Inspired by the Song "Sirius" of "Master" Mike Oldfield
13. Flucht
Sie hatten alles abgesucht und sich im schummrigen Halbdunkel ihrer Zelle den Boden, die Wände und sogar die Decke genau angeschaut. Tatsächlich hatten sie sogar etwas gefunden, was in ihnen einen Hoffnungsschimmer hatte aufglimmen lassen. In der Wand direkt gegenüber der Zellentür musste es irgendwann einmal einen Durchgang gegeben haben. Hinter dem Putz, der an dieser Stelle bröckelte, war ein Stück des Mauerwerks neuer als der Rest.
"Wir haben aber doch kein Werkzeug und heftiges Wünschen alleine wird diese Mauer nicht verschwinden lassen.", gab Arwen zu bedenken.
Valshiya legte den Zeigefinger auf die Lippen, als sie draussen auf dem Gang ein scharrendes Geräusch hörte. Die Fackel auf dem Flur bewegte sich in einem plötzlichen Luftzug und zeichnete wild tanzende Schemen auf die Wand. Als alles wieder still war, flüsterte sie:
"Ich weiss, ich weiss. Lass mich nachdenken. Selbstverständlich haben wir kein Werkzeug aber dann müssen wir es eben mit unseren Händen machen."
Mit den Nägeln ihrer schlanken, zarten Finger kratzte sie an dem Putz und fand darunter einige lockere Stellen. Arwen starrte sie an, als hätte sie eine Wahnsinnige vor sich. Hatte sie tatsächlich vor, mit den Händen die Fugen zwischen den massiven Ziegeln zu lockern? Doch andererseits: sollte sie sich diese kleine Hoffnung jetzt etwa wieder nehmen lassen.
"Wir werden mehrere Tage dafür brauchen und wir können es nicht einmal verbergen. Was, wenn Osclyn wieder auftaucht?", meinte Arwen dennoch.
Valshiyas Kopf fuhr herum. Arwen konnte im Halbdunkel ihre Augen funkeln sehen. Welche Farbe hatten sie gleich? Grün! Sie sassen schon so lange in dieser Zelle, dass sie sich nicht einmal mehr an so etwas erinnern konnten.
Sie fragte:
"Arwen, sag mir: willst du hier raus? Willst du Aragorn warnen?"
Arwen nickte. Selbstverständlich wollte sie das.
"Gut", fuhr Valshiya fort, "dann dürfen wir eben nicht mehrere Tage dafür brauchen. Sobald heute Nacht alles still ist, beginnen wir. Schau doch, einige Ziegel sind locker. Es wird uns zwar unsere Fingernägel kosten aber wir können es schaffen."
Beinahe hätte sie irre aufgelacht. Der Gedanke daran, ihre Fingernägel zu verlieren war doch wirklich zu absurd. Allerdings würde sie auf jeden Fall durchdrehen, wenn sie noch länger als einen Tag in diesem Loch verbringen würde. Sie musste weg von diesen unmenschlichen, gequälten Schreien, die jetzt regelmässig aus den Tiefen dieser Gewölbe zu ihnen heraufdrangen. Valshiya fragte sich schon lange, wie weit unter der Erde sie waren und wie weit es noch herunterging.
"Was ist, wenn hinter dieser Mauer nichts ist... kein Fluchtweg?", wollte Arwen wissen.
Valshiya schüttelte den Kopf über ihre Grosscousine. Was war bloss mit ihr los? Sie war doch sonst immer so voller Zuversicht. Trotzdem antwortete sie:
"Dann spielt es auch keine Rolle mehr, ob unser Fluchtversuch entdeckt wird oder nicht. Schlimmer kann es für uns nicht mehr werden."
Sie wußte, dass sie sich selbst belog. Es konnte schlimmer werden, nämlich wenn Legolas in die Gewalt dieses Wahnsinnigen geriet und letzendlich war sie diejenige, die die Schuld daran trug.
