest eigentlich längst völlig weggetreten sein. Daß du inzwischen solche Mengen an Opium einfach wegsteckst, macht mir große Sorgen."
Opium?! Hermines Mund stand für einen Moment offen. Warum gab die Medihexe ihm ein Rauschgift? Pranakraut kannte sie nicht, aber es klang auch nicht besonders magisch. Warum gab sie ihm nichts Magisches??? Aber vermutlich hatte es einen Sinn. Erst durfte sie die Wunde an seinem Arm nicht mit Magie heilen, dann hielten der Schulleiter und ihre Hauslehrerin Snape ohne Magie am Boden fest und nun das Opium... so wie es aussah, wollten, konnten oder durften sie in diesem Fall keine Magie anwenden.
Sie ließ die Türe leise zugleiten, bevor sie entdeckt werden konnte und verließ schnell den Krankenflügel.
Hermine lief so schnell sie konnte zum Gryffindor-Turm und in ihr Zimmer. Dort angelangt warf sie die Türe zu, setzte sich auf ihr Bett und versuchte alles zu ordnen und zu verstehen, was geschehen war.
Als ihre Erinnerung an dem Teil angelangt war, in dem Snape erzählt hatte, daß Harry davon gewußt haben mußte, daß Voldemort über den Verrat längst informiert war, sprang sie wieder auf und suchte Harry.
Sie hatte ihn schnell gefunden. Parvati konnte ihr sagen, daß er mit Ron unterwegs war zum Quidditch-Feld.
Auf halber Strecke hatte sie die Freunde eingeholt und zog Harry zur Seite.
Schnell berichtete sie ihm von dem was sie gesehen hatte und wartete gespannt auf seine Reaktion.
Harry überlegte und überlegte.
"Hermine, das ist jetzt drei Jahre her, ich war völlig in Panik, es ist so viel gesagt worden. Ich weiß nicht, ob ich..." und dann liefen ihm die Augen fast über, und er schlug sich mit der Hand vor die Stirn.
"Natürlich!" Voldemort ist damals den Kreis der zurückgekehrten Todesser abgegangen und sprach nicht nur zu denen, die da waren, sondern sagte auch zu jedem etwas, der NICHT da war. Einige waren tot, andere offenbar zu feige gewesen, zurückzukehren. Aber bei einem sagte er sinngemäß 'diesen hier habe ich schon lange verloren'."
Er versuchte sich die Szene so genau wie möglich in den Sinn zurückzuholen.
"Verdammt! Ich habe das nicht mit Snape in Verbindung gebracht, weil ich damals noch geglaubt habe, daß er tatsächlich der anderen Seite angehört. Voldemort hatte zu dem Fehlen eines Todessers gesagt 'dieser sei in Hogwarts' - da glaubte ich damals natürlich sofort, damit sei Snape gemeint. Später habe ich nie wieder darüber nachgedacht - aber er hatte natürlich das Moody-Duplikat im Sinne als er das sagte, und nicht Snape. Verfluchter Mist!"
"Oh Merlin... Voldemort weiß es also tatsächlich seit mindestens drei Jahren." Sie sah Harry an: "Du mußt unbedingt sofort mit Dumbledore darüber reden - sag ihm genau, was du mir gerade gesagt hast, damit niemand glauben kann, du hättest es absichtlich nicht erzählt."
Harry starrte sie mit offenem Mund an: "Warum sollte ich das absichtlich nicht erzählt haben?"
"Weil du Snape gehasst hast? Weil er dich gehaßt hat? Betrachte das mal von außen - klar wäre es unverzeihlich gewesen, wenn es Absicht gewesen wäre - aber verständlich wäre es auch... - zumindest wenn man dich nicht so gut kennt wie ich dich kenne.", setzte sie mit einem versöhnlichen Lächeln hinterher und drückte ihn einmal ganz kurz.
"Und jetzt lauf zu Dumbledore." sie drehte sich auf dem Absatz um und rannte wieder ins Schloß.
In der Halle angekommen, blieb sie tief und hektisch atmend stehen. 'Jetzt bloß nicht hysterisch werden, Hermine' mahnte sie sich selbst.
Aber langsam brannten ihre Nerven durch. Der Gedanke daß Severus seit drei Jahren immer wieder bei Todesser-Treffen war und Voldemort längst wußte, daß er ein Verräter war, der Gedanke daran, was alles hätte passieren können, versetzte sie nachträglich so in Panik, daß sie das Bedürfnis hatte, laut zu schreien.
Stattdessen setzte sie ihre ganze Willenskraft dazu ein, ihren Atem wieder zu beruhigen und ging normal weiter, als sei nichts besonderes geschehen. Hätte sie jetzt noch ein paar Bücher unter dem Arm gehabt, hätte sie ausgesehen wie immer.
Sie mußte zu ihm! Egal ob er sie jetzt bei sich haben wollte oder nicht - sie mußte ihn sehen!
Und während sie diesen Gedanken wieder und wieder dachte, fand sie sich mit einemmal bereits vor seiner Tür.
Sie sprach das Passwort und trat ein.
