Chapter 02 – Hermines POV

Der Rest des Tages verlief erstaunlich ereignislos.

Neville verbrachte ungefähr eine Stunde unter der Dusche bis auch der letzte Rest des Schleims verschwunden war.

Wie angedroht erschien Professor Snape etwa zwei Stunden später mit Professor McGonagall im Gemeinschaftsraum. Beide waren sehr ernst und befragten uns ausgiebig zu den Vorkommnissen. Erstaunlicherweise schien Snape uns jedes Wort zu glauben. Ich ertappte mich dabei, dass ich gern gewusste hätte, wie es Malfoy geht, traute mich aber nicht zu fragen.

Bevor er wieder ging, verbot Snape uns noch über den Vorfall zu sprechen. Anscheinend wollte er nicht, dass in der ganzen Schule darüber getratscht wird. Ron vermutete allerdings, dass er nur nicht will, dass Malfoys nähere Verbindung zu den Todessern bekannt wird.

Wenn man mich fragt bin ich ziemlich sicher, dass Snape selbst nichts davon wusste, und dass zumindest Professor Dumbledore noch am selben Abend darüber in Kenntnis gesetzt wurde. Und, wie gesagt, ich weiß mittlerweile Dinge über Malfoy, die Ron wohl nie erfahren wird und die mich die ganze Geschichte in einem vollkommen anderen Licht sehen lassen.

Ich ging an dem Abend früh nach oben.

Ron und Harry blieben noch unten im Gemeinschaftsraum und unterhielten sich leise über alles.

Ich lag schon im Bett, als mir das Buch wieder einfiel. Ich stand wieder auf, holte es aus meiner Tasche und kroch damit wieder unter die Decke.

(So gern ich Hogwarts habe, im Herbst zieht es hier manchmal wie Hechtsuppe.)

Wie ich schon mittags bemerkt hatte war das Buch in schwarzes Leder gebunden und abgesehen von den silbergeprägten Initialen vollkommen schmucklos. Der Einband war ziemlich zerkratzt und an den Ecken abgestoßen, die silberne Farbe blätterte bereits von den verschlungenen Buchstaben ab. D. M. Draco Malfoy. Daran bestand kein Zweifel. Am Schnitt der Seiten konnte ich erkennen, dass das Buch etwa zu dreiviertel voll geschrieben war.

Mir fiel plötzlich ein, dass ich es im Unterricht schon öfter gesehen hatte. Malfoy schien es überall mit sich herum zu tragen. Manchmal, während langweiliger Stunden hatte ich gesehen wie er etwas hineinschrieb.

Einen Moment lang war ich mir nicht sicher, ob ich wirklich hineinsehen sollte, dann siegte die Neugier.

Vorsichtig schlug ich die erste Seite auf. Ich hatte erwartet, seinen Namen oder etwas ähnliches zu lesen, in der Art von „Dieses Buch gehört...", statt dessen war auf die erste Seite ein Bild geklebt. Eine ältere Frau und ein kleiner Junge waren darauf zu sehen. Die Frau war etwa 50 Jahre alt, trug ein dunkelblaues, edles, etwas altmodisches Kleid und hatte die hellblonden Haare zu einem losen Knoten geschlungen. Ihre Haltung, der dezente Schmuck und der stolze Blick ließen sie sehr aristokratisch wirken. Der Junge an ihrer Hand war etwa 5 Jahre alt, hatte weißblonde Haare und große silbergraue Augen. Das musste Malfoy als Kind sein. Aber wer war die Frau? Für seine Mutter war sie zu alt. Seine Großmutter? Während ich das Bild betrachtete ließ der kleine Draco die Hand der Frau los und fing an mit der riesigen schwarzen Katze zu spielen, die neben ihm saß. Die Frau sah ihm lächelnd dabei zu. Im Hintergrund konnte man Teile eines alte Herrenhauses erkennen. Das Bild strahlte eine seltsame Ruhe aus. Und, wer immer diese Frau war, sie musste Malfoy etwas bedeuten, denn er hatte dieses Bild aufbewahrt und darüber hinaus in ein Buch geklebt, das er immer bei sich trug.

Dann bemerkte ich, dass unter dem Bild etwas in einer verschnörkelten, altmodischen Schrift geschrieben war:

Erinnere Dich

R. Woodrow-Malfoy

Ich weiß nicht warum, aber in dem Moment lief mir ein leiser Schauer den Rücken hinunter. Vorsichtig blätterte ich weiter.