"Wir sollten jetzt schlafen, denn es wird sicher sehr anstrengend heute nacht.", erklärte Valshiya und legte sich so bequem es nur irgend ging in eine Ecke auf das faule, von Ungeziefern bewohnte Stroh.
*****
Sanft wehte der salzige, frische Wind vom Meer zu ihm herauf. Möwen umschwärmten die Klippe auf der er stand. Salzig war auch die Spur der heißen Tränen, die seine Wangen hinabliefen. Während die wilden Wellen hoch in weisser Gischt und mit dem Geräusch von fernem Donner gegen die Klippen brandeten, kam die Erinnerung wieder. Warum wollte er Mittelerde letzten Endes doch verlassen? Weil er ein gebrochener Mann war. Er war gescheitert. Er hatte seine Liebe nicht retten können, hatte sich von einer Nichtigkeit aufhalten lassen. Wie in Trance fasste er sich an die Schulter, die von einem Orkpfeil verletzt worden war. Die Wunde war längst verheilt aber als seine Finger die Stelle berührten, begann sie wieder zu brennen. Diese Wunde war eine bleibende Erinnerung an sein Versagen. Er warf einen sehnsüchtigen Blick zurück. Hier in Mittelerde hätte er mit Valshiya für immer glücklich sein können, doch er war nicht in der Lage gewesen, sie zu retten. Nur ein Tag, ein verlorener Tag zuviel! Was war das? Mit seinem scharfen Elbenblick sah er, wie sich über die grünen Hügel jemand auf einem Pferd näherte. Es war eine schwarzverhüllte Gestalt. Mit einem knochigen Finger zeigte sie auf ihn und gebot ihm, zu warten. Die Gestalt kam näher und Legolas erkannte mit Schrecken, dass sich unter der schweren, schwarzen Kapuze kein Gesicht verbarg.
"FINDE ICH DICH ENDLICH!", sagte die Gestalt mit dröhnender Stimme.
Legolas stand wie erstarrt auf der Klippe aber auch eine gewisse schicksalhafte Ergebenheit bemächtigte sich seines Gemüts. Er wusste nicht, wer da zu ihm sprach, doch ja, er hatte ihn schliesslich gefunden.
"So ist es!", flüsterte er gequält, "Aber du hast mir bereits alles genommen. Was kann ich dir noch geben?"
Die Gestalt griff nach einer schwarzen Armbrust, die sie bis dahin geschultert hatte und legte langsam und bedächtig einen Bolzen in die Schiene.
"ICH HABE DICH GESUCHT, ICH HABE DICH GEFUNDEN UND GEJAGT, ICH HABE DICH GEBROCHEN, ICH HABE DIR DEIN LIEBSTES GENOMMEN. NACH ALL DEM SCHMERZ - OH, WELCHE BEFRIEDIGUNG - WERDE ICH DIR JETZT DEIN LEBEN NEHMEN.", dröhnte die Stimme ohne Gesicht.
Oh, süsse Gnade! Legolas sank auf die Knie. Wenn er jetzt starb, würde Valshiya ihn dann in Mandos Hallen erwarten? Wenn er nicht hier und jetzt starb, würde er ohnehin in nicht allzu ferner Zeit an gebrochenem Herzen sterben. Seine ganze Welt verkleinerte sich auf den Bolzen, der nun endlich eingespannt war.
'Schiess schon, lass mich nicht so lange warten!', dachte Legolas.
Der Verhüllte feuerte die Armbrust ab. Er sah den Bolzen auf sich zukommen und im nächsten Moment zerriss der Schmerz seine Brust. Mit dem Blut strömte die Lebenskraft aus seinem Körper und er fiel langsam vornüber.
