Chapter 05 – Hermines POV

Im Krankenflügel ist es sehr still.

Die Herbstsonne fällt durch die hohen Fenster und malt Muster auf die Fliesen.

Eine einsame Fliege summt immer wieder gegen die Scheiben auf der Suche nach einem Weg ins Freie.

Die weißen Betten sind alle leer.

Alle bis auf eins.

Er liegt vollkommen reglos da. Die Augen geschlossen, Gesicht und Hände fast so weiß wie die Kissen. Nur die langsamen, kaum hörbaren Atemzüge beweisen, dass er noch am Leben ist.

Ich weiß selbst nicht, warum ich hergekommen bin.

Aber irgendwie hatte ich das Gefühl das etwas mich herzog. In den letzten beiden Tagen habe ich unzählige Male die letzten Einträge in seinem Tagebuch gelesen, habe versucht den Schmerz zu verstehen, der hinter den Worten steht. Herzukommen schien nur der nächste logische Schritt zu sein.

Ich gestehe, dass ich irgendwie gehofft habe mit ihm zu sprechen, auch wenn ich nicht weiß, was ich hätte sagen sollen.

Aber er ist noch immer nicht aufgewacht.

Madame Pomfrey tut was sie kann.

Die Schnitte an seinem Arm sind bereits fast verheilt. Sie haben einen Dolch in der Tasche seiner Robe gefunden.

Vermutlich hat er sich die Wunden damit selbst zugefügt. Wochenlang. Immer wieder.

Er ist furchtbar dünn, kaum mehr als Haut und Knochen. Madame Pomfrey vermutet, dass er seit Wochen kaum gegessen hat. Sie flößt ihm nährende Tränke ein, da er selbst nicht in der Lage ist zu essen.

Denn was unserer Krankenschwester am meisten Sorge bereitet ist, dass sie ihn nicht dazu bringen kann aufzuwachen. Sie sagt, dass er sich so vollkommen in sich selbst zurückgezogen hat, dass sie nicht zu ihm durchdringen kann.

Ich sitze seit etwa einer Stunde hier, reglos, in Gedanken versunken. Niemand weiß dass ich hier bin. Ich habe Harry und Ron gesagt, dass ich in die Bibliothek gehe. Es gefällt mir nicht meine Freunde zu belügen, aber die Wahrheit würden sie nicht verstehen – ich verstehe sie ja selbst kaum.

Ich habe überlegt jemandem von dem Tagebuch zu erzählen. Madame Pomfrey, damit sie ihm vielleicht besser helfen kann, Professor Snape, der immerhin nachvollziehen kann, was es heißt das Dunkle Mal zu tragen, Professor Dumbledore, der Verständnis für alles hat, der ihn bestimmt schützen würde, vor seinem Vater, vor Voldemort, vor sich selbst.

Ich denke sogar daran Harry alles zu erzählen.

Aber ich sage nichts.

Statt dessen sitze ich hier und warte. Worauf weiß ich nicht.

Als Madame Pomfrey mich an der Schulter berührt fahre ich erschrocken zusammen. Ich weiß nicht wie lange ich hier sitze, der Raum ist in ein sanftes Dämmerlicht getaucht. Draußen ist es dunkel.

„Wie spät ist es?"Ich flüstere fast aus Angst die Stille zu stören.

„Kurz vor sieben. Sie sollte jetzt lieber gehen Miss Granger. Kommen sie morgen wieder wenn sie möchten. Sie sind ohnehin die Einzige."

Sieben Uhr! Du meine Güte! Ich habe stundenlang hier gesessen und ins Leere gestarrt. Die anderen haben sicher schon die Suchhunde losgeschickt.

Madame Pomfrey schiebt mich sanft aber bestimmt Richtung Ausgang.

Ich will mich gerade verabschieden, als mir plötzlich auffällt was sie gesagt hat:

„War außer mir denn niemand hier?"

Sie schüttelt traurig den Kopf.

„Nein, Professor Snape erkundigt sich natürlich jeden Tag, aber sonst war noch niemand hier. Nur Sie."Sie seufzt leise. „Nun ja, angesichts Mr. Malfoys Verhalten in der Vergangenheit sollte uns das wohl nicht wundern, aber traurig ist es dennoch. Aber machen Sie sich nicht zu viel Sorgen. Gute Nacht Miss Granger."

„Gute Nacht."

Ich kann es kaum fassen.

Niemand war hier? Niemand außer Professor Snape?

Aber was ist mit Zabini und Goyle?

Mit Pansy Parkinson, die doch angeblich so verliebt in ihn ist?

Was ist mit den anderen Slytherins?

Ich hätte gedacht, dass Malfoy Dutzende von Freunden hat.

Statt dessen muss ich erfahren, dass niemand für ihn da ist.

Niemand, außer seinem Lieblingslehrer und einem Mädchen, dass er hasst.

Zwei Wochen später...

„Hermine! Merlin noch mal, wo warst du schon wieder? Wir haben die ganze Bibliothek auf den Kopf gestellt... na ja fast, Madame Pince hat uns rausgeworfen, weil wir zu laut waren..., du hast das Abendessen verpasst...und....Hermine?"

Kaum hab ich den Gemeinschaftsraum betreten fällt Ron auch schon über mich her – wie jeden Abend.

Ich habe in den letzten zwei Wochen jeden Tag mehrer Stunden im Krankenflügel verbracht und jeden Abend werde ich von meinen Freunden überfallen und mit Fragen gelöchert.

Draco ist noch immer nicht aufgewacht. Er liegt da, stumm und reglos wie eine Porzellanpuppe. Die Haut so weiß und kalt wie Marmor.

