INSPIRATION:
Song: "Nominalto" und "Filii Neidhardi" von Corvus Corax"
Räucherstäbchen: Zitronenduft
Duftöl: "Inseltraum" von Crea Duftdesign
11. Die Spur
Es war wirklich überaus anstrengend, in Merilwens Gesellschaft zu reisen. Ständig versuchte sie sich, Aragorns Anweisungen zum Trotz, zum Anführer der Mission aufzuschwingen. Legolas vermutete, dass sie das nur tat, um ihn zu provozieren. Was, bei Iluvatar, hatte sie davon? Sie glaubte doch wohl nicht wirklich, dass es ihr gelingen könnte, sein Herz zurückzugewinnen? Legolas glaubte, sich an dem Abend in Minas Tirith deutlich ausgedrückt zu haben.
Es fiel ihm zwar schwer aber er dachte nicht im Traum daran, auf ihre Machtspielereien einzugehen. Was sie einmal miteinander hatten, war lange vorbei. Es war ein Fehler und Legolas wollte daran nicht erinnert werden.
"HÖRST DU!", brüllte Gimli, der neben ihm ritt. Er schaute aus dem Sattel seines weissen Ponys zu seinem Elbenfreund auf. Als er endlich dessen Aufmerksamkeit hatte, fragte er:
"Wo bist du nur ständig mit deinen Gedanken. Man könnte seine Zeit sinnvoller damit verbringen, Selbstgespräche zu führen, als mit dir ein Gespräch anzufangen.
Legolas zeigte ein besänftigendes Lächeln und meinte:
"Es tut mir leid, ich war wohl wirklich gerade in Gedanken. Was wolltest du von mir, Gimli?"
Gimli murmelte etwas in seinen Bart und schüttelte verständnislos den Kopf. Legolas tat gerade so, als wäre es das erste Mal, dass er so abwesend war. Aber das war nun schon zum wiederholten Male vorgekommen. Er fragte sich, ob es was mit Arwens Verschwinden oder dieser wunderschönen kupferhaarigen Elbenfrau zu tun hatte, die sie begleitete. Er erinnerte sich auch, dass Frodo ihm bei seinem kurzen Aufenthalt in Gondor auch etwas von einer Valshiya erzählt hatte, das Mädchen, das Arwen empfangen wollte, als sie entführt wurde.
"Ich habe dich gefragt, ob es nicht langsam an der Zeit ist, eine erste Rast einzulegen. Selbst bei Nifredils weicher Gangart, ich bin es einfach nicht gewohnt, so lange zu reiten."
Er warf einen fast neidischen Blick in Richtung Alfiriel, Tarawyn, Elladan, Elrohir, Merilwen und Aragorn, die weit vornweg auf ihren edlen Rössern ritten. Nur der junge Hauptmann Gawen und Legolas waren an seiner Seite. Zwar hatte Legolas zunächst Mühe, Dywaith zurüchzuhalten, der viel lieber über die weite Grasebene hinweggaloppiert wäre, doch als er ihm erklärt hatte, dass das kleine, weisse Pony Nifredil mit seinen kurzen Beinen nicht so schnell war, hatte er aufgegeben, am Zaumzeug zu zerren. Stattdessen stupste er nun das Pony mit seiner weichen Nase hin und wieder am Hinterteil an, um es zu einer schnelleren Gangart zu bewegen. Legolas fragte sich, wie lange das gut gehen würde. Er konnte sich gut vorstellen, daß Nifredil auskeilen würde, wenn es ihm zu bunt wurde. Seinen Mangel an Grösse machte es durch ein ungewöhnliches Temperament wett.
"Sag Aragorn nur nicht, ich sei zu müde um weiterzureiten und müsste mich ausruhen. Du weisst genau, dass er dann wieder stichelt. Ich will ihm nicht schon wieder erklären müssen, dass ein Zwerg von meinem Format sich nicht ausruhen muss.", warnte Gimli.
"Aragorn!", rief Legolas und wartete bis der König von Gondor sich im Sattel zu ihm umgedreht hatte, "Denkst du wir könnten bei dem Hain dort drüben unser Nachtlager aufschlagen?"
Aragorn beriet sich mit den elbischen Zwillingsbrüdern und rief dann zurück:
"Das ist tatsächlich eine geeignete Stelle und im Dunkeln würden wir mögliche Spuren ohnehin nur übersehen."
~*~
Frodo, Merry und Pippin folgten der Spur von Aragorn und den anderen. Die drei waren zwar keine Fährtenleser aber da die neun sich keine Mühe gaben, ihre Spur zu verwischen, hatten sie keine Schwierigkeiten.
"Ich weiß nicht", sinnierte Frodo, während er den Horizont absuchte, "so schnell können sie doch nicht sein. Vielleicht sind wir ja doch einer falschen Spur gefolgt."
Pippin erwiderte:
"Unmöglich! Wir sind vom Stadttor aus immer dieser Spur gefolgt, kurz nachdem sie selbst die Stadt verlassen haben."
"Richtig! Mach' dir keine Sorgen Frodo, früher oder später werden wir zu ihnen stossen.", fügte Merry hinzu.
Frodo schenkte seinen beiden Freunden einen dankbaren Blick, dankbar dafür, dass sie sich bemühten, ihn aufzumuntern. Das schlimmste für sie war, dass sie womöglich ein grosses Abenteuer verpassen konnten. Ihn beunruhigte allerdings dieses ungute Gefühl, dass ihn nun seit sie Gondor verlassen hatten begleitete. Es war wie ein schwarzer Schleier aus durchsichtigem Stoff, der sich über sein Gemüt legte.
~*~
Um Merilwens Fängen zu entgehen und um ein wenig seine Ruhe zu haben, meldete sich Legolas freiwillig zum Holz sammeln. Vor Alfiriel konnte er allerdings nicht entfliehen. Er hatte sich gerade gebückt um einen geeignet erscheinenden, trockenen Holzscheit aufzusammeln, als zwei schlanke, in kniehohen Reitstiefeln steckende Beine in seinem Sichtfeld auftauchten.
"Hast du auch Ruhe gesucht?", fragte er seine hübsche Schwester.
