4. Schlechte Nachrichten
Es war der Tag, an dem Legolas heiraten sollte. Kein schöner Tag also, egal, wie sehr die Sonne auch strahlte. Egal, wie sehr sich die anderen bemühten, so zu tun, als sei es ein Freudentag.
Legolas hatte Frodo und die anderen gebeten, an diesem Tag auf jeden Fall seine Gäste zu sein. Es war gut, wenn man an dem Tag, den man selbst ganz weit weg wünschte, zumindest ein paar gute Freunde bei sich hatte. Frodo allerdings war, seit dem er ihn an diesem einen Abend im Garten getroffen hatte, immer sehr kurz angebunden gewesen. Legolas fragte sich, was es war, das sein Hobbitfreund ihm übel nahm. Nach seiner Vorstellung hatte er nichts falsch gemacht. Was hätte er denn auch tun sollen? Hätte er Valshiya wirklich hinterherlaufen und damit womöglich alles nur noch schlimmer machen sollen?
Sam saß in einem hohen Lehnsessel in Legolas' Zimmer, während dieser sich quälend langsam ankleidete. Der Stuhl, auf dem Frodos Gärtner saß, war so groß, daß seine Beine in der Luft baumelten, doch das störte ihn nicht weiter, denn er hatte es zumindest bequem im Rücken. Er hatte Legolas erzählt, daß seine Verlobte Rosie Hüttinger ihn mit einer Bitte zu ihm geschickt hatte.
"Es geht um einen Gefallen, um den ich dich im Namen meiner lieben Verlobten Rosie, bitten soll.", sagte Sam fröhlich.
"Sprich's nur aus.", forderte Legolas ihn auf.
Sam rutschte ein wenig unsicher auf dem Sessel herum und erklärte dann:
"Sie würde so gerne eines der Blumenmädchen auf deiner Hochzeit sein. Ich weiß nicht, ob ihr das bei den Elben kennt aber es gibt im Auenland den Brauch, das vor dem Brautpaar zwei oder mehr Jungfrauen vornweg gehen, die Blumen auf den Weg streuen. Sie findet das alles sehr romantisch. Sie hat sich sogar eigens für diesen Anlaß ein schönes Kleid schneidern lassen."
"Das ist eine Bitte, die ich ihr selbstverständlich gerne erfüllen würde, wenn es in meiner Hand läge, doch alles was das Fest angeht, wurde von der Familie meiner Braut arrangiert. Ich denke nicht, daß sie es erlauben würden.", erklärte Legolas.
Sam seufzte und erwiderte:
"Oh, da wird Rosie aber traurig sein. Aber wir haben ja noch eine zweite Bitte und die kannst du uns unmöglich ausschlagen. Rosie freute sich so sehr, Elben kennenzulernen, daß sie sich jetzt in den Kopf gesetzt hat, einen als Trauzeugen zu haben."
Legolas lächelte. Das war ein Wunsch, den er Sam leicht erfüllen konnte. Außerdem kam er so weg aus Düsterwald, weg von seiner Braut und von seiner Familie.
"Ja, das mache ich sehr gerne."
Finlass trat ohne anzuklopfen ein.
"Es wird Zeit, Legolas.", sagte er emotionslos.
Legolas warf seinem jüngeren Bruder einen bösen Blick zu. Er hatte die Auseinandersetzung im Pferdestall noch nicht vergessen. Im übrigen hatte er das Gefühl, das Finlass zu Vater hielt und alle seine Entscheidungen akzeptierte. Es mußte ihn insgeheim sehr freuen, daß Legolas nicht glücklich war. Er war schon immer neidisch auf den älteren Bruder gewesen.
"Schickt Vater dich, um auf mich aufzupassen? Hat er Angst, daß ich vor der Hochzeit fortlaufe?". Er trat auf seinen jüngeren Bruder zu und tippte ihn mit dem Zeigefinger auf die Brust.
Sein Kopf fuhr vor, so daß sein Gesicht nur noch einen Fingerbreit von dem Gesicht seines Bruders entfernt war. Ein verräterisches Blinzeln seiner Augen zeigte, wie sehr dieser sich erschrocken hatte. Schön! Schließlich sollte er nicht den Respekt vor Legolas verlieren.
"Weißt Du," zischte Legolas, "es gab einige Momente, da habe ich wirklich daran gedacht! Dann hätte Vater ja dich mit Riona verheiraten können. Dir würde es ja anscheinend nichts ausmachen."
Finlass zog skeptisch die rechte Augenbraue hoch. Auch ihm gefiel der Gedanke nicht, mit Riona den Bund einzugehen. Legolas legte es auf einen Streit mit seinem Bruder an. Doch als Finlass keine weitere Reaktion zeigte, stieß er ihn fort.
"Vergiß es! Laß uns jetzt einfach gehen. Ich will es hinter mich bringen. Vielleicht ist Vater dann endlich zufrieden."
Er sagte das so leicht daher, als würde es wirklich nur ein ganz besonders unangenehmer Punkt auf seiner Tagesordnung sein, den es möglichst schnell abzuhaken galt. Allerdings war ihm vielmehr danach, sich mit Händen und Füßen gegen den Gang zur großen Halle zu wehren, sich einfach umzudrehen und tatsächlich fortzulaufen. Vielleicht sollte er nach Gondor gehen. Aragorn hatte sicher noch einen Platz für einen elbischen Bogenschützen in seinen Reihen. Beinahe mußte er über sich selbst lachen. Das wäre doch einmal etwas anderes: Legolas, der Ausreißer, nicht mehr Legolas, der Elbenprinz.
Die Brüder traten auf den Gang hinaus, gefolgt von Sam. Auf der anderen Seite des Ganges steckte gerade Pippin seine Nase aus einem der Gästezimmer. Er drehte sich um und rief den anderen zu:
"Ich glaube, es geht los. Kommt!"
