Ich möchte dieses Kapitel einer lieben Freundin widmen, die ich über
FanFic.net kennengelernt habe. Sie wird schon wissen, dass ich sie meine.
Ich möchte ihr auf diesem Wege noch einmal mitteilen, dass ich nun auch
weiss, wie schwer es ist zu schreiben, wenn man eine absolute
Schreibblockade hat (könnte sein, daß dieses Unwort am Ende noch zu meinem
Lieblingswort wird!).
Also: Nix für ungut! Dieses Kapitel ist schlecht!
5. Der Weg nach Gondor
Legolas hatte sich nicht von seinem Vater verabschiedet. Die Kluft zwischen den beiden war inzwischen viel zu gross geworden. Legolas hatte lange überlegt, was er hätte sagen können, doch er war letztendlich zu dem Ergebnis gekommen, daß er - zumindest für den Moment - Thranduil einfach nichts zu sagen hatte. Es betrübte ihn, denn er hatte sich immer gut mit seinem Vater verstanden. Niemals hatten sie eine derartige Meinungsverschiedenheit miteinander gehabt. Was ihn beruhigte war, dass sie beide nicht die Art von Männern waren, die Probleme damit hatten, über ihren eigenen Schatten zu springen. Es würde auch wieder eine Zeit kommen, in der sie sich besser verstanden.
Alfiriel hatte sich hingegen verabschiedet. Er wusste nicht, was sie zu Vater gesagt hatte aber es hatte bewirkt, dass er der kleinen Reisegruppe von seinem Balkon aus zumindest hinterhergeschaut hatte. Leider waren sie schon zu weit fort gewesen, als dass Legolas seinen Gesichtsausdruck hätte erkennen können. Ein sanftes Lächeln schlich sich auf sein Gesicht, als er an seine Schwester dachte, die in diesem Moment neben ihm ritt, und er schaute sie verstohlen von der Seite an. Natürlich bemerkte sie es. Sie lächelte zurück und sagte leise, so dass Tarawyn es nicht hören konnte:
"So, Lai, jetzt bringen wir endlich Licht in diese Angelegenheit. Das ist im Moment doch dein dringlichster Wunsch."
Legolas horchte auf, als sie den Kosenamen aus Kindertagen benutzte. So hatte Alfiriel ihn genannt, als sie noch ganz jung gewesen war. Lai, das leitete sich von der korrekten Sindar-Form seines Namens - Laiqalasse - ab.
Sie schlossen langsam zu Tarawyn auf. Er schaute schon den ganzen Morgen finster drein. Offensichtlich hatte er allerdings in der Nacht zuvor ebenso wenig Schlaf gehabt wie Alfiriel und Legolas.
"Ich kann immer noch nicht verstehen, wieso ihr das nicht mir überlasst, Prinz. Valshiya ist immerhin meine Schwester und ihr solltet inzwischen längst mit einer anderen verheiratet sein.", murrte Tarawyn.
Unwillkürlich fuhr Legolas Hand zu seinem Schwert, dass er diesmal anstatt seiner zwei Dolche mit sich führte. Das kühle Mithril, aus dem das Schwert gefertigt war, gab ihm ein beruhigendes Gefühl. Im selben Augenblick schalt er sich selbst dafür, dass er sich von der düsteren Stimmung von Valshiyas Bruder aus der Ruhe bringen ließ. Er hätte sich jetzt stundenlang rechtfertigen können und er wäre immer noch nicht überzeugt, dass Legolas gehen musste. Zwar machte er sich natürlich auch Sorgen um Valshiya, doch wenn ein guter Freund von ihm seine Hilfe benötigte, konnte er nicht seelenruhig zu Hause bleiben und anstatt seiner einen anderen schicken. Legolas fragte sich, ob Tarawyn das verstehen würde.
"Tarawyn, es geht euch einfach nichts an, welche Motive ich habe.", erwiderte er.
Alfiriel, die spürte, das die Stimmung zwischen den beiden Männern nicht die allerbeste war, mischte sich ein:
"Tut mir einen Gefallen und streitet wenigstens nicht, bis wir Gondor erreichen. Ist das zu viel verlangt?"
Tarawyn schnaubte verächtlich. Aber die Zurechtweisung der Prinzessin tat dennoch ihre Wirkung. Alfiriel war schon immer gut darin gewesen, Frieden zu stiften.
Der erste Tag auf dem Weg nach Gondor neigte sich seinem Ende zu. Legolas war unzufrieden, denn er war der Meinung, dass sie schon viel weiter hätten kommen können. Er konnte nicht abstreiten, dass ihn der Traum, den er in der Nacht vor der Abreise gehabt hatte, unruhig machte. Du musst viel ruhiger werden und dich nicht so unelbisch benehmen, sagte er sich, es war doch nur ein Traum. Er sattelte Dywaith ab und bereitete sein Lager.
"Denkst du, dass wir ein Lagerfeuer machen können? Es wird nachts doch schon sehr kühl. Der Winter wird dieses Jahr früher kommen als sonst.", sagte Alfiriel und rieb sich fröstelnd die Arme.
Legolas nickte und erwiderte:
"Ich denke schon, dass wir ein Feuer riskieren können. Die Wälder sind jetzt sicher. Es würde niemand durch ein Lagerfeuer angelockt werden."
Bist du dir sicher, Bruder, dachte Alfiriel, wer hat dann die Königin und Valshiya entführt und vor allen Dingen: warum? Sie drehte sich um und rief nach Tarawyn, der ebenfalls damit beschäftigt war, sein Pferd abzusatteln. Sie bat ihn, Reisig für das Lagerfeuer sammeln zu gehen. Es machte sie stutzig, dass er diese Aufgabe ohne ein einziges Widerwort übernahm. Verwundert schüttelte sie den Kopf.
Legolas bereitete eine Feuerstelle vor. Dann setzte er sich nieder und hing wieder seinen Gedanken nach. Es begann zu dämmern und im Osten gingen langsam die ersten Sterne auf. Alfiriel warf Legolas einen nachdenklichen Blick zu. Dann seufzte sie leise und stand auf. Legolas beobachtete sie, wie sie auf der Lichtung erst in die eine, dann in die andere Richtung lief und dabei in die Stille hinein lauschte. Sie sah verwirrt aus.
"Was ist denn, Firiel?", fragte er seine Schwester schliesslich. "Du bist so nervös und das ist gar nicht deine Art."
"Tarawyn müsste schon längst wieder hier sein.", murmelte sie, "Ich habe ein ungutes Gefühl aber wahrscheinlich ist es nichts. Ich weiss auch nicht, worauf sich dieses Gefühl bezieht."
"Du bist magisch begabt!", entfuhr es Legolas. "Wenn du sagst, du hast ein ungutes Gefühl, dann wird mir jedenfalls schon eigenartig zumute."
Das stimmte. Alfiriel war tatsächlich eine Elbenmagierin, jedoch längst nicht so mächtig wie Galadriel aus Lothlorien, weil ihr die Erfahrung fehlte. Die junge Elbe winkte ab und erklärte:
"Es ist nichts! Sicher fühlte ich nur den Sturm, der sich nähert."
Legolas nickte. Den aufziehenden Sturm hatte er auch gespürt, dazu allerdings musste man keine magischen Fähigkeiten haben. Kurz darauf kam auch Tarawyn zurück, den Arm voller Holz für das Lagerfeuer. Er schichtete das Holz in der vorbereiteten Feuerstelle auf. Legolas kniete sich nieder um das Feuer zu entfachen, als ein kleiner Blitz zwischen die Holzscheite fuhr und diese knisternd entzündeten. Legolas war hastig zurückgewichen, ansonsten wäre sein langes Haar angesengt worden, und schnappte erschrocken nach Luft.
