Chapter 09 – Harrys POV

Vom Rest des Tages bekomme ich kaum etwas mit.

Nachdem Hermine mich zurück in den Gryffindorturm gebracht hat, habe ich stundenlang geschlafen. Die durchwachte Nacht und all die Tränen fordern ihren Tribut. Zwischendurch hab ich schlecht geträumt, kann mich aber nicht mehr daran erinnern. Als ich gegen Abend wach werde, höre ich besorgte Stimmen, die sich leise unterhalten. Ich sehe sie nicht, weil die Vorhänge meines Bettes zugezogen sind, hab aber weder die Kraft noch die Lust sie zu öffnen und nachzusehen. Im Moment ist es mir lieber wenn ich niemandem begegnen muss.

Rons Stimme ist deutlich herauszuhören. Ich weiß, dass mein bester Freund sich Sorgen macht. Ich kann mich vage an sein geschocktes Gesicht erinnern, als wir aus dem Krankenflügel zurückkamen. Hermine wollte mit ihm sprechen, wie viel er mittlerweile weiß, kann ich nur raten. Mir fällt Professor Snapes Gesichtsausdruck wieder ein. Von Hermine weiß ich, dass er über den Inhalt und die Hintergründe des Tagebuches im Bilde ist. Und nach den Geschehnissen heute morgen, dürfte er sich auch über meine Gefühle im Klare sein. Was ich nicht weiß ist, wie er dazu steht. Aber eigentlich spielt es auch keine Rolle.

Im Moment spielt eigentlich nichts eine Rolle. Ich fühle mich leer, als hätte mein Leben jeden Sinn verloren. Ist es das was Draco gefühlt hat? Ist das das Gefühl, das ihn dazu gebracht hat aufzugeben, sich den Tod zu wünschen?

Mir wird plötzlich klar, dass Draco Malfoy in den letzten sechs Jahren immer eine wichtige Rolle in meinem Leben gespielt hat. Vom ersten Moment an hat er einen besonderen Platz beansprucht. Auch als es noch sein einziges Ziel war mir zu schaden. Ich war mir seiner Gegenwart immer mehr als bewusst. Habe in jedem Raum den ich betrat unbewusst nach ihm gesucht. Ich kannte ihn so gut wie sonst nur meine Freunde. Das heißt, ich kannte seine Gewohnheiten, die Person, die er nach außen hin war. Sein wahres Ich kannte ich ebenso wenig wie alle anderen.

Als seine Sticheleien vor etwa einem Jahr weniger wurden, empfand ich fast so etwas wie Verlust. Ich konnte ja nicht ahnen, dass seine Gefühle für mich sich schon damals so vollkommen geändert hatten.

Hätte ich es doch nur gewusst!

Vielleicht wäre ich mir meiner eigenen Gefühle dann schon viel früher bewusst geworden, vielleicht hätten wir eine Chance gehabt.

Vielleicht... Jetzt würde ich es nie erfahren.

Der Schmerz kehrt gnadenlos zurück und überrollt mich. Ich beiße mir auf die Lippen um ein Aufschluchzen zu unterdrücken, aber Ron hat es gehört.

„Harry? Bist du wach? Ist alles in Ordnung mit dir?"

Er schiebt die Vorhänge einen Spalt weit auseinander und steckt seinen Kopf herein. Ich kann seine Gesicht nicht erkennen, aber die Sorge ist deutlich in seiner Stimme zu hören.

„Kann ich dir irgendetwas holen?"

„Etwas zu trinken wäre gut. Danke Ron."

Er verschwindet, ich kann hören wie er die anderen aus dem Zimmer scheucht, einen Moment später ist er wieder da. Er schiebt die Vorhänge weiter auf, gibt mir ein Glas Wasser und setzt sich dann auf die Bettkante. Während ich trinke mustert er mich als würde er mich heute zum ersten Mal sehen.

Ich stellt das Glas auf den Nachttisch und sehe meinen Freund dann auffordernd an.

