Chapter 06 – Harrys POV

Hogwarts, 08. November 1997

Sie ist wieder bei ihm.

Seit zwei Wochen geht sie nach dem Unterricht jeden Abend auf direktem Weg in den Krankenflügel. Sie glaubt, dass Ron und ich nichts davon merken.

Naja, was Ron angeht hat sie Recht.

Der Tag an dem es anfing hat sich auf alle Zeit in mein Gedächtnis gebrannt.

Vor fast drei Wochen nach einer katastrophalen Doppelstunde Zaubertränke ist Malfoy im Gang plötzlich ohnmächtig geworden.

Zuerst waren wir alle zu geschockt um zu reagieren, dann ging alles ziemlich schnell. Hermine und ich haben uns um ihn gekümmert, während Ron und Neville rumliefen wie aufgescheuchte Hühner.

Merlin, wie oft hatte ich mir vorgestellt wie es wohl sein würde Malfoy zu berühren, wie sich sein Haar und seine Haut anfühlen würden. Und dann liegt er auf einmal da, sein Kopf in meinem Schoß und trotz alle Sorge kann ich der Versuchung nicht widerstehen. Die blonden Haare sind weich und glatt wie Seide. Seit er im dritten Jahr aufgehört hat dieses grauenvolle Zeug hineinzuschmieren fallen die feinen silbrigen Strähnen immer wieder in sein Gesicht. Ein Gesicht, von dem ich in letzter Zeit so oft geträumt habe. Makellose, milchweiße Haut, weich und zart wie ich jetzt feststelle, fein geschwungene Lippen, die, auch wenn sie oft zu einem höhnischem Grinsen verzogen sind, dennoch so einladend wirken und seine atemberaubend schönen, silbergrauen Augen. Auch wenn sie jetzt geschlossen sind, die Wimpern zwei perfekte Halbmonde auf den bleichen Wangen, sehe ich seine Augen trotzdem vor mir. Augen in denen man sich verlieren kann.

Seien wir doch ehrlich: Augen, in denen ich mich schon vor Ewigkeiten rettungslos verloren habe.

Ja, ich gebe es zu: Ich, Harry Potter bin verliebt. Und zwar nicht in Cho Chang, die für eine Weile so was wie meine Freundin war und auch nicht in Ginny Weasley, die übrigens seit fast sechs Monaten mit Colin Creevey geht, und auch nicht in Hermine oder sonst ein Mädchen.

Nein! Ich liebe Draco Malfoy!

Den einzigen Menschen den ich nicht haben kann.

Eine Weile habe ich mir sogar eingeredet, dass er auch etwas für mich empfindet, ich hab ihn mehr als einmal dabei ertappt, wie er mich sehr seltsam ansah, aber da war wohl der Wunsch Vater des Gedanken.

Er lässt kaum eine Chance aus mich zu demütigen. Auch wenn das in letzter Zeit nachgelassen hat.

Niemand weiß von meiner heimlichen Besessenheit.

Die übrigens mitunter sehr absonderliche Blüten treibt.

Etwa zwei Monate vor den Sommerferien hatte es nach dem Quidditch-Spiel gegen Slytherin ziemlichen Ärger gegeben. Die Slytherins hatten nur knapp verloren und waren entsprechend sauer.

Auf dem Weg in die Umkleideräume überschütteten sie uns mit Beleidigungen und Schmähungen. Malfoy stichelte so lange, bis Ron schließlich der Kragen platze und er sich auf ihn stürzte. Erst Madame Hooch schaffte es die beiden auseinander zu bringen. Sie hielt beiden eine Standpauke, die sich gewaschen hatte – dem Rest beider Mannschaften übrigens auch, dann hatte sie die Streithähne bis zu den Ferien zum Nachsitzen verdonnert und in den Krankenflügel geschickt.

Ich wollte gerade hinter den anderen in Richtung Schloß gehen, als ich im Gras etwas glitzern sah. Es war eine Halskette. Ein Lederband mit einem silbernen Anhänger, einem Drachen. Ich wusste, dass die Kette Malfoy gehört; ich hatte sie schon öfter bei ihm gesehen. Ohne zu überlegen steckte ich das Schmuckstück ein und nahm es mit.

Erst hatte ich vor es ihm wieder zu geben, ihn vorher vielleicht noch ein bisschen damit zu ärgern, aber irgendwie hab ich es mir anders überlegt.

Malfoy war fuchsteufelswild als er bemerkte, dass er die Kette verloren hat. Er hat tagelang das halbe Schloß auf den Kopf gestellt, hat behauptet Ron hätte die Kette gestohlen, aber alles ohne Erfolg. Dass der Drache sicher versteckt in meiner Kleidertruhe lag konnte er ja schließlich nicht wissen.

Irgendwann während dieser zwei Monate vor den Ferien wurde mir dann plötzlich klar, dass ich mich verliebt hatte. Und auf einmal hatte der Anhänger eine völlig neue Bedeutung. Er stellte eine Verbindung zu Draco her.

