Kapitel 27

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Not any woman can do what you do - Only a woman like you
It's magical, your love for me..

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Poppy Pomfrey betrat den Krankensaal und war froh, daß Dumbledore Hermine wieder einmal hatte überreden können, am gemeinsamen Abendessen teilzunehmen. Sie benahm sich glücklicherweise nicht unvernünftig. Sie aß gut, sie nahm ohne Widerwehr alles, was Poppy ihr verschrieb und wenn die Medihexe ihr sagte, sie solle schlafen, dann legte sie ihre Bücher beiseite, erhob sich aus dem Sessel neben Severus und legte sich in das Bett neben seinem um zu schlafen.

Seit Poppy ihr mit Gewissheit hatte sagen können, daß Snape wieder erwachen würde, daß nur der Zeitpunkt noch nicht feststand, waren ihre grenzenlose Bedrücktheit und die traurige Leere in ihren Augen einer erwartungsvollen - einer mehr als liebevollen - Fürsorge gewichen. Sie hatte kaum einmal seine Seite verlassen. Es war ihr Wunsch gewesen, daß sein Bett von den anderen Betten durch einen Sichtschutz abgeteilt würde und nach einigen Tagen hatte sie sich in seine privaten Räume gewagt und von dort Kleidung und einige wenige persönliche Gegenstände von ihm hergebracht.

Keiner seiner wenigen im Schlaf gemurmelten Worte blieb ungehört, keine Geste ungesehen wenn sie da war. Und mehr als einmal hatte Poppy gesehen, wie sie im Sessel sitzend und in ihre Bücher vertieft, stundenlang mit einer freien Hand seine hielt.

Und als Poppy eindeutig bestätigen konnte, daß sein Schlaf ruhiger war, wenn Hermine im Raum war, willigten Dumbledore und McGonagall ein und entsprachen dem Wunsch der Schulsprecherin, auch nach ihrer fast vollständigen Genesung, auf unbestimmte Zeit vom Unterricht freigestellt zu sein.

Ron, Ginny und Harry waren oft hier gewesen. Sie hatten Hermine über den Unterricht auf dem Laufenden gehalten, so daß sie nicht einmal in Rückstand geraten war.

Aber es gab auch andere Gesprächsthemen, als den Schulstoff. Speziell Ron hatte sehr viel Zeit und viele Gespräche gebraucht, bis er verstanden hatte, daß Hermine in Snape längst mehr sah, als den Menschen der sie in Zaubertränken unterrichtete. Oft hatte er den schlafenden Zauberer lange angesehen, als suche er nach den Dingen von denen Hermine ihm erzählt hatte in seinem Gesicht. Und irgendwann schien er in seinem Kopf auf die Stelle getroffen zu sein, die längst wußte, daß Snape sie in all den Jahren in Hogwarts stets vor dem Schlimmsten bewahrt hatte und daß er ihnen damit, ein übel gelaunter zwar, aber nichtsdestoweniger immer ein Freund gewesen war. Von diesem Tag an hatte er mit der neuen Situation für Hermine seinen Frieden geschlossen.

Snapes Bett war leer! Poppys Augen wurden vor Erstaunen groß und sie sah sich sofort suchend im Raum um. Er saß auf der Kante des letzten Bettes im Raum, direkt am Fenster und sah hinaus.

Er war wach! Das Herz der Medihexe machte einen freudigen kleinen Hüpfer! Oh, wie würden sich die anderen freuen wenn sie das hörten! Wie war er bloß da hinübergekommen? Er hatte beinahe zehn Wochen gelegen, danach stand man normalerweise nicht einfach wieder auf und ging durch den Raum.

Er hatte sie offenbar nicht bemerkt und sie wollte ihn nicht erschrecken, also räusperte sie sich leise.

Er wandte sich ihr zu. Die dunklen Augen endlich wieder offen. In ihnen unzählige Fragen, deren wichtigste er offenbar sofort stellen mußte, jetzt wo endlich jemand im Raum war, den er fragen konnte.

"Lebt sie...?"

Poppys Herz, das gerade noch gehüpft war, zog sich vor Mitleid zusammen. Natürlich - er wußte es gar nicht, er hatte sie sogar sterben sehen, hatten die anderen ihr gesagt! Mit ihren kurzen Beinen, eilte sie zu ihm herüber, zog sich einen Stuhl heran und setzte sich vor ihn, nahm seine Hände und umfasste sie mütterlich.