Diese verdrehte die Augen und fuhr sich nervös mit einer Hand durch ihr weissblondes Haar. Ihre Stimme klang verzweifelt, als sie ihm antwortete:
"Ja, ja natürlich! Du kannst dir nicht vorstellen, wie anstrengend Tarawyn ist. Er hat mich zu seiner Beute auserkoren und nun jagt er mich hartnäckig, obwohl ich Haken schlage wie ein tollwütiges Kaninchen. Ich habe ihm wirklich misstraut, Lai, aber es ist nichts als reine Ehrlichkeit in ihm. Er bereut seinen Fehltritt, ich glaube er würde es dir sogar selbst sagen, wenn du nicht so abweisend wärst. Nimm seine Entschuldigung an, rede mit ihm oder sonst etwas, vielleicht lässt er mich dann in Ruhe." Legolas betrachtete Alfiriel ungläubig, dann begann er schallend zu lachen. Er musste sich schliesslich sogar an dem Stamm einer uralten Eiche festhalten, um nicht vor Lachen das Gleichgewicht zu verlieren.
Einerseits war es ein sehr beruhigendes Geräusch, Legolas so aus vollem Herzen lachen zu hören, zumal er in der letzten Zeit, Valshiyas wegen, ständig Trübsal geblasen hatte. Andererseits verstand Alfiriel nicht, womit sie jetzt eine solche Reaktion bei ihm hervorgerufen hatte.
"Was ist los mit dir?", wollte sie wissen. "Was ist so witzig?".
Eine steile Zornesfalte bildete sich zwischen ihren zierlichen Augenbrauen.
Legolas verstand diesen Gesichtsausdruck seiner Schwester als Warnung und bemühte sich darum, die Fassung wiederzugewinnen.
"Nach allem, was du mir gesagt hast, nachdem ich selbst so blind gewesen bin für die Liebe einer Frau, kommst du jetzt zu mir und bittest mich im Hinblick auf Tarawyn um Rat? Ist es da ein Wunder, dass ich die Welt nicht mehr verstehe? Ich bin mir immer noch nicht sicher, ob ich Valshiyas Bruder wirklich mögen kann. Es müssen erst einige Dinge geklärt werden, wenn ich wieder zurück in Düsterwald bin. Aber... meine liebe Firiel, ist es denn nicht offensichtlich? Du warst der Grund, warum er den Plan, den er mit Finlass geschmiedet hat, nicht durchführen konnte. Er wollte dir nicht weh tun. Ich weiss nicht, ob er dich liebt, es würde mich allerdings nicht wundern.", sagte er.
Alfiriel blinzelte überrascht mit ihren hellgrauen Augen. Das war genau das, was Tarawyn ihr auch gesagt hatte. Sie schüttelte widerwillig den Kopf und flüsterte:
"Aber Elladan... Vater sagt, Elrond und er hätten schon darüber gesprochen. Tarawyn... oh nein, was mache ich denn jetzt?"
Wieder musste Legolas leise lachen. Anscheinend hatte Alfiriel sich, genau wie er vor noch nicht allzu langer Zeit, noch nie Gedanken darüber gemacht, irgendwann einmal den Bund einzugehen... mit wem auch immer. Vater hatte zwar immer einige Kanditaten im Auge gehabt - Legolas hatte nicht gewusst, dass einer davon Elladan war, der sie jetzt begleitete - aber wie er selbst, hatte Alfiriel ihn auch nie wirklich ernst genommen. Legolas wusste inzwischen, wie schnell Thranduil ernst machen konnte.
Anscheinend hatte sie Legolas' Anwesenheit völlig vergessen, denn sie murmelte vor sich her:
"Ich würde mich ja selbst belügen, wenn ich behaupten würde, Tarawyns Äusseres wäre nicht ansprechend, doch... nein, nein das geht nicht. Ich kann ihn nicht leiden!"
Dann wandte sie sich ruckartig wieder zu Legolas um und meinte:
"Jetzt kann ich verstehen, wie unangenehm es für dich gewesen sein muß, als Vater dich verheiraten wollte. Ein ähnliches Gefühl befällt mich auch just in diesem Moment."
Legolas schmunzelte immer noch über die Verwirrtheit seiner Schwester.
Er zuckte mit den Schultern und sagte: "Ich kann dir keinen Rat geben, entscheiden in dieser Angelegenheit musst du schon selbst."
~*~
Aegnor, Hauptmann der Palastgarde und Berater Faramirs für die Zeit von Aragorns Abwesenheit, war misstrauisch geworden. Schon längere Zeit bemerkte er, wie Herzog Leodal sich in viel zu dunklen Ecken herumdrückte. Er schaute sich argwöhnisch um, als spürte er ständig irgend jemandes Blicke zwischen seinen Schulterblättern. Der Herzog benahm sich wie ein kleiner Gauner, der nichts gutes im Sinn hatte.
Dieses Verhalten hatte schon vor dem Rat begonnen, den Aragorn, der gute Junge - denn das war er für den alten Aegnor immer noch - zum Verschwinden seiner bildschönen Elbenkönigin und ihrer Verwandten mit seinen Freunden abgehalten hatte. Aegnor kraulte versonnen in seinem ergrauten Kinnbart, während er nachdachte. Besonders eigenartig fand er Leodals feindseliges Verhalten gegenüber den Elben, die bei der Ratssitzung anwesend waren.
Auch Aegnor hatte an diesem Tag das erste Mal in seinem Leben direkt mit Elben zu tun gehabt aber, beim Himmel, wie konnte man diesen feinsinnigen, weisen Wesen feindselig gegenüberstehen? Das einzige, woran er sich hatte gewöhnen müssen war, dass die Prinzen Elladan, Elrohir und der blonde Legolas aus dem Düsterwald, fast 50 Mal so alt waren aber dennoch 40 Jahre jünger aussahen als er. Nun, er zollte ihnen Respekt, doch er hätte auch keine Sekunde lang gezögert, einen der drei über's Knie zu legen, wenn sie eine - in seinen Augen - falsche Entscheidung getroffen hätten. Doch ihr jugendliches Aussehen täuschte über ihre unvergleichliche Lebenserfahrung hinweg. Seine Gedanken kehrten zu Herzog Leodal zurück, während er den Burghof überquerte. Er war sich sicher, dass der Mann, der im ohnehin von Beginn an unsympathisch gewesen war, nichts Gutes im Schilde führte. Er würde ab sofort sein Schatten sein, ihn niemals aus den Augen lassen und bei dem kleinsten Fehltritt Lord Faramir unterrichten.
