Kapitel 6

Zu wissen, daß er sie betrachtete, zu wissen, daß die ganze Welt sie sehen konnte, wenn sie nur gewußt hätte, wo sie hinschauen muß, gehört zu haben, wie ihre Nacktheit auf ihn gewirkt hatte – all dies brachte sie – obwohl sie nach wie vor völlig stillstand – erstaunlich nahe an einen Gipfel für den es üblicherweise Bemühungen ganz anderer Natur bedurfte, als einfach nur still dazustehen.

Hermine schluckte hart und hätte sie die Augen aufgehabt und hätte sie vom See abgewandt gestanden, hätte sie gesehen, daß Snape es ihr gleich tat.

Bei Merlin! Er hatte sie nicht überrascht! Sie hatte exakt gewußt, auf was sie sich einläßt! Snapes Mund wurde trocken. Was für eine Frau war dieses unvergleichliche Wesen da vor ihm?

Sie war makellos.

Der samtige Klang den seine eigene Stimme annehmen konnte, wenn er es wollte spiegelte sich im kostbar anmutenden Schimmer ihrer zarten Haut wider.

Die Grazie seiner Hände fand sich in ihrer perfekten Kombination aus unerwartet schmaler Taille und hinverdrehend schöner Rundung zu den fraulichen Hüften hinab.

Seine schmalen und doch kraftvollen Handgelenke waren Gegenstücke zu ihrem perfekten, hohen Hals, an dessen Seite er die Adern nur pulsieren sehen konnte, wenn der Wind Hermines Haar für Sekunden zur Seite wehte.

Ihre Haare...

Ihr Körper...

Die Art wie sie dort stand...

Er konnte den Blick nicht mehr von ihr wenden.

Wie hatte er sich in seiner Arroganz so irren können?

Er brauchte ihr nicht zeigen, wie wunderschön sie war – sie wußte es längst...

Und in diesem Moment änderte sich sein Bild von ihr gemeinsam mit seinem Weltbild.

Wenn er das was in ihr war hatte übersehen können – was sonst hatte er dann noch alles übersehen?

Seine Gedankengänge waren wie von Nebel umgeben. Einem Nebel, den ihre Gegenwart ausstrahlte und sich feuchtwarm um sein Denken legte.

Die Hitze die sie spürte stieg auch in ihm auf. Noch stärker, noch härter, als sie es ohnehin schon getan hatte. Es war beinahe schmerzhaft!

Er schloß für einen kurzen Moment die Augen, legte den Kopf in den Nacken und lachte ein stummes Lachen.

Nicht er hatte mit ihr gespielt... es war andersherum...

Obwohl er ahnte, daß sie derlei Spiele noch nie gespielt hatte, obwohl er ahnte, daß sie sich der Gewaltigkeit ihrer Taten gar nicht wirklich bewußt war, war nicht sie, sondern er der Ball in diesem Spiel um Macht.... und Leidenschaft...

Sie bewegte sich nicht, aber er konnte das Muskelspiel unter ihrer Haut sehen, erkannte, daß sie sich in Erregung wand.

Er hatte „gewonnen"und doch verloren.

Und es war ihm recht.

Mehr als recht.

Sie war perfekt – in Körper und Geist...

Für ihn gab es keinen Schritt zurück mehr...

Er würde nie wieder eine Frau ansehen können, nie wieder mit einer Frau zusammensein können, ohne dabei an sie zu denken, wie sie hier, in der Nacht am See in ihrer ganzen Schönheit vor ihm stand.

Er hatte sie nur so betrachten müssen, um ihr zu verfallen...

Er ging zu ihr. Murmelte einen Zauberspruch und als er sich erneut von hinten an sie schmiegte, seine Hände an ihren Armen entlanggleiten ließ, bis er von außen ihre Hände umfaßte, seine Finger mit ihren verflocht, war es wie ein Stromstoß zwischen ihnen, der beiden ein Keuchen entlockte, als sich ihre vom leichten Wind kühle Haut auf seine gerade erst entblößte, heiße Nacktheit legte.

