Kapitel 17
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I don't want the world to see me
cause I don't think that they'd understand
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Die Lampe war abgedunkelt und Hermine erkannte die Dinge im Raum nur schemenhaft, doch noch bevor sie ihn gesehen hatte, hörte sie ihn.
"Was willst du hier?", fragte er abweisend in das Halbdunkel hinein.
Er saß auf dem Sofa, leicht zum Tisch vorgebeugt, auf den er sich mit den Ellenbogen aufstützte. Mit beiden Händen hielt er einen Becher umfaßt.
Er sah mit glasigem Blick zu ihr hoch und konnte sich offenbar nur schwer auf sie konzentrieren, seine Pupillen waren unnatürlich stark erweitert.
Hermine konnte nichts sagen.
"Laß mich in Ruhe.", murmelte er.
Er hob den Becher mit beiden Händen hoch und führte ihn langsam zum Mund. Selbst das schien nicht einfach zu sein.
Es dauerte lange, bis er einen Schluck getrunken und den Becher wieder auf dem Tisch abgestellt hatte.
Hermine roch einen sehr starken Kräutertee. Vermutlich weitere nicht-magische Hilfe von Poppy - oder er hatte diesen Tee selbst zusammengemischt...
"Geh - hab ich gesagt." er überlegte und murmelte zu sich selbst "hab ich schon 'geh' gesagt?"
Hermine hätte losheulen können! Es tat ihr so unendlich weh, ihn so zu sehen! Sie hielt sich vor Entsetzen eine Hand vor den Mund.
Wie volltrunken schwankte er manchmal ein wenig zur Seite, aber er hielt sich immer, und dann stand er sogar auf. Sehr langsam zwar, und sehr vorsichtig, aber er schaffte es und ging, ohne sie weiter zu beachten, zum Flügel hinüber.
Es war etwas schwierig für ihn, sich zu setzen, aber auch das gelang.
Hermine stand nur daneben und sah sich außerstande etwas zu tun. Sie wußte genau, daß er es ihr übel nehmen würde, daß sie ihn so sah, aber sie konnte nicht gehen, sie konne ihn jetzt nicht alleine lassen. Selbst wenn sie ihm nicht helfen konnte.
Er legte die Hände auf die Tasten und begann eine kurze Melodie zu spielen. Erstaunlicherweise ging das problemlos! Dazu schien er seinen Verstand nicht zu brauchen. Die Finger glitten einfach über die Klaviatur und spielten, bis er innehielt und sich nach vorne beugte, um einen Block mit Notenblättern zu greifen. Darauf hatte eine Feder gelegen, die er ebenfalls griff. Er versuchte etwas zu schreiben, gab aber recht schnell wieder auf.
"Zu früh..." murmelte er und stand wieder auf, ging, sich am Flügel festhaltend, ein Stück um das Instrument herum und machte sich dann wieder wackelig auf den Weg zum Sofa.
"Geh doch ins Bett und schlafe." sagte sie leise und fragte sich, ob er sie überhaupt verstand.
"Schlafen gehen ist jetzt nicht gut." ging er allerdings direkt auf das ein, was sie gesagt hatte. "Träumen ist jetzt nicht gut..." setzte er hinterher und wiederholte noch einmal: "Träumen ist jetzt überhaupt nicht gut."
Dann saß er wieder auf dem Sofa.
Sie ging sie zu ihm rüber und setzte sich ans andere Ende des Sofas. Dann beugte sie sich zu ihm und zog ihn an sich heran. Ohne große Widerwehr ließ er sich aufs Sofa legen so daß sein Kopf in ihrem Schoß lag.
"Oh, das ist bequem." sagte er auf völlig Snape-untypische Weise und machte es sich gemütlich. Trotz der Situation, mußte Hermine in ihrer Verzweiflung leise lachen.