Die Tür wurde geöffnet und Pippin, gefolgt von Merry und Frodo schlossen sich dem Zug an. Vor ihnen in dem Gang erklangen plötzlich hastige Schritte. Es war Alfiriel, die ihre lavendelfarbenen Gewänder gerafft hatte, um schneller laufen zu können.
"Legolas, Vater schickt mich. Die Hochzeit muß verschoben werden. Es ist vor wenigen Minuten ein Bote aus Gondor angekommen. Er sagt, was er zu berichten hat, erfordert deine unbedingte Anwesenheit." teilte sie ihm völlig außer Atem mit.
Legolas atmete erleichtert auf. Vielleicht würde ihm das alles ja doch noch erspart bleiben. Hinter ihm hörte er Finlass sagen:
"Aufgeschoben ist nicht aufgehoben, lieber Bruder!"
Legolas drehte sich zu ihm um und wollte etwas sagen, überlegte es sich dann doch anders, weil ihm sein Atem zu schade war.
"Ich komme sofort!", sagte er stattdessen an Alfiriel gewandt.
*****
Der Bote war von dem scharfen Ritt vollkommen erschöpft. Zwei Wächter Thranduils mußten ihn stützen als er vor den Thron des Waldelbenkönigs trat.
"König unter Eichen und Buchen", sagte der Bote und benutzte damit die korrekte Anrede Thranduils, "es tut mir leid, daß ich eure Feierlichkeiten stören muß, doch die Nachricht, die ich euch von König Aragorn von Gondor zu überbringen habe, duldet keinen Aufschub."
Legolas, der rechts neben dem Thron seines Vaters stand, war sehr unruhig und wollte die dringende Nachricht Aragorns unbedingt hören, doch er mußte warten, bis Thranduil dem Boten, Logal war sein Name, das Wort erteilte.
"So sprecht, was unser Freund, der König von Gondor, uns mitzuteilen hat." Am liebsten wäre Legolas seinem Vater ins Wort gefallen und hätte ihn aufgefordert, die Förmlichkeiten beiseite zu lassen.
"Nun," begann Logal stockend, "es ist so, daß Königin Arwen vor einigen Tagen vermutlich entführt wurde. Es ist jetzt drei Tage her. Ich bin noch am selben Tag an dem wir davon Kenntnis erlangten losgeritten. Sie ritt einer Reisegesellschaft entgegen, die von hier aus aufgebrochen war, sie wollte eine Verwandte von sich empfangen, die auf dem Weg zu ihr war."
Legolas war klar, daß er nur Valshiya meinen konnte. Seine Hände ballten sich krampfhaft zu Fäusten, Angst war in seinem Herzen. Das war ein Gefühl, daß ihn bis zum heutigen Tage höchstens gestreift hatte. Er hatte immer nur bei anderen beobachten können, zu was die Angst imstande war, was sie aus einem Mann machen konnte.
"Die Königin und ihre Verwandte... sie sind nie angekommen. Auch von der Eskorte, die die Königin begleitet hat fehlt jede Spur... es ist... einfach unerklärlich.", erzählte er weiter und blickte dann hilfesuchend zu Legolas. "König Aragorn bat mich, mit dieser Botschaft zu Prinz Legolas zu gehen und ihn um seine Hilfe zu bitten, um der alten Freundschaft Willen. Er weiß, daß er ein ausgezeichneter Fährtenleser ist und vielleicht etwas zur Aufklärung dieses... Verbrechens tun kann. Er hat nicht viele verläßliche Leute um sich, die er mit dieser Aufgabe betrauen will."
Amarayl, der königliche Berater, der links neben dem Thron stand, beugte sich zu Thranduil herunter und flüsterte mit vor Angst zitternder Stimme:
"Das andere Mädchen, von dem er spricht, kann nur meine Valshiya sein. Thranduil, du mußt jemanden schicken, wen auch immer. Du kannst sie nicht ihrem Schicksal überlassen."
Legolas hatte die Worte ebenfalls gehört. Er wußte, das sein Vater streng aber nicht hartherzig war. Er dachte schon daran, jemanden zu entsenden, jedoch kam ihm mit Sicherheit nicht in den Sinn, seinen Sohn, den er ja eigentlich an diesem Tage verheiratet sehen wollte, zu entsenden.
Vater und Sohn wechselten einen vielsagenden Blick, den aber niemand außer ihnen beiden verstehen konnte. Thranduil hätte ihm am liebsten verboten, den Boten zurück nach Gondor zu begleiten. In Legolas Augen konnte er jedoch Trotz lesen. Allerdings wußten beide, daß es nicht die richtige Zeit und auch nicht der richtige Ort war, um ihre Auseinandersetzung fortzusetzen oder gar auf die Spitze zu treiben.
Ein anderer Elb aus der großen Menge, die sich wegen der Hochzeit im Thronsaal versammelt hatte, trat hervor. Er trug eine herrschaftliche Robe aus dunkelrotem Samt, sein Haar war schwarz mit einem leichten Rotstich und seine Augen waren bernsteinfarben. Legolas konnte sich nicht an seinen Namen erinnern, doch er hatte das Gefühl, daß er ihn wissen müßte, denn das Gesicht kam ihm bekannt vor. Vor nicht allzu langer Zeit hatte er ihn noch gesehen. In Gedanken schalt er sich dafür, daß die Angst in der Lage war, ihn so sehr abzulenken, daß sein ansonsten gutes Gedächtnis für Namen und Gesichter ihn verließ.
"Mein König, vielleicht wäre auch ich in der Lage, diese Aufgabe zu erfüllen, denn bei der Verwandten, die die Königin besuchen wollte, handelt es sich schließlich um meine Schwester Valshiya. Schickt mich nach Gondor um dem König zu helfen." Legolas Hände umklammerten seinen Dolch, den er immer am Gürtel trug, selbst an dem Tag, an dem er heiraten sollte. Er verließ entschlossen das Podest, auf dem der Thron seines Vaters stand und stellte sich neben den anderen Elben.