"Ups", hörte er seine Schwester sagen, "vielleicht hätte ich dich warnen sollen. Andererseits: Ich habe dir ja gesagt, ich zahle es dir heim, wenn du gar nicht mehr daran denkst. Du weisst, was ich meine."
Alfiriel presste sich die Hand vor den Mund, um ein Kichern zu unterdrücken. Legolas hasste es, wenn sie ihre Magie für solche Dinge verwendete.
"Mach das.... nie... nie wieder!", brachte er stossweise hervor.
Alfiriel zuckte nur mit den Schultern.
Der Himmel verdunkelte sich sehr schnell. Der Sturm, den sie beide kurz zuvor gespürt hatten, kam immer näher. Tarawyn und Legolas beeilten sich, einen Unterstand für die Nacht zu bauen. Alfiriel arbeitete an einem magischen Schutz für das Feuer, damit dieses durch den Wind und den Regen nicht gelöscht wurde. Besorgt blickte Legolas zum Himmel.
"Wir sollten uns beeilen, sonst werden wir sehr naß werden."
Tarawyn sagte nichts. Er wirkte irgendwie abwesend. Vielleicht hatte er auch beschlossen, den ganzen Weg bis Gondor kein Wort mehr mit Legolas und seiner Schwester zu reden. Nun, damit konnte Legolas leben. Er legte nicht viel Wert auf Tarawyns Gesellschaft, der bis zur letzten Sekunde dagegen war, dass er loszog um das Verschwinden von Arwen und Valshiya aufzuklären. Junge Elben neigten manchmal zu solchen Trotzreaktionen. Nun, während Legolas darüber nachdachte, mußte er gestehen, dass auch er so manches mal trotzig gewesen war. Also versuchte er schliesslich doch, Tarawyn ein wenig Verständnis entgegenzubringen. Kaum waren sie mit dem Unterstand, den sie aus Laub und Holz gebaut hatten, fertig geworden, begann es auch schon sturzbachartig zu regnen. Alfiriel, die noch mit dem Feuer beschäftigt war, war in kürzester Zeit bis auf die Haut durchnässt. Abgeschirmt durch Legolas Kapuzenmantel zog sie sich die nasse Kleidung aus und hüllte sich schnell in warme Decken.
"Die Sachen werden bis morgen nicht trocken sein. Man müsste sie ans Feuer legen. Aber du kannst morgen etwas von mir haben.", bot der Prinz seiner Schwester an.
Alfiriel lächelte dankbar. Dann legten sich die drei zum schlafen nieder. Aber Legolas konnte nicht schlafen. Mit seinen Gedanken war er bei Valshiya und hoffte, dass ihr nichts zugestossen war. Er machte sich schlimme Vorwürfe, dass er nicht schon früher gespürt hatte, was die junge Halbelbe für ihn empfand. Er hätte niemals zugelassen, daß sie Düsterwald verließ.
"Bitte, mach dir keine Vorwürfe. Versuch doch einfach, an etwas anderes zu denken. Wir werden Valshiya schon finden. Du solltest schlafen, selbst du kannst nicht mehrere Nächte hintereinander ohne Schlaf auskommen.", sagte Alfiriel leise.
Legolas war überrascht. Er war eigentlich davon ausgegangen, dass seine Schwester längst eingeschlafen war. Wieder einmal hatte er sie eines besseren belehrt. Jedes Mal, wenn er glaubte, endlich alles über sie zu wissen, überraschte sie ihn auf's neue. Nun schien sie auch noch die Fähigkeit erlangt zu haben, seine Gedanken zu lesen. Alfiriel schmiegte sich an Legolas. Das hatte sie früher auch schon getan. Die knapp fünfhundert Jahre jüngere Prinzessin war oft in das Zimmer ihres Bruders geschlichen, wenn sie nicht schlafen konnte, in stürmischen Nächten oder nach Alpträumen. Ihr Weg hatte sie immer zu Legolas anstatt zu ihren Eltern geführt. Sie hatte ihm schon immer näher gestanden als Finlass, der ihm bis zum heutigen Tage ein echtes Rätsel geblieben war. Er erinnerte sich daran, wie er vor 521 Jahren das winzige Bündel von seiner Mutter in den Arm gelegt bekommen hatte. "Das ist deine Schwester, ist sie nicht wunderschön!", hatte sie voller Stolz zu ihm gesagt. Legolas war sich in dem Moment sicher gewesen, daß seine Mutter sich unbedingt noch ein weiteres Kind gewünscht hatte, ein Mädchen. Besonders traurig war, dass sie nicht dagewesen war, um ihre Tochter aufwachsen zu sehen. Legolas bemühte sich, der Bitte seiner Schwester nachzukommen und zwang sich in einen unruhigen Schlaf.
Auch Tarawyn lag wach. Es war das schlechte Gewissen, daß ihn nicht schlafen ließ. Er erinnerte sich an ein Gespräch, daß er in der Nacht vor der Abreise mit Legolas' Bruder Finlass geführt hatte.
Finlass war ein Eigenbrötler und hatte seinen erstgeborenen Bruder schon immer beneidet. Er hielt ihn für unfähig, König der Sindar von Düsterwald zu werden. In Tarawyn glaubte er, einen Verbündeten gegen seinen Bruder gefunden zu haben. Sie hatten die selben Gedanken, was das Königsamt anging, die selben Ideen. Als klar war, dass Tarawyn Legolas nach Gondor begleiten würde, schmiedeten die beiden einen hinterhältigen Plan. Nein, genau genommen hatte nur Finlass ihn geschmiedet, denn ursprünglich wollte Tarawyn mit der ganzen Angelegenheit nichts zu tun haben.
"Das ist die Gelegenheit, meinen Bruder zu beseitigen. Niemals soll er den Titel König unter Buche und Eiche tragen.", hatte Finlass gesagt und Verschlagenheit hatte aus seinen Augen gesprochen.
Tarawyn war ehrlich erschrocken gewesen. Er hatte ja nicht gewollt, daß Legolas sich auf den Weg macht, um nach Valshiya zu suchen und er wollte es immer noch nicht. Es missfiel ihm, dass der Prinz seine Schwester verführt hatte und gab ihm die Schuld, dass sie jetzt verschollen war. Hätte er ihr nicht das Gefühl gegeben, dass sich aus einer Freundschaft mehr entwickeln könnte - und er muss es gewesen sein, denn trotz ihrer Vernarrtheit war Valshiya doch tugendhaft - wäre sie niemals nach Gondor aufgebrochen. Doch mit Mord wollte er nichts zu tun haben.
"Prinz Finlass, denkt nur an den Sturz der Noldor. Aus Sippenmord kann nichts gutes erwachsen.", hatte Tarawyn ängstlich entgegnet.
Finlass hatte daraufhin seinen Arm um Tarawyns Schulter gelegt und verschwörerisch gelächelt.
"Ahh, Freund Tarawyn, wer redet denn von Mord? Ich vertraue dir, dass du es so geschickt anstellen wirst, dass es für alle wie ein Unfall aussehen wird.", hatte der jüngere Prinz gesagt und sich bemüht seine Stimme möglichst überzeugend klingen zu lassen.
Aber Tarawyn war immer noch skeptisch gewesen. Dann allerdings hatte Finlass Silberblatt zum letzten Schlag ausgeholt und ihn endgültig geködert.