"Das ist schön, daß es bequem ist." sagte sie lächelnd. Sie griff neben das Sofa, wo sie beim Aufräumen die zusammengefaltete Decke hingelegt hatte, hob sie hoch, breitete sie mit einem Ruck aus und legte sie über ihn. Sie selbst schob sich eines der dicken Sofakissen in den Nacken und wartete einfach ab.
Ihr rechter Arm lag locker auf der Sofalehne, mit dem linken hielt sie ihn an der Schulter umfaßt und streichelte ihm ab und zu über die Haare und die Wangen.
Sie hatte vielleicht eine halbe Stunde so mit ihm gesessen, als die Türe aufging und Madame Pomfrey hereinkam. Snape war die ganze Zeit wach gewesen, auch wenn er einfach nur mit großen Augen seine Umgebung ansah und sich ansonsten kaum rührte.
Poppy, deren erschrockener Gesichtsausdruck klar machte, daß sie nicht erwartet hatte, daß jemand bei ihm sein würde, kam zu ihnen herüber.
Sie hatte einen kleinen Korb dabei, indem sie allerlei Dinge trug, die Hermine aber nicht genauer erkennen konnte.
Sie zog sich einen Sessel an den Tisch heran und setzte sich über Eck zu ihnen.
"Wie geht es ihm?", fragte sie mit sorgenvolller Stimme.
"Ich glaube, das können Sie viel besser beurteilen, Madame Pomfrey." Hermine strich ihm wieder zart eine Sträne aus dem Gesicht. "Es geht ihm nicht gut - soviel kann ich sagen. Ob er Schmerzen hat, weiß ich nicht, aber er scheint recht ruhig zu sein."
"Ja, ich habe ihm etwas gegeben..."
"Opium - ich wei" Hermine konnte sich einen bissigen Unterton nicht verkneifen.
Poppy sah erstaunt zu ihr hoch.
"Woher wissen Sie..." dann hielt sie inne "oh... Sie haben vorhin wohl nicht auf mich gehört und sind geblieben, richtig?"
Hermine nickte nur.
Poppy legte Severus die flache Hand auf die Stirn.
"Gut, wenigstens hat er kein Fieber."
Hermine sah die Medihexe bittend an.
"Bitte, Madame Pomfrey, erklären Sie mir, was da mit ihm passiert! Warum geben Sie ihm keinen richtigen Trank, anstatt ihn mit diesem Höllenzeug vollzupumpen? Opium macht süchtig! Und wogegen ist es überhaupt! Es klang so, als sei es nicht das erste Mal gewesen, daß er so zu Ihnen kam."
Sie sah Poppys Zögern und ihr war klar, daß sie mit Sicherheit zu Schweigen verpflichtet worden war. Aber irgendwie hatte sie das Gefühl, daß sie eine Chance hatte, daß die Medihexe ihr doch etwas verriet.
"Bitte, Madame Pomfrey! Ich habe das Gefühl, daß sie außer mir die einzige in Hogwarts sind, die es nicht für selbstverständlich hält, was man mit ihm anstellt!"
Sie hatte ins Schwarze getroffen!
Wut machte sich in Madame Pomfreys Gesicht breit. Und sie sah Hermine mit Verschwörerblick an.
"Ich kenne ihn, seit er hier als Schüler an die Schule gekommen ist, Miss Granger und es gab in all den Jahren keinen einzigen Tag, an dem ich mir nicht für ihn gewünscht habe, er wäre niemals hergekommen! Ich habe nie die schlimmen Dinge geglaubt, die sie über ihn gesagt haben! Und wer will ihm verübeln, daß er immer so schlecht gelaunt ist? Wenn er euch Schüler in den Unterrichtsstunden hart rannimmt, dann doch nur, weil er will, daß ihr soviel lernt, daß ihr später auf euch selbst aufpassen könnt!"
Hermine stoppte ihren Redefluß, der in die falsche Richtung lief.
"Madame Pomfrey - was ist mit ihm geschehen?"
Die Hexe besann sich auf die eigentliche Frage zurück.