"Es ist nicht nötig, daß ein anderer an meiner Stelle geht. Immerhin hat der König von Gondor ausdrücklich um meine Hilfe gebeten. Ich werde sofort heute losreiten."
Thranduil erhob sich und wollte gerade losbrüllen, doch Legolas unterbrach seinen Vater:
"Nein, sag nichts... andererseits, mach' mir ruhig eine Szene vor allen. Zeig' ihnen, daß Vater und Sohn miteinander im Streit liegen und eine große Meinungsverschiedenheit haben, doch es gibt nichts, was mich von meiner Entscheidung abbringen könnte."
Der hochgewachsene Elb neben ihm ließ ein verächtliches Schnauben hören. Legolas wandte langsam den Kopf und schaute ihm direkt in die wütend funkelnden Augen. Jetzt erinnerte er sich... dieser Blick... den hatte er schon einmal gesehen. Es war Tarawyn, Valshiyas Bruder. Amarayl legte eine Hand auf den Ärmel von Thranduils Gewand und sprach leise zu ihm. Thranduil nickte langsam, doch die Wut in seinen Augen war immer noch nicht völlig verschwunden.
"Dann geh, aber Tarawyn wird dich begleiten. Zwar sind die Augen eines Elben schon um vieles besser als die Augen von Menschen, doch vier Elbenaugen sehen noch besser."
Legolas ballte die Fäuste, bis seine Knöchel weiß hervortraten. Es fehlte nicht mehr viel und die aufgestaute Wut würde sich entladen. Doch da legte sich eine zarte, kühle Hand beruhigend auf seine Schulter und er wurde augenblicklich ruhiger. Alfiriel ging um die beiden stolzen Elben herum, schenkte ihrem Bruder ein zauberhaftes Lächeln und bedachte Tarawyn mit einem abschätzigen Blick.
"Vater, wenn du Tarawyn als Kindermädchen für Legolas mitschickst, dann werde ich ebenfalls mitgehen, um auf den Aufpasser aufzupassen.", sagte sie an ihren Vater gewandt.
Tarawyn machte einen Schritt nach vorne, gestikulierte wild mit den Händen und ereiferte sich:
"Eine Frau wird uns auf dem Weg nach Gondor nur aufhalten... "
"Bei dieser Frau handelt es sich immerhin um meine Tochter", unterbrach Thranduil ihn, setzte sich dann resigniert und trommelte nervös mit den Finger seiner rechten Hand auf die Lehne seines Stuhls ein," und im übrigen machen meine Kinder ohnehin nie das, was ich von ihnen erwarte."
*****
Etwas Dunkles... es erhob sich dort, wo einst Sauron seine Feste hatte. Aber es war finsterer, gefährlicher... viel mehr Unheil verheißender... es war zum Fürchten. Das absolute Ende. Legolas sah sich diesem übermächtigen Feind alleine gegenüber. Langsam näherte er sich Mordor. Wäre da nicht etwas, was ihn dazu brachte weiterzureiten, hätte er längst umgedreht und wäre geflohen. Dies schien eine Aufgabe zu sein, der er nicht gewachsen war. Nicht alleine... er brauchte seine alten Freunde. Doch um ihretwillen konnte er nicht auf sie warten. Um ihretwillen? Sie? Wer war Sie? Es ergab keinen Sinn. Aber er mußte sich dieser dunklen Gefahr stellen. Es war eine Probe... Schemenhaft sah er durch den dunklen Rauch jemanden auf sich zueilen. Eine weibliche Stimme rief verzweifelt seinen Namen. Hinter der schemenhaften Gestalt wurden Orks sichtbar, die sie hetzten. Jetzt mußte er schnell reagieren, um die unbekannte Frau zu retten. Er griff nach seinem Bogen... er war nicht da. Auch seine Dolche waren nicht dort, wo sie zu sein pflegten. Angst ergriff von seinem Herzen Besitz. Angst? Für mehr als 2.000 Jahre hatte er geglaubt, daß er dieses Gefühl nicht mehr kennt... nie wieder empfinden würde. Plötzlich spürte er etwas kaltes an seiner Kehle. Mit Entsetzen stellte er fest, daß es ein Dolch war. Eine heisere Stimme zischte ihm von hinten ins Ohr: "Ich will, daß du es siehst!" Der Dolch an seiner Kehle und die krallenbewehrte Hand an seiner Schulter machten ihn bewegungsunfähig. Aus dem Rauch tauchte eine zierliche Gestalt in einem dunkelroten Seidenkleid auf. Das Kleid hing ihr in Fetzen vom Leib. Die Orks hatten sie bald erreicht. Legolas sah schwarzes, langes Haar, einst mußte es glänzend gewesen sein. Er sah ein zerschundenes Gesicht und aus diesem schauten ihm zwei grüne Augen entgegen. Sie flehten ihn um Hilfe an, doch er war selbst hilflos. Die Orks hatten das Mädchen erreicht und warfen es zu Boden. Einer nach dem anderen fiel über sie her, schlugen sie, vergewaltigten sie... er ballte die Hände zu Fäusten und wollte die Augen schließen, um es nicht zu sehen... Die Krallenhand faßte in sein Haar, riß seinen Kopf hoch und brüllte: "Du sollst hinsehen!" Der Dolch an seiner Kehle hinterließ eine blutige Spur. Es dauerte Sekunden, Minuten... Zeit hatte plötzlich keine Bedeutung mehr. Verzweifelt wehrte sich Legolas, trotz der Schmerzen, die ihm der Dolch verursachte, gegen seinen Peiniger. Dann ließen die Orks von dem Mädchen ab. Sie lösten sich förmlich in Nichts auf. Gebrochene grüne Augen blickten ihn anklagend an... alles in ihm sehnte sich danach, den Todesstoß von Krallenhand versetzt zu bekommen, doch dieser kam nicht. Mit einem verzweifelten Schrei brach Legolas zusammen....