Er sieht verlegen auf seine Schuhe und spielt mit dem Saum seines Pullovers. Er will ganz offensichtlich etwas loswerden, weiß aber nicht wie.

Ich beschließe die Initiative zu ergreifen:

„Was weißt du?"

Er schrickt kurz zusammen und antwortet dann ohne mich anzusehen.

„Hermine hat mir ein bisschen was erzählt. Ich bin mir ziemlich sicher, dass es nicht alles war. Aber sie hat davon gesprochen das Malfoy ziemlich krank ist, und das du...das er.... das...."Er bricht ab, sieht mich halb ängstlich, halb flehend an.

„Stimmt es?"

„Ja. Ich liebe ihn. Und nach allem was ich weiß empfindet er dasselbe."

„Aber Harry. Ich meine - Malfoy? Bitte, sei mir nicht böse, aber ich verstehe das nicht. Er war immer so gemein zu uns und vor allem zu dir. Wie kannst du dich denn auf einmal in ihn verlieben?"

Ich versuche meinen Freund zu verstehen und seltsamerweise gelingt es mir problemlos. Ich hätte es wohl auch nicht verstanden wären die Rollen vertauscht.

„Ich weiß es nicht, Ron. Ich weiß nur, dass ich auf einmal gemerkt habe, dass ich ihn liebe, und dass ich mir nichts sehnlicher wünschte, als dass er auch so fühlt. Aber das spielt jetzt alles keine Rolle mehr. Er...er wird...Draco...."an diesem Punkt bricht meine Stimme, ich kann nicht weitersprechen. Ich kann es nicht aussprechen. Ich schlage die Hände vors Gesicht und weine ohne einen Laut. Ron sitzt unsicher neben mir und tätschelt hilflos mein Knie.

Eine Weile später sitzen wir stumm da und hängen jeder den eigenen Gedanken nach. Ich habe aufgehört zu weinen, irgendwann sind einfach keine Tränen mehr da. Er spricht als erster wieder:

„Es tut mir so leid, Harry."Er überlegt einen Moment.

„Aber weißt du, vielleicht irrt sich Madame Pomfrey ja auch. Ich meine, sie kann doch nicht alles wissen, oder?"

Womit habe ich nur einen solchen Freund verdient?

Ich habe ihm gerade den Schock seines Lebens versetzt, und alles woran er denkt ist wie er mich aufmuntern kann.

„Ja, vielleicht irrt sie sich..." Ich glaube nicht wirklich daran, aber was soll ich sonst sagen?

Wieder ist es eine ganze Weile ruhig.

Dann hören wir plötzlich Stimmen auf der Treppe. Aufgebrachte Stimmen.

Die Tür geht auf und Hermine kommt herein. Sie ist vollkommen außer Atem, ihre Wangen sind gerötet.

„Harry! Du musst sofort mitkommen! Schnell!"

Angst schnürt mir die Kehle zu.

Nein!

Bitte nicht!

Es darf nicht vorbei sein!

Sie muss die Panik in meinen Augen sehen, aber sie geht nicht darauf ein.

„Komm Harry. Bitte."

Ich stehe unsicher auf, sehe Ron an, dann folge ich Hermine.

Im Krankenflügel werden wir schon von Madame Pomfrey erwartet.

„Harry! Wie gut dass Sie hier sind. Kommen Sie!"

Professor Snape steht neben Dracos Bett, aber als er mich sieht tritt er beiseite.

Er liegt noch immer mit geschlossenen Augen da, aber sein Atem kommt in harten unregelmäßigen Zügen, seine Hände sind um die Decke verkrampft, das bleiche Gesicht ist feucht von Schweiß.

„Harry...." Ein kaum hörbares Flüstern, seine Finger tasten suchend über die Decke.

Ich zögere keinen Moment mehr, setze mich auf das Bett und nehme seine Hände in meine.