"Legolas! Lai, wach auf!", hörte er eine weibliche Stimme, die langsam in sein Unterbewusstsein drang. Die Stimme gehörte seiner Schwester... Seiner Schwester? Wie kam es, dass sie ihn in Mandos Hallen erwartete? Nein, so war es nicht. Er merkte, wie er langsam wieder der Realität entgegenglitt. Als erstes spürte er die Kälte. Da waren Schneeflocken, die auf sein Gesicht fielen und dort zu kleinen, kalten Wassertropfen schmolzen. Er öffnete die Augen und blickte in einen Himmel, der so grau war, wie ungewaschene Schafwolle. Vor diesem Hintergrund tanzten wild die weissen, sternförmigen Schneeflocken in der Luft, sanken geräuschlos auf ihn nieder. Er stöhnte und schloss sogleich wieder die Augen, weil ihm von diesem Anblick schwindelte. Er hätte es wissen müssen. Da alle Sinne der Elben viel schärfer waren als bei den Menschen, waren sie auch für solche Eindrücke viel empfänglicher, was eben nicht immer gut war. Wäre er nicht so müde und matt gewesen, hätte er den Anblick vielleicht als angenehm emfunden aber so...
"Lai, du hast schlecht geträumt.", sagte seine Schwester.
Legolas sammelte sich, atmete tief ein und setzte sich dann langsam auf. Ich habe schon wieder schlecht geträumt, dachte er.
"Beweg bitte einmal deine Schulter.", forderte Alfiriel ihn auf.
Er tat wie ihm geheissen und stellte überrascht fest, dass er seinen Arm fast ohne Schmerzen bewegen konnte. Das war gut, denn es erinnerte ihn gleichzeitig daran, dass ein Traum letzten Endes nichts weiter als ein Traum war. Zumindest was ihn anging, denn er war kein Magier und auch kein Seher.
"Es ist gut, dass es dir schon besser geht. Dann können wir den anderen jetzt folgen.", erklärte sie.
Legolas erschrak. Was meinte sie damit: den anderen folgen? Er setzte sich ruckartig auf und schaute sich in der näheren Umgebung um. Von den anderen, Aragorn, Elladan, Elrohir, Gawen und Gimli, war tatsächlich nirgends eine Spur zu sehen. Nur Tarawyn stand aufbruchsbereit bei den Pferden. Er versuchte sich zu erinnern. Was war da in seinem Traum gewesen...? Er war zu spät gekommen, um Valshiya zu retten. Was, wenn er jetzt tatsächlich zu spät kam?
"Wo...", begann Legolas.
"Ich sagte ihnen, dass sie der Spur ruhig schon weiter folgen sollten. Ich wollte dich ausschlafen lassen. Tarawyn hat darauf bestanden bei mir zu bleiben..." auf ihrem Gesicht wurde ein schiefes Grinsen sichtbar "... auch Gimli, der eigentlich wutschnaubend über dich geschimpft hatte, wie der Herr Elb nur so dumm sein konnte, sich von einem Orkpfeil treffen zu lassen, wollte zunächst bleiben, doch Aragorn hat ihn unter wilden Protesten mitgeschleift. Ich glaube, er machte sich grosse Sorgen um dich. Das wirst du aber wahrscheinlich nie aus seinem Mund zu hören bekommen."
Legolas schob sie etwas unsanft zur Seite und sprang auf. Ein stechender Schmerz durchfuhr seine Schulter, als er seinen Bogen und seinen Köcher aufnahm. Hatte er die Verletzung vielleicht doch unterschätzt? Aber das spielte jetzt keine Rolle. Die anderen waren schon losgeritten. Er musste sich beeilen, sonst würde sein Traum am Ende wahr werden und er würde zu spät... er durfte gar nicht daran denken.
"Was machst du denn? Legolas Thranduilien! Du hörst mir ja überhaupt nicht zu!", schrie Alfiriel.