"Sieh mal, wenn ich erst König bin und ich die Macht habe, alle Entscheidungen zu treffen, werde ich dich zu meinem Berater machen und mit meiner Schwester verheiraten. Und ich würde deine Schwester zur Frau nehmen. Das ist dir doch recht, oder?"
Ja, für diesen Preis würde er sogar seine eigene Familie ermorden. Schon oft hatte er daran gedacht, die Prinzessin zu bitten mit ihm den Bund einzugehen.
Tarawyns Blick fiel auf Alfiriel, die sich im Schlaf an ihren Bruder schmiegte, dessen Arme sich schützend um die zierliche Elbe legten, die ob ihrer spitzen Zunge und ihrer eigenen Waffenfertigkeit eigentlich gar keinen Schutz mehr benötigte. Welche Vertrautheit zwischen Bruder und Schwester. Wut stieg in ihm auf und er drehte sich um, fest entschlossen, den Plan auszuführen. Was ihn wunderte war, daß er trotz seiner Entschlossenheit immer noch keine Ruhe finden konnte.
Der Sturm hatte über Nacht nachgelassen, doch der Waldboden war vollkommen aufgeweicht und aufsteigender Bodennebel waberte zwischen den Bäumen. Dieser Umstand verlieh dem Morgen etwas unwirkliches.
Tarawyn und Legolas brachen das Lager ab, während Alfiriel sich umzog. Als sie hinter den Bäumen hervortrat, musste Legolas sich doch schwer beherrschen um nicht laut loszulachen. Alfiriels Augen blitzten wütend. Wenn es etwas gab, was sie wirklich aus der Ruhe brachte, war es wenn ihr Bruder über sie lachte und sie den Grund nicht kannte. Es versetzte sie zurück in die Zeit, als sie noch ein kleines Elbenmädchen gewesen war. So oft hatte Legolas sich Scherze mit ihr erlaubt und auf ihre Kosten gelacht.
"Was ist?", fragte sie ungehalten.
Legolas holte tief Luft und räusperte sich, bemühte sich, wieder ernst zu sein. Doch ein verräteriches Lächeln umzuckte seine Mundwinkel.
"Äh, nun... die Sachen stehen dir ausgezeichnet... sie sind, nun, sie sind nur ein wenig zu gross."
Alfiriel warf ihm ein Bündel nasser Kleidung vor die Füße und erwiderte wutschnaubend:
"Das hast Du doch vorher gewußt, also lach nicht. Was hätte ich denn deiner Meinung nach anziehen sollen? Das?"
Insgeheim war sie aber froh, Legolas wieder einmal lachen zu sehen. Er trat auf sie zu und wollte beschwichtigend einen Arm um sie legen, doch sie wehrte ihn ab.
"Weiter! Laß uns jetzt einfach weiterreiten, ja!", herrschte sie ihn an.
Tarawyn hatte die Szene beobachtet und war wieder einmal überrascht, wie gut sich Bruder und Schwester verstanden. Es mochte für Personen, die die Geschwister nicht kannten, aussehen, als würden sie sich streiten. Doch die Fröhlichkeit in ihren Augen und das verräterisch, verschmitzte Lächeln um ihrer beider Mundwinkel strafte ihre Worte Lügen. Wenn Valshiya ihm doch auch nur so viel Sympathie entgegenbringen würde.
Sie stiegen auf und setzten ihren Weg nach Gondor fort.
Alfiriel bemerkte, dass Tarawyn immer unruhiger wurde. Seine Hände nestelten nervös an den Zügeln seines Pferdes und sein Blick wanderte gehetzt in der Gegend herum. Da war es wieder: Das ungute Gefühl, dass sie schon am Abend zuvor gehabt hatte, als Tarawyn Holz sammeln war.
Sie wünschte, sie würde dieses Gefühl einfach abschütteln können aber es war da und blieb.
Sie ritten nun schon seit einer halben Stunde und hatten bald den Rand des Düsterwalds erreicht, als Dywaith plötzlich strauchelte und der Boden unter seinen Hufen nachgab. Tarawyn stieß einen Warnruf aus:
"Prinz, zügelt ihn, springt ab. Das ist eine Wildfalle."
"Lai!", schrie Alfiriel voller Entsetzen. "Spring ab!"
Sie fragte sich, wie Tarawyn bei diesem Bodennebel erkennen konnte, daß es sich um eine Wildfalle handelte. Es war allgemein bekannt, dass Elben sehr gute Augen haben, doch sie hätte diese Wildfalle, wenn es sich denn wirklich um eine solche handelte, niemals erkannt.
Legolas riss an den Zügeln und Dywaith gelang es mit enormer Kraftanstrengung seiner Hinterhufe, wieder sicheren Boden unter alle vier Hufe zu bekommen. Der graue Hengst warf seinen Kopf in die Luft und rollte angstvoll mit den Augen.
Legolas atmete stossweise und starrte entsetzt in die, mit angespitzten Holzpflöcken ausgefüllte Grube. Er konnte nicht leugnen, daß ihm der Anblick eine Gänsehaut verursachte. Hätte er nicht ein solch wunderbares Pferd... wäre er in diese Grube gestürzt... jemand anders hätte sich um die Suche nach Valshiya und Arwen kümmern müssen. Selbst Alfiriel hätte ihn dann mit ihren Heilkünsten nicht mehr zusammenflicken können.
"Verdammt!", fluchte er, als er endlich wieder zu Atem gekommen war. "Ich hätte es doch sehen müssen."
Er ärgerte sich darüber, dass seine Grübelei über Valshiyas Verbleib ihn solche Gefahren nicht mehr sehen ließ. So etwas durfte einem Krieger einfach nicht passieren. Wenn er die Gefahr schon nicht hatte sehen können, so hätte ihn doch sein Gefahrensinn warnen müssen. Sein fragender Blick suchte Alfiriels und der ihre sprach mehr als tausend Worte.
Sie wisperte:
"Ich habe sie ebenfalls nicht gesehen!"
Gleichzeitig drehten sie die Geschwister im Sattel um und schauten Richtung Tarawyn. Er hatte Legolas vor der Wildgrube gewarnt, obwohl er hinter ihm geritten war. Was sie beide noch viel stutziger werden liess war, dass er gewusst hatte, dass es sich um eine Wildfalle handelte.
Unter den fragenden Blicken der königlichen Geschwister kam sich Tarawyn plötzlich fürchterlich klein vor. Er hätte beinahe einen großen Fehler begangen und wäre zum Mörder am Prinzen geworden. Nein, sie hätten es ja niemals herausgefunden. Er hätte einfach geschwiegen und der Prinz wäre... Nein, so sehr er Legolas und seine selbstgefällige Art, seine Überheblichkeit und Arroganz auch verachtete, er konnte nicht die Schuld für seinen Tod auf seine Schultern nehmen, egal ob es jemals herausgekommen wäre oder nicht.
Er hatte es sich im letzten Moment anders überlegt. Die Art, wie die Geschwister am Abend zuvor miteinander umgegangen waren, so vertrauensvoll, hatte ihn nachdenklich gemacht. Wenn er je Alfiriels Herz gewinnen wollte, durfte man ihn nicht mit den Intrigen in Verbindung bringen, die Finlass gegen seinen Bruder schmiedete. Wenn Legolas etwas zustossen würde und herauskam, dass er mit dem eifersüchtigen, jüngeren Prinzen unter einer Decke steckte, würde er das Gegenteil erreichen. Alfiriel würde ihn hassen. Ebenso Valshiya. Aber es würde herauskommen, auf die eine oder andere Art. Er könnte es leugnen aber ihm fiel keine plausible Erklärung ein, warum gerade er von der Fallgrube etwas gewusst hatte und Legolas und Alfiriel nicht einmal etwas davon geahnt haben.