~*~
Aragorn, Elladan und Elrohir unterhielten sich leise am Lagerfeuer, während Legolas, den Bogen immer im Anschlag, in einiger Entfernung auf und ab ging. Etwas abseits lag Gimli auf seinen Bündeln und schnarchte leise. Alfiriel sass bei Merilwen ohne sich mit ihr zu unterhalten. Sollte sie auch nur den Versuch machen, aufzustehen und zu Legolas herüberzugehen, sie wüsste es schon zu verhindern wissen.
Tarawyn stand bei seiner gescheckten Stute Celeir und klaubte ihr Kletten und Gras aus dem Mähnenhaar. Es war eine sehr ruhige Nacht. Legolas schaute zum Himmel und stellte fest, dass es bald Zeit für die Ablösung war. Nach ihm würde Tarawyn die Wache übernehmen. Die Stille geniessend atmete er tief ein und wieder aus. Er war überrascht, als sein Atem als weisser Nebel vor seinen Augen sichtbar wurde. Es war doch schon kälter als er angenommen hatte. Als Elb war er nicht so empfindlich gegenüber Kälte und Hitze, aus diesem Grunde war ihm gar nicht bewusst gewesen, dass es langsam aber sicher Winter wurde. Seine Gedanken wanderten schon wieder zu Valshiya. Er hoffte, dass sie nicht frieren musste, wo immer sie auch war.
Tarawyn kam näher. Legolas seufzte. Es war ja auch so schön ruhig gewesen. Andererseits, sollte er nicht dem Bruder Valshiyas ein wenig freundlicher gegenübertreten? Er wollte schon höflich grüssen, doch Tarawyn kam ihm zuvor.
"Alae, Cynn nîn[1], ist das nicht eine schöne Nacht?", grüsste er ihn.
Legolas konnte sich einfach nicht überwinden, freundlich zu ihm zu sein. "Was wollt ihr, Tarawyn?", blaffte er ihn an.
Tarawyn hob abwehrend die Hände und bat:
"Seid nicht so abweisend. Ich habe einen Fehler gemacht, ja, aber ich habe die Falschheit meines Vorhabens rechtzeitig eingesehen. Letzten Endes seid ihr der Mann, den meine Schwester liebt. Im übrigen hat selbst Alfiriel mich geprüft und festgestellt, dass ich die Wahrheit sage."
Legolas verdrehte die Augen. Jetzt fing er schon wieder damit an. Tarawyn war zwar nur 1547 Jahre jünger als er aber er war doch immer noch sehr naiv. Der Prinz bemühte sich, dem jungen Elben nicht den Rücken zuzuwenden und einfach zu verschwinden.
"Sagt, was ihr zu sagen habt und dann lasst mich endlich schlafen.", forderte er ihn auf.
Plötzlich verschwand das überhebliche Selbstbewußtsein von seinem Gesicht, wie eine Maske, die ohne Vorwarnung fortgerissen wurde. Stattdessen blickte Legolas nun in ein hilfloses Gesicht mit schwermütigen Augen.
"Glaubt ihr, das wir sie finden werden? Ich meine... wir haben uns nie wirklich so gut verstanden wie ihr und Alfiriel... aber letzten Endes ist sie meine Schwester. Auf meine Art liebe ich sie genau so sehr wie ihr."
Legolas wich Tarawyns Blick aus. Er presste seine Zähne so fest aufeinander, dass sein Kiefer knackte. Seine Schultern strafften sich und er ballte die Hände zu Fäusten. Wieso, ausgerechnet, wollte Tarawyn jetzt über Valshiya sprechen? Es hatte ihn schon seine ganze Selbstbeherrschung gekostet, nicht ständig an sie zu denken. Und wieso musste er unbedingt ausgerechnet mit ihm darüber reden. Schliesslich hatte Legolas allen Grund, wütend auf ihn zu sein.
Tarawyn schien enttäuscht darüber zu sein, dass er keine Antwort erhielt. Er schüttelte den Kopf und sagte leise:
"Es tut mir leid. Ihr solltet euch jetzt besser ausruhen Prinz. Soweit ich den König verstanden habe, will er morgen ziemlich früh weiterreiten."
Legolas hatte sich schon umgedreht, um zu seinem Lager zu gehen, doch dann ging ihm durch den Kopf, was Alfiriel über Tarawyn gesagt hatte. Er sollte anfangen, ihm zu vertrauen und ihn nicht abweisen. Offensichtlich war dies seine Art, um Vergebung nachzusuchen. Er ging zurück und legte Tarawyn eine Hand auf die Schulter. Überrascht blickte sich der jüngere Elb um. Legolas schenkte ihm ein aufmunterndes Lächeln und versprach:
"Wir werden sie finden und wenn ich ganz allein bis ans Ende der Welt gehen müsste, das schwöre ich!"
~*~
Ein fröhliches Lied vor sich her pfeifend spazierte Aegnor den Wehrgang entlang. Im Auftrag Lord Faramirs inspizierte er die Verteidigungsanlagen der inneren Burg. Nun, zugegebenermassen, es war eigentlich seine Idee gewesen. Dass er nur eine Möglichkeit gesucht hatte, sich zu beschäftigen und nicht faul herumzusitzen, wollte er sich nicht eingestehen. Die wachhabenden Soldaten grüssten ihn mit dem gebührenden Respekt und er erwiderte den Gruss.
"Nun, ist alles in Ordnung....?"
"Amrik ist mein Name, Sir Aegnor.", erwiderte der junge Soldat.
"Ja, natürlich! Amrik!", brummte Aegnor, "Ist denn nun alles in Ordnung?"
"Selbstverständlich, Sir, es ist gutes Wetter und man kann sehr weit sehen. Es ist alles ruhig."