Ich kann mich auch nicht mehr erinnern, wann ich anfing die Kette selbst zu tragen. Erst heimlich, wenn ich allein war, dann auch tagsüber sicher verborgen unter meiner Kleidung, bis ich mich schließlich gar nicht mehr davon trennen konnte. Auch jetzt, obwohl auch die letzte Chance verloren ist, liegt der silberne Drache warm auf meiner Haut.

Als ich an diesem verfluchten Freitag sah, wie er zusammenbrach, setzte mein Herz einen Schlag aus. Eine Welle der Übelkeit überkam mich, ich wollte ihn in den Arm nehmen, ihn allein durch meine Liebe wieder aufwecken, aber ich war wie erstarrt. Meine Bewegungen waren mechanisch und etwas unsicher.

Hermine behielt als einzige vollkommen die Nerven.

Jetzt weiß ich auch warum.

Als sie seinen Ärmel hochschob und uns das Dunkle Mal entgegenleuchtete traf mich die Realität mit voller Wucht.

Er war ein Todesser!

Er war noch immer mein Feind und würde es auch für alle Zeiten sein!

Ich hatte mir monatelang etwas vorgemacht.

Während der Ferien hatte ich Tag und Nacht von ihm geträumt, hatte manchmal leise seinen Namen ausgesprochen nur um zu sehen wie es sich anfühlen würde normal mit ihm zu reden, statt ihn zu beleidigen.

Ich hatte ihm sogar geschrieben, die Briefe aber nie abgeschickt. Sie lagen ganz unten in meiner Truhe, denn ich brachte es auch nicht über mich sie wegzuwerfen.

Das ganze Wochenende kämpfte ich gegen die Versuchung an in den Krankenflügel zu gehen und nach ihm zu sehen.

Ich konnte das nicht tun. Ich war nicht einer seiner Freunde. Ich hatte kein Recht dazu.

Aber als er am Donnerstag immer noch nicht wieder zum Unterricht erschienen war, konnte ich es nicht mehr länger aushalten.

Ich wartete bis nach dem Abendessen, dann schlich ich mich aus dem Gemeinschaftsraum.

Ich wollte nur einen kurzen Blick riskieren, wollte sehen ob es ihm besser ging, auf eine Chance mit ihm zu sprechen hoffte ich nicht, vermutlich würde er mich ohnehin nur verhöhnen und dann wegschicken.

Ich hatte fest damit gerechnet einen Haufen Slytherins im Krankenflügel zu sehen, aber da saß nur eine einzige einsame Person neben seinem Bett, hielt seine Hand und redete leise mit Madame Pomfrey.

Auf die Entfernung und im Dämmerlicht konnte ich sie nicht erkennen, doch dann drehte sie den Kopf leicht, sodass das Gesicht im Licht der Kerzen aufleuchtet.

Nur mühsam konnte ich mir ein erschrockenes Aufkeuchen verkneifen.

Hermine!

Sie saß da wie selbstverständlich, strich mit den Fingern sacht über seine Stirn und schob eine feine Haarsträhne aus seinem Gesicht.

Eine heiße Welle der Eifersucht überschwemmte mich.

Wie konnte sie das tun?

Sie hasste ihn!

Warum hatte sie nie etwas gesagt? Okay, die Antwort auf die Frage kenne ich.

Aber wie konnte sie Ron das antun? Ich dachte immer sie liebt ihn.

Wie kann sie mir das antun?

Merkwürdig, dass sie in dem Moment nicht aufsah.

Das Geräusch, das mein Herz machte als es brach, musste sie doch gehört haben.

Seitdem sind zwei Wochen vergangen.

Jeden Abend schleicht sie sich in den Krankenflügel um bei ihm zu sein.

Ich versuche mir nichts anmerken zu lassen, versuche sie zu behandeln wie immer. Ron ahnt nichts. Wie auch. Er ist so verliebt in Hermine, dass er nie glauben würde, dass sie ihn hintergeht.

Gut, die beiden haben keine Beziehung, aber sie muss doch wissen, was er für sie empfindet.

Ich meine, es geht hier eigentlich nur um Ron.

Sie nutzt seine Gefühle aus.

Damit keine Missverständnisse aufkommen: Ich rege mich hier wirklich lediglich darüber auf wie man meinen besten Freund behandelt.

Natürlich, bin ich eifersüchtig! So eifersüchtig, dass ich fast daran ersticke, aber darum geht es nicht.

Ich hatte schließlich ohnehin nie eine Chance.

Aber wenn er schon eine Freundin haben muss, warum dann ausgerechnet Hermine? Warum meine beste Freundin.

Plötzlich will ich unbedingt wissen, wie lange das schon so geht.

Seit wann trifft sie sich hinter meinem ... unseren Rücken mit ihm?

Vielleicht geht das schon Monate lang so.

Hey, Moment mal.

Was ist, wenn Malfoy sich darum mit Ron geprügelt hat?

Wegen Hermine?

Oh. Mein. Gott.

Ich muss es wissen.

Auch wenn ich es nicht ertragen kann.

Aber ich muss es einfach wissen.

Ich werde sie fragen.

Heute noch.

Gleich, wenn sie wieder zurück ist.

Auch wenn ich nicht weiß, ob ich den Schmerz ertragen kann.