"Wenn er 'fort' ist, weiß man nie, wie er zurückkommt. Manchmal ist er einfach nur für ein oder zwei Tage sehr still, dann reicht der Kräutertee, den ich ihm gemacht habe. Aber manchmal sind Flüche auf ihn gesprochen worden. Schlimme Flüche, Miss Granger. Und dann weiß ich oft nicht, wie ich ihm helfen soll. Denn wenn ich gegen irgendetwas das von dem, der nicht genannt werden darf, gemacht wurde mit Magie angehen will, wird es nur noch schlimmer! So als kehrten seine Zauber alles Gute, was man seinen Opfern tun will, ins Gegenteil um. Oh ja, dieser Teufel versteht es, Menschen zu quälen. Ich kann nicht verstehen, daß Severus immer wieder hingeht, und ich kann noch weniger verstehen, daß der Orden immer wieder zuläßt, daß er geht!"
Sie streichelte ihm über den Arm und er sah zu ihr hoch, als bemerke er sie jetzt erst.
"Oh, Poppy! Schön, daß du da bist."
"Hallo, mein Junge", sie lächelte obwohl ihre Augen feucht waren. "heute hast du es ja mal richtig gut hier. Heute kommen gleich zwei Frauen um nach dir zu sehen."
Er antwortete darauf nicht mehr, sondern starrte wieder mit leerem Blick in den Raum hinein.
"Miss Granger, ich hasse es, ihm das Opium zu geben, aber es war vor etlichen Jahren sein Vorschlag und es hat funktioniert. Wenn er mit Schmerzen wiederkommt, gebe ich es ihm. Aber glauben Sie mir - wirklich nur, weil ich beim besten Willen bisher noch nichts anderes gefunden habe, das ihm ähnlich schnell, genauso verlässlich die Schmerzen nimmt."
Hermine konnte sehen, daß sie die Warheit sagte und bedauerte, vorschnell über sie geurteilt zu haben.
Und dann schluchzte Madame Pomfrey auf: "Aber so schlimm wie heute war es ewig nicht mehr! Ich habe ihm so viel gegeben wie ich verantworten konnte. Meine Güte, gibt es denn wirklich keinen anderen Weg?" Sie hielt sich die Hände vor das Gesicht, schluchzte noch einige Male und beruhigte sich dann aber recht schnell wieder.
Mit einem Zipfel ihrer Schürze trocknete sie die Augen.
"Hermine..." setzte sie wieder an. "Darf ich Hermine sagen?" Hermine nickte. "Natürlich dürfen Sie."
"Dann sagen Sie bitte Poppy zu mir, ja?" Hermine nickte wieder "Gerne".
"Hermine, wenn er aufwacht und Sie sind noch hier, wird er ihnen das nicht verzeihen! Daß Sie jetzt hier sind, wofür ich Ihnen sehr dankbar bin...", sie legte ihre Hand auf Hermines "...das bekommt er gar nicht mit, aber irgendwann in den Morgenstunden wird er wieder zur Besinnung kommen - und dann sollten Sie nicht mehr hier sein!"
"Damit wird er leben müssen." sagte Hermine so bestimmt, daß Madame Pomfrey ein Geräusch des Erstaunens von sich gab.
"Aber..."
"Poppy..." Hermine zögerte, bevor sie die nächsten Worte sprach "...ich liebe ihn und ich werde ihn jetzt nicht alleine lassen - ganz gleich, was er davon hält. Ich werde nicht gehen bevor ich nicht sicher sein kann, daß es ihm wieder besser geht. Und wenn daß heißt, daß ich noch da bin, wenn er wieder aufwacht, dann ist das halt so."
Mit offenem Mund horchte die Medihexe dem nach, was Hermine ihr gerade gesagt hatte.
Dann überzog sie ein Lächeln und aus ihren Augen strahlte Zufriedenheit.
"Gut", sagte sie "dann lasse ich Ihnen jetzt ein paar Dinge hier, falls die eine oder andere Sache eintrifft."