*****
Mit einem lauten Schrei wachte er auf. Eiskalter Schweiß rann ihm den Rücken herab und er rang nach Atem. Er schloß die Augen und verbarg sein Gesicht in den Händen. Was für ein fürchterlicher Alptraum. Er konnte sich nicht erinnern, daß er jemals so schreckliche Träume gehabt hatte. In all den Jahren nicht. Er warf die schweißnassen Laken beiseite und stand auf. Er brauchte jetzt Bewegung und frische Luft. Er wollte jetzt nicht darüber nachdenken, was dieser Traum bedeuten könnte, er verdrängte es einfach. Er nahm eine kunstvoll verzierte Karaffe von dem Beistelltisch neben seinem Bett und goß sich Wasser in einen Becher. Seine Kehle fühlte sich an wie ausgedorrt und so leerte er den Becher in einem Zug. Er zog sich seine Hose an und ging dann zum Balkon, der an sein Schlafzimmer angrenzte. Sein Blick wanderte zu den Sternen, als suchte er bei ihnen eine Antwort darauf, was sein Traum bedeuten könnte. Er fürchtete, daß er etwas mit Valshiya zu tun haben könnte, doch er schob diesen Gedanken, der sich so unerwünscht in seinen Kopf geschlichen hatte, beiseite. Es war weit nach Mitternacht und eigentlich sollte er schlafen. Morgen früh... nein, heute früh würde er, begleitet von seiner Schwester Alfiriel und Valshiyas Bruder Tarawyn nach Gondor reiten um seinem Freund Aragorn zur Seite zu stehen. Der Weg von Düsterwald nach Gondor wurde von einem Menschen innerhalb von vier, im Falle des Boten Logal sogar in drei Tagen bewältigt. Aber Menschen brauchten Schlaf. Ein ausgeruhter Elb konnte den Weg in der Hälfte der Zeit bewältigen. Doch, wenn Legolas sich die Nacht mit finsteren Gedanken um die Ohren schlug, dann würde er doch länger für den Weg brauchen.
Alfiriel betrat das Zimmer ihres Bruders. Sein gequälter Schrei hatte ihn geweckt und sie ahnte, daß ihn schlechte Träume geplagt haben mußten. Alfiriel machte sich Sorgen um Legolas. Sie liebte ihren älteren Bruder von allen Familienmitgliedern - und das waren nicht wenige - am meisten. Sie konnte es nicht ertragen, wenn er litt und das war momentan der Fall, auch wenn ihm selbst noch nicht ganz klar war warum das so war. Er war nun einmal ein Mann und der Verstand eines Mannes - ob Elb, Mensch, Zwerg oder was auch immer - sah eben nicht so schnell, was sein Herz schon lange weiß. Sie hatte das Bett ihres Bruders erreicht. Alfiriel berührte die zerwühlten Laken und lächelte traurig. Allem Anschein nach hatte Legolas wirklich einen schlimmen Alptraum gehabt. Sie entdeckte ihn auf dem Balkon. Er saß, mit dem Rücken an die Wand gelehnt auf der Brüstung und schaute zu den Sternen hinauf. Das Mondlicht ließ die glatte Haut seines Oberkörpers heller erscheinen und sein langes, blondes Haar glänzte wie aus Sternenlicht gewoben. Alfiriel legte den Kopf schief und beobachtete ihn eine Weile. Ihr Bruder war einer der schönsten Männer, die sie kannte. Derjenige, den sie einmal erwählen würde, mußte wenigstens an ihn heranreichen, wenn er ihm schon nicht das Wasser würde reichen können. Aus diesem Grund fand sie ihn auch zu schade für eine Elbe wie Riona, egal welche berühmten Namen auch in ihrem Stammbaum vorkamen. Legolas war einfach zu wertvoll für sie. Schade nur, daß ein Mann wie er förmlich zu seinem Glück gezwungen werden mußte.
"Hast du dich um mich gesorgt, Firiel?", fragte er leise und seine Stimme klang dabei unglaublich traurig. Alfiriel wunderte sich nicht, ihr war klar, daß er sie längst gehört hatte.
"Ein wenig, ja. Ich habe dich gehört. Du hast sehr laut gesprochen.", antwortete sie.
"Ich habe nicht gut geträumt aber es ist nichts. Vielleicht bin ich nur aufgeregt wegen der Reise.", log er.
Alfiriel lachte:
"Aufgeregt? Du? Oh Legolas, mach dir nicht selbst etwas vor. Im übrigen: Jeder andere würde dir das vielleicht glauben aber ich... ich kenne dich einfach zu gut."
Sie setzte sich vor ihn auf die Brüstung und sah ihm tief in die graublauen Augen. Dann fuhr sie ein wenig sanfter fort:
"Es gibt in deiner Familie immer noch jemanden, dem du vertrauen kannst und der dich versteht. Auch wenn du lange fort warst, hat sich an meiner Loyalität nichts geändert. Schließlich warst auch du immer für mich da, wenn mich schlechte Täume heimgesucht haben. Finlass ist lediglich verbohrter geworden. Er neidet dir immer noch, daß du der ältere bist. Daß du Vaters Erbe bist, hat niemals zwischen uns gestanden. Du mußt mir nicht sagen, was dich quält. Es ist immer schwerer über so etwas zu sprechen. Du wirst es schon tun, wenn du meinst, daß die Zeit reif dafür ist."
Legolas sah seine Schwester dankbar an. Ihm war klar, daß sie längst wußte, was ihn nicht ruhig schlafen ließ. Er beugte sich vor und schloß Alfiriel in seine Arme. Er war froh, daß sie auf dem Weg nach Gondor an seiner Seite sein würde. Sie blieben auf dem Balkon sitzen, bis es im Osten schon wieder dämmerte, doch über den Traum sprachen sie kein einziges Wort mehr.
