Der nächste Eintrag stammte vom 15. Juli, vier Monate nach dem letzten.
Die Schrift war zittrig und die wenigen Sätze spiegelten Angst und Schmerz wieder:
Malfoy Manor, 15. Juli 1997
Vater war bis vor fünf Minuten hier.
Seit ich wieder hier bin kommt er jeden Abend.
Immer stellt er mir die selbe Frage.
Bis jetzt bin stark geblieben.
Schwach zu werden würde bedeuten mich selbst zu verlieren.
Schwäche hieße, dass ich wieder sein Feind wäre.
Ich klammere mich an diesen Gedanken, an die Erinnerung die ich von ihm habe, auch wenn ich ihm nie nah war, er hilft mir stark zu sein.
Aber ich weiß nicht, wie lange ich das noch ertragen kann.
Malfoy Manor, 20. Juli 1997, nachts
Er hat es getan.
Das womit er mir seit Wochen droht.
Bis heute hab ich nicht geglaubt, dass er mir das wirklich antun würde, aber ich habe mich geirrt.
Ich sollte ihn besser kennen.
Malfoy Manor, Sommer 1997
Ich weiß nicht welches Datum heute ist.
Seit Tagen habe ich mein Zimmer nicht verlassen.
Ich weiß dass Tag ist, weil die Sonne durch die Vorhänge scheint.
Ich habe Angst vor der Dunkelheit.
Wenn es dunkel wird, kommt er wieder.
Und mit ihm kommen die Schmerzen.
Wie oft kann man den Cruciatus-Fluch ertragen ohne zu sterben?
Ich weiß es nicht. Aber alles deutet darauf hin, dass ich es herausfinden werde.
Ich versuche mich an dein Gesicht zu erinnern, Harry.
Deine komische Frisur, deine wunderschönen grünen Augen, deine Lippen, die ich so gern geküsst hätte...
Du bist es der mich am Leben hält, aber ich weiß nicht wie lange noch.
Malfoy Manor, 12. August 1997
Es ist vorbei.
Ich habe aufgegeben.
Ich werde es tun.
Ich werde das Mal nehmen.
Vergib mir Harry!
An der Stelle musste ich aufhören zu lesen. Ohne das ich es bemerkt hatte, liefen mir Tränen übers Gesicht. Sein eigener Vater hatte ihn tagelang mit dem Cruciatus-Fluch gequält, so lange bis er aufgegeben hatte.
Und es war seine Liebe zu Harry, die ihn so lange durchhalten ließ.
King's Cross, 01. September 1997
Vater hat darauf bestanden, dass ich die Schule beende.
So bleibt mir ein weiteres Jahr Zeit, bevor...
Ich sitze allein in einem Abteil. Im Moment kann ich ihr Geschwätz und Gelächter nicht ertragen.
Meine Hände zittern noch immer von meiner Begegnung mit ihm.
Ich habe versucht zu reagieren wie immer, ihn zu beleidigen, mein übliches höhnisches Gesicht aufzusetzen, aber ich war wie erstarrt.
In dem Moment als ich ihn mit dem Wiesel und Granger über den Bahnsteig gehen sah, wurde mir etwas klar:
In dem Moment, als das weißglühende Eisen während der Zeremonie meinen Arm berührte, hat es nicht nur meine Haut verbrannt, sondern auch jeden Hauch einer Chance, dass ich jemals etwas anderes sein würde als Harry Potters Feind.
Ich konnte fühlen wie mein Herz in tausend Stücke zersprang.
Aber wofür brauche ich jetzt noch ein Herz?
Hogwarts, 15. Oktober 1997
Meine Freunde machen sich Sorgen.
Ich habe aufgehört zu essen und zu schlafen.
Ich kann nicht.
Wenn ich schlafe, kommen die Träume wieder und essen bedeutet leben.
Hogwarts, 19. Oktober 1997
Ich kann nicht mehr.
Ich habe beschlossen dem ganzen ein Ende zu setzen.
Ich werde ihm niemals weh tun können.
Und wenn ich es nicht tue, wird Vater mich töten.
Wozu noch warten?
Hogwarts, 20. Oktober 1997
Ich bin 17 Jahre alt.
Ich werde niemals einer von ihnen sein.
Ich hasse meinen Vater.
Harry Potter hasst mich.
Ich liebe Harry Potter.
Das ist das Ende.
Draco Malfoy
Das war der letzte Eintrag.
An dem Tag, an dem Draco vor der Klasse zusammengebrochen war, hatte er sich umbringen wollen.
Der Gedanke hinterließ einen schalen Geschmack in meinem Mund.
Ich habe nie verstehen können, wie jemand freiwillig sterben konnte.
Aber jetzt war ich mir nicht mehr sicher.
Ich versuchte mich in seine Situation zu versetzen.
Sein Vater sah in ihm nicht mehr als eine Figur in einem grausamen Spiel um Macht und war bereit ihn ohne Zögern zu opfern.
Er war unsterblich in jemanden verliebt, der für alle Zeit unerreichbar war.
Er war gezwungen worden Dinge zu tun, die seinen wahren Überzeugungen zuwiderliefen.
Er hatte niemals eine Chance bekommen sein wahres Ich zu zeigen.
Hass und Abscheu die ich für ihn empfunden hatten waren mit einem Mal wie weggewischt.
Ich empfand nur noch unendliches Mitleid.