"Aber natürlich lebt sie!..."

Weiter kam sie nicht, denn er beugte sich vor und zog sie in seine Arme. Ein gehauchtes "Dem Himmel sei Dank" in ihre Locken atmend.

Er hielt sie, Poppy Pomfrey, so fest er nur konnte - und das sagte der Medihexe mehr als genug. Sie hatte ihre Arme ebenfalls um ihn gelegt und klopfte ihm liebevoll leicht auf den Rücken. Und sie erinnerte sich, an die wenigen Male, die sie ihn so gehalten hatte - vor vielen Jahren, als er selbst noch jünger war, als Hermine heute, als er sie als einzige mit Verzweiflung in der jungen Stimme, in das Geheimnis seiner Hände eingeweiht hatte, die ihm einfach nicht mehr gehorchen wollten.

Sie hatte für kurze Zeit Albus Dumbledore für das gehasst, was er mit dem Jungen angestellt hatte. Auch wenn sie die Notwendigkeit einsah, fand die sorgende Frau in ihr, es unmenschlich, unmoralisch und zutiefst verwerflich was mit Severus geschehen war. Sie hatte Severus nie von seinen Eltern sprechen gehört, aber manchmal hatte er ihr das Gefühl gegeben, daß sie für ihn diese Rolle eingenommen hatte. So war sie im Laufe der Jahre die einzige geworden, von der er Schelte kommentarlos über sich ergehen ließ und deren Anordnungen er, wenn auch manchmal widerstrebend, stets folgte.

Und nicht einmal Dumbledore wußte, daß sie die Einzige war, die von Snape sowohl zu ihrem Geburtstag als auch zu Weihnachten stets mit einer liebenswürdigen Kleinigkeit bedacht wurde. Ein warmes Lächeln überlief sie und sie klopfte ihm noch ein paarmal leicht auf den Rücken.

In den letzten zehn Wochen, nach dem Sieg über Voldemort, hatte sie sich der Hoffnung hingegeben, daß für "ihren" Jungen nun endlich ein normales Leben möglich sein würde. Die richtige Frau für ihn wartete jedenfalls bereits. Sie war zwar ein wenig jung, aber in fünfzig Jahren würde danach kein Hahn mehr krähen.

"Sie ist nicht von deiner Seite gewichen, aber ab und zu konnte Albus sie überreden, mit den anderen im großen Saal zu essen. So wie heute abend."

Sie löste sich aus seinem Arm und nahm sein Gesicht in ihre kleinen Hände.

"Sie sind, genau wie ich, alle mächtig stolz auf dich! Und sie werden überglücklich sein, daß du wohlauf bist!"

Er grinste schief: "Wohlauf ist etwas anderes, Poppy, ich kann kaum laufen."

Die Medihexe lachte: "Junge, Junge - du SOLLST ja auch noch gar nicht laufen - und deshalb bringe ich dich jetzt zurück in dein Bett." Sie stand auf und hielt ihm die Hand hin. "Na komm."

Widerspruchlos griff er ihre Hand und ließ sich von ihr aufhelfen. Er mußte zugeben, daß er bei den ersten Schritten zurück, recht froh war, sich ein wenig auf sie stützen zu können. Trotzdem wollte er nicht wieder ins Bett.

Er blieb stehen.

"Ich möchte in den großen Saal."

"Was?" sie war ebenfalls stehengeblieben und sah ihn nun an, als ob sie sich verhört hätte.

"Ich muß dorthin."

"Warum?", der Ton in ihrer Stimme war äußerst unwillig.

"Ich muß wissen, daß ich noch da bin. Ich muß sehen, daß sie alle noch da sind. Nur so kann ich das für mich abschließen, nur so kann ich einen Schlußstrich ziehen. Und das muß jetzt gleich sein!"

Seine Stimme war immer fester geworden und bei den letzten Worten sah er zu seiner Zufriedenheit, daß Poppy sich nicht dagegen zu wehren schien.

"Gut - setz dich erst einmal auf dein Bett - ich verspreche daß ich nur etwas hole, das dir auf dem Weg hilft, ja?!"

Er nickte und unterdrückte den erleichterten Seufzer, als er endlich wieder saß, damit sie es sich nicht doch noch anders überlegte.