Es war der Tag, an dem Legolas heiraten sollte. Kein schöner Tag also, egal, wie sehr die Sonne auch strahlte. Egal, wie sehr sich die anderen bemühten, so zu tun, als sei es ein Freudentag.
Legolas hatte Frodo und die anderen gebeten, an diesem Tag auf jeden Fall seine Gäste zu sein. Es war gut, wenn man an dem Tag, den man selbst ganz weit weg wünschte, zumindest ein paar gute Freunde bei sich hatte. Frodo allerdings war, seit dem er ihn an diesem einen Abend im Garten getroffen hatte, immer sehr kurz angebunden gewesen. Legolas fragte sich, was es war, das sein Hobbitfreund ihm übel nahm. Nach seiner Vorstellung hatte er nichts falsch gemacht. Was hätte er denn auch tun sollen? Hätte er Valshiya wirklich hinterherlaufen und damit womöglich alles nur noch schlimmer machen sollen?
Sam saß in einem hohen Lehnsessel in Legolas' Zimmer, während dieser sich quälend langsam ankleidete. Der Stuhl, auf dem Frodos Gärtner saß, war so groß, daß seine Beine in der Luft baumelten, doch das störte ihn nicht weiter, denn er hatte es zumindest bequem im Rücken. Er hatte Legolas erzählt, daß seine Verlobte Rosie Hüttinger ihn mit einer Bitte zu ihm geschickt hatte.
"Es geht um einen Gefallen, um den ich dich im Namen meiner lieben Verlobten Rosie, bitten soll.", sagte Sam fröhlich.
"Sprich's nur aus.", forderte Legolas ihn auf.
Sam rutschte ein wenig unsicher auf dem Sessel herum und erklärte dann:
"Sie würde so gerne eines der Blumenmädchen auf deiner Hochzeit sein. Ich weiß nicht, ob ihr das bei den Elben kennt aber es gibt im Auenland den Brauch, das vor dem Brautpaar zwei oder mehr Jungfrauen vornweg gehen, die Blumen auf den Weg streuen. Sie findet das alles sehr romantisch. Sie hat sich sogar eigens für diesen Anlaß ein schönes Kleid schneidern lassen."
"Das ist eine Bitte, die ich ihr selbstverständlich gerne erfüllen würde, wenn es in meiner Hand läge, doch alles was das Fest angeht, wurde von der Familie meiner Braut arrangiert. Ich denke nicht, daß sie es erlauben würden.", erklärte Legolas.
Sam seufzte und erwiderte:
"Oh, da wird Rosie aber traurig sein. Aber wir haben ja noch eine zweite Bitte und die kannst du uns unmöglich ausschlagen. Rosie freute sich so sehr, Elben kennenzulernen, daß sie sich jetzt in den Kopf gesetzt hat, einen als Trauzeugen zu haben."
Legolas lächelte. Das war ein Wunsch, den er Sam leicht erfüllen konnte. Außerdem kam er so weg aus Düsterwald, weg von seiner Braut und von seiner Familie.
"Ja, das mache ich sehr gerne."
Finlass trat ohne anzuklopfen ein.
"Es wird Zeit, Legolas.", sagte er emotionslos.
Legolas warf seinem jüngeren Bruder einen bösen Blick zu. Er hatte die Auseinandersetzung im Pferdestall noch nicht vergessen. Im übrigen hatte er das Gefühl, das Finlass zu Vater hielt und alle seine Entscheidungen akzeptierte. Es mußte ihn insgeheim sehr freuen, daß Legolas nicht glücklich war. Er war schon immer neidisch auf den älteren Bruder gewesen.
"Schickt Vater dich, um auf mich aufzupassen? Hat er Angst, daß ich vor der Hochzeit fortlaufe?". Er trat auf seinen jüngeren Bruder zu und tippte ihn mit dem Zeigefinger auf die Brust.
Sein Kopf fuhr vor, so daß sein Gesicht nur noch einen Fingerbreit von dem Gesicht seines Bruders entfernt war. Ein verräterisches Blinzeln seiner Augen zeigte, wie sehr dieser sich erschrocken hatte. Schön! Schließlich sollte er nicht den Respekt vor Legolas verlieren.
"Weißt Du," zischte Legolas, "es gab einige Momente, da habe ich wirklich daran gedacht! Dann hätte Vater ja dich mit Riona verheiraten können. Dir würde es ja anscheinend nichts ausmachen."
Finlass zog skeptisch die rechte Augenbraue hoch. Auch ihm gefiel der Gedanke nicht, mit Riona den Bund einzugehen. Legolas legte es auf einen Streit mit seinem Bruder an. Doch als Finlass keine weitere Reaktion zeigte, stieß er ihn fort.
"Vergiß es! Laß uns jetzt einfach gehen. Ich will es hinter mich bringen. Vielleicht ist Vater dann endlich zufrieden."
Er sagte das so leicht daher, als würde es wirklich nur ein ganz besonders unangenehmer Punkt auf seiner Tagesordnung sein, den es möglichst schnell abzuhaken galt. Allerdings war ihm vielmehr danach, sich mit Händen und Füßen gegen den Gang zur großen Halle zu wehren, sich einfach umzudrehen und tatsächlich fortzulaufen. Vielleicht sollte er nach Gondor gehen. Aragorn hatte sicher noch einen Platz für einen elbischen Bogenschützen in seinen Reihen. Beinahe mußte er über sich selbst lachen. Das wäre doch einmal etwas anderes: Legolas, der Ausreißer, nicht mehr Legolas, der Elbenprinz.
Die Brüder traten auf den Gang hinaus, gefolgt von Sam. Auf der anderen Seite des Ganges steckte gerade Pippin seine Nase aus einem der Gästezimmer. Er drehte sich um und rief den anderen zu:
"Ich glaube, es geht los. Kommt!"