Legolas hatte - unter den Blicken des verdutzten Tarawyn - schon einen Fuss im Steigbügel und wollte gerade aufsteigen, als seine Schwester ihn mit seinem vollständigen Elbennamen anrief. Er hielt abrupt inne. Sie musste wirklich sehr ärgerlich sein, wenn sie ihn so ansprach. Er reichte Tarawyn Dywaith's Zügel, die er ihm gerade eben aus der Hand gerissen hatte, zurück und ging auf Alfiriel zu. Ihre Wangen waren gerötet und sie hatte die Fäuste in ihre Hüfte gestemmt, während sie mit dem rechten Fuss ungeduldig auf und ab wippte. Oh, sie war wirklich sehr böse! Aber Legolas liess sich davon nicht aus der Ruhe bringen. Dafür kannte er sie schon viel zu lange und wusste mit dieser Art von Wut umzugehen, anders als der arme Tarawyn. Er legte sanft seine Hände auf ihre Schultern und warf anschliessend einen kurzen Blick über seine Schulter, um sich zu vergewissern, dass Tarawyn nicht lauschte.
"Liebe Schwester, eigentlich wollte ich es dir gar nicht erzählen aber da ihr alle über mein Verhalten erbost seid, muss ich wenigstens dir es jetzt sagen. Seit Valshiya verschwunden ist, quälen mich des Nachts immer wieder diese unheimlichen Träume. Jedes Mal geht es darum, dass ich bei ihrer Rettung versage... ich weiss nicht, was ich davon halten soll.", erklärte er.
Dann erzählte er ihr in Kürze endlich von den beiden Träumen, die er seit Valshiyas Entführung gehabt hatte.
Zunächst veränderte sich in Alfiriels Gesicht nichts. Sie schaute immer noch ziemlich erbost drein. Doch dann verzogen sich ihre Mundwinkel langsam nach oben und zauberten ein nachsichtiges Lächeln.
Mit der rechten Hand strich sie liebevoll über seine Wange und sagte leise:
"Aber Lai, das ist doch nur natürlich. Du bist verliebt und machst dir Sorgen um sie. Wenn du nur endlich aufhören würdest, dich wie ein Dummkopf zu benehmen und dich und andere in Gefahr zu bringen. Bruder, du bist ein Kämpfer, fang endlich an, danach zu handeln."
Sie prüfte den korrekten Sitz ihrer eigenen Waffen und fuhr dann fort:
"So, und nun werden wir den anderen hinterherreiten, ich gehe davon aus, dass sie inzwischen die Garnisonsstadt Pardanor am Nenuial erreicht haben."
*****
Valshiya wusste zwar immer noch nicht, wie spät es jetzt tatsächlich war aber den Geräuschen zufolge, die jetzt vom Gang vor der Zelle zu ihr herdrangen, musste es Nacht sein. Es war zu dieser Zeit viel stiller und einige der Wachen schnarchten auf den Gängen sogar leise vor sich hin. In der langen Zeit, in der sie nun hier unten war, hatte sie sich diesen typischen Tagesrhythmus eingeprägt und nun war dieses Wissen endlich einmal nützlich. Sie warf Arwen einen bedeutungsvollen Blick zu. Diese nickte und leise, sehr leise, begannen sie den feuchten Putz von der Stelle zu kratzen, an der sie einen geheimen Ausgang aus ihrem Verlies vermuteten. Hinter dem Putz verbargen sich teilweise lockere Ziegelsteine. Der Mörtel zwischen den einzelnen Steinen war brüchig und obwohl es einige Mühe machte, gelang es den beiden, einen Stein nach dem anderen aus der Wand herauszulösen. Plötzlich hielt Valshiya inne und blickte Arwen euphorisch an.
"Spürst du diesen kühlen Luftzug? Hinter dieser Mauer muss so etwas wie ein Gang sein. Jetzt muss er uns nur noch nach draussen führen.", sagte sie.
Arwen nickte und riss einen weiteren Stein aus der Mauer.
"Aber wenn wir hier herauskommen, dann wissen wir immer noch nicht, wo wir sind und in welche Richtung wir uns wenden sollen. Valshiya, wir sind dann mitten in Feindesland und haben keinen einzigen Verbündeten."
Valshiya winkte ab. Die Aussicht, endlich aus diesem dunklen, feuchten, muffigen Loch herauszukommen, liess einfach keinen Raum für Überlegungen, was nach ihrer Flucht geschehen sollte.