Er sah sich suchend um und lächelte, als er neben dem Bett in einem klitzekleinen Regal Kleidungsstücke von sich liegen sah. Auch seine normale Lehrerkleidung lag dort und mit viel Kraftaufwand gelang es ihm, sich anzuziehen.

Als Poppy den Saal mit einem kleinen Tigel in der Hand wieder betrat, sah sie ungehalten was er getan hatte und brummte etwas vor sich hin, das er nicht verstand, dessen Ton aber eindeutig schimpfend war, als sie mit einem Löffel etwas aus dem Tigel herausnahm und in das halb gefüllte Wasserglas auf dem Nachttischchen rührte.

Als er sich kurz sortierend durch die Haare streichen wollte, zuckte er fast zurück. Seine Haare fühlten sich völlig anders an als er es gewohnt war. Er sah, wie Poppy, die sein Zurückzucken aus dem Augenwinkel gesehen hatte, breit grinste.

"Ok, Poppy, was hast du damit gemacht?" Er hielt ihr eine seiner schwarzen Stränen entgegen.

"Ich habe sie mit dem gewaschen was ich dir schon vor Jahren einmal empfohlen habe."

Er mußte zugeben, daß es sich sehr gut anfühlte, weicher, lockerer als er es kannte. Allerdings war es etwas schwieriger, nun einfach mit den Fingern hindurchzufahren. Er konnte angesichts der geradezu diebischen Freude der Medihexe ein Lächeln nicht unterdrücken.

"Hermine gefällt es so übrigens auch besser!"

Seine Augen wurden groß.

"Aha? Und über was habt ihr sonst noch so gesprochen, was mich betrifft? Habt ihr meine Fingernägel in Form gefeilt?", fragte er ironisch.

Poppy hielt ihm mit selbstbewußtem Lächeln den Trank hin.

"Was glaubst du denn, wie lang deine Nägel sonst jetzt nach zehn Wochen wären?"

Er sah sie fassungslos an. Zum einen weil er zum ersten Mal hörte, wie lange er geschlafen hatte - zum anderen weil...

Er hob seine Hände vor seine Augen. Er hatte sie stets außergewöhnlich gepflegt - es war eine Art Tick von ihm - und Poppy hatte Recht, es gab Dinge, über die er noch gar nicht nachgedacht hatte. Wer immer sich um seine Hände gekümmert hatte, hatte Wert darauf gelegt, daß er alles so vorfinden würde, wie er es gewohnt war. Er blickte Poppy fragend an.

"Nein, nicht ich. Das war Hermine... sie hat wirklich nur mich an dich herangelassen und auch fast nur, wenn es um Behandlung ging."

Ein warmes Gefühl machte sich in seiner Brust breit und er hatte kurz das Gefühl, Hermines Hände in seinen fühlen zu können.

"Was ist jetzt?" fragte Poppy amüsiert und hielt ihm immer noch den Trank hin.

"Entschuldige - natürlich." Er nahm das Glas und trank. Augenblicklich fühlte er sich etwas kräftiger, wenn auch nicht auf der Höhe seiner Möglichkeiten.

"Hast du nichts Kräftigeres?"

"Mein lieber Severus. Wenn es nur darum ginge, dich auf ‚hop' wieder auf die Beine zu stellen, hätte ich dir vor zehn Wochen schon etwas geben können. Aber manchmal macht es mehr Sinn, der Natur nur ein wenig nachzuhelfen und sie ansonsten alleine arbeiten zu lassen. Manche Dinge heilen nicht auf magischem, sondern nur auf natürlichem Wege. Aber das brauche ich dir eigentlich nicht zu erklären, das weißt du selbst. Und ich weiß auch, daß du dich, würde ich dir jetzt etwas Stärkeres geben, sofort völlig verausgaben würdest. Also kriegst du nur etwas, was dich verläßlich auf den Beinen hält, dich aber die Grenzen fühlen läßt." Sie klopfte ihm noch einmal auf die Schulter.

"Das mag jetzt etwas seltsam klingen, Poppy, aber warum habe ich das Ganze überhaupt überlebt? So wirr wie das alles war, kann ich mich trotzdem daran erinnern wie es abgelaufen ist. Aber das letzte Stück zu diesem Puzzle fehlt mir."

Poppy setzte sich neben ihn und erzählte ihm von Fawkes und den anderen Phönixen. Unter großem Staunen hörte Snape, wie die Vögel alles darangesetzt hatten, ihn ins Leben zurückzuholen - mit Erfolg.