Aegnor nickte und wollte schon weitergehen, als er aus den Augenwinkeln unten im Hof eine Bewegung ausmachte. War das nicht... Aber natürlich! Da drückte sich schon wieder dieser zwielichtige Herzog Leodal in den Ecken herum. Aber halt, wer war dieser schwarz verhüllte Kerl, der da bei ihm stand? Aegnor hatte zwar die 60 überschritten aber seine Augen waren immer noch so scharf wie die eines 20jährigen. Jetzt drückte die verhüllte Gestalt dem Herzog etwas in die Hand, das wie ein prall gefüllter Geldbeutel aussah. Beim Himmel, was ging da vor sich und wer, bei allen Göttern, war dieser fremde Kerl? Leodal versteckte den Geldbeutel unter seinem Gewand, verabschiede sich kurz von dem Verhüllten, der schnell wieder in den Schatten verschwand, und hastete dann schnurstracks zur Tür im südlichen Turm. Aegnor reichte es jetzt.
"Habt ihr das gesehen, Amrik?", fragte er den jungen Soldaten, der ihm über die Schulter geschaut hatte.
"Wenn ihr Herzog Leodal gemeint habt, dann habe ich es gesehen, ja!", antwortete Amrik.
"Gut!", meinte Aegnor, "Dann werdet ihr jetzt mit mir zu Lord Faramir kommen und bestätigen, was ich ihm berichten werde."
~*~
Es war gegen Mittag, als sie den kleinen Wald erreichten. Die Sonne bemühte sich wirklich, noch möglichst warme Strahlen zur Erde zu schicken, doch da sie jetzt im Spätherbst auch zur Mittagszeit nicht mehr besonders hoch am Himmel stand, wollte ihr dies nicht so recht gelingen.
"Ai!", rief Elladan plötzlich, "Ich glaube, ich habe es. Kommt schnell alle her!"
Legolas Herz machte einen aufgeregten Satz. Überrascht stellte er fest, dass seine Hände schweissnass waren. War dies endlich die Spur, die sie gesucht hatten? Er presste Dywaith die Beine in die Seiten und der graue Hengst galoppierte los. Aragorn und er waren die ersten an der Stelle, an der Elladan von seinem Ross gestiegen war und nun am Boden kniete.
"Legolas, sag du mir, was du siehst.", bat Elronds Sohn.
Legolas sprang von Dywaith's Rücken und liess sich auf ein Knie nieder. Mit den Händen betastete er vorsichtig den Boden. Seine Finger ertasteten die Spur, die sich hier offenbarte. Für menschliche Augen waren die Spuren wahrscheinlich nicht mehr sichtbar aber ein Elb sah sie noch deutlich. Die Spur erzählte ihm ihre Geschichte. Er konnte nicht glauben, was er da sah. Hastig wandte sich Legolas zu Elladan um. Der nickte langsam und zeigte zu einem niedrigen Haselnussstrauch, neben dem Elrohir schon stand.
"Dort auch!", sagte er.
Aragorn fragte ungeduldig:
"Was...?"
Legolas hab eine Hand und gebot ihm zu schweigen, indem er sagte:
"Warte noch, lass mich erst sehen."
Aragorn hätte die Spur, wenn sie nur um ein weniges deutlicher gewesen wäre, selbst sehen können. Er war von seinem Ziehvater sehr gut ausgebildet worden. Doch diese verwaschene, von vielen anderen Dingen überlagerte Spur hätte seine Fähigkeiten überstiegen. Alfiriel sprang ebenfalls von ihrem Pferd und eilte an die Seite ihres Bruders. Merilwen betrachte die Szene hochmütig vom Sattel aus.
"Ist es das, was ich glaube zu sehen?", fragte Legolas an Elrohir gewandt.
Elrohir erwiderte ruhig:
"Ja, ich denke schon.", er winkte Aragorn zu sich und begann zu erklären. "Hier sind Spuren von Pferden. Einige aus nördlicher Richtung, mehrere aus südlicher Richtung, von Gondor kommend. Dies muss also die Stelle sein, an der Arwen und ihre Grosscousine aufeinandergetroffen sind. Es wurde kurz Rast gemacht. Die Gebüsche rund um diese Stelle herum haben abgeknickte und abgerissene Äste, als ob sich jemand in ihnen versteckt hätte und plötzlich heraus kam. Letztlich, und das übersteigt alle unsere Befürchtungen, stammen diese Spuren nicht nur von Orks... es sind einige, viel grössere Spuren dabei. Den Orkspuren nicht unähnlich aber eben viel größer. Ähnlich den Uruk-Hai, derer sich Saruman im Ringkrieg bedient hat."
Das kleine Licht der Hoffnung, das in Legolas' Herz aufgeflammt war, begann langsam wieder zu erlöschen und hinterliess eine eine unbeschreibliche Kälte, die mit eiserner Hand nach seiner Seele und seinem Herzen griff. Mit einem Schlag war da wieder die Erinnerung an den Traum, den er gehabt hatte. Legolas' Schultern sackten herunter und er verbarg sein Gesicht in den Händen.
Merilwens kalte Stimme schnitt wie ein tödliches Messer in sein Bewußtsein:
"Ich denke, dann können wir ja wieder umkehren. Soweit ich weiss, machen Orks keine Gefangene."
"GENUG!", schrie Aragorn und seine Stimme klang wie ein Gewitter, dass sich direkt über ihren Köpfen entlud. "Merilwen, ich denke, es wäre besser, wenn ihr ein für allemal euren Mund halten würdet. Ich bin immer noch der König, auch wenn wir nicht mehr in meinem Königreich sind und ICH entscheide, wann wir wohin gehen."
Dann ging er zu Elladan und fragte diesen:
"Wohin? In welche Richtung haben sie sie gebracht?" Elladan nickte. Aragorn hatte recht. Wenn die Orks den beiden Frauen etwas angetan hätten, dann hätte man auch davon Spuren entdecken müssen. Elrohir suchte schon nach weiteren Spuren.
"Hier! Die Spuren weisen nach Nordwesten, Richtung Isen. Ich denke, sie werden an Isengard vorbeigekommen sein und dann weiter nördlich gegangen sein. Wie ich schon in Minas Tirith sagte, die Orks sammeln sich im Norden. Ich denke, es wird nicht mehr lange dauern, bis wir den Grund wissen."