Hermine bekam diverse Fiolen, die glücklicherweise allesamt gut leserlich beschriftet waren und die äußerst konkreten Zwecken dienten. Bei der Vorstellung, daß irgendetwas eintreten könnte, daß die Benutzung einer dieser Fiolen notwendig machte, schüttelte Hermine sich.
Auf Hermines Frage, warum in der Nacht für ihn diese Tränke erlaubt seien, die in der akuten Not nicht herangezogen werden durften, erklärte Poppy ihr, daß das Problem daß jetzt auf den Zaubertrankmeister zukäme nicht mehr von Voldemorts Magie sondern nur noch von dem Opiate-Cocktail hervorgerufen würde. Und dazu habe sie durchaus Gegenmittel.
"Was immer Sie heute Nacht hören oder sehen, Hermine," und dabei lächelte sie ganz merkwürdig, "behalten Sie es für sich. Sagen Sie es auch ihm nicht. Und wenn möglich, gehen Sie, wenn er endgültig eingeschlafen ist. Ich werde die Türe jetzt verschließen - wenn sie hinauswollen, benutzen sie das Passwort 'Kesselboden', nur so kommen Sie heraus."
Hermine nickte eifrig.
Bevor sie ging, hatte Poppy auch für Hermine noch schnell mit ein paar Kräutern aus ihrem Korb-Repertoire und ein paar kleinen Bewegungen ihres Zauberstabs einen Tee gemacht.
Als Poppy gegangen war, versuchte Hermine sich vorzustellen, was sie gemeint haben könnte mit 'was immer Sie hören oder sehen'. Was sie dabei vor allem irritiert hatte, war das Lächeln der Medihexe gewesen. Nun ja, sie würde es erleben, dachte sie bei sich, trank ein paar Schlucke von dem sehr aromatischen Tee und machte es sich wieder gemütlich.
Hermine wachte von Klaviermusik auf. Snape saß am Flügel und spielte. Sie hatte keine Ahnung, wie spät es war. Er hatte den Flügel geöffnet, und eine ihr unbekannte, aber sehr einfühlsame Melodie erfüllte den Raum. Sie erhob sich und ging zu ihm hinüber.
Er bemerkte sie nicht, aber sie konnte sehen, daß der betäubende Part des Opiumrausches vorbei war. Poppy hatte ihr erklärt, daß er danach aber noch lange nicht er selbst sein würde, weil in dem was sie ihm gegeben hatte durchaus nicht nur Opium gewesen war.
Er war mit den Gedanken sehr konzentriert beim Spiel, und er begann, die Melodie erst leise zu summen und dann in der gleichen Lautstärke mitzusingen. Sie verstand den Text nicht, weil es, soweit sie das beurteilen konnte, italienisch war, außerdem sang er sehr leise und das Klavier übertönte seine Worte.
Wer hätte gedacht, daß Severus Snape singen konnte?! Und das was sie hörte, gefiel ihr sogar ausnehmend gut!
Sie blieb lange einfach nur neben dem Flügel stehen und sah ihm zu. Wenn sie es nicht besser gewußt hätte, hätte sie gesagt, daß es ihm richtig gut ging. Er wirkte sehr gelöst und sehr zufrieden mit dem was er tat.
Doch irgendwann hörte sein Spiel auf, und er sah lange nur die Klaviatur an, dann stand er auf, griff zu dem Notenpapier und der Feder und ging damit zu dem überladenen Schreibtisch.Wäre sie ihm nicht ausgewichen, wäre er geradewegs in sie hineingelaufen.
Mit wenigen Griffen hatte er dort Platz geschaffen und sich hingesetzt, um zu schreiben. Aber als das Papier vor ihm lag und er die Feder in der Hand hielt, passierte erst einmal wieder nichts.
Er schien auf etwas zu warten.
Hermine ging zu ihm, nahm sich einen Stuhl mit und setzte sich direkt neben ihn.