Als er genauer nachfragte, schüttelte die Medihexe bedauernd mit dem Kopf.

"Wenn du dazu Details wissen willst, mußt du Ginny fragen, die hat diesen ganz besonderen Draht zu den Tieren und ich wenn ich es richtig mitbekommen habe, ist es ihr zu verdanken, daß sich Fawkes überhaupt auf die Suche nach den anderen gemacht hat."

Sie stand wieder auf und nahm ihm das Glas wieder aus der Hand.

"Und jetzt tu, was du nicht lassen kannst...

Sie hatte den Raum bereits verlassen, als er mit vorsichtigen Schritten ebenfalls die Krankenstation verließ und die Gänge in Richtung der großen Halle durchschritt. Einige wenige Schüler begegneten ihm auf dem Gang. Entgegen dem sonstigen Entsetzen das er zu verbreiten pflegte hallte ihm unerwarteterweise zwei oder dreimal ein lediglich erstauntes "Professor Snape!" als Begrüßung entgegen.

Er kam in der Eingangshalle unter dem Bogen mit den Hauspunkte-Stundengläsern hindurch und zog die Augenbrauen hoch. Seine "Abwesenheit" war den Gryffindor- und den Hufflepuff-Punkten extrem gut bekommen...

Mehrere Male mußte er seinen Weg unterbrechen und blieb kurz in den Gängen stehen. Poppy war ein Teufelsweib. Sie wußte genau, wie sie ihn an der Kandarre halten konnte. Er war kurz versucht, in sein Labor zu gehen, und sich selbst etwas zusammenzumixen.

Aber das würde den Weg massiv verlängern und diese Zeit hatte er einfach nicht. Sein Gefühl trieb ihn in die große Halle, in das lebendige Zentrum Hogwarts. Er mußte Dumbledore sehen, Minerva, Harry, Ginny - und Hermine.

In das riesige Gefühl für sie, das in ihm aufstieg, wenn er an sie dachte, mischte sich eine beinahe ebenso große Angst, daß sie nichts empfinden könnte. Die Tage vor der letzten Schlacht hatten eine andere Sprache gesprochen - das was Poppy ihr über die letzten Wochen erzählt hatte ebenfalls - und sie hatte ihm in Glen Urquhart gesagt, wie sie für ihn empfand...

Trotzdem...

Er fragte sich plötzlich, ob Liebe immer mit soviel Angst verbunden war und horchte erstaunt dem Klang dieses ungewohnten Wortes in seinem Kopf hinterher... Liebe... ja, das war es wohl - nicht länger erzwungen durch eine magische "Flaschenpost" durch die Zeit hindurch. Das Gefühl, das er heute für sie hatte war anders als diese Erinnerung. Es war neu, und völlig eigenständig aus sich selbst gewachsen. Erschaffen, aus der Zeit die sie in der Vorbereitung für den Endkampf miteinander verbracht hatten.

In diesen Gedanken schweifend, hatte er die große Halle plötzlich erreicht. Vor einer der offenen Seitentüren stehend wagte er es plötzlich nicht hineinzugehen. Von drinnen klang das übliche, fröhliche Stimmengewirr von hunderten von Schülern und Lehrern wie das Summen aus einem überdimensionalen Bienenstock. Das Leben in Hogwarts war unverändert geblieben. Alles war so wie er es in Erinnerung hatte und wenn er gleich durch diese Türe hindurchging, dann würde er wieder ein Teil davon sein.

Er atmete einmal tief durch und wollte die große Halle betreten. Im Türrahmen allerdings blieb er bereits wieder stehen und an den Rahmen gelehnt, um ein wenig Kraft aufzusparen, sah er sich fasziniert um.

Es erschien ihm, als sei die Halle heller als vorher - nein - völlig falsch - es störte ihn nur nicht mehr, daß sie so hell war!

Die Schüler bemerkten ihn nicht. Niemand bemerkte ihn. Er genoß diesen Moment des ungestörten Betrachtens und sein Blick hob sich zur Lehrer-Empore auf der anderen Seite der Halle.

Albus, Minerva... und neben Albus saß sie.

Hermine lachte gerade über irgendetwas das Madame Hooch ihr von der anderen Seite des Tisches aus zugerufen hatte und Minerva gab ein entrüstetes Gesicht zum besten, was nun widerum Albus auf der Stelle zum Lachen brachte.