Die Schrift auf der nächsten Seite war die eines Kindes – etwas ungelenk und mit Tintenflecken garniert.

Malfoy Manor, 15. Januar 1986 (Mutter sagt das muss man so schreiben!)

Großmutter hat mir das Buch zum Geburtstag geschickt. Sie schreibt ich soll jeden Tag etwas hineinschreiben, damit ich alles noch weiß wenn ich groß bin. Sie hat mir auch ein Bild geschenkt, wo sie und ich und Sir Cannibal drauf sind. Und Walnusskekse von Tante Sorcha.

Vater findet das Buch albern, Mutter findet es süß.

Mir gefallen die Kekse besser.

Draco Malfoy, seit heute 6Jahre alt!

P.S. Jetzt bin ich älter als Greg Goyle und darum darf ich ihn verhauen, aber er ist größer und stärker, also mach ich das lieber doch nicht.

Ein Tagebuch! Ich hatte Draco Malfoys Tagebuch gefunden. Um ehrlich zu sein, ich hätte ihm nicht zugetraut, dass er eins besitzt. Einen Moment lang kamen mir Zweifel, ob es richtig war weiter zu lesen, aber dann sagte ich mir, dass er sicherlich keine Skrupel hätte, wäre die Sache andersherum.

Ja, ja, ich gebe es ja zu, es war wieder meine vermaledeite Neugier, die mich so denken ließ, aber was soll ich machen? Und die Chance, einen näheren Blick auf seine verdrehte Seele zu werfen war einfach zu verlockend.

Ich las also weiter.

Die nächsten Seiten waren alle im Stil des ersten Eintrags geschrieben. Weihnachtsgeschenke, Streitereien mit Freunden und Gemecker über den Hauslehrer. Dinge die für einen Sechsjährigen wichtig sind. Ich fand heraus, dass Malfoy schon seit seiner Kindheit mit Greg Goyle und Blaise Zabini befreundet ist. Pansy Parkinson wurde auch hin und wieder erwähnt. Besonders gefiel mir ein Eintrag im Frühsommer 1986:

Malfoy Manor, 19. Mai 1986

Mädchen sind so doof!

Pansy und ihre dumme Schwester Pauline sind hier.

Die beiden heulen nur rum. Nur weil Blaise gesagt hat Paulines Puppe sieht aus wie ein Schwein. Dabei stimmt das. Sie ist ganz dick und hat ein rosa Kleid an. Mutter sitzt mit Mrs. Parkinson und Mrs. Zabini auf der Terrasse und trinkt Tee und alle sagen immer „Wie reizend" und „Das ist so entzückend" und dann kichern sie. Und Mrs. Parkinson sagt immer Draco-Herzchen zu mir. Ich möchte ihr gern die Zunge rausstrecken, aber Mutter sagt, dass gehört sich nicht. Wenn ich noch lange hier auf der langweiligen Terrasse mit den langweiligen Mädchen sitzen muss STERBE ich. Das hab ich Mutter auch gesagt, aber sie glaubt mir nicht.

Blöde Mädchen.

Ich konnte mir nicht helfen, aber das war einfach niedlich. Wer hätte gedacht, dass Malfoy mal so süß war.

Als die anderen Mädels kamen, steckte ich das Buch unter mein Kopfkissen und versuchte zu schlafen.

Den Rest des Wochenendes verbrachte ich damit Malfoys Tagebuch zu lesen. Ich legte es nur weg um etwas zu essen. Und natürlich habe ich meine Hausaufgaben gemacht.

Die Seiten des Buches waren so dünn, dass obwohl Malfoy an fast jedem Tag in den letzten elf Jahren etwas geschrieben hatte, es noch immer nicht voll war. Gleichzeitig war das Papier aber dick genug, dass die Schrift nicht durchleuchtete oder Tinte auf die nächste Seite durchdrang. Ich vermute, dass das Papier magisch behandelt war.

Im Laufe der Einträge veränderte sich seine Schrift, vom windschiefen Gekrakel eines Kindes zu der ordentlichen, leicht geschwungenen Schrift eines fast Erwachsenen. Ich hätte nicht gedacht, dass ein Junge so ordentlich schreiben kann. Wenn ich mir dagegen das Gekritzel von Harry ansehe oder Rons Hieroglyphen...

Interessant wurde es, als die ersten Einträge in Hogwarts kamen.