Die Tür wurde geöffnet und Pippin, gefolgt von Merry und Frodo schlossen sich dem Zug an. Vor ihnen in dem Gang erklangen plötzlich hastige Schritte. Es war Alfiriel, die ihre lavendelfarbenen Gewänder gerafft hatte, um schneller laufen zu können.
"Legolas, Vater schickt mich. Die Hochzeit muß verschoben werden. Es ist vor wenigen Minuten ein Bote aus Gondor angekommen. Er sagt, was er zu berichten hat, erfordert deine unbedingte Anwesenheit." teilte sie ihm völlig außer Atem mit.
Legolas atmete erleichtert auf. Vielleicht würde ihm das alles ja doch noch erspart bleiben. Hinter ihm hörte er Finlass sagen:
"Aufgeschoben ist nicht aufgehoben, lieber Bruder!"
Legolas drehte sich zu ihm um und wollte etwas sagen, überlegte es sich dann doch anders, weil ihm sein Atem zu schade war.
"Ich komme sofort!", sagte er stattdessen an Alfiriel gewandt.
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Der Bote war von dem scharfen Ritt vollkommen erschöpft. Zwei Wächter Thranduils mußten ihn stützen als er vor den Thron des Waldelbenkönigs trat.
"König unter Eichen und Buchen", sagte der Bote und benutzte damit die korrekte Anrede Thranduils, "es tut mir leid, daß ich eure Feierlichkeiten stören muß, doch die Nachricht, die ich euch von König Aragorn von Gondor zu überbringen habe, duldet keinen Aufschub."
Legolas, der rechts neben dem Thron seines Vaters stand, war sehr unruhig und wollte die dringende Nachricht Aragorns unbedingt hören, doch er mußte warten, bis Thranduil dem Boten, Logal war sein Name, das Wort erteilte.
"So sprecht, was unser Freund, der König von Gondor, uns mitzuteilen hat." Am liebsten wäre Legolas seinem Vater ins Wort gefallen und hätte ihn aufgefordert, die Förmlichkeiten beiseite zu lassen.
"Nun," begann Logal stockend, "es ist so, daß Königin Arwen vor einigen Tagen vermutlich entführt wurde. Es ist jetzt drei Tage her. Ich bin noch am selben Tag an dem wir davon Kenntnis erlangten losgeritten. Sie ritt einer Reisegesellschaft entgegen, die von hier aus aufgebrochen war, sie wollte eine Verwandte von sich empfangen, die auf dem Weg zu ihr war."
Legolas war klar, daß er nur Valshiya meinen konnte. Seine Hände ballten sich krampfhaft zu Fäusten, Angst war in seinem Herzen. Das war ein Gefühl, daß ihn bis zum heutigen Tage höchstens gestreift hatte. Er hatte immer nur bei anderen beobachten können, zu was die Angst imstande war, was sie aus einem Mann machen konnte.
"Die Königin und ihre Verwandte... sie sind nie angekommen. Auch von der Eskorte, die die Königin begleitet hat fehlt jede Spur... es ist... einfach unerklärlich.", erzählte er weiter und blickte dann hilfesuchend zu Legolas. "König Aragorn bat mich, mit dieser Botschaft zu Prinz Legolas zu gehen und ihn um seine Hilfe zu bitten, um der alten Freundschaft Willen. Er weiß, daß er ein ausgezeichneter Fährtenleser ist und vielleicht etwas zur Aufklärung dieses... Verbrechens tun kann. Er hat nicht viele verläßliche Leute um sich, die er mit dieser Aufgabe betrauen will."
Amarayl, der königliche Berater, der links neben dem Thron stand, beugte sich zu Thranduil herunter und flüsterte mit vor Angst zitternder Stimme:
"Das andere Mädchen, von dem er spricht, kann nur meine Valshiya sein. Thranduil, du mußt jemanden schicken, wen auch immer. Du kannst sie nicht ihrem Schicksal überlassen."
Legolas hatte die Worte ebenfalls gehört. Er wußte, das sein Vater streng aber nicht hartherzig war. Er dachte schon daran, jemanden zu entsenden, jedoch kam ihm mit Sicherheit nicht in den Sinn, seinen Sohn, den er ja eigentlich an diesem Tage verheiratet sehen wollte, zu entsenden.
Vater und Sohn wechselten einen vielsagenden Blick, den aber niemand außer ihnen beiden verstehen konnte. Thranduil hätte ihm am liebsten verboten, den Boten zurück nach Gondor zu begleiten. In Legolas Augen konnte er jedoch Trotz lesen. Allerdings wußten beide, daß es nicht die richtige Zeit und auch nicht der richtige Ort war, um ihre Auseinandersetzung fortzusetzen oder gar auf die Spitze zu treiben.
Ein anderer Elb aus der großen Menge, die sich wegen der Hochzeit im Thronsaal versammelt hatte, trat hervor. Er trug eine herrschaftliche Robe aus dunkelrotem Samt, sein Haar war schwarz mit einem leichten Rotstich und seine Augen waren bernsteinfarben. Legolas konnte sich nicht an seinen Namen erinnern, doch er hatte das Gefühl, daß er ihn wissen müßte, denn das Gesicht kam ihm bekannt vor. Vor nicht allzu langer Zeit hatte er ihn noch gesehen. In Gedanken schalt er sich dafür, daß die Angst in der Lage war, ihn so sehr abzulenken, daß sein ansonsten gutes Gedächtnis für Namen und Gesichter ihn verließ.
"Mein König, vielleicht wäre auch ich in der Lage, diese Aufgabe zu erfüllen, denn bei der Verwandten, die die Königin besuchen wollte, handelt es sich schließlich um meine Schwester Valshiya. Schickt mich nach Gondor um dem König zu helfen." Legolas Hände umklammerten seinen Dolch, den er immer am Gürtel trug, selbst an dem Tag, an dem er heiraten sollte. Er verließ entschlossen das Podest, auf dem der Thron seines Vaters stand und stellte sich neben den anderen Elben.