"Dann lasst uns doch nicht länger zögern!", sprach Legolas voller Inbrunst. Er lief zu Dywaith und sprang in den Sattel. ----------------------- [1] Seid gegrüßt, mein Prinz
11. Die Spur
Es war wirklich überaus anstrengend, in Merilwens Gesellschaft zu reisen. Ständig versuchte sie sich, Aragorns Anweisungen zum Trotz, zum Anführer der Mission aufzuschwingen. Legolas vermutete, dass sie das nur tat, um ihn zu provozieren. Was, bei Iluvatar, hatte sie davon? Sie glaubte doch wohl nicht wirklich, dass es ihr gelingen könnte, sein Herz zurückzugewinnen? Legolas glaubte, sich an dem Abend in Minas Tirith deutlich ausgedrückt zu haben.
Es fiel ihm zwar schwer aber er dachte nicht im Traum daran, auf ihre Machtspielereien einzugehen. Was sie einmal miteinander hatten, war lange vorbei. Es war ein Fehler und Legolas wollte daran nicht erinnert werden.
"HÖRST DU!", brüllte Gimli, der neben ihm ritt. Er schaute aus dem Sattel seines weissen Ponys zu seinem Elbenfreund auf. Als er endlich dessen Aufmerksamkeit hatte, fragte er:
"Wo bist du nur ständig mit deinen Gedanken. Man könnte seine Zeit sinnvoller damit verbringen, Selbstgespräche zu führen, als mit dir ein Gespräch anzufangen.
Legolas zeigte ein besänftigendes Lächeln und meinte:
"Es tut mir leid, ich war wohl wirklich gerade in Gedanken. Was wolltest du von mir, Gimli?"
Gimli murmelte etwas in seinen Bart und schüttelte verständnislos den Kopf. Legolas tat gerade so, als wäre es das erste Mal, dass er so abwesend war. Aber das war nun schon zum wiederholten Male vorgekommen. Er fragte sich, ob es was mit Arwens Verschwinden oder dieser wunderschönen kupferhaarigen Elbenfrau zu tun hatte, die sie begleitete. Er erinnerte sich auch, dass Frodo ihm bei seinem kurzen Aufenthalt in Gondor auch etwas von einer Valshiya erzählt hatte, das Mädchen, das Arwen empfangen wollte, als sie entführt wurde.
"Ich habe dich gefragt, ob es nicht langsam an der Zeit ist, eine erste Rast einzulegen. Selbst bei Nifredils weicher Gangart, ich bin es einfach nicht gewohnt, so lange zu reiten."
Er warf einen fast neidischen Blick in Richtung Alfiriel, Tarawyn, Elladan, Elrohir, Merilwen und Aragorn, die weit vornweg auf ihren edlen Rössern ritten. Nur der junge Hauptmann Gawen und Legolas waren an seiner Seite. Zwar hatte Legolas zunächst Mühe, Dywaith zurüchzuhalten, der viel lieber über die weite Grasebene hinweggaloppiert wäre, doch als er ihm erklärt hatte, dass das kleine, weisse Pony Nifredil mit seinen kurzen Beinen nicht so schnell war, hatte er aufgegeben, am Zaumzeug zu zerren. Stattdessen stupste er nun das Pony mit seiner weichen Nase hin und wieder am Hinterteil an, um es zu einer schnelleren Gangart zu bewegen. Legolas fragte sich, wie lange das gut gehen würde. Er konnte sich gut vorstellen, daß Nifredil auskeilen würde, wenn es ihm zu bunt wurde. Seinen Mangel an Grösse machte es durch ein ungewöhnliches Temperament wett.
"Sag Aragorn nur nicht, ich sei zu müde um weiterzureiten und müsste mich ausruhen. Du weisst genau, dass er dann wieder stichelt. Ich will ihm nicht schon wieder erklären müssen, dass ein Zwerg von meinem Format sich nicht ausruhen muss.", warnte Gimli.
"Aragorn!", rief Legolas und wartete bis der König von Gondor sich im Sattel zu ihm umgedreht hatte, "Denkst du wir könnten bei dem Hain dort drüben unser Nachtlager aufschlagen?"
Aragorn beriet sich mit den elbischen Zwillingsbrüdern und rief dann zurück:
"Das ist tatsächlich eine geeignete Stelle und im Dunkeln würden wir mögliche Spuren ohnehin nur übersehen."
~*~
Frodo, Merry und Pippin folgten der Spur von Aragorn und den anderen. Die drei waren zwar keine Fährtenleser aber da die neun sich keine Mühe gaben, ihre Spur zu verwischen, hatten sie keine Schwierigkeiten.
"Ich weiß nicht", sinnierte Frodo, während er den Horizont absuchte, "so schnell können sie doch nicht sein. Vielleicht sind wir ja doch einer falschen Spur gefolgt."
Pippin erwiderte:
"Unmöglich! Wir sind vom Stadttor aus immer dieser Spur gefolgt, kurz nachdem sie selbst die Stadt verlassen haben."
"Richtig! Mach' dir keine Sorgen Frodo, früher oder später werden wir zu ihnen stossen.", fügte Merry hinzu.
Frodo schenkte seinen beiden Freunden einen dankbaren Blick, dankbar dafür, dass sie sich bemühten, ihn aufzumuntern. Das schlimmste für sie war, dass sie womöglich ein grosses Abenteuer verpassen konnten. Ihn beunruhigte allerdings dieses ungute Gefühl, dass ihn nun seit sie Gondor verlassen hatten begleitete. Es war wie ein schwarzer Schleier aus durchsichtigem Stoff, der sich über sein Gemüt legte.
~*~
Um Merilwens Fängen zu entgehen und um ein wenig seine Ruhe zu haben, meldete sich Legolas freiwillig zum Holz sammeln. Vor Alfiriel konnte er allerdings nicht entfliehen. Er hatte sich gerade gebückt um einen geeignet erscheinenden, trockenen Holzscheit aufzusammeln, als zwei schlanke, in kniehohen Reitstiefeln steckende Beine in seinem Sichtfeld auftauchten.
"Hast du auch Ruhe gesucht?", fragte er seine hübsche Schwester.