Wie zu erwarten kamen wir nicht besonders gut dabei weg:

Hogwarts, 31. Oktober 1991

Irgend so ein Schwachkopf hat einen Troll ins Schloß gelassen. Jetzt können wir den Rest des Abends eingesperrt im Gemeinschaftsraum verbringen! Und wenn Vince noch ein einziges Mal erwähnt, dass er seinen Pudding verschüttet hat, als Professor Quirrel in die Halle gestürzt kam, werde ich ihn wohl erwürgen müssen!!!

Später...

Perfect-Potter und das Wiesel mussten natürlich die Helden spielen! Anscheinend wollte der Troll sich diese Besserwisserin Granger schnappen. Wäre wohl kein großer Verlust gewesen: „Herr Lehrer ich weiß was!" Naja, egal.

Es machte mich wirklich wütend diesen Mist zu lesen. Trotzdem konnte ich nicht aufhören. Anscheinend waren seine Slytherinfreunde aber auch kein Quell des Frohsinns:

Hogwarts, 18. März 1993

Ich werde ihn umbringen! Ich schwöre, so wahr ich Malfoy heiße, dass ich ihn umbringen werde. Dieser verdammte Schwachkopf Crabbe hat den Inhalt seines Kessels ausgeschüttet und zwar nicht auf den Boden oder den Tisch oder Potter oder meinetwegen auch über sich selbst, nein, ICH krieg das kochendheiße Zeug ab. Meine Klamotten sind versaut, ganz davon abgesehen, dass ich ausseh wie ein gekochter Hummer! In Zukunft werde ich Warnschilder aufstellen: „Vincent Crabbe und Neville „Lahmarsch" Longbottom sind im Zaubertrankunterricht weiträumig zu meiden!" Und ganz bestimmt werde ich mich nicht mehr in seine Nähe setzen. Da setz ich mich lieber neben Potter!!!

Dieser Unfall hatte sich an dem einzigen Tag ereignet, als ich nicht da war. Ich hatte einen ziemlichen Schnupfen und Professor Snape will nicht, dass man in die Tränke niest. Aber wenn man Ron eine Freude machen möchte, dann muss man ihn nur fragen, ob er sich noch an den Tag erinnert, als Crabbe seinen Trank über Malfoy geschüttet hat. Das reicht meistens für den Rest des Tages. Auch jetzt über 4 Jahre später noch!

Hin und wieder waren Bilder zwischen die Einträge geklebt, meistens von Landschaften, Tieren oder Gegenständen, seltener von Menschen. Auf einem Bild sieht man eine junge Frau Anfang 20. Sie trägt ein leuchtendrotes Trägerkleid mit weißen Blümchen und hat hellblonde zu einem Zopf geflochtene Haare. Sie steht barfuss am Strand und ist offensichtlich hochschwanger. Sie winkt lachend in die Kamera, zieht Grimassen und scheint viel Spaß zu haben. Darunter hatte Draco nur ein paar Worte geschrieben:

Tante Sorcha.

Aufgenommen vor 20 Jahren in Irland.

Sie war schon damals ein albernes Huhn.

Manchmal frage ich mich wie sie und Vater verwandt sein können...

Ich vermisse sie und die anderen Malfoy-Schwestern. Wenn Großmutter und ihre verrückten Töchter zu Besuch kamen hatte ich immer das Gefühl, das Haus würde aus einer Art Winterschlaf erwachen. Jetzt wird es wohl für alle Zeit schlafen.

Malfoy Manor, 16. August 1994

Es war das erste Mal, dass Malfoy etwas ansatzweise negatives über seinen Vater äußerte. Auch wenn ich den Sinn des letzten Satzes nicht ganz verstand. Was war mit seiner Großmutter und ihren Töchtern passiert?

Zwischendurch überblätterte ich immer in paar Seiten, denn nicht alle Einträge waren interessant oder aufschlussreich. Andere wiederum fand ich sehr amüsant, auch wenn ihr Verfasser da wahrscheinlich anderer Meinung war:

Hogwarts, 29. April 1996, 2:00 Uhr morgens!!!

Jetzt reicht es langsam wirklich! Ich habe gerade – zum vierten Mal diesen Monat! – Pansy aus meinem Bett werfen müssen. Ich spiele ernsthaft mit dem Gedanken einen Zauber auf die Tür zu legen oder in Zukunft woanders zu schlafen. Was muss ich noch tun, damit dieses Mädchen begreift, dass ich kein Interesse an ihr habe? Sie hat ja noch nicht mal das richtige Geschlecht!!! Aber selbst wenn sie ein Junge wäre... nein, herzlichen Dank. Der bloße Gedanke schläfert mich schon ein.

Das war ein echter Schock. Malfoy steht auf Jungs????