Der Blick aus Alfiriels hellgrauen Augen traf ihn wie ein unbarmherziger Eisstrahl. Sie ahnte es... nein, sie wusste es. Sie sprang aus dem Sattel, rannte mit einem spitzen Schrei auf ihn zu. Sie riss ihm die Zügel aus der Hand und schrie:
"Steig ab, du verdammter Hund... steig ab, damit ich dich in diese Grube werfen kann. Na, wie wäre es, die eigene Medizin zu schmecken. Woher hast du denn davon gewusst, wenn selbst ich und Legolas nichts gesehen und geahnt haben?"
Tarawyn erschrak vor der katzenhaften Wildheit. Sie schien entschlossen, ihn umzubringen. Aber er konnte jetzt nicht fliehen, ohne sein Gesicht zu verlieren. Also stieg er ab und stellte sich der aufgebrachten Prinzessin.
"Was... bei allen dunklen Geschöpfen... ist in... dich gefahren?" zischte sie und stiess ihn vor sich her, bis er mit dem Rücken zu einem Baum stand.
Tarawyn riss entsetzt die Augen auf, als sie ihren kleinen, juwelenbesetzten Dolch zog und ihm die Spitze direkt unters Kinn hielt.
"Nein", fuhr sie fort, "wenn ich so darüber nachdenke... ich will es gar nicht wissen. Sag mir nur eines: ist dir klar, dass Legolas tot sein könnte? Du hast das Leben eines Mitglieds der königlichen Familie leichtsinnig auf's Spiel gesetzt. Lass dir besser eine gute Erklärung dafür einfallen und... bei Iluvatar und allen Valar... lass mich nicht herausfinden, dass du das alles alleine geplant hast."
Selbst jetzt, im Angesicht des Todes - denn Alfiriel schien nicht zu spaßen - konnte er sie immer noch nur bewundern. Diese Wildheit liess sie nur noch schöner aussehen. Legolas, der unbemerkt dazu gekommen war, zog die Hand seiner Schwester von Tarawyn fort.
"Lass es ihn erklären.", sagte er ruhig.
Alle Anspannung schien in diesem Augenblick von Alfiriel zu weichen. Sie liess den Dolch fallen und starrte fassungslos von Tarawyn zu ihrem Bruder.
"Prinz vergebt mir. Ich trachte euch nicht nach dem Leben, doch ein anderer gab mir den Auftrag für euren Tod zu sorgen. Ich... konnte es nicht tun... wegen Valshiya.", erklärte Tarawyn.
"Wer?", war alles was Legolas herausbrachte.
In seinen Augen spiegelte sich Furcht und Neugier gleichermassen. Er hatte nicht gewusst, dass er Feinde hatte und er konnte sich auch nicht erklären, warum ihn jemand beseitigen wollte.
"Finlass. Er plante es schon seit langem.", verriet Tarawyn nun.
"Du wagst es, meinen Bruder zu verleumden?", schrie Legolas. Er konnte es einfach nicht glauben.
Er und Finlass hatten sich nie gut verstanden, doch dies traute er dem jüngsten seiner Geschwister einfach nicht zu. Er wollte ausholen und Tarawyn schlagen, doch nun war es Alfiriel, die seine Hand zurückhielt.
Ihr Gesicht war verklärt und ihr Blick ging durch die beiden Männer hindurch.
"Er sagt die Wahrheit, ich kann es fühlen!", sagte sie leise.
Was seine Schwester da sagte, traf Legolas wie ein Schlag in die Magengrube. Er hatte die Worte zwar gehört, doch ihre Bedeutung schien ihn zunächst nicht zu erreichen. Nur langsam wurde ihm klar, was das für die Beziehung zwischen ihm und seinen Bruder bedeutete, was das für die ganze Familie und den Düsterwald bedeuten konnte. Was hatte Finlass dazu getrieben? Wie hatte er seinen Hass auf sich gezogen und welche dunklen Gedanken waren es, die seinen Geist beherrschten?
Legolas ganze Gestalt schien in sich zusammenzusinken und er wandte sich kopfschüttelnd von Tarawyn ab und ging zurück zu Dywaith. Er fühlte sich mutlos... kraftlos... hoffnungslos. Sein eigener Bruder hatte ihn verraten. Er streichelte dem Hengst abwesend über die weisse Blesse. Sekundenlang herrschte auf der Lichtung vollkommene Stille. Um sie herum waren nur die Geräusche des Waldes.
"Sagt mir, Tarawyn, was soll ich jetzt tun? Wie würdet ihr an meiner Stelle handeln, wenn ihr nicht wüsstet, ob ihr mir trauen könnt.", fragte Legolas.
Alfiriel durchforschte immer noch den Geist des schwarzhaarigen Elben. Doch plötzlich wich sie vor ihm zurück, als sie etwas völlig unerwartetes fand. Da war Zuneigung für... sie. Ein ehrliches Schuldgefühl und der Wunsch nach einem besseren Verhältnis zu seiner Schwester. Für den Bruchteil einer Sekunde empfand sie so etwas wie Mitleid für den Sohn Amarayls, denn er hatte sich jede Chance auf ein gutes Verhältnis zu ihr verspielt.
Tarawyn bemerkte den prüfenden Blick in Alfiriels Augen und senkte schuldbewußt den Kopf. Wie hatte er je geglaubt, dass er etwas vor der Prinzessin verbergen konnte. Was für eine Magierin würde sie erst sein, wenn sie erst im Vollbesitz ihrer Fähigkeiten war!
"Warum antwortest du nicht, Tarawayn? Ich sollte dich zurückschicken... Ich kann es einfach nicht fassen. Du bist Valshiyas Bruder! Wie können Geschwister nur so verschieden sein. Und dann: Mein eigener Bruder... wenn es wahr ist, was ihr sagt.", sagte Legolas mit vor Zorn bebender Stimme.
Voller Wut dachte er an Finlass und was er mit ihm machen würde, wenn er zurückkehrte. Es war vielleicht sinnvoll, wenn Tarawyn bei seiner Rückkehr das Komplott aufdecken würde. Finlass würde dann keine Möglichkeit mehr haben, sich herauszuwinden.
"Ich denke, du kannst ihm vertrauen. Ich habe ihn geprüft.", sagte Alfiriel.
Legolas vertraute auf das Urteil seiner Schwester aber er blickte immer noch sehr skeptisch drein. Er war hin und her gerissen. Die Sorge um Valshiya, ein Freund der seine Hilfe benötigte, ein Bruder, der Intrigen gegen ihn spinnte und ein Mann, von dem er nicht wusste, ob er sein Feind oder sein Freund war. Das war selbst für einen so abgeklärten, erfahrenen Elbenprinzen wie Legolas zu viel. Aber er wusste auch, Alfiriel würde ihn schützen. Ab sofort würde es keine Sekunde mehr geben, in der Tarawyn nicht von ihr überwacht würde.
"Ich kann mir darüber jetzt keine Gedanken machen. Nach Düsterwald zurückzukehren steht hier nicht zur Debatte und ich werde auch dich, Tarawyn, nicht zurückschicken, damit du und Finlass womöglich noch alle Spuren verwischen könnt. Wir müssen sehen, dass wir nach Minas Tirith kommen. Aragorn braucht meine Hilfe."