Als sie schon gar nicht mehr damit rechnete, daß er sie bemerken würde, sah er hoch und sie an... lange...
In dem abgedunkelten Zimmer waren ihre eigenen Pupillen mit Sicherheit ebenfalls erweitert, aber seine waren von Poppys Mittel noch immer so groß, daß die Iris darum fast nicht zu sehen war und seine Augen dadurch wirklich rabenschwarz aussahen. Es kam ihr in den Sinn, daß er sie vermutlich gar nicht klar sehen konnte und daß es ihm schwerfallen dürfte, etwas aufzuschreiben.
Als sie nach einer kleinen Ewigkeit etwas sagen wollte, hob er den Zeigefinger an seinen Mund und sagte flüsternd: "Schhhhhh.... du mußt ganz leise sein!" Er sprach wieder klarer. Schien es aber, seinem Blick nach, definitiv noch nicht wieder zu sein.
Und dann sah er an ihr vorbei, lächelte und flüsterte: "Siehst du? Da ist es..." Er sah so konkret in eine Richtung, daß Hermine irritiert kurz auch dorthinsah - aber da war nichts.
Er wartete noch kurz, als dauere es noch einen Moment bis 'es' - was auch immer 'es' sein sollte - bei ihm war, dann wandte er sich den Notenblättern zu und begann zu schreiben, in einem Tempo, als würde ihm diktiert.
Erst die Noten und dann darunter einen Text.
Zwischendurch murmelte er ein oder zweimal "Nicht so schnell! Nicht so schnell!"
Es konnte unmöglich so sein, daß er da gerade in diesem Tempo selbst ein Lied erdachte. Vermutlich erinnerte er sich nur an eines, das er jetzt aufschrieb.
Als zwei Notenblätter vollgeschrieben war, hörte er abrupt auf und legte die Feder zur Seite.
Er hob die Blätter hoch, sah sie sich an, war offenbar zufrieden und ging damit zum Flügel hinüber.
Und dann spielte er es.
Ein Lied, das Hermine auf eine gänzlich neue Weise berührte. Eine Melodie, die schöner war als alles was sie kannte. Und der Text war von verwirrender Traurigkeit.
Mit dunkler und kaum hörbarer, fast flüsternd leiser Stimme sang er das Lied zu seinem Klavierspiel.
Es handelte von etwas Ungenanntem das geschah, als es regnete und der Erinnerung daran. Von der Dunkelheit in der er zurückblieb, von Tränen der Hoffnung die über seine Haut rannen, davon daß es Tränen für 'sie' seien, daß keine davon je trocknen werde und davon daß keine Liebe und kein Stolz übrigblieben, daß er langsam starb, während er unter sich den Boden fühlte und 'ihren' Namen in den Himmel rief.
Und es hörte damit auf, daß er im Wasser dieses Regens liegen bleiben wolle. Unzählige Male wiederholte er die letzten zwei Worte des Textes, 'restlos erschöpft', wie ein Mantra.
Das Lied war von eine Eindringlichkeit, die Hermine so tief in ihrem Inneren berührte, daß es sie völlig bestürzte, zu wissen, daß dieses erste mal, mit ziemlicher Gewisseheit, auch das letzte mal sein würde, daß sie es hörte.
Sie war ihm auch zurück zum Flügel wieder gefolgt und sah nun durch einen feuchten Schleier hindurch auf dem Notenblatt den Titel den er dem Lied gegeben hatte - es war ihr Name - und daneben stand kleiner "Erinnerung an Regen..."
Und plötzlich wußte sie, wovon das Lied handelte! Die Erinnerung aus dem Denkarium! Das was auch sie geträumt hatte, weil Dumbledore beim Blick ins den magischen Gedankenfänger etwas ausgelöst hatte, das so stark war, daß es bei dem Traum sogar sie mit eingeschlossen hatte!!! Natürlich!