Snape hätte ihnen stundenlang so zuschauen können.

Als der Schulleiter sich wieder beruhigt hatte, bemerkte er überrascht Severus und lächelte ihn mit soviel väterlich anmutender Freude zu, daß Snape kurz schluckte bevor er das Lächeln hauchzart erwiderte.

Er sah, wie Albus sich zu Hermine rüberbeugte und ihr etwas zuflüsterte.

Mit einem Ruck ging ihr Blick ungefähr in seine Richtung und suchte ihn. Und dann sah sie ihn! Ihr Blick - selbst auf diese Entfernung - ging ihm durch und durch!

Und als ihre Augen ihn gefunden hatte, gab sie einen so überraschten, so glücklichen kurzen Schrei von sich, daß er nicht sagen konnte, ob der Saal verstummte weil Hermine geschrien hatte, oder weil der Knall des umfallenden Stuhls so laut war, als sie aufgesprungen war um um den Lehrertisch herumzulaufen.

Alle Augen im Saal waren auf Hermine gerichtet und großes Murmeln erhob sich, als sie mit einem großen Satz die Treppe von der Empore herab ignorierte und stattdessen einfach heruntersprang.

Als die Richtung, in der sie durch die Tischreihen hindurch lief, deutlich wurde, sah er plötzlich alle Augenpaare auf sich gerichtet und er wäre am liebsten sofort wieder verschwunden, wäre da nicht diese aufgelöste, junge Frau gewesen, die mit großen Schritten auf ihn zugerannt kam.

Dumbledore strahlte über das ganze Gesicht und es gab andere im Saal denen es ähnlich ging.

Und plötzlich war sie bei ihm, warf sich ihm entgegen und schlang die Arme um ihn, womit sie ihn beinahe umgerannt hätte. Ein Toben brach in der Halle los! Murmeln wurde zu Getöse! Hermine Granger, Schülerin der Abschlußklasse, Schulsprecherin, hatte sich gerade eben Professor Severus Snape, dem Zaubertrankmeister in die Arme geworfen - und schien nicht vorzuhaben, ihn so schnell wieder loszulassen! Natürlich wußten sie, was im Endkampf gegen Voldemort passiert war - aber Dumbledore und die anderen Zauberer und Hexen die dabeigewesen waren, hatten wohlweislich gewisse Details ausgelassen...

"Du bist wach! Du bist wach!!!" rief sie ohne Unterlass und konnte nicht genug davon bekommen, ihn zu drücken, zu umarmen und immer wieder kurz loszulassen, um ihn erneut anzusehen, als wolle sie sich vergewissern, daß er es wirklich war, bevor sie ihn wieder fest in ihre Arme zog.

Das Glück das in ihm hochstieg überwältigte ihn derart, daß auch sein Gesicht von einem strahlenden Lachen überzogen wurde. Einige Schüler nahmen erstaunt die Verwandlung wahr, die sich dabei in seinem Gesicht abspielte und die sie heute zum ersten Mal zu sehen bekamen.

Aber diese Schüler sah er nicht. Die Frau in seinen Armen, war gerade das Zentrum seines Interesses, das Zentrum seiner Welt - und das Leuchten in ihren Augen, war Antwort genug auf die bangen Fragen, die er sich auf dem Weg hierher gestellt hatte.

Er wußte, daß er es gleich bereuen würde, aber es ging nicht anders. Er packte Hermine an der Taille und hob sie hoch, weit über sich - was ein erneutes Aufbrausen der Stimmen bewirkte - vor allem der weiblichen - ließ sie dann langsam an sich wieder herabgleiten, bis sein Gesicht dicht vor ihrem war und dann küßte er sie!

Chaos pur! Die Halle geriet aus den Fugen, daß Geschrei übertraf alles, was vorher in diesen Mauern zu hören gewesen war!!!

Hermine schlang ihre Arme um seinen Hals, und verschmolz mit ihm. Severus umfasste sie, so sehr es nur möglich war, ließ dann seine Hände in ihre Haare hineingleiten und zog sie noch fester auf seine Lippen, als müsse er sie atmen, um leben zu können. Und Hermine gab ihm diese lebenswichtige Essenz nur zu gerne.