Ohne ein weiteres Wort zu verlieren stiegen die drei auf und ritten weiter in Richtung Minas Tirith.
~*~
Der Song "Self Portrait" von Blackmore's Night hat mich zu der Szene inspiriert, in der Legolas erfährt, dass sein eigener Bruder ihn verraten hat.
5. Der Weg nach Gondor
Legolas hatte sich nicht von seinem Vater verabschiedet. Die Kluft zwischen den beiden war inzwischen viel zu gross geworden. Legolas hatte lange überlegt, was er hätte sagen können, doch er war letztendlich zu dem Ergebnis gekommen, daß er - zumindest für den Moment - Thranduil einfach nichts zu sagen hatte. Es betrübte ihn, denn er hatte sich immer gut mit seinem Vater verstanden. Niemals hatten sie eine derartige Meinungsverschiedenheit miteinander gehabt. Was ihn beruhigte war, dass sie beide nicht die Art von Männern waren, die Probleme damit hatten, über ihren eigenen Schatten zu springen. Es würde auch wieder eine Zeit kommen, in der sie sich besser verstanden.
Alfiriel hatte sich hingegen verabschiedet. Er wusste nicht, was sie zu Vater gesagt hatte aber es hatte bewirkt, dass er der kleinen Reisegruppe von seinem Balkon aus zumindest hinterhergeschaut hatte. Leider waren sie schon zu weit fort gewesen, als dass Legolas seinen Gesichtsausdruck hätte erkennen können. Ein sanftes Lächeln schlich sich auf sein Gesicht, als er an seine Schwester dachte, die in diesem Moment neben ihm ritt, und er schaute sie verstohlen von der Seite an. Natürlich bemerkte sie es. Sie lächelte zurück und sagte leise, so dass Tarawyn es nicht hören konnte:
"So, Lai, jetzt bringen wir endlich Licht in diese Angelegenheit. Das ist im Moment doch dein dringlichster Wunsch."
Legolas horchte auf, als sie den Kosenamen aus Kindertagen benutzte. So hatte Alfiriel ihn genannt, als sie noch ganz jung gewesen war. Lai, das leitete sich von der korrekten Sindar-Form seines Namens - Laiqalasse - ab.
Sie schlossen langsam zu Tarawyn auf. Er schaute schon den ganzen Morgen finster drein. Offensichtlich hatte er allerdings in der Nacht zuvor ebenso wenig Schlaf gehabt wie Alfiriel und Legolas.
"Ich kann immer noch nicht verstehen, wieso ihr das nicht mir überlasst, Prinz. Valshiya ist immerhin meine Schwester und ihr solltet inzwischen längst mit einer anderen verheiratet sein.", murrte Tarawyn.
Unwillkürlich fuhr Legolas Hand zu seinem Schwert, dass er diesmal anstatt seiner zwei Dolche mit sich führte. Das kühle Mithril, aus dem das Schwert gefertigt war, gab ihm ein beruhigendes Gefühl. Im selben Augenblick schalt er sich selbst dafür, dass er sich von der düsteren Stimmung von Valshiyas Bruder aus der Ruhe bringen ließ. Er hätte sich jetzt stundenlang rechtfertigen können und er wäre immer noch nicht überzeugt, dass Legolas gehen musste. Zwar machte er sich natürlich auch Sorgen um Valshiya, doch wenn ein guter Freund von ihm seine Hilfe benötigte, konnte er nicht seelenruhig zu Hause bleiben und anstatt seiner einen anderen schicken. Legolas fragte sich, ob Tarawyn das verstehen würde.
"Tarawyn, es geht euch einfach nichts an, welche Motive ich habe.", erwiderte er.
Alfiriel, die spürte, das die Stimmung zwischen den beiden Männern nicht die allerbeste war, mischte sich ein:
"Tut mir einen Gefallen und streitet wenigstens nicht, bis wir Gondor erreichen. Ist das zu viel verlangt?"
Tarawyn schnaubte verächtlich. Aber die Zurechtweisung der Prinzessin tat dennoch ihre Wirkung. Alfiriel war schon immer gut darin gewesen, Frieden zu stiften.
Der erste Tag auf dem Weg nach Gondor neigte sich seinem Ende zu. Legolas war unzufrieden, denn er war der Meinung, dass sie schon viel weiter hätten kommen können. Er konnte nicht abstreiten, dass ihn der Traum, den er in der Nacht vor der Abreise gehabt hatte, unruhig machte. Du musst viel ruhiger werden und dich nicht so unelbisch benehmen, sagte er sich, es war doch nur ein Traum. Er sattelte Dywaith ab und bereitete sein Lager.
"Denkst du, dass wir ein Lagerfeuer machen können? Es wird nachts doch schon sehr kühl. Der Winter wird dieses Jahr früher kommen als sonst.", sagte Alfiriel und rieb sich fröstelnd die Arme.
Legolas nickte und erwiderte:
"Ich denke schon, dass wir ein Feuer riskieren können. Die Wälder sind jetzt sicher. Es würde niemand durch ein Lagerfeuer angelockt werden."
Bist du dir sicher, Bruder, dachte Alfiriel, wer hat dann die Königin und Valshiya entführt und vor allen Dingen: warum? Sie drehte sich um und rief nach Tarawyn, der ebenfalls damit beschäftigt war, sein Pferd abzusatteln. Sie bat ihn, Reisig für das Lagerfeuer sammeln zu gehen. Es machte sie stutzig, dass er diese Aufgabe ohne ein einziges Widerwort übernahm. Verwundert schüttelte sie den Kopf.
Legolas bereitete eine Feuerstelle vor. Dann setzte er sich nieder und hing wieder seinen Gedanken nach. Es begann zu dämmern und im Osten gingen langsam die ersten Sterne auf. Alfiriel warf Legolas einen nachdenklichen Blick zu. Dann seufzte sie leise und stand auf. Legolas beobachtete sie, wie sie auf der Lichtung erst in die eine, dann in die andere Richtung lief und dabei in die Stille hinein lauschte. Sie sah verwirrt aus.
"Was ist denn, Firiel?", fragte er seine Schwester schliesslich. "Du bist so nervös und das ist gar nicht deine Art."
"Tarawyn müsste schon längst wieder hier sein.", murmelte sie, "Ich habe ein ungutes Gefühl aber wahrscheinlich ist es nichts. Ich weiss auch nicht, worauf sich dieses Gefühl bezieht."
"Du bist magisch begabt!", entfuhr es Legolas. "Wenn du sagst, du hast ein ungutes Gefühl, dann wird mir jedenfalls schon eigenartig zumute."
Das stimmte. Alfiriel war tatsächlich eine Elbenmagierin, jedoch längst nicht so mächtig wie Galadriel aus Lothlorien, weil ihr die Erfahrung fehlte. Die junge Elbe winkte ab und erklärte:
"Es ist nichts! Sicher fühlte ich nur den Sturm, der sich nähert."
Legolas nickte. Den aufziehenden Sturm hatte er auch gespürt, dazu allerdings musste man keine magischen Fähigkeiten haben. Kurz darauf kam auch Tarawyn zurück, den Arm voller Holz für das Lagerfeuer. Er schichtete das Holz in der vorbereiteten Feuerstelle auf. Legolas kniete sich nieder um das Feuer zu entfachen, als ein kleiner Blitz zwischen die Holzscheite fuhr und diese knisternd entzündeten. Legolas war hastig zurückgewichen, ansonsten wäre sein langes Haar angesengt worden, und schnappte erschrocken nach Luft.