Er hob ihre Hände mit seinen an den Seiten empor, bis sie hintereinander, wie ein einzelnes Wesen mit weit ausgebreiteten Armen auf dem hölzernen Steg über dem See standen.

„Lehne deinen Kopf zurück!"hauchte er, wobei die kaum unterdrückte Erregung der Stimme einen heiseren Unterton verlieh.

Und sie gehorchte...

Sie legte ihren Kopf ein wenig zurück, so daß sie sich damit an der Seite seines Kopfes leicht an seiner Schulter anlehnte, die geschlossenen Augen noch immer auf den See gerichtet.

Jetzt waren sie endgültig miteinander verschmolzen.

Sie atmeten beide, mit weiterhin ausgebreiteten Armen einige tiefe Atemzüge.

Sie schienen beide der ganzen Welt gegenüber geöffnet zu sein.

Kein Verstecken.

Keine Angst.

Keine Scham.

Keine Schuld.

Kein Versagen.

Hermine spürte, wie die Erregung einem anderen Gefühl wich.

Gelöstheit.

Entspannung.

Ruhe.

Frieden.

Selbstzufriedenheit.

Glück...

Er tat nichts, als sie zu halten. Sie tat nichts, als sich an ihn zu lehnen. Und sie spürten beide, daß sie nicht mehr brauchten. Es war ein Spiel gewesen, daß eindeutig sexuelle Züge getragen hatte – aber es war mehr daraus geworden und jeder Gedanke daran, nun lediglich Sexualität auszuleben, erschien Blasphemie an diesem so unendlich viel größeren Gefühl.

Sie waren beide davon überrascht.

Lange standen sie so dort, bis er leise aber eindringlich sagte: „Und nun öffne die Augen., Hermine. Öffne sie, und sieh die Welt."

Hermine öffnete die Augen und weil sie sie so lange geschlossen gehalten hatte, war ihr jedes noch so winzige Lichtlein, ein Schein, der die komplette Nacht erhellte.

Hogwarts glitzerte wie in einem magischen Märchenbuch, Die Spiegelungen des Mondes auf dem See blendeten sie regelrecht und wurden dann ein Spiel aus abermillionen leuchtender Punkte.

Die Welt war schön.

Sie selbst war schön.

Und sie wollte sich nie wieder anders fühlen, als in diesem Moment.

„Die Welt gehört dir, Hermine. Sie liegt dir zu Füßen, trägt ihr schönstes Kleid heute nacht für ihre Königin. Was nun geschieht, führt näher ans Licht..."

Hermine spürte, wie Tränen vor Glück sich in ihren Augen sammelten und dann lautlos ihre Wangen hinabrollten.

Und als Severus ihrer beider Arme um sie legte und sie zärtlich umfaßte, drehte sie sich in dieser Umarmung herum, zu ihm und legte ihre Arme um seinen Hals, zog ihn an sich und weinte, ohne ein einziges Geräusch von sich zu geben.

Er hielt sie.

Sie hielt ihn.

Irgendwann zog er sie mit sich auf den Steg hinab, setzte sich im Schneidersitz auf das kühle Holz und zog sie so, daß sie sich zu ihm gewandt auf ihn setzte und ihrerseits ihre Beine um ihn schlang, so daß sie im Sitzen weiterhin eng aneinandergeschmiegt bleiben konnten.

Die Nähe war erotisch, aber sie war vor allem die Seele wärmend, glück-bringend, bewundernd und innig. Jeder Gedanke an mehr war beinahe verschwunden. Nur die Nähe des anderen zählte, ohne die sie in dieser Nacht gefroren hätten.

Beide hatten sie geglaubt, als „Sieger"aus dieser Nacht hervorzugehen.

Und beiden war nun nichts unwichtiger als der „Sieg"...

Beide hatten sie sich freiwillig dem anderen ergeben und dadurch konnte es keinen Verlierer mehr geben...

Die gesamte Nacht verbrachten sie aneinandergeschmiegt auf dem Steg am See, bis die Morgendämmerung sie in den Tag zurückholte. Aber die Welt die den Morgen empfing, hatte sich für immer verändert.

Was nach dieser Nacht geschah, führte beide näher ans Licht...