„Shht. Ich bin hier. Hab keine Angst."Ich beuge mich vor, um ihm die schweißnassen Strähnen aus dem Gesicht zu streichen, doch in dem Moment als meine Fingerspitzen seine Haut berühren öffnet er plötzlich weit die Augen. Die Pupillen sind so stark geweitet, dass seine Augen fast schwarz sind. In ihnen steht ein Ausdruck nackter Panik.

Er lässt meine Hand los und verkriecht sich ans Kopfende des Bettes ohne mich einen Augenblick aus den Augen zu lassen.

Sein Anblick krampft mein Herz zusammen. Er sitz da, die Beine eng an den Körper gezogen, die Arme um die Knie geschlungen, am ganzen Körper zitternd, Todesangst in den Augen. Er erkennt mich nicht. Eine unbändige Wut gegen seinen Vater kocht in mir hoch. Wie konnte er ihm das nur antun?

Ich hebe beide Hände, um zu zeigen dass ich keine Waffen habe.

„Draco. Hey, ich bin es. Erkennst du mich nicht? Harry Potter. Ich werde dir nicht weh tun. Ich könnte dir niemals weh tun. Hab keine Angst."

Ich rede leise und beruhigend auf ihn ein. Ich habe vergessen, dass Snape, Hermine und Madame Pomfrey hinter mir stehen, alles was ich sehe ist sein wunderschönes Gesicht und die Angst in seinen Augen.

Was haben sie dir nur angetan?

Er starrt mich noch immer misstrauisch an. Dann, leise:

„Harry?"

„Ja."

Er schluchzt auf, wirft sich in meine Armen, klammert sich an mich wie ein Ertrinkender. Ich halte ihn so fest ich kann, spüre seinen schlanken, warmen Körper, der sich schutzsuchend an mich schmiegt. Er hat sein Gesicht an meinem Hals vergraben, ich kann seine Tränen fühlen, die über meinen Nacken laufen. Meine eigenen Tränen tropfen in sein silberblondes Haar.

Lange Zeit sitze wir so da, engumschlungen, weinend. Ich merke nicht, dass die anderen den Raum verlassen haben, mein ganzes Sein konzentriert sich auf Draco. Schließlich finde ich auch meine Stimme wieder. Ich fange wieder an leise Beruhigungen zu murmeln, während ich ihm sanft über den Rücken streichle.

„Shhht. Ist ja gut. Ich bin bei dir. Ich lass nicht zu, dass sie dir noch mal weh tun. Niemand wir dich je wieder verletzten, das verspreche ich dir. Ich werde auf dich aufpassen."Ich kann fühlen, wie er sich langsam entspannt. Sein Atem wird ruhiger, das Schluchzen ebbt langsam ab.

„Ich liebe dich."

Augenblicklich versteift sich sein Körper wieder. Er windet sich aus meiner Umarmung, sieht mich mit gerunzelter Stirn an. Sein Gesicht ist nass von Tränen, seine silbrigen Augen funkeln.

„Was?" Seine Stimme ist rau. Mir wird klar, dass er mir nicht glaubt.

Und mir fällt nur ein Beweis ein.

Behutsam nehme ich sein Gesicht in beide Hände und sehe ihm tief in die Augen, mein Herz schlägt bis zum Hals.

„Ich liebe dich. Egal was du davon hältst."

Als unsere Lippen sich berühren, habe ich das Gefühl den Boden unter den Füßen zu verlieren.

Einen Augenblick lang, lässt Draco alles reglos geschehen, dann entspannt er sich und erwidert meine Kuss.

Es ist der zärtlichste Kuss meines Lebens, langsam, vorsichtig und unendlich sanft. Dann schmiegt er sich wieder in meine Arme, legt den Kopf auf meine Schulter und schließt die Augen.

„Ich liebe dich, Harry..."sein Stimme ist so leise, dass ich ihn kaum höre.

Bevor ich etwas sagen kann, merke ich, dass er in meinen Armen eingeschlafen ist.