Diese verdrehte die Augen und fuhr sich nervös mit einer Hand durch ihr weissblondes Haar. Ihre Stimme klang verzweifelt, als sie ihm antwortete:
"Ja, ja natürlich! Du kannst dir nicht vorstellen, wie anstrengend Tarawyn ist. Er hat mich zu seiner Beute auserkoren und nun jagt er mich hartnäckig, obwohl ich Haken schlage wie ein tollwütiges Kaninchen. Ich habe ihm wirklich misstraut, Lai, aber es ist nichts als reine Ehrlichkeit in ihm. Er bereut seinen Fehltritt, ich glaube er würde es dir sogar selbst sagen, wenn du nicht so abweisend wärst. Nimm seine Entschuldigung an, rede mit ihm oder sonst etwas, vielleicht lässt er mich dann in Ruhe." Legolas betrachtete Alfiriel ungläubig, dann begann er schallend zu lachen. Er musste sich schliesslich sogar an dem Stamm einer uralten Eiche festhalten, um nicht vor Lachen das Gleichgewicht zu verlieren.
Einerseits war es ein sehr beruhigendes Geräusch, Legolas so aus vollem Herzen lachen zu hören, zumal er in der letzten Zeit, Valshiyas wegen, ständig Trübsal geblasen hatte. Andererseits verstand Alfiriel nicht, womit sie jetzt eine solche Reaktion bei ihm hervorgerufen hatte.
"Was ist los mit dir?", wollte sie wissen. "Was ist so witzig?".
Eine steile Zornesfalte bildete sich zwischen ihren zierlichen Augenbrauen.
Legolas verstand diesen Gesichtsausdruck seiner Schwester als Warnung und bemühte sich darum, die Fassung wiederzugewinnen.
"Nach allem, was du mir gesagt hast, nachdem ich selbst so blind gewesen bin für die Liebe einer Frau, kommst du jetzt zu mir und bittest mich im Hinblick auf Tarawyn um Rat? Ist es da ein Wunder, dass ich die Welt nicht mehr verstehe? Ich bin mir immer noch nicht sicher, ob ich Valshiyas Bruder wirklich mögen kann. Es müssen erst einige Dinge geklärt werden, wenn ich wieder zurück in Düsterwald bin. Aber... meine liebe Firiel, ist es denn nicht offensichtlich? Du warst der Grund, warum er den Plan, den er mit Finlass geschmiedet hat, nicht durchführen konnte. Er wollte dir nicht weh tun. Ich weiss nicht, ob er dich liebt, es würde mich allerdings nicht wundern.", sagte er.
Alfiriel blinzelte überrascht mit ihren hellgrauen Augen. Das war genau das, was Tarawyn ihr auch gesagt hatte. Sie schüttelte widerwillig den Kopf und flüsterte:
"Aber Elladan... Vater sagt, Elrond und er hätten schon darüber gesprochen. Tarawyn... oh nein, was mache ich denn jetzt?"
Wieder musste Legolas leise lachen. Anscheinend hatte Alfiriel sich, genau wie er vor noch nicht allzu langer Zeit, noch nie Gedanken darüber gemacht, irgendwann einmal den Bund einzugehen... mit wem auch immer. Vater hatte zwar immer einige Kanditaten im Auge gehabt - Legolas hatte nicht gewusst, dass einer davon Elladan war, der sie jetzt begleitete - aber wie er selbst, hatte Alfiriel ihn auch nie wirklich ernst genommen. Legolas wusste inzwischen, wie schnell Thranduil ernst machen konnte.
Anscheinend hatte sie Legolas' Anwesenheit völlig vergessen, denn sie murmelte vor sich her:
"Ich würde mich ja selbst belügen, wenn ich behaupten würde, Tarawyns Äusseres wäre nicht ansprechend, doch... nein, nein das geht nicht. Ich kann ihn nicht leiden!"
Dann wandte sie sich ruckartig wieder zu Legolas um und meinte:
"Jetzt kann ich verstehen, wie unangenehm es für dich gewesen sein muß, als Vater dich verheiraten wollte. Ein ähnliches Gefühl befällt mich auch just in diesem Moment."
Legolas schmunzelte immer noch über die Verwirrtheit seiner Schwester.
Er zuckte mit den Schultern und sagte: "Ich kann dir keinen Rat geben, entscheiden in dieser Angelegenheit musst du schon selbst."
~*~
Aegnor, Hauptmann der Palastgarde und Berater Faramirs für die Zeit von Aragorns Abwesenheit, war misstrauisch geworden. Schon längere Zeit bemerkte er, wie Herzog Leodal sich in viel zu dunklen Ecken herumdrückte. Er schaute sich argwöhnisch um, als spürte er ständig irgend jemandes Blicke zwischen seinen Schulterblättern. Der Herzog benahm sich wie ein kleiner Gauner, der nichts gutes im Sinn hatte.
Dieses Verhalten hatte schon vor dem Rat begonnen, den Aragorn, der gute Junge - denn das war er für den alten Aegnor immer noch - zum Verschwinden seiner bildschönen Elbenkönigin und ihrer Verwandten mit seinen Freunden abgehalten hatte. Aegnor kraulte versonnen in seinem ergrauten Kinnbart, während er nachdachte. Besonders eigenartig fand er Leodals feindseliges Verhalten gegenüber den Elben, die bei der Ratssitzung anwesend waren.
Auch Aegnor hatte an diesem Tag das erste Mal in seinem Leben direkt mit Elben zu tun gehabt aber, beim Himmel, wie konnte man diesen feinsinnigen, weisen Wesen feindselig gegenüberstehen? Das einzige, woran er sich hatte gewöhnen müssen war, dass die Prinzen Elladan, Elrohir und der blonde Legolas aus dem Düsterwald, fast 50 Mal so alt waren aber dennoch 40 Jahre jünger aussahen als er. Nun, er zollte ihnen Respekt, doch er hätte auch keine Sekunde lang gezögert, einen der drei über's Knie zu legen, wenn sie eine - in seinen Augen - falsche Entscheidung getroffen hätten. Doch ihr jugendliches Aussehen täuschte über ihre unvergleichliche Lebenserfahrung hinweg. Seine Gedanken kehrten zu Herzog Leodal zurück, während er den Burghof überquerte. Er war sich sicher, dass der Mann, der im ohnehin von Beginn an unsympathisch gewesen war, nichts Gutes im Schilde führte. Er würde ab sofort sein Schatten sein, ihn niemals aus den Augen lassen und bei dem kleinsten Fehltritt Lord Faramir unterrichten.