Als sie den Kuß, nach einer kleinen Ewigkeit, beendeten, war der Saal von vereinzeltem Murmeln abgesehen still geworden. Was vermutlich zum einen an der Neugier lag, was wohl als nächstes geschehen würde, zum anderen aber auch daran, daß der Schulleiter aufgestanden war und um Ruhe gebeten hatte.

Hermine und Snape wandten sich Arm in Arm gemeinsam in Richtung des Lehrerpultes. Die Schulsprecherin mit hochroten Wangen und einem unübertroffen glücklichen Lachen auf den Lippen, Snape mit einem leichten Schmunzeln, das allerdings im Gegensatz zu Hermines Gesichtsausdruck keine Spur von Verlegenheit zeigte.

"Professor Snape!" erklang Dumbledores Stimme durch die Halle "Wir freuen uns über alle Maßen, Sie wieder in unseren Reihen begrüßen zu dürfen. Speziell Professor Sprout und Madame Pomfrey werden für Ihr Wiedererscheinen dankbar sein, da sie während Ihres Aufenthaltes im Krankentrakt Ihren Unterricht übernommen haben."

Einige verdrehte Augen von Schülern die diesen Unterricht wohl "genossen" hatten sorgten für vereinzeltes Lachen.

Poppy hatte so Recht gehabt, daß er dazu tendieren würde sich zu übernehmen - Hermine hochzuheben war definitiv zuviel gewesen. Severus spürte wie seine Beine wieder etwas weicher wurden und er bekam das dringende Bedürfnis, sich zu setzen, aber das war nicht der richtige Moment dafür. Also blieb er stehen und stützte sich ein wenig mehr auf Hermine.

Sie fühlte es sofort, sah ihn kurz besorgt an, aber er konnte ihr zu verstehen geben, daß sie ihm helfen konnte, wenn er sich unauffällig aufstützen durfte.

"Pofessor Snape," setzte Dumbledore nach "Es wäre uns eine große Ehre, wenn Sie Ihren Platz unter Ihren Kollegen wieder einnehmen würden. Uns allen hier im Saal, ist bekannt und bewußt, daß in absehbarer Zeit wohl niemand von ihnen mehr hier ungefährdet sitzen würde, wenn Sie uns nicht in einem Akt größter Selbstlosigkeit, von der schlimmsten aller Bedrohungen, von dem, dessen Name nicht ausgesprochen werden durfte, von Lord Voldemort selbst, befreit hätten!"

Es war totenstill in der Halle, als Dumbledore aufhörte zu reden. Nach dieser Ansprache, die Snape zutiefst unangenehm war, konnte er unmöglich hier unten stehenbleiben oder einfach wieder in die Krankenstation zurückgehen - obwohl der Gedanke inzwischen extrem verführerisch war.

Ein Blick zu Hermine und sie wußte, was zu tun war. Aber sie sah ganz offensichtlich nicht ein, warum sie es heimlich tun sollte. Also stützte sie ihn ganz offen, als er langsam durch den Mittelgang zwischen den Tischreihen hindurchging.

Plötzlich stand Neville Longbottom von seinem Platz auf und kam zu ihnen. Unter den fassungslosen Augen seiner Mitschüler, stellte er sich auf die andere Seite von Snape und stützte ihn von dort ebenfalls ein wenig. Snape wäre auch mit Hermines Hilfe alleine klar gekommen, aber ihm war die Bedeutung von Nevilles Geste sehr bewußt, und er freute sich darüber. Ganz besonders, weil es gerade Neville war. Hermines Augen leuchteten auf, als sie das sah und Severus wirkte zwar äußerst befremdet, nahm die Hilfe aber mit einem leisen "Danke" entgegen.

Sie hatten etwa ein Drittel des Ganges in absoluter Stille hinter sich gebracht, die nur von leisem Gemurmel unterlegt war, als sich Ron Weasley mit sehr ernstem Gesicht erhob und in die Hände klatschte. Nicht schnell, aber laut. Harry und Ginny sahen ihren Freund an, begriffen und nickten zustimmend. Auch sie standen auf und begannen zu klatschen. Plötzlich erhob sich in den Slytherin-Reihen ausgerechnet Draco, der seit ihrer letzten Begegnung vor zehn Wochen sehr viel schmaler geworden war und jetzt extrem blass schien, und begann ebenfalls in die Hände zu schlagen, ihm folgten mehrere Ravenclaws und Hufflepuffs sowie vereinzelte Slytherins und innerhalb weniger Atemzüge erhoben sich immer mehr und schließlich alle Schüler Hogwarts gemeinsam mit ihren Lehrern und applaudierten dem zurückkgekehrten Lehrer für Zaubertränke, der die brausende Ovation mit grenzenlosem Erstaunen entgegennahm.