"Ist uns etwas eingefallen, wie wir hier herauskommen?", fragte sie und beantwortete sich diese Frage auch gleich selbst. "Ja, nach langem Nachdenken zwar aber uns ist etwas eingefallen. Siehst du, genauso wird uns anschliessend auch schon etwas einfallen, wie wir zurück nach Gondor kommen. Wir werden es schon schaffen."
In diesem Moment überraschte sie überhaupt nicht, wie sie dieses, immer grösser werdende Loch in der Wand mit Zuversicht erfüllte. Arwen hingegen konnte es immer noch nicht glauben, selbst als sich hinter der Mauer tatsächlich ein Gang öffnete.
"Aus welchem Grund sollte man hier einen Gang bauen und ihn anschliessend wieder zumauern?", fragte sie misstrauisch.
"Vielleicht waren das hier nicht immer Verliese.", versuchte Valshiya zu erklären. "Vielleicht wurde dieser Gang zugemauert, als diese Räume ihrem heutigen Zweck zugeführt wurden."
Sie spähte in das kalte aber trockenere Dunkel hinein, das sich hinter dem Loch in der Mauer ausbreitete. Einerseits glaubte sie wirklich, dass dies ihr Fluchtweg sein könnte aber andererseits war sie auch von einer gewissen Furcht erfüllt. Wo würde dieser Weg sie hinführen?
"Sollen wir?", fragte sie knapp.
"Ich werde vorausgehen, denn ich sehe in der Dunkelheit besser als du.", erwiderte Arwen.
Plötzlich erklangen auf dem Gang, der zu ihrem Verlies führte, Geräusche. Jemand näherte sich schnellen Schrittes der Zelle, in der die beiden noch immer waren. Als sich zu den Laufgeräuschen Stimmen mischten, wussten sie, wer da kam. Es war eine ziemlich ungewöhnliche Zeit aber es war Osclyn und Iluvatar weiss, was er nun wieder von den beiden wollte.
"Nun ja, damit wäre uns die Entscheidung ob wir gehen oder nicht ja wohl abgenommen. Jetzt oder nie.", sagte Valshiya und zwängte sich durch das Loch in der Mauer.
Arwen folgte ihr auf dem Fuss. Samtene, kühle Schwärze umgab die beiden sogleich. Als sie zurückblickten, erschien ihnen selbst die kleine muffige Zelle noch heller zu sein, als dieser Gang. Der Boden stieg leicht an und war mit dem Staub von Jahrhunderten bedeckt. Valshiya flüsterte:
"Hier ist wirklich schon sehr lange niemand gewesen. Deshalb wusste Osclyn wahrscheinlich auch nichts von diesem Gang."
Arwen ergriff Valshiyas Hand und zog sie vorwärts.
"Darüber können wir uns unterhalten, wenn wir hier raus sind. Wenn er unsere Flucht entdeckt, wird er uns verfolgen."
Valshiya erschrak. Arwen hatte recht. Sie mussten sich beeilen. Ihre Flucht hatte gerade erst begonnen und wenn sie jetzt nicht laufen würden, würde sie vielleicht auch wieder ein sehr schnelles Ende nehmen. In diesem Gang schien es weit und breit kein Versteck zu geben. Sie hatten vielleicht 500 Schritte gemacht, als Osclyns wütendes Geschrei hinter ihnen erklang.
"Wachen! Die Gefangenen sind entkommen. Wo seid ihr, wenn man euch braucht, ihr Nichtsnutze! Ich werde euch bei lebendigem Leibe häuten lassen, wenn ihr nicht sofort diese beiden Mädchen wieder herschafft. Hinterher!"
Das metallische Scheppern von Rüstungen und Waffen erklang laut und deutlich hinter ihnen und es näherte sich unaufhaltsam. Valshiya spürte, wie Arwens Griff um ihre Hand stärker wurde und schon begannen sie zu laufen. Es ging immer weiter aufwärts und auch die Luft wurde zusehends frischer. Doch die Verfolger rückten ihnen immer näher.