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Aragorn, Elladan und Elrohir unterhielten sich leise am Lagerfeuer, während Legolas, den Bogen immer im Anschlag, in einiger Entfernung auf und ab ging. Etwas abseits lag Gimli auf seinen Bündeln und schnarchte leise. Alfiriel sass bei Merilwen ohne sich mit ihr zu unterhalten. Sollte sie auch nur den Versuch machen, aufzustehen und zu Legolas herüberzugehen, sie wüsste es schon zu verhindern wissen.
Tarawyn stand bei seiner gescheckten Stute Celeir und klaubte ihr Kletten und Gras aus dem Mähnenhaar. Es war eine sehr ruhige Nacht. Legolas schaute zum Himmel und stellte fest, dass es bald Zeit für die Ablösung war. Nach ihm würde Tarawyn die Wache übernehmen. Die Stille geniessend atmete er tief ein und wieder aus. Er war überrascht, als sein Atem als weisser Nebel vor seinen Augen sichtbar wurde. Es war doch schon kälter als er angenommen hatte. Als Elb war er nicht so empfindlich gegenüber Kälte und Hitze, aus diesem Grunde war ihm gar nicht bewusst gewesen, dass es langsam aber sicher Winter wurde. Seine Gedanken wanderten schon wieder zu Valshiya. Er hoffte, dass sie nicht frieren musste, wo immer sie auch war.
Tarawyn kam näher. Legolas seufzte. Es war ja auch so schön ruhig gewesen. Andererseits, sollte er nicht dem Bruder Valshiyas ein wenig freundlicher gegenübertreten? Er wollte schon höflich grüssen, doch Tarawyn kam ihm zuvor.
"Alae, Cynn nîn[1], ist das nicht eine schöne Nacht?", grüsste er ihn.
Legolas konnte sich einfach nicht überwinden, freundlich zu ihm zu sein. "Was wollt ihr, Tarawyn?", blaffte er ihn an.
Tarawyn hob abwehrend die Hände und bat:
"Seid nicht so abweisend. Ich habe einen Fehler gemacht, ja, aber ich habe die Falschheit meines Vorhabens rechtzeitig eingesehen. Letzten Endes seid ihr der Mann, den meine Schwester liebt. Im übrigen hat selbst Alfiriel mich geprüft und festgestellt, dass ich die Wahrheit sage."
Legolas verdrehte die Augen. Jetzt fing er schon wieder damit an. Tarawyn war zwar nur 1547 Jahre jünger als er aber er war doch immer noch sehr naiv. Der Prinz bemühte sich, dem jungen Elben nicht den Rücken zuzuwenden und einfach zu verschwinden.
"Sagt, was ihr zu sagen habt und dann lasst mich endlich schlafen.", forderte er ihn auf.
Plötzlich verschwand das überhebliche Selbstbewußtsein von seinem Gesicht, wie eine Maske, die ohne Vorwarnung fortgerissen wurde. Stattdessen blickte Legolas nun in ein hilfloses Gesicht mit schwermütigen Augen.
"Glaubt ihr, das wir sie finden werden? Ich meine... wir haben uns nie wirklich so gut verstanden wie ihr und Alfiriel... aber letzten Endes ist sie meine Schwester. Auf meine Art liebe ich sie genau so sehr wie ihr."
Legolas wich Tarawyns Blick aus. Er presste seine Zähne so fest aufeinander, dass sein Kiefer knackte. Seine Schultern strafften sich und er ballte die Hände zu Fäusten. Wieso, ausgerechnet, wollte Tarawyn jetzt über Valshiya sprechen? Es hatte ihn schon seine ganze Selbstbeherrschung gekostet, nicht ständig an sie zu denken. Und wieso musste er unbedingt ausgerechnet mit ihm darüber reden. Schliesslich hatte Legolas allen Grund, wütend auf ihn zu sein.
Tarawyn schien enttäuscht darüber zu sein, dass er keine Antwort erhielt. Er schüttelte den Kopf und sagte leise:
"Es tut mir leid. Ihr solltet euch jetzt besser ausruhen Prinz. Soweit ich den König verstanden habe, will er morgen ziemlich früh weiterreiten."
Legolas hatte sich schon umgedreht, um zu seinem Lager zu gehen, doch dann ging ihm durch den Kopf, was Alfiriel über Tarawyn gesagt hatte. Er sollte anfangen, ihm zu vertrauen und ihn nicht abweisen. Offensichtlich war dies seine Art, um Vergebung nachzusuchen. Er ging zurück und legte Tarawyn eine Hand auf die Schulter. Überrascht blickte sich der jüngere Elb um. Legolas schenkte ihm ein aufmunterndes Lächeln und versprach:
"Wir werden sie finden und wenn ich ganz allein bis ans Ende der Welt gehen müsste, das schwöre ich!"
~*~
Ein fröhliches Lied vor sich her pfeifend spazierte Aegnor den Wehrgang entlang. Im Auftrag Lord Faramirs inspizierte er die Verteidigungsanlagen der inneren Burg. Nun, zugegebenermassen, es war eigentlich seine Idee gewesen. Dass er nur eine Möglichkeit gesucht hatte, sich zu beschäftigen und nicht faul herumzusitzen, wollte er sich nicht eingestehen. Die wachhabenden Soldaten grüssten ihn mit dem gebührenden Respekt und er erwiderte den Gruss.
"Nun, ist alles in Ordnung....?"
"Amrik ist mein Name, Sir Aegnor.", erwiderte der junge Soldat.
"Ja, natürlich! Amrik!", brummte Aegnor, "Ist denn nun alles in Ordnung?"
"Selbstverständlich, Sir, es ist gutes Wetter und man kann sehr weit sehen. Es ist alles ruhig."
