Chapter 01 - Hermines POV

20. Oktober 1997, Hogwarts

Merkwürdig welche Wege das Leben manchmal einschlägt.

Wenn mir letzten Monat jemand gesagt hätte, dass ich jemals etwas anderes für Draco Malfoy empfinden würde als Hass und Abscheu, hätte ich wahrscheinlich gelacht. Oder vielleicht auch nicht. Ich hätte den Gedanken wohl eher abstoßend als lächerlich gefunden.

Ich kenne Malfoy jetzt seit über sechs Jahren und während dieser Zeit hat es nicht einen Tag gegeben, an dem er sich nicht wie ein vollkommener Bastard aufgeführt hat.

Arrogant, selbstverliebt, überheblich, rassistisch, schleimig und unerträglich sind nur einige der Worte die mir normalerweise als Beschreibung für ihn einfallen.

Wie gesagt, normalerweise.

Bevor jetzt Missverständnisse aufkommen: Ich habe mich nicht in ihn verliebt!

Nein, soweit geht es dann doch nicht.

Nur fürs Protokoll: Ich liebe Ron Weasley, auch wenn dieser Schwachkopf das wahrscheinlich noch in hundert Jahren nicht begreifen wird!

Aber das ist eine andere Geschichte.

Hier geht es um Draco Malfoy.

Das Frettchen.

Mr.-Slytherin-par-excellence.

Wenn ich jetzt darüber nachdenke, hat er sich eigentlich schon merkwürdig benommen, seit das Schuljahr letzten Monat begonnen hat. Ich meine, merkwürdiger als gewöhnlich. Aber es ist ja nicht so, als würde ich mich normalerweise mehr als nötig für ihn interessieren. Abgesehen davon, dass wir immer auf der Hut vor seinen üblichen Angriffen, sei es verbal oder physisch sind, und abgesehen davon, dass Ron und Harry oft stundenlang über ihn lästern; kümmere ich mich eigentlich überhaupt nicht um sein verqueres Verhalten.

Trotzdem fiel mir auf, dass er wesentlich stiller war als üblich.

Sonst der Wortführer am Slytherintisch, schien er sich in letzter Zeit kaum mehr an irgendwelchen Unterhaltungen zu beteiligen, statt dessen saß er bloß da, starrte vor sich hin und stocherte in seinem Essen rum.

Sonst der Liebling seines Hauslehrers und immer bemüht ihm zu gefallen, musste Professor Snape ihn in letzter Zeit oft mehr als einmal ansprechen bevor er überhaupt reagierte.

Wie gesagt, dass alles fällt mir erst jetzt im Nachhinein auf, jetzt, wo sich meine Meinung über ihn grundlegend geändert hat.

Natürlich war es merkwürdig, dass er uns in Ruhe ließ, abgesehen von ein paar eher halbherzigen Beleidigungen, aber ich muss sagen, dass ich eigentlich viel zu beschäftigt mit dem neuen Stundenplan war und dem Versuche meine beiden Jungs frühzeitig zum Lernen zu bringen, als dass ich mehr als einen flüchtigen Gedanken daran verschwendet hätte.

Freitag vor zwei Wochen geschah dann etwas, dass alles geändert hat.

Wir hatten gerade eine grauenvolle Doppelstunde Zaubertränke hinter uns gebracht. Snape war noch schlechter gelaunt gewesen als sonst. Die Tatsache, dass sein Lieblingsschüler meilenweit weg zu sein schien und nicht eine Sekunde zuhörte besserte seine Stimmung ebenso wenig, wie Nevilles üblicher Unfall mit dem Kessel oder Rons Lachanfall beim Anblick unseres von oben bis unten mit purpurfarbenem Schleim bedeckten Mitschülers.

Snapes Stimme troff regelrecht vor Abscheu als er seine Strafen verhängte.

"Mr. Weasley! Mr. Longbottom! Je 10 Punkte Abzug für Gryffindor für Unfähigkeit und unangemessenes Benehmen!... Und 10 Punkte Abzug für Slytherin!... Für wiederholte Unaufmerksamkeit, Mr. Malfoy!"

Nur noch mal zur Erinnerung: Professor Snape, Hauslehrer von Slytherin! zieht seinem Haus 10 Punkte ab und das wegen Draco Malfoy, seinem erklärten Lieblingsschüler!

Ron wäre vor Staunen fast aus der Bank gefallen. Malfoy reagierte überhaupt nicht. Fast als würde er weder die wütende Stimme unseres Lehrers, noch das anklagende Zischen seiner Mitschüler hören.