"Wir müssen uns verstecken, sonst werden sie uns erwischen.", flüsterte Valshiya und ihre Stimme klang panisch.
"Vielleicht geht es, wenn wir uns ganz nah an die Wand pressen?", meinte Arwen.
Valshiya erwiderte:
"Nein, sie haben Fackeln! Sie werden uns sehen."
Der verräterische Fackelschein kam immer näher aber so wurde die Umgebung auch für Arwen und Valshiya deutlicher. Neben dem staubigen Weg, der immer weiter bergauf führte, war alle paar Meter ein kleiner Schacht eingelassen, der von einem Eisengitter bedeckt war. Man konnte nicht erkennen, welchen Zweck dieser Schacht einmal erfüllt hatte aber für die beiden Frauen stellte es sich als das Versteck dar, das sie brauchten, um ihren Verfolgern zu entgehen.
"Bist du sicher, daß wir da durchpassen?", fragte Valshiya.
Arwen antwortete:
"Wenn wir es jetzt nicht versuchen, dann werden wir es nie erfahren."
Sie bückte sich, um das Gitter hochzuheben aber es sass sehr fest und erst als Valshiya sich ebenfalls bückte und mitanfasste, gelang es den beiden, es zu öffnen. Valshiya war immer noch skeptisch, doch dann liess sich mit den Füßen zuvorderst in das Loch hinein. Die Öffnung war tatsächlich sehr eng und Valshiya wagte erst wieder zu atmen, als sie vollständig hindurch war und wieder festen Boden unter den Füßen hatte.
Sie gab Arwen einen Wink, daß alles in Ordnung war. Nun zwängte sich die Königin durch das Loch, wobei Valshiya ihr von unten half. Möglichst lautlos liessen sie das Gitter wieder auf das Loch gleiten. Sie hatten Glück, das die Geräusche, welche die Soldaten machten, lauter waren als das knirschende, schabende Geräusch, welches das Gitter verursachte, als es langsam wieder an seinen angestammten Platz rutschte. Valshiya seufzte vor Erleichterung tief auf. Es hätte nicht viel gefehlt und ihre Flucht wäre schon wieder beendet gewesen. Als die Geräusche der Soldaten in weiter Ferne verklangen, setzten sich Valshiya und Arwen auf den staubigen Boden.
"Ich denke, es ist vielleicht besser, wenn wir uns hier verstecken, bis sie die Suche nach uns aufgegeben haben.", meinte Valshiya.
"Und wann, denkst du, wird das sein? Wie lange willst du hier ausharren?", wollte Arwen wissen.
"Ich weiss es nicht, ich weiss es doch nicht. Ich weiss nicht, wo wir sind, ich weiss nicht, wie unsere Flucht weitergehen soll, ich weiss nicht, wie wir Aragorn und Legolas warnen sollen, ich weiss eigentlich gar nichts."
Ich will nur zurück zu Legolas, er würde wissen, was jetzt zu tun ist. Ach, hätte ich ihm nur gesagt, wie sehr ich ihn liebe, dachte Valshiya. Aber wäre dann irgend etwas anders gewesen? Hätte König Thranduil nicht dennoch auf eine Vermählung von Legolas und Riona bestanden?
Arwen hatte die ganze Zeit, in der sie in ihre Gedanken versunken gewesen war, mit ihr gesprochen.
"... hast du gehört?", wollte sie wissen.
Nein, natürlich hatte sie nicht gehört, was sie gesagt hatte.
"Ich kann nicht glauben, dass du gerade jetzt, wo wir schon so weit gekommen sind, allen Mut fahren lässt. Du warst immerhin diejenige die diesen Fluchtplan ausgeheckt hat und ich war diejenige, die zunächst nicht daran geglaubt hat, das wir es schaffen können."
Arwen ging auf sie zu, ergriff ihren rechten Arm und zog sie hoch. Valshiya war viel zu überrascht, als dass sie etwas dagegen hätte tun können.