Irgendwann, aus einem Instinkt heraus hab ich seine Hand genommen, ich dachte, dass es ihm vielleicht hilft, ihm zeigt, dass jemand da ist. Seine Finger sind knochig und eiskalt.

Ich weiß nicht, warum ich mich plötzlich für ihn verantwortlich fühle, aber ich habe angefangen mit ihm zu sprechen. Eigentlich denke ich nur laut, aber ich denke, der Klang einer menschlichen Stimme kann sicher kaum schaden. Warum ich das alles mache weiß ich wie gesagt nicht. Er war vom ersten Tag an gemein zu mir, hat mich aufs Übelste beschimpft und beleidigt, hat mir und meinen Freunden das Leben schwer gemacht. Und trotzdem. Nach allem was ich weiß, kann ich einfach nicht anders. Er tut mir so unsagbar leid und ich wünsche mir so sehr ihm helfen zu können.

Ich wünschte ich hätte die Chance den wahren Draco kennen zu lernen.

Aber dazu wird es wohl nicht kommen.

Madame Pomfrey sagt, dass er stirbt.

Sie hat alles versucht, aber es ist sinnlos.

Ich habe Professor Dumbledore und Professor Snape schließlich doch erzählt was ich weiß. Von seinem Vater, dem Cruciatus-Fluch, seinem Wunsch zu sterben. Und von Harry. Ich wollte diesen Teil erst für mich behalten, aber dann habe ich es doch erzählt. Sie wissen alles, und darum wissen sie auch, dass es keine Hoffnung gibt.

Er hat keinen Funken Lebenswillen mehr in sich.

Als ich an diesem Abend zurückkomme fühle ich mich als wäre ich hundert Jahre alt. Meine Freunde machen sich Sorgen, sagen aber nichts.

Sie wissen nicht wo ich jeden Tag hingehe, obwohl ich glaube, dass Harry etwas ahnt. Er sieht mich manchmal so seltsam an.

Eine halbe Stunde später bestätigt sich mein Verdacht.

„Hermine? Kann ich kurz mit dir reden?"

Seine Stimme ist ernst, er sieht mich forschend an.

Ich weiß was jetzt kommt, aber ich folge ihm trotzdem in den Jungenschlafsaal.

Niemand ist hier.

Der Novemberwind rüttelt an den Fenstern, der kleine Ofen in der Mitte des Zimmers verbreitet wohlige Wärme.

Harry sieht mich wieder so merkwürdig an. Mit einer Mischung aus Enttäuschung und Neugierde.

„Wie lange läuft das schon zwischen dir und Malfoy?"

Einen Moment bin ich sprachlos. Damit habe ich nicht gerechnet!

Er glaubt, dass Draco und ich eine heimliche Beziehung haben! Das ist absurd!!!!

„Wie meinst du das? Da läuft nicht das Geringste! Das ist total absurd! Ich weiß überhaupt nicht, wie du auf eine solche Idee kommst!"Ich bin wütender als ich gedacht hätte. Wie kommt er dazu? Ausgerechnet er!

„Hermine. Es ist doch mehr als offensichtlich. Ich hab dich gesehen. Jeden Tag schleichst du dich in den Krankenflügel. Du sitz an seinem Bett, hältst seine Hand, redest mit ihm. Du verhältst dich wie eine besorgte Freundin. Und dein wütendes Abstreiten macht es nur noch deutlicher. Warum solltest du dich so aufregen, wenn ich nicht ins Schwarze getroffen hätte. Keine Angst, Ron ahnt nichts, er glaubt immer noch, dass du ihn irgendwann mögen wirst, ich werde es ihm auch nicht sagen. Aber ich denke du solltest es tun."

An diesem Punkt bricht er ab, aber auch nur, um Luft zu holen.

Das darf doch alles nicht wahr sein. Und warum dieser verletzte Ausdruck in seinen Augen. Verletzt und ... eifersüchtig? Moment mal. Nein, das bilde ich mir nur ein. Und außerdem, wie kommt er dazu mir hier einen Vortrag zu halten.

„Jetzt hör mir mal zu, Harry. Du irrst dich. Du könntest gar nicht weiter daneben liegen. Ich..."

Er dreht mir jetzt den Rücken zu, schaut aus dem Fenster.

„Hör auf Hermine, ich glaub dir nicht. Und ich bin wirklich enttäuscht, dass du mir so wenig vertraust."

Jetzt reicht es! Draco liegt im Sterben und er spielt die verletzte Primadonna! Ohne zu überlegen renne ich aus dem Zimmer rüber in den Schlafsaal der Mädchen. Ich ziehe das Tagebuch unter meinem Kopfkissen hervor und gehe zurück. Er sitz auf dem Bett, den Kopf in die Hände gestützt und starrt auf den Boden. Ich öffne das Buch im hinteren Drittel, werfe es auf die Bettdecke und fahre ihn wütend an:

„Da! Lies das! Ich bin gespannt ob du dann immer noch so verdammt selbstgefällig bist."

Bevor ich meine Meinung noch ändern oder meine Entscheidung bereuen kann renne ich wieder aus dem Zimmer und schlage die Tür hinter mir zu.

Auf dem Weg zurück in meinen eigenen Schlafsaal merke ich, dass mir Tränen übers Gesichte laufen.

TBC...

A/N: Ich sagte ja, es wird dramatisch. Aber keine Angst. Ich werde nicht übertreiben. Dazu hab ich Dray und Harry viel zu lieb. ;o)

Ab dem nächsten Chap. wechsele ich die POV zu Harry. Also seid gespannt.

Yulah