Tränen für sie, weil sie tot war. Er, der alleine zurückblieb. Der Regen. Er, im Wasser liegend, völlig erschöpft - und immer wieder dieser allgegenwärtige Regen...
...was geschehen war, war wieder da und versetzte ihrem Geist einen fast ebenso harten Schlag, wie in der Nacht, in der sie es das erste mal gesehen hatte....
...das Gefühl, zu sterben...
...bei Merlin...
Sie hielt beide Hände vor den Mund, als die Szene aus dem Traum vor ihrem inneren Auge erneut zum Leben erwachte.
Sie erinnerte sich daran, daß sie das Gefühl gehabt hatte, alles verlangsame sich und obwohl sie gewußt hatte, daß sie sterben würde, war alles so friedlich gewesen. Friedlich, traurig - und endgültig... und sie hatte in seinen Augen sehen können, was es für ihn bedeutete. Diesen Severus gab es in ihrer Gegenwart eigentlich nicht, aber irgendwie war er, jetzt gerade, hier, in diesem Raum, an diesem Instrument, doch da... spielte dieses Lied und faßte damit den Schrecken der Erinnerung in eindringlichen Worten und Noten zu einem greifbaren Gefühl zusammen.
Sie ließ die Hände wieder sinken, nahm sich den Stuhl vom Schreibtisch, setzte sich, schmiegte sich an seinen Rücken an und umarmte ihn, während er weiterspielte.
Als er aufgehört hatte zu spielen, legte er seine Hände auf ihre Arme, die ihn eng umfasst hielten.
Und dann sagte er plötzlich leise, aber völlig klar: "Morgen weiß ich das alles hier nicht mehr."
Hermine hielt ihn noch ein wenig fester und auch seine Hände umgriffen ihre Arme noch ein wenig stärker.
"Ein Teil von mir weiß sogar jetzt, daß es besser ist zu vergessen. Aber der größere Teil meiner Selbst will nicht, daß die Erinnerung an diese Nacht verloren geht.
"Was weißt du morgen nicht mehr?", fragte Hermine vorsichtig, hoffend, daß ihre Stimme nicht dafür sorgte, daß er wieder verstummte.
Aber das schien nicht zu geschehen.
"Das alles hier, daß du hier bist, daß du mich so hältst, wie du es jetzt tust, dieses Lied...", er seufzte "Aber es hat auch sein Gutes.", das stille Lachen klang bitter "Ich lasse so locker, wie sonst das ganze Schuljahr über nicht und obendrein verläßt mich dieser schreckliche Verfolgungswahn für kurze Zeit, was mich höchst unvorsichtig macht.", er sah kurz zur Tür hinüber "Ich kann wohl davon ausgehen, daß die Tür verschlossen ist?"
Hermine nickte und Severus nickte zufrieden.
"Jetzt denke ich nur daran, wie schön dieses Lied gerade geklungen hat und wie unglaublich es sich anfühlt, daß du mich umarmst." er legte seine Hände über ihre, hob sie etwas hoch, beugte den Kopf ein wenig vor und gab ihr einen kleinen Kuß auf den Arm. Hermine spürte dem kleinen Punkt nach, der erst warm war, und dann auf angehem weiche Weise wieder kühler wurde.
"Morgen denke ich nur darüber nach, wie gefährlich es hätte sein können, und wie bloßstellend es ist, daß du mich so gesehen hast. Und weil ich nicht mehr genau weiß, was ich alles gesagt und getan habe, werde ich das Schlimmste vermuten und... - ach, was rede ich jetzt darüber - sobald ich erst einmal schlafe, ist es sowieso vorbei. So schön wie die Wirkung des Pranakrautes ist, bewirkt es auch, daß ich schon nach kurzer Zeit in einen, glücklicherweise traumlosen, Tiefschlaf falle, der mich die Nacht vergessen läßt - zumindest das Meiste daraus."