Aegnor nickte und wollte schon weitergehen, als er aus den Augenwinkeln unten im Hof eine Bewegung ausmachte. War das nicht... Aber natürlich! Da drückte sich schon wieder dieser zwielichtige Herzog Leodal in den Ecken herum. Aber halt, wer war dieser schwarz verhüllte Kerl, der da bei ihm stand? Aegnor hatte zwar die 60 überschritten aber seine Augen waren immer noch so scharf wie die eines 20jährigen. Jetzt drückte die verhüllte Gestalt dem Herzog etwas in die Hand, das wie ein prall gefüllter Geldbeutel aussah. Beim Himmel, was ging da vor sich und wer, bei allen Göttern, war dieser fremde Kerl? Leodal versteckte den Geldbeutel unter seinem Gewand, verabschiede sich kurz von dem Verhüllten, der schnell wieder in den Schatten verschwand, und hastete dann schnurstracks zur Tür im südlichen Turm. Aegnor reichte es jetzt.
"Habt ihr das gesehen, Amrik?", fragte er den jungen Soldaten, der ihm über die Schulter geschaut hatte.
"Wenn ihr Herzog Leodal gemeint habt, dann habe ich es gesehen, ja!", antwortete Amrik.
"Gut!", meinte Aegnor, "Dann werdet ihr jetzt mit mir zu Lord Faramir kommen und bestätigen, was ich ihm berichten werde."
~*~
Es war gegen Mittag, als sie den kleinen Wald erreichten. Die Sonne bemühte sich wirklich, noch möglichst warme Strahlen zur Erde zu schicken, doch da sie jetzt im Spätherbst auch zur Mittagszeit nicht mehr besonders hoch am Himmel stand, wollte ihr dies nicht so recht gelingen.
"Ai!", rief Elladan plötzlich, "Ich glaube, ich habe es. Kommt schnell alle her!"
Legolas Herz machte einen aufgeregten Satz. Überrascht stellte er fest, dass seine Hände schweissnass waren. War dies endlich die Spur, die sie gesucht hatten? Er presste Dywaith die Beine in die Seiten und der graue Hengst galoppierte los. Aragorn und er waren die ersten an der Stelle, an der Elladan von seinem Ross gestiegen war und nun am Boden kniete.
"Legolas, sag du mir, was du siehst.", bat Elronds Sohn.
Legolas sprang von Dywaith's Rücken und liess sich auf ein Knie nieder. Mit den Händen betastete er vorsichtig den Boden. Seine Finger ertasteten die Spur, die sich hier offenbarte. Für menschliche Augen waren die Spuren wahrscheinlich nicht mehr sichtbar aber ein Elb sah sie noch deutlich. Die Spur erzählte ihm ihre Geschichte. Er konnte nicht glauben, was er da sah. Hastig wandte sich Legolas zu Elladan um. Der nickte langsam und zeigte zu einem niedrigen Haselnussstrauch, neben dem Elrohir schon stand.
"Dort auch!", sagte er.
Aragorn fragte ungeduldig:
"Was...?"
Legolas hab eine Hand und gebot ihm zu schweigen, indem er sagte:
"Warte noch, lass mich erst sehen."
Aragorn hätte die Spur, wenn sie nur um ein weniges deutlicher gewesen wäre, selbst sehen können. Er war von seinem Ziehvater sehr gut ausgebildet worden. Doch diese verwaschene, von vielen anderen Dingen überlagerte Spur hätte seine Fähigkeiten überstiegen. Alfiriel sprang ebenfalls von ihrem Pferd und eilte an die Seite ihres Bruders. Merilwen betrachte die Szene hochmütig vom Sattel aus.
"Ist es das, was ich glaube zu sehen?", fragte Legolas an Elrohir gewandt.
Elrohir erwiderte ruhig:
"Ja, ich denke schon.", er winkte Aragorn zu sich und begann zu erklären. "Hier sind Spuren von Pferden. Einige aus nördlicher Richtung, mehrere aus südlicher Richtung, von Gondor kommend. Dies muss also die Stelle sein, an der Arwen und ihre Grosscousine aufeinandergetroffen sind. Es wurde kurz Rast gemacht. Die Gebüsche rund um diese Stelle herum haben abgeknickte und abgerissene Äste, als ob sich jemand in ihnen versteckt hätte und plötzlich heraus kam. Letztlich, und das übersteigt alle unsere Befürchtungen, stammen diese Spuren nicht nur von Orks... es sind einige, viel grössere Spuren dabei. Den Orkspuren nicht unähnlich aber eben viel größer. Ähnlich den Uruk-Hai, derer sich Saruman im Ringkrieg bedient hat."
Das kleine Licht der Hoffnung, das in Legolas' Herz aufgeflammt war, begann langsam wieder zu erlöschen und hinterliess eine eine unbeschreibliche Kälte, die mit eiserner Hand nach seiner Seele und seinem Herzen griff. Mit einem Schlag war da wieder die Erinnerung an den Traum, den er gehabt hatte. Legolas' Schultern sackten herunter und er verbarg sein Gesicht in den Händen.
Merilwens kalte Stimme schnitt wie ein tödliches Messer in sein Bewußtsein:
"Ich denke, dann können wir ja wieder umkehren. Soweit ich weiss, machen Orks keine Gefangene."
"GENUG!", schrie Aragorn und seine Stimme klang wie ein Gewitter, dass sich direkt über ihren Köpfen entlud. "Merilwen, ich denke, es wäre besser, wenn ihr ein für allemal euren Mund halten würdet. Ich bin immer noch der König, auch wenn wir nicht mehr in meinem Königreich sind und ICH entscheide, wann wir wohin gehen."
Dann ging er zu Elladan und fragte diesen:
"Wohin? In welche Richtung haben sie sie gebracht?" Elladan nickte. Aragorn hatte recht. Wenn die Orks den beiden Frauen etwas angetan hätten, dann hätte man auch davon Spuren entdecken müssen. Elrohir suchte schon nach weiteren Spuren.
"Hier! Die Spuren weisen nach Nordwesten, Richtung Isen. Ich denke, sie werden an Isengard vorbeigekommen sein und dann weiter nördlich gegangen sein. Wie ich schon in Minas Tirith sagte, die Orks sammeln sich im Norden. Ich denke, es wird nicht mehr lange dauern, bis wir den Grund wissen."
"Dann lasst uns doch nicht länger zögern!", sprach Legolas voller Inbrunst. Er lief zu Dywaith und sprang in den Sattel. ----------------------- [1] Seid gegrüßt, mein Prinz