"Ups", hörte er seine Schwester sagen, "vielleicht hätte ich dich warnen sollen. Andererseits: Ich habe dir ja gesagt, ich zahle es dir heim, wenn du gar nicht mehr daran denkst. Du weisst, was ich meine."
Alfiriel presste sich die Hand vor den Mund, um ein Kichern zu unterdrücken. Legolas hasste es, wenn sie ihre Magie für solche Dinge verwendete.
"Mach das.... nie... nie wieder!", brachte er stossweise hervor.
Alfiriel zuckte nur mit den Schultern.
Der Himmel verdunkelte sich sehr schnell. Der Sturm, den sie beide kurz zuvor gespürt hatten, kam immer näher. Tarawyn und Legolas beeilten sich, einen Unterstand für die Nacht zu bauen. Alfiriel arbeitete an einem magischen Schutz für das Feuer, damit dieses durch den Wind und den Regen nicht gelöscht wurde. Besorgt blickte Legolas zum Himmel.
"Wir sollten uns beeilen, sonst werden wir sehr naß werden."
Tarawyn sagte nichts. Er wirkte irgendwie abwesend. Vielleicht hatte er auch beschlossen, den ganzen Weg bis Gondor kein Wort mehr mit Legolas und seiner Schwester zu reden. Nun, damit konnte Legolas leben. Er legte nicht viel Wert auf Tarawyns Gesellschaft, der bis zur letzten Sekunde dagegen war, dass er loszog um das Verschwinden von Arwen und Valshiya aufzuklären. Junge Elben neigten manchmal zu solchen Trotzreaktionen. Nun, während Legolas darüber nachdachte, mußte er gestehen, dass auch er so manches mal trotzig gewesen war. Also versuchte er schliesslich doch, Tarawyn ein wenig Verständnis entgegenzubringen. Kaum waren sie mit dem Unterstand, den sie aus Laub und Holz gebaut hatten, fertig geworden, begann es auch schon sturzbachartig zu regnen. Alfiriel, die noch mit dem Feuer beschäftigt war, war in kürzester Zeit bis auf die Haut durchnässt. Abgeschirmt durch Legolas Kapuzenmantel zog sie sich die nasse Kleidung aus und hüllte sich schnell in warme Decken.
"Die Sachen werden bis morgen nicht trocken sein. Man müsste sie ans Feuer legen. Aber du kannst morgen etwas von mir haben.", bot der Prinz seiner Schwester an.
Alfiriel lächelte dankbar. Dann legten sich die drei zum schlafen nieder. Aber Legolas konnte nicht schlafen. Mit seinen Gedanken war er bei Valshiya und hoffte, dass ihr nichts zugestossen war. Er machte sich schlimme Vorwürfe, dass er nicht schon früher gespürt hatte, was die junge Halbelbe für ihn empfand. Er hätte niemals zugelassen, daß sie Düsterwald verließ.
"Bitte, mach dir keine Vorwürfe. Versuch doch einfach, an etwas anderes zu denken. Wir werden Valshiya schon finden. Du solltest schlafen, selbst du kannst nicht mehrere Nächte hintereinander ohne Schlaf auskommen.", sagte Alfiriel leise.
Legolas war überrascht. Er war eigentlich davon ausgegangen, dass seine Schwester längst eingeschlafen war. Wieder einmal hatte er sie eines besseren belehrt. Jedes Mal, wenn er glaubte, endlich alles über sie zu wissen, überraschte sie ihn auf's neue. Nun schien sie auch noch die Fähigkeit erlangt zu haben, seine Gedanken zu lesen. Alfiriel schmiegte sich an Legolas. Das hatte sie früher auch schon getan. Die knapp fünfhundert Jahre jüngere Prinzessin war oft in das Zimmer ihres Bruders geschlichen, wenn sie nicht schlafen konnte, in stürmischen Nächten oder nach Alpträumen. Ihr Weg hatte sie immer zu Legolas anstatt zu ihren Eltern geführt. Sie hatte ihm schon immer näher gestanden als Finlass, der ihm bis zum heutigen Tage ein echtes Rätsel geblieben war. Er erinnerte sich daran, wie er vor 521 Jahren das winzige Bündel von seiner Mutter in den Arm gelegt bekommen hatte. "Das ist deine Schwester, ist sie nicht wunderschön!", hatte sie voller Stolz zu ihm gesagt. Legolas war sich in dem Moment sicher gewesen, daß seine Mutter sich unbedingt noch ein weiteres Kind gewünscht hatte, ein Mädchen. Besonders traurig war, dass sie nicht dagewesen war, um ihre Tochter aufwachsen zu sehen. Legolas bemühte sich, der Bitte seiner Schwester nachzukommen und zwang sich in einen unruhigen Schlaf.
Auch Tarawyn lag wach. Es war das schlechte Gewissen, daß ihn nicht schlafen ließ. Er erinnerte sich an ein Gespräch, daß er in der Nacht vor der Abreise mit Legolas' Bruder Finlass geführt hatte.
Finlass war ein Eigenbrötler und hatte seinen erstgeborenen Bruder schon immer beneidet. Er hielt ihn für unfähig, König der Sindar von Düsterwald zu werden. In Tarawyn glaubte er, einen Verbündeten gegen seinen Bruder gefunden zu haben. Sie hatten die selben Gedanken, was das Königsamt anging, die selben Ideen. Als klar war, dass Tarawyn Legolas nach Gondor begleiten würde, schmiedeten die beiden einen hinterhältigen Plan. Nein, genau genommen hatte nur Finlass ihn geschmiedet, denn ursprünglich wollte Tarawyn mit der ganzen Angelegenheit nichts zu tun haben.
"Das ist die Gelegenheit, meinen Bruder zu beseitigen. Niemals soll er den Titel König unter Buche und Eiche tragen.", hatte Finlass gesagt und Verschlagenheit hatte aus seinen Augen gesprochen.
Tarawyn war ehrlich erschrocken gewesen. Er hatte ja nicht gewollt, daß Legolas sich auf den Weg macht, um nach Valshiya zu suchen und er wollte es immer noch nicht. Es missfiel ihm, dass der Prinz seine Schwester verführt hatte und gab ihm die Schuld, dass sie jetzt verschollen war. Hätte er ihr nicht das Gefühl gegeben, dass sich aus einer Freundschaft mehr entwickeln könnte - und er muss es gewesen sein, denn trotz ihrer Vernarrtheit war Valshiya doch tugendhaft - wäre sie niemals nach Gondor aufgebrochen. Doch mit Mord wollte er nichts zu tun haben.
"Prinz Finlass, denkt nur an den Sturz der Noldor. Aus Sippenmord kann nichts gutes erwachsen.", hatte Tarawyn ängstlich entgegnet.
Finlass hatte daraufhin seinen Arm um Tarawyns Schulter gelegt und verschwörerisch gelächelt.
"Ahh, Freund Tarawyn, wer redet denn von Mord? Ich vertraue dir, dass du es so geschickt anstellen wirst, dass es für alle wie ein Unfall aussehen wird.", hatte der jüngere Prinz gesagt und sich bemüht seine Stimme möglichst überzeugend klingen zu lassen.
Aber Tarawyn war immer noch skeptisch gewesen. Dann allerdings hatte Finlass Silberblatt zum letzten Schlag ausgeholt und ihn endgültig geködert.
"Sieh mal, wenn ich erst König bin und ich die Macht habe, alle Entscheidungen zu treffen, werde ich dich zu meinem Berater machen und mit meiner Schwester verheiraten. Und ich würde deine Schwester zur Frau nehmen. Das ist dir doch recht, oder?"