"Es ist nicht nötig, daß ein anderer an meiner Stelle geht. Immerhin hat der König von Gondor ausdrücklich um meine Hilfe gebeten. Ich werde sofort heute losreiten."
Thranduil erhob sich und wollte gerade losbrüllen, doch Legolas unterbrach seinen Vater:
"Nein, sag nichts... andererseits, mach' mir ruhig eine Szene vor allen. Zeig' ihnen, daß Vater und Sohn miteinander im Streit liegen und eine große Meinungsverschiedenheit haben, doch es gibt nichts, was mich von meiner Entscheidung abbringen könnte."
Der hochgewachsene Elb neben ihm ließ ein verächtliches Schnauben hören. Legolas wandte langsam den Kopf und schaute ihm direkt in die wütend funkelnden Augen. Jetzt erinnerte er sich... dieser Blick... den hatte er schon einmal gesehen. Es war Tarawyn, Valshiyas Bruder. Amarayl legte eine Hand auf den Ärmel von Thranduils Gewand und sprach leise zu ihm. Thranduil nickte langsam, doch die Wut in seinen Augen war immer noch nicht völlig verschwunden.
"Dann geh, aber Tarawyn wird dich begleiten. Zwar sind die Augen eines Elben schon um vieles besser als die Augen von Menschen, doch vier Elbenaugen sehen noch besser."
Legolas ballte die Fäuste, bis seine Knöchel weiß hervortraten. Es fehlte nicht mehr viel und die aufgestaute Wut würde sich entladen. Doch da legte sich eine zarte, kühle Hand beruhigend auf seine Schulter und er wurde augenblicklich ruhiger. Alfiriel ging um die beiden stolzen Elben herum, schenkte ihrem Bruder ein zauberhaftes Lächeln und bedachte Tarawyn mit einem abschätzigen Blick.
"Vater, wenn du Tarawyn als Kindermädchen für Legolas mitschickst, dann werde ich ebenfalls mitgehen, um auf den Aufpasser aufzupassen.", sagte sie an ihren Vater gewandt.
Tarawyn machte einen Schritt nach vorne, gestikulierte wild mit den Händen und ereiferte sich:
"Eine Frau wird uns auf dem Weg nach Gondor nur aufhalten... "
"Bei dieser Frau handelt es sich immerhin um meine Tochter", unterbrach Thranduil ihn, setzte sich dann resigniert und trommelte nervös mit den Finger seiner rechten Hand auf die Lehne seines Stuhls ein," und im übrigen machen meine Kinder ohnehin nie das, was ich von ihnen erwarte."
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Etwas Dunkles... es erhob sich dort, wo einst Sauron seine Feste hatte. Aber es war finsterer, gefährlicher... viel mehr Unheil verheißender... es war zum Fürchten. Das absolute Ende. Legolas sah sich diesem übermächtigen Feind alleine gegenüber. Langsam näherte er sich Mordor. Wäre da nicht etwas, was ihn dazu brachte weiterzureiten, hätte er längst umgedreht und wäre geflohen. Dies schien eine Aufgabe zu sein, der er nicht gewachsen war. Nicht alleine... er brauchte seine alten Freunde. Doch um ihretwillen konnte er nicht auf sie warten. Um ihretwillen? Sie? Wer war Sie? Es ergab keinen Sinn. Aber er mußte sich dieser dunklen Gefahr stellen. Es war eine Probe... Schemenhaft sah er durch den dunklen Rauch jemanden auf sich zueilen. Eine weibliche Stimme rief verzweifelt seinen Namen. Hinter der schemenhaften Gestalt wurden Orks sichtbar, die sie hetzten. Jetzt mußte er schnell reagieren, um die unbekannte Frau zu retten. Er griff nach seinem Bogen... er war nicht da. Auch seine Dolche waren nicht dort, wo sie zu sein pflegten. Angst ergriff von seinem Herzen Besitz. Angst? Für mehr als 2.000 Jahre hatte er geglaubt, daß er dieses Gefühl nicht mehr kennt... nie wieder empfinden würde. Plötzlich spürte er etwas kaltes an seiner Kehle. Mit Entsetzen stellte er fest, daß es ein Dolch war. Eine heisere Stimme zischte ihm von hinten ins Ohr: "Ich will, daß du es siehst!" Der Dolch an seiner Kehle und die krallenbewehrte Hand an seiner Schulter machten ihn bewegungsunfähig. Aus dem Rauch tauchte eine zierliche Gestalt in einem dunkelroten Seidenkleid auf. Das Kleid hing ihr in Fetzen vom Leib. Die Orks hatten sie bald erreicht. Legolas sah schwarzes, langes Haar, einst mußte es glänzend gewesen sein. Er sah ein zerschundenes Gesicht und aus diesem schauten ihm zwei grüne Augen entgegen. Sie flehten ihn um Hilfe an, doch er war selbst hilflos. Die Orks hatten das Mädchen erreicht und warfen es zu Boden. Einer nach dem anderen fiel über sie her, schlugen sie, vergewaltigten sie... er ballte die Hände zu Fäusten und wollte die Augen schließen, um es nicht zu sehen... Die Krallenhand faßte in sein Haar, riß seinen Kopf hoch und brüllte: "Du sollst hinsehen!" Der Dolch an seiner Kehle hinterließ eine blutige Spur. Es dauerte Sekunden, Minuten... Zeit hatte plötzlich keine Bedeutung mehr. Verzweifelt wehrte sich Legolas, trotz der Schmerzen, die ihm der Dolch verursachte, gegen seinen Peiniger. Dann ließen die Orks von dem Mädchen ab. Sie lösten sich förmlich in Nichts auf. Gebrochene grüne Augen blickten ihn anklagend an... alles in ihm sehnte sich danach, den Todesstoß von Krallenhand versetzt zu bekommen, doch dieser kam nicht. Mit einem verzweifelten Schrei brach Legolas zusammen....