Erst als Neville und Hermine ihn bis zu seinem Platz gebracht hatten und er saß, kehrte langsam wieder Ruhe im Saal ein. Neville war zu seinem Tisch zurückgekehrt und Hermine hatte auf ihrem Stuhl auf der Empore Platz genommen.

Offenbar erwartete man, daß er etwas sagte.

Er überlegte kurz, räusperte sich dann und sagte nur kurz: "Für unerwartete Freundlichkeit einem ehemaligen Erzfeind gegenüber, erhält Neville Longbottom 40 Punkte für Gryffindor."

Das Lachen in der Halle war ohrenbetäubend. Neville grinste breit. Die Schüler aplaudierten erneut und begannen gleichzeitig vor Vergnügen mit den Füßen auf dem Boden zu trommeln. Die Stimmung war unglaublich. Das Lachen ging in fröhliches Erzählen über. Seine Rückkehr und, nicht zuletzt, der Kuß, würden offensichtlich in den nächsten Tagen Gesprächsthema Nummer Eins sein.

Die Lehrer kamen nach und nach alle kurz zu Snape herüber, sprachen ihm Gratulationen aus, und versicherten ihm glaubhaft, wie stolz er auf das sein konnte was er getan hatte. Einige machten neckische Bemerkungen in Bezug auf Hermine, auf die er aber entweder gar nicht einging, oder die er nur mit einem ausweichenden Lächeln beantwortete.

Als die Schüler sahen, daß es die Lehrer nicht auf ihren Plätzen hielt, folgten sie ihrem Beispiel und entgegen der sonstigen, ruhigen Ordnung auf der Lehrerempore und im Saal, saß irgendwann kaum noch jemand auf seinem angestammten Platz. Es wirkte mehr wie eine Stehparty, überall standen kleinere oder größere Gruppen herum.

Snape blieb vorsichtshalber sitzen und wünschte sich trotz des wohligen Gefühls, das ihm dieses unerwartete Willkommen der Schule geschenkt hatte, wieder ins Bett. Er hatte Schwierigkeiten die Augen aufzuhalten. Das schien allerdings niemandem großartig aufzufallen.

Ohne jede Scheu, beugte sich irgendwann Hermine hinter ihm stehend zu ihm herab und umarmte ihn. Sie verkreuzte dabei ihre Hände vor seiner Brust und legte ihren Kopf an seine Seite, um ihm etwas zuflüstern zu können.

"Ich werde dich jetzt gleich in dein Zimmer bringen, einverstanden?"

Er schmiegte seine Wange an ihre und flüsterte ebenso leise: "Nur zu gerne, aber ich befürchte, daß Poppy etwas dagegen haben wird, sie wollte mich eigentlich auch schon nicht hierher kommen lassen."

"Womit sie mit Sicherheit recht hatte, wenn ich sehe, wie blaß du inzwischen bist, aber schon als du noch geschlafen hast, habe ich mit ihr ausgehandelt, daß du in deinen eigenen Räumen weiterbehandelt wirst, wenn du erst einmal aufgewacht bist."

Er war ihr für ihre Vorraussicht unendlich dankbar.

Er drehte sich zu ihr um und zog sie vor sich. Hermine ging vor seinem Stuhl in die Hocke und keiner von beiden achtete auf die Zauberer und Hexen um sie herum, die zum Teil verstohlen, aber äußerst fasziniert den sonst so griesgrämigen Professor für Zaubertränke, dem man Emotionen außer Zorn ganz offen abgesprochen hatte, in eindeutig hoch emotionalem Zustand betrachteten. Allen voran Albus Dumbledore, dem die Augen bei diesem Anblick etwas feucht wurden und der jede Silbe der für Severus Snape so ungewöhnlichen Sätze in sich aufsog die er erhaschen konnte.

"Wenn du erst einmal aufgewacht bist...", wiederholte er ihre Worte nachdenklich.

"Bin ich denn wirklich wach?", fragte Severus und sah noch einmal auf das kleine Heer von Schülern in der Halle hinab, das inzwischen, in fröhlichem Tumult, wieder voll und ganz mit sich selbst beschäftigt war - auch wenn man sehen und hören konnte, daß Hermine und der Zaubertranklehrer das Hauptgesprächsthema waren.