Ja, für diesen Preis würde er sogar seine eigene Familie ermorden. Schon oft hatte er daran gedacht, die Prinzessin zu bitten mit ihm den Bund einzugehen.
Tarawyns Blick fiel auf Alfiriel, die sich im Schlaf an ihren Bruder schmiegte, dessen Arme sich schützend um die zierliche Elbe legten, die ob ihrer spitzen Zunge und ihrer eigenen Waffenfertigkeit eigentlich gar keinen Schutz mehr benötigte. Welche Vertrautheit zwischen Bruder und Schwester. Wut stieg in ihm auf und er drehte sich um, fest entschlossen, den Plan auszuführen. Was ihn wunderte war, daß er trotz seiner Entschlossenheit immer noch keine Ruhe finden konnte.
Der Sturm hatte über Nacht nachgelassen, doch der Waldboden war vollkommen aufgeweicht und aufsteigender Bodennebel waberte zwischen den Bäumen. Dieser Umstand verlieh dem Morgen etwas unwirkliches.
Tarawyn und Legolas brachen das Lager ab, während Alfiriel sich umzog. Als sie hinter den Bäumen hervortrat, musste Legolas sich doch schwer beherrschen um nicht laut loszulachen. Alfiriels Augen blitzten wütend. Wenn es etwas gab, was sie wirklich aus der Ruhe brachte, war es wenn ihr Bruder über sie lachte und sie den Grund nicht kannte. Es versetzte sie zurück in die Zeit, als sie noch ein kleines Elbenmädchen gewesen war. So oft hatte Legolas sich Scherze mit ihr erlaubt und auf ihre Kosten gelacht.
"Was ist?", fragte sie ungehalten.
Legolas holte tief Luft und räusperte sich, bemühte sich, wieder ernst zu sein. Doch ein verräteriches Lächeln umzuckte seine Mundwinkel.
"Äh, nun... die Sachen stehen dir ausgezeichnet... sie sind, nun, sie sind nur ein wenig zu gross."
Alfiriel warf ihm ein Bündel nasser Kleidung vor die Füße und erwiderte wutschnaubend:
"Das hast Du doch vorher gewußt, also lach nicht. Was hätte ich denn deiner Meinung nach anziehen sollen? Das?"
Insgeheim war sie aber froh, Legolas wieder einmal lachen zu sehen. Er trat auf sie zu und wollte beschwichtigend einen Arm um sie legen, doch sie wehrte ihn ab.
"Weiter! Laß uns jetzt einfach weiterreiten, ja!", herrschte sie ihn an.
Tarawyn hatte die Szene beobachtet und war wieder einmal überrascht, wie gut sich Bruder und Schwester verstanden. Es mochte für Personen, die die Geschwister nicht kannten, aussehen, als würden sie sich streiten. Doch die Fröhlichkeit in ihren Augen und das verräterisch, verschmitzte Lächeln um ihrer beider Mundwinkel strafte ihre Worte Lügen. Wenn Valshiya ihm doch auch nur so viel Sympathie entgegenbringen würde.
Sie stiegen auf und setzten ihren Weg nach Gondor fort.
Alfiriel bemerkte, dass Tarawyn immer unruhiger wurde. Seine Hände nestelten nervös an den Zügeln seines Pferdes und sein Blick wanderte gehetzt in der Gegend herum. Da war es wieder: Das ungute Gefühl, dass sie schon am Abend zuvor gehabt hatte, als Tarawyn Holz sammeln war.
Sie wünschte, sie würde dieses Gefühl einfach abschütteln können aber es war da und blieb.
Sie ritten nun schon seit einer halben Stunde und hatten bald den Rand des Düsterwalds erreicht, als Dywaith plötzlich strauchelte und der Boden unter seinen Hufen nachgab. Tarawyn stieß einen Warnruf aus:
"Prinz, zügelt ihn, springt ab. Das ist eine Wildfalle."
"Lai!", schrie Alfiriel voller Entsetzen. "Spring ab!"
Sie fragte sich, wie Tarawyn bei diesem Bodennebel erkennen konnte, daß es sich um eine Wildfalle handelte. Es war allgemein bekannt, dass Elben sehr gute Augen haben, doch sie hätte diese Wildfalle, wenn es sich denn wirklich um eine solche handelte, niemals erkannt.
Legolas riss an den Zügeln und Dywaith gelang es mit enormer Kraftanstrengung seiner Hinterhufe, wieder sicheren Boden unter alle vier Hufe zu bekommen. Der graue Hengst warf seinen Kopf in die Luft und rollte angstvoll mit den Augen.
Legolas atmete stossweise und starrte entsetzt in die, mit angespitzten Holzpflöcken ausgefüllte Grube. Er konnte nicht leugnen, daß ihm der Anblick eine Gänsehaut verursachte. Hätte er nicht ein solch wunderbares Pferd... wäre er in diese Grube gestürzt... jemand anders hätte sich um die Suche nach Valshiya und Arwen kümmern müssen. Selbst Alfiriel hätte ihn dann mit ihren Heilkünsten nicht mehr zusammenflicken können.
"Verdammt!", fluchte er, als er endlich wieder zu Atem gekommen war. "Ich hätte es doch sehen müssen."
Er ärgerte sich darüber, dass seine Grübelei über Valshiyas Verbleib ihn solche Gefahren nicht mehr sehen ließ. So etwas durfte einem Krieger einfach nicht passieren. Wenn er die Gefahr schon nicht hatte sehen können, so hätte ihn doch sein Gefahrensinn warnen müssen. Sein fragender Blick suchte Alfiriels und der ihre sprach mehr als tausend Worte.
Sie wisperte:
"Ich habe sie ebenfalls nicht gesehen!"
Gleichzeitig drehten sie die Geschwister im Sattel um und schauten Richtung Tarawyn. Er hatte Legolas vor der Wildgrube gewarnt, obwohl er hinter ihm geritten war. Was sie beide noch viel stutziger werden liess war, dass er gewusst hatte, dass es sich um eine Wildfalle handelte.
Unter den fragenden Blicken der königlichen Geschwister kam sich Tarawyn plötzlich fürchterlich klein vor. Er hätte beinahe einen großen Fehler begangen und wäre zum Mörder am Prinzen geworden. Nein, sie hätten es ja niemals herausgefunden. Er hätte einfach geschwiegen und der Prinz wäre... Nein, so sehr er Legolas und seine selbstgefällige Art, seine Überheblichkeit und Arroganz auch verachtete, er konnte nicht die Schuld für seinen Tod auf seine Schultern nehmen, egal ob es jemals herausgekommen wäre oder nicht.
Er hatte es sich im letzten Moment anders überlegt. Die Art, wie die Geschwister am Abend zuvor miteinander umgegangen waren, so vertrauensvoll, hatte ihn nachdenklich gemacht. Wenn er je Alfiriels Herz gewinnen wollte, durfte man ihn nicht mit den Intrigen in Verbindung bringen, die Finlass gegen seinen Bruder schmiedete. Wenn Legolas etwas zustossen würde und herauskam, dass er mit dem eifersüchtigen, jüngeren Prinzen unter einer Decke steckte, würde er das Gegenteil erreichen. Alfiriel würde ihn hassen. Ebenso Valshiya. Aber es würde herauskommen, auf die eine oder andere Art. Er könnte es leugnen aber ihm fiel keine plausible Erklärung ein, warum gerade er von der Fallgrube etwas gewusst hatte und Legolas und Alfiriel nicht einmal etwas davon geahnt haben.