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Mit einem lauten Schrei wachte er auf. Eiskalter Schweiß rann ihm den Rücken herab und er rang nach Atem. Er schloß die Augen und verbarg sein Gesicht in den Händen. Was für ein fürchterlicher Alptraum. Er konnte sich nicht erinnern, daß er jemals so schreckliche Träume gehabt hatte. In all den Jahren nicht. Er warf die schweißnassen Laken beiseite und stand auf. Er brauchte jetzt Bewegung und frische Luft. Er wollte jetzt nicht darüber nachdenken, was dieser Traum bedeuten könnte, er verdrängte es einfach. Er nahm eine kunstvoll verzierte Karaffe von dem Beistelltisch neben seinem Bett und goß sich Wasser in einen Becher. Seine Kehle fühlte sich an wie ausgedorrt und so leerte er den Becher in einem Zug. Er zog sich seine Hose an und ging dann zum Balkon, der an sein Schlafzimmer angrenzte. Sein Blick wanderte zu den Sternen, als suchte er bei ihnen eine Antwort darauf, was sein Traum bedeuten könnte. Er fürchtete, daß er etwas mit Valshiya zu tun haben könnte, doch er schob diesen Gedanken, der sich so unerwünscht in seinen Kopf geschlichen hatte, beiseite. Es war weit nach Mitternacht und eigentlich sollte er schlafen. Morgen früh... nein, heute früh würde er, begleitet von seiner Schwester Alfiriel und Valshiyas Bruder Tarawyn nach Gondor reiten um seinem Freund Aragorn zur Seite zu stehen. Der Weg von Düsterwald nach Gondor wurde von einem Menschen innerhalb von vier, im Falle des Boten Logal sogar in drei Tagen bewältigt. Aber Menschen brauchten Schlaf. Ein ausgeruhter Elb konnte den Weg in der Hälfte der Zeit bewältigen. Doch, wenn Legolas sich die Nacht mit finsteren Gedanken um die Ohren schlug, dann würde er doch länger für den Weg brauchen.
Alfiriel betrat das Zimmer ihres Bruders. Sein gequälter Schrei hatte ihn geweckt und sie ahnte, daß ihn schlechte Träume geplagt haben mußten. Alfiriel machte sich Sorgen um Legolas. Sie liebte ihren älteren Bruder von allen Familienmitgliedern - und das waren nicht wenige - am meisten. Sie konnte es nicht ertragen, wenn er litt und das war momentan der Fall, auch wenn ihm selbst noch nicht ganz klar war warum das so war. Er war nun einmal ein Mann und der Verstand eines Mannes - ob Elb, Mensch, Zwerg oder was auch immer - sah eben nicht so schnell, was sein Herz schon lange weiß. Sie hatte das Bett ihres Bruders erreicht. Alfiriel berührte die zerwühlten Laken und lächelte traurig. Allem Anschein nach hatte Legolas wirklich einen schlimmen Alptraum gehabt. Sie entdeckte ihn auf dem Balkon. Er saß, mit dem Rücken an die Wand gelehnt auf der Brüstung und schaute zu den Sternen hinauf. Das Mondlicht ließ die glatte Haut seines Oberkörpers heller erscheinen und sein langes, blondes Haar glänzte wie aus Sternenlicht gewoben. Alfiriel legte den Kopf schief und beobachtete ihn eine Weile. Ihr Bruder war einer der schönsten Männer, die sie kannte. Derjenige, den sie einmal erwählen würde, mußte wenigstens an ihn heranreichen, wenn er ihm schon nicht das Wasser würde reichen können. Aus diesem Grund fand sie ihn auch zu schade für eine Elbe wie Riona, egal welche berühmten Namen auch in ihrem Stammbaum vorkamen. Legolas war einfach zu wertvoll für sie. Schade nur, daß ein Mann wie er förmlich zu seinem Glück gezwungen werden mußte.
"Hast du dich um mich gesorgt, Firiel?", fragte er leise und seine Stimme klang dabei unglaublich traurig. Alfiriel wunderte sich nicht, ihr war klar, daß er sie längst gehört hatte.
"Ein wenig, ja. Ich habe dich gehört. Du hast sehr laut gesprochen.", antwortete sie.
"Ich habe nicht gut geträumt aber es ist nichts. Vielleicht bin ich nur aufgeregt wegen der Reise.", log er.
Alfiriel lachte:
"Aufgeregt? Du? Oh Legolas, mach dir nicht selbst etwas vor. Im übrigen: Jeder andere würde dir das vielleicht glauben aber ich... ich kenne dich einfach zu gut."
Sie setzte sich vor ihn auf die Brüstung und sah ihm tief in die graublauen Augen. Dann fuhr sie ein wenig sanfter fort:
"Es gibt in deiner Familie immer noch jemanden, dem du vertrauen kannst und der dich versteht. Auch wenn du lange fort warst, hat sich an meiner Loyalität nichts geändert. Schließlich warst auch du immer für mich da, wenn mich schlechte Täume heimgesucht haben. Finlass ist lediglich verbohrter geworden. Er neidet dir immer noch, daß du der ältere bist. Daß du Vaters Erbe bist, hat niemals zwischen uns gestanden. Du mußt mir nicht sagen, was dich quält. Es ist immer schwerer über so etwas zu sprechen. Du wirst es schon tun, wenn du meinst, daß die Zeit reif dafür ist."
Legolas sah seine Schwester dankbar an. Ihm war klar, daß sie längst wußte, was ihn nicht ruhig schlafen ließ. Er beugte sich vor und schloß Alfiriel in seine Arme. Er war froh, daß sie auf dem Weg nach Gondor an seiner Seite sein würde. Sie blieben auf dem Balkon sitzen, bis es im Osten schon wieder dämmerte, doch über den Traum sprachen sie kein einziges Wort mehr.