"Geschieht das hier alles wirklich?", er beugte sich zu Hermine "Bist du das gerade gewesen, die mir da entgegengelaufen kam und mich fast umgerissen hat mit ihrer Liebe und ihrem Überschwang? Bin das tatsächlich ich, dem das alles gilt?"

Hermine lachte ihr glücklichstes Lachen, hob den Kopf ein klein wenig und gab ihm einen Kuß auf die blassen Lippen.

"Wem denn sonst?"

Wem denn sonst... diese Frage war für sie die klarste Antwort überhaupt.

Wem denn sonst... sie machte es so einfach.

Mit ihr hier zu sein, sie zu fühlen, sie zu sehen machte alles einfach, schien es ihm. Er hatte das Gefühl, daß sie die Antwort auf alle Fragen wußte ,die er stellen konnte.

Sie stand auf und hielt ihm die Hand hin.

"Jetzt bringe ich dich aber wirklich in dein Bett."

Madame Hooch stand neben ihnen, als Hermine das sagte und kam sofort hinzu. "Ich helfe, wenn das ok ist".

Snape wollte sagen, daß es auch so ginge, aber er schluckte unter dem warnenden Blick Hermine,s den Satz herunter, sagte stattdessen nicht zum ersten Mal an diesem Abend "Danke" und griff nach ihrer zur Hilfe hingehaltenen Hand.

Hermine und Madame Hooch brachten Severus gemeinsam in seine Räume und brachten ihn sogar bis ins Bett, was von ihm einen halbherzigen Aufstand hervorbrachte, den die Frauen ihm aber lachend niederschlugen.

Hooch und Hermine sahen ihm an - und endlich leugnete er es auch nicht mehr - daß er völlig erledigt war.

Die Quidditch-Trainerin verließ die Räume, mit dem Hinweis, daß sie Madame Pomfrey darüber informieren würde, wo er sei und daß sie vorbeikommen solle. Severus nickte nur erschöpft.

Als die Türe zufiel, setzte sich Hermine auf den Boden vor seinem Bett, legte das Kinn auf die gefalteten Hände auf der Bettdecke, so daß ihr Gesicht seinem ganz nah war und sah ihn an.

"Na? Zaubertrankmeister-Retter-der-Welt-Hogwarts-Tyrann-Nr.1-und-Ex-Feind-von-Neville-Longbottom?

Er ginste leicht, aber sie konnte sehen, daß er jeden Moment einschlafen würde.

Also kletterte sie zu ihm ins Bett, und legte sich so, daß er seinen Kopf in ihren Arm legen konnte. Schwer und entspannt lag er auf ihrer Schulter auf. Mit der freien Hand streichelte sie ihm über die schwarzen Haare, strich sie ihm aus dem Gesicht und konnte sich nicht sattfühlen an seiner Haut unter ihren Fingerspitzen. Es dauerte nur wenige Atemzüge, bis sein Atem langsam, ruhig und tief wurde.

Er war eingeschlafen - in ihrem Arm. An ihn geschmiegt, an ihrer Flanke ein wenig von ihm bedeckt spürte sie die Wärme seines Körpers. Er war sehr warm. Vermutlich hatte er durch die Anstrengung etwas Fieber. Aber dagegen würde Poppy gleich etwas haben. Und als sei Madame Pomfrey ein Flaschengeist der beim Reiben an der Lampe prompt erscheint, öffnete sich die Türe und die Medihexe stand mit Albus Dumbledore in der Türe.

Hermine gab ihnen stumme Zeichen, die bedeuteten, daß sie Severus nicht wecken sollten, woraufhin die beiden abwehrende Gesten machten die ihr zeigten, daß sie auch nicht vorgehabt hatten, ihn aus dem Schlaf zu holen.

Die zwei sahen auf das Paar hinab und lächelten zufrieden.

Poppy überprüfte mit ihrem Zauberstab kurz den Zustand des schlafenden Professors und murmelte dann einen unverständlichen Spruch.

Sie stellte noch einen Saft auf dem Nachttisch ab und erklärte Hermine leise, wie er ihn einnehmen solle und wann sie in die Krankenstation kommen sollten.

Hermine nickte und versprach, sich an alles genau zu halten.

Severus bekam von alledem nichts mit. Er schlief, tief und fest.