Er löste ihre Arme und drehte sich zu ihr um. Er sah sie an und lächelte. Das erste Mal seit sie ihn kannte völlig entspannt, völlig echt und Hermine wünschte sich nichts mehr, als das dieses Lächeln morgen auch noch da wäre. Aber sie wußte, daß das nicht geschehen würde.
"Meine Sinne sind jetzt so stark, daß ich deine Aura sehen kann.", sagte er, und betrachtete fasziniert etwas, das um sie herum war, das sie aber nicht sehen konnte.
"Wie kann jemand gleichzeitig so glücklich und so traurig sein, liebe Hermine?" Er berührte, mit den Fingerspitzen einer Hand, leicht ihre Stirne und streichelte ihr dann langsam und zärtlich, in eine streichenden Bewegung, von oben nach unten über das ganze Gesicht. Hermine hatte das Gefühl, über seine Fingerspitzen unmittelbar mit seiner Seele verbunden zu sein. Ein unglaubliches Gefühl!
Hermine wachte davon auf, daß Poppy sie leise rief.
"Hermine... - Hermine..." sie fühlte eine Hand, die sie ganz leicht an ihrer Schulter schüttelte.
Hermine öffnete die Augen und sah in die Augen der Medihexe.
"Hermine, es ist an der Zeit, daß Sie gehen. Er schläft inzwischen ganz normal.", sagte sie leise.
Hermine sah sich um und stellte höchst erstaunt fest, daß sie wieder - nein - nach wie vor? - auf dem Sofa saß, Snapes Kopf noch immer unverändert in ihrem Schoß, das Sofakissen noch immer in ihrem Nacken.
Die Gedanken rasten in ihr.
Sie hatte das Gefühl, seine Fingerspitzen noch auf der Haut ihres Gesichts fühlen zu können - aber er er lag auf dem Sofa und schlief tief und fest.
Hatte sie das alles nur geträumt? Aber das konnte nicht sein! Es war so unglaublich real gewesen!
Sie sah sich schnell um.
Der Schreibtisch stand voll mit Büchern und anderen Dingen, der Flügel war geschlossen... genau wie gestern waren Notenblätter darauf verteilt.
Ein Teil in Hermine beharrte darauf, daß alles was er getan und gesagt hatte wirklich geschehen war - hörte noch die Melodie des Liedes über die Erinnerung an Regen - aber der größere Teil der Schulsprecherin mußte zugeben, daß es sich im wahrsten Sinne des Wortes um einen höchst unrealistischen Traum gehandelt hatte - um einen schönen zugegebenermaßen - aber nichtsdestoweniger um einen Traum.
Das war mal wieder typisch für sie, daß sie sich sogar im Traum Zaubertrankzutaten erklären ließ...
Hermine gab einen bedauernden Seufzer von sich und mit Poppys Hilfe, kam sie vorsichtig unter Snape hervor. Sie legten seinen Kopf stattdessen auf das Kissen, das Hermine in der Nacht benutzt hatte.
Zufrieden stellten sie fest, daß sein Atem ganz normal ging und sein Rausch in einen erholsamen, tiefen Schlaf übergegangen war.
Und wenn es kein Traum gewesen war? Hermine huschte noch einmal kurz zum Flügel rüber und sah die Notenblätter an, die dort lagen. Handgeschrieben - viele davon - aber in keinem der Titel tauchte Regen auf - geschweige denn, ihr Name...
Mit traurigem Sarkasmus ging es ihr durch den Kopf: "Toll... unsere erste gemeinsame Nacht die nicht in seinem Büro stattfand und wir haben sie beide verschlafen..."
Erleichtert hatte Poppy festgestellt, daß keine ihrer Arzneien zum Einsatz gekommen war und als Hermine und sie seine Räume verließen, hob sie das Passwort, das für die Nacht gegolten hatte, wieder auf.
Im Luftzug der sich schließenden Türe, wurde das einzelne Notenblatt, das neben dem Flügel auf den Boden gefallen war noch einmal leicht hochgewirbelt, und blieb dann still liegen.