Professor Snape gab uns noch ein ellenlanges Essay über das Veritas-Serum auf und entließ uns dann. Eigentlich wäre der Tag damit nicht ungewöhnlicher als andere gewesen. Harry und Ron stopften ihre Sachen in ihre Taschen, um auf der Suche nach etwas Essbarem auf direktem Weg in Richtung große Halle zu verschwinden und ich hatte vor schon mal nach Lektüre für die Hausaufgabe zu suchen. Aber beim Anblick des tropfenden Neville änderten wir unsere Pläne spontan und halfen ihm dabei sich selbst und seine Sachen notdürftig zu säubern. Darum bekamen wir halb mit wie Professor Snape eindringlich und offensichtlich besorgt auf Malfoy einredete, ohne uns zu beachten. Malfoy stand nur stumm da und ließ die Tiraden unseres Zaubertrankmeisters über sich ergehen. Er murmelte irgend eine Antwort, die keiner von uns verstand - ich gestehe, wir lauschten alle vier angestrengt - dann sammelte er seine Sachen zusammen und verließ mit gesenktem Kopf die Klasse. Im Vorbeigehend stieß er mich an, aber anstatt mich wie sonst wütend anzufahren und zu beschimpfen, sah er mich nur einen Moment mit einem seltsam gehetzten und irgendwie traurigen Ausdruck in den Augen an und huschte dann hinaus auf den Gang.

Ron starrt ihm mit offenem Mund hinterher.

Professor Snape der jetzt erst zu bemerken schien, dass wie noch da waren, fuhr uns wütend an endlich zu verschwinden und knallte die Tür zum Verließ hinter uns zu.

Harry öffnete gerade den Mund um dieses merkwürdige Ende einer Unterrichtsstunde zu kommentieren, als wir Malfoy sahen.

Er stand keine fünf Schritte von der Kerkertür entfernt mit dem Rücken zu uns und stütze sich mit der rechten Hand an der Wand ab. Seine Bücher lagen verstreut auf dem Boden. Er hatte den Kopf gesenkt und die linke Hand gegen die Brust gepresst. Harry machte einen vorsichtigen Schritt in seine Richtung.

"Malfoy? Geht's dir nicht gut?"

Malfoy schüttelte leicht den Kopf, stieß sich von der Wand ab und machte einen unsicheren Schritt vorwärts, dann sackte er plötzlich ohne einen Laut in sich zusammen und blieb reglos liegen.

Einen Moment lang waren wir alle wie erstarrt. Harry kam als erster wieder zu sich. Er kniete sich neben Malfoy auf den Boden und stieß ihn vorsichtig an.

"Ist er tot?" Nevilles Stimme zitterte so heftig, dass man ihn kaum verstand.

Ron war etwas direkter: "Scheiße, Scheiße, Scheiße! Wenn jetzt Snape oder ein Slytherin vorbeikommt, denken die doch, dass wir das waren."

Hier war eindeutig weibliche Logik angesagt! Ich ließ die beiden weiter lamentieren und ging zu Harry.

"Er ist bewusstlos. Öffne die Krawatte und die obersten Hemdknöpfe, damit er atmen kann."

Harry drehte Malfoy behutsam auf den Rücken und bettete den blonden Kopf in seinen Schoß. Ron fiel vor Schreck fast ebenfalls in Ohnmacht.

"Harry! Was machst du denn da! Das ist Malfoy!!!"

Harry ignorierte ihn vollkommen und öffnete stattdessen den Krawattenknoten, und den Verschluss der Robe.

"Hat er sich die Klamotten von Crabbe oder Goyle geliehen? Er ertrinkt ja in dem Pullover!"

Bei Rons Bemerkung fiel mir in dem Moment auch auf, dass seine Kleider viel zu groß wirkten. Malfoy war immer schlank, aber nie derart spindeldürr. Als hätte er seit Ewigkeiten nichts gegessen. Unter den weiten Roben war uns das bis jetzt nicht aufgefallen.

Neville trat schüchtern näher und beobachtete mit Panik in den Augen wie Harry die obersten Knöpfe an Malfoys Hemd öffnete.

"Harry, du blutest ja!" Tatsächlich hinterließen Harrys Finger blutige Abdrücke auf dem weißen Stoff. Er hob die linke Hand und betrachtete seine Finger.

"Das ist nicht mein Blut. Das muss von ihm sein."

Ich kniete mich neben Harry und berührte mit den Fingerspitzen vorsichtig Malfoys linken Arm. Der Ärmel der Robe war feucht und meine Finger wurden augenblicklich rot. Ich fing Harrys Blick auf, dann schob ich langsam den Ärmel zurück. Der graue Pullover darunter war blutgetränkt.

Ron zappelte unruhig neben mir herum und jammerte immer wieder, dass jeden Moment jemand kommen könnte und dann denken würde, dass wir Malfoy etwas antun würden. Allmählich riss mir der Geduldsfaden.

"Ronald Weasley! Halt den Mund. Neville, sei so lieb, geh zum Krankenflügel und hol Madame Pomfrey her. Und ich werde jetzt nachsehen, warum er so blutet." Erstaunlicherweise widersprachen beide nicht.

Ich muss zugeben, dass in dem Moment Neugier und Angst in meinem Inneren rangen. Die Neugier siegte. Vorsichtig krempelte ich den Ärmel des Pullovers hoch. Malfoys Unterarm war vollkommen mit Blut verschmiert. Ich drehte den Arm leicht zur Seite, um nach der Verletzung zu suchen. Einen Moment später hätte ich ihn vor Schreck fast losgelassen. Da, eingegraben in die normalerweise schneeweiße Haut, unter all dem Blut kaum zu erkennen und von mehreren tiefen Schnittwunden durchzogen leuchtete uns das Dunkle Mal entgegen.