Der Blick aus Alfiriels hellgrauen Augen traf ihn wie ein unbarmherziger Eisstrahl. Sie ahnte es... nein, sie wusste es. Sie sprang aus dem Sattel, rannte mit einem spitzen Schrei auf ihn zu. Sie riss ihm die Zügel aus der Hand und schrie:
"Steig ab, du verdammter Hund... steig ab, damit ich dich in diese Grube werfen kann. Na, wie wäre es, die eigene Medizin zu schmecken. Woher hast du denn davon gewusst, wenn selbst ich und Legolas nichts gesehen und geahnt haben?"
Tarawyn erschrak vor der katzenhaften Wildheit. Sie schien entschlossen, ihn umzubringen. Aber er konnte jetzt nicht fliehen, ohne sein Gesicht zu verlieren. Also stieg er ab und stellte sich der aufgebrachten Prinzessin.
"Was... bei allen dunklen Geschöpfen... ist in... dich gefahren?" zischte sie und stiess ihn vor sich her, bis er mit dem Rücken zu einem Baum stand.
Tarawyn riss entsetzt die Augen auf, als sie ihren kleinen, juwelenbesetzten Dolch zog und ihm die Spitze direkt unters Kinn hielt.
"Nein", fuhr sie fort, "wenn ich so darüber nachdenke... ich will es gar nicht wissen. Sag mir nur eines: ist dir klar, dass Legolas tot sein könnte? Du hast das Leben eines Mitglieds der königlichen Familie leichtsinnig auf's Spiel gesetzt. Lass dir besser eine gute Erklärung dafür einfallen und... bei Iluvatar und allen Valar... lass mich nicht herausfinden, dass du das alles alleine geplant hast."
Selbst jetzt, im Angesicht des Todes - denn Alfiriel schien nicht zu spaßen - konnte er sie immer noch nur bewundern. Diese Wildheit liess sie nur noch schöner aussehen. Legolas, der unbemerkt dazu gekommen war, zog die Hand seiner Schwester von Tarawyn fort.
"Lass es ihn erklären.", sagte er ruhig.
Alle Anspannung schien in diesem Augenblick von Alfiriel zu weichen. Sie liess den Dolch fallen und starrte fassungslos von Tarawyn zu ihrem Bruder.
"Prinz vergebt mir. Ich trachte euch nicht nach dem Leben, doch ein anderer gab mir den Auftrag für euren Tod zu sorgen. Ich... konnte es nicht tun... wegen Valshiya.", erklärte Tarawyn.
"Wer?", war alles was Legolas herausbrachte.
In seinen Augen spiegelte sich Furcht und Neugier gleichermassen. Er hatte nicht gewusst, dass er Feinde hatte und er konnte sich auch nicht erklären, warum ihn jemand beseitigen wollte.
"Finlass. Er plante es schon seit langem.", verriet Tarawyn nun.
"Du wagst es, meinen Bruder zu verleumden?", schrie Legolas. Er konnte es einfach nicht glauben.
Er und Finlass hatten sich nie gut verstanden, doch dies traute er dem jüngsten seiner Geschwister einfach nicht zu. Er wollte ausholen und Tarawyn schlagen, doch nun war es Alfiriel, die seine Hand zurückhielt.
Ihr Gesicht war verklärt und ihr Blick ging durch die beiden Männer hindurch.
"Er sagt die Wahrheit, ich kann es fühlen!", sagte sie leise.
Was seine Schwester da sagte, traf Legolas wie ein Schlag in die Magengrube. Er hatte die Worte zwar gehört, doch ihre Bedeutung schien ihn zunächst nicht zu erreichen. Nur langsam wurde ihm klar, was das für die Beziehung zwischen ihm und seinen Bruder bedeutete, was das für die ganze Familie und den Düsterwald bedeuten konnte. Was hatte Finlass dazu getrieben? Wie hatte er seinen Hass auf sich gezogen und welche dunklen Gedanken waren es, die seinen Geist beherrschten?
Legolas ganze Gestalt schien in sich zusammenzusinken und er wandte sich kopfschüttelnd von Tarawyn ab und ging zurück zu Dywaith. Er fühlte sich mutlos... kraftlos... hoffnungslos. Sein eigener Bruder hatte ihn verraten. Er streichelte dem Hengst abwesend über die weisse Blesse. Sekundenlang herrschte auf der Lichtung vollkommene Stille. Um sie herum waren nur die Geräusche des Waldes.
"Sagt mir, Tarawyn, was soll ich jetzt tun? Wie würdet ihr an meiner Stelle handeln, wenn ihr nicht wüsstet, ob ihr mir trauen könnt.", fragte Legolas.
Alfiriel durchforschte immer noch den Geist des schwarzhaarigen Elben. Doch plötzlich wich sie vor ihm zurück, als sie etwas völlig unerwartetes fand. Da war Zuneigung für... sie. Ein ehrliches Schuldgefühl und der Wunsch nach einem besseren Verhältnis zu seiner Schwester. Für den Bruchteil einer Sekunde empfand sie so etwas wie Mitleid für den Sohn Amarayls, denn er hatte sich jede Chance auf ein gutes Verhältnis zu ihr verspielt.
Tarawyn bemerkte den prüfenden Blick in Alfiriels Augen und senkte schuldbewußt den Kopf. Wie hatte er je geglaubt, dass er etwas vor der Prinzessin verbergen konnte. Was für eine Magierin würde sie erst sein, wenn sie erst im Vollbesitz ihrer Fähigkeiten war!
"Warum antwortest du nicht, Tarawayn? Ich sollte dich zurückschicken... Ich kann es einfach nicht fassen. Du bist Valshiyas Bruder! Wie können Geschwister nur so verschieden sein. Und dann: Mein eigener Bruder... wenn es wahr ist, was ihr sagt.", sagte Legolas mit vor Zorn bebender Stimme.
Voller Wut dachte er an Finlass und was er mit ihm machen würde, wenn er zurückkehrte. Es war vielleicht sinnvoll, wenn Tarawyn bei seiner Rückkehr das Komplott aufdecken würde. Finlass würde dann keine Möglichkeit mehr haben, sich herauszuwinden.
"Ich denke, du kannst ihm vertrauen. Ich habe ihn geprüft.", sagte Alfiriel.
Legolas vertraute auf das Urteil seiner Schwester aber er blickte immer noch sehr skeptisch drein. Er war hin und her gerissen. Die Sorge um Valshiya, ein Freund der seine Hilfe benötigte, ein Bruder, der Intrigen gegen ihn spinnte und ein Mann, von dem er nicht wusste, ob er sein Feind oder sein Freund war. Das war selbst für einen so abgeklärten, erfahrenen Elbenprinzen wie Legolas zu viel. Aber er wusste auch, Alfiriel würde ihn schützen. Ab sofort würde es keine Sekunde mehr geben, in der Tarawyn nicht von ihr überwacht würde.
"Ich kann mir darüber jetzt keine Gedanken machen. Nach Düsterwald zurückzukehren steht hier nicht zur Debatte und ich werde auch dich, Tarawyn, nicht zurückschicken, damit du und Finlass womöglich noch alle Spuren verwischen könnt. Wir müssen sehen, dass wir nach Minas Tirith kommen. Aragorn braucht meine Hilfe."
Ohne ein weiteres Wort zu verlieren stiegen die drei auf und ritten weiter in Richtung Minas Tirith.
~*~
Der Song "Self Portrait" von Blackmore's Night hat mich zu der Szene inspiriert, in der Legolas erfährt, dass sein eigener Bruder ihn verraten hat.