Harry schnappte scharf nach Luft. Ron fluchte leise.

Wir alle hatten immer gewusst, dass Malfoy sich irgendwann seinem Vater und somit den Todessern anschließen würde, aber den Beweis jetzt so deutlich vor uns zu sehen, war trotzdem erschreckend.

"Woher kommen diese Schnitte? Glaubst du er hat sich selbst verletzt?"

Harrys Stimme klang rau. Ron schüttelte den Kopf.

"Warum sollte er das tun? Er ist doch schon seit wir ihn kennen ganz begierig darauf dieses verfluchte Ding zu bekommen. Warum sollte er es zerstören?"

Bevor wir dieses Geheimnis näher erörtern konnten, hörten wir Schritte und Blaise Zabini und Greg Goyle bogen um die Ecke. Sie unterhielten sich lachend, blieben aber bei unserem Anblick wie angewurzelt stehen.

Wir müssen in diesem Moment einen sehr merkwürdigen Anblick geboten haben:

Harry mit blutverschmierten Fingern, Malfoy bewusstlos, den Kopf in Harrys Schoß, ich ebenfalls mit Blut an den Fingern, Malfoys blutüberströmten Arm in den Händen und Ron, kreidebleich, mit offenem Mund, der neben mir steht und zusieht. Ich schätze, eine solche Situation mit veränderten Rollen hätte ich auch eindeutig gefunden. Die beiden Slytherins gingen auf uns los, noch bevor jemand ein Wort sagen konnte.

"WAS GEHT HIER VOR???? Was habt ihr verdammten Bastarde mit Draco gemacht??"

Zabinis Stimme überschlug sich fast.

Ich wollte ihm erklären, dass wir nichts getan hatten, aber er ließ mich nicht zu Wort kommen:

"Halt den Mund Schlammblut! Und du Potter nimm deine dreckigen Finger von ihm!"

Zabini hatte seinen Zauberstab gezogen und bedrohte uns damit.

"Greg, hol Professor Snape! Sag ihm, dass Potter und seine dreckigen kleine Freunde Draco angegriffen haben."

Wie auf ein geheimes Signal hin öffnete sich in diesem Moment die Tür und Snape trat auf den Gang. Er blieb wie versteinert stehen und starrte auf die Szene die sich ihm bot. Dann hörten wir weitere eilige Schritte und Madame Pomfrey, mit Neville im Schlepptau kam um die Ecke. Auch sie blieb geschockt stehen.

Einen Moment lang war es totenstill, dann begannen wir alle gleichzeitig zu reden, bis Professor Snape gebieterisch die Hand hob und uns zum Schweigen brachte.

"Ich will im Moment gar nicht wissen, was hier vorgeht! Mr. Goyle, helfen Sie Madame Pomfrey Mr. Malfoy in den Krankenflügel zu bringen, Mr. Zabini, sammeln Sie seine Sachen ein und nehmen sie mit."

Goyle stieß mich grob zur Seite und hob den immer noch leblosen Körper hoch. Zabini sammelte die verstreuten Bücher und Malfoys Tasche auf. Dann folgte er seinem massigen Freund und Madame Pomfrey den Gang hinunter, nicht ohne uns noch einen hasserfüllten Blick zuzuwerfen.

Professor Snape wand seine Aufmerksamkeit jetzt uns zu. Der Blick seiner schwarzen Augen war unergründlich. Er starrte jeden von uns forschend an, als wollte er in unsere Köpfe schauen.

"Mr. Potter, Miss Granger, Mr. Weasley machen Sie dass Sie in Ihren Turm kommen. Ich will im Moment kein Wort von Ihnen hören. Aber ich werde mit Professor McGonagall sprechen und anschließend werden Sie mir ein paar Fragen beantworten! Und Sie Mr. Longbottom..." sein dünner Finger der jeden Angesprochenen fast aufgespießt hatte, zeigte jetzt auf Neville, der vor Angst aufquiekte und sich halb hinter Harry versteckte.

"Nehmen Sie ein Bad! Die Überreste des Trankes stinken wie die Pest."

Mit diesen Worten drehte er sich um verschwand Richtung Krankenflügel.

Einen Moment blieben wir alle wie betäubt stehen.

"Ich denke, wir sollte besser tun was er gesagt hat und hochgehen."

Die Jungs hoben ihre Sachen vom Boden auf und machten sich auf den Weg, Ron drehte sich zu mir um:

"Kommst du Hermine?"

Ich fühlte mich auf einmal furchtbar müde.

"Ja, ich komme. Geht ruhig schon vor."

Als ich mich bückte um meine Tasche aufzuheben bemerkte ich ein Buch, das unter die Statue gerutscht war, die vor der Zaubertrankklasse stand. Ich zog es vorsichtig darunter hervor. Ein einfaches in schwarzes Leder gebundenes Buch. In der unteren Ecke waren in silbern die Initialen D. M. graviert. Ohne näher darüber nachzudenken, ließ ich das Buch in meine Tasche gleiten und folgte meinen Freunden.