"Ich sage, steh auf und lass uns weitergehen. So wie es aussieht, führt diese Kanalisation direkt unter dem Gang entlang. Das ist auch der Grund, warum der Gang so trocken war. Hier ist es viel feuchter und es würde mich nicht wundern, wenn dieser alte Kanal irgendwann in einem neuen, oberirdischen Kanal endet. Das sollte unser Fluchtweg sein."
Habt Nachsicht mit mir, denn dieses Kapitel ist wirklich großer Käse! Wie auch der ganze Rest dieser Story. Inzwischen frage ich mich doch tatsächlich: Warum habe ich das bloß angefangen, denn ich weiß echt nicht weiter. Falls ihr Ideen habt, teilt sie mir in euren Reviews mit.
13. Flucht
Sie hatten alles abgesucht und sich im schummrigen Halbdunkel ihrer Zelle den Boden, die Wände und sogar die Decke genau angeschaut. Tatsächlich hatten sie sogar etwas gefunden, was in ihnen einen Hoffnungsschimmer hatte aufglimmen lassen. In der Wand direkt gegenüber der Zellentür musste es irgendwann einmal einen Durchgang gegeben haben. Hinter dem Putz, der an dieser Stelle bröckelte, war ein Stück des Mauerwerks neuer als der Rest.
"Wir haben aber doch kein Werkzeug und heftiges Wünschen alleine wird diese Mauer nicht verschwinden lassen.", gab Arwen zu bedenken.
Valshiya legte den Zeigefinger auf die Lippen, als sie draussen auf dem Gang ein scharrendes Geräusch hörte. Die Fackel auf dem Flur bewegte sich in einem plötzlichen Luftzug und zeichnete wild tanzende Schemen auf die Wand. Als alles wieder still war, flüsterte sie:
"Ich weiss, ich weiss. Lass mich nachdenken. Selbstverständlich haben wir kein Werkzeug aber dann müssen wir es eben mit unseren Händen machen."
Mit den Nägeln ihrer schlanken, zarten Finger kratzte sie an dem Putz und fand darunter einige lockere Stellen. Arwen starrte sie an, als hätte sie eine Wahnsinnige vor sich. Hatte sie tatsächlich vor, mit den Händen die Fugen zwischen den massiven Ziegeln zu lockern? Doch andererseits: sollte sie sich diese kleine Hoffnung jetzt etwa wieder nehmen lassen.
"Wir werden mehrere Tage dafür brauchen und wir können es nicht einmal verbergen. Was, wenn Osclyn wieder auftaucht?", meinte Arwen dennoch.
Valshiyas Kopf fuhr herum. Arwen konnte im Halbdunkel ihre Augen funkeln sehen. Welche Farbe hatten sie gleich? Grün! Sie sassen schon so lange in dieser Zelle, dass sie sich nicht einmal mehr an so etwas erinnern konnten.
Sie fragte:
"Arwen, sag mir: willst du hier raus? Willst du Aragorn warnen?"
Arwen nickte. Selbstverständlich wollte sie das.
"Gut", fuhr Valshiya fort, "dann dürfen wir eben nicht mehrere Tage dafür brauchen. Sobald heute Nacht alles still ist, beginnen wir. Schau doch, einige Ziegel sind locker. Es wird uns zwar unsere Fingernägel kosten aber wir können es schaffen."
Beinahe hätte sie irre aufgelacht. Der Gedanke daran, ihre Fingernägel zu verlieren war doch wirklich zu absurd. Allerdings würde sie auf jeden Fall durchdrehen, wenn sie noch länger als einen Tag in diesem Loch verbringen würde. Sie musste weg von diesen unmenschlichen, gequälten Schreien, die jetzt regelmässig aus den Tiefen dieser Gewölbe zu ihnen heraufdrangen. Valshiya fragte sich schon lange, wie weit unter der Erde sie waren und wie weit es noch herunterging.
"Was ist, wenn hinter dieser Mauer nichts ist... kein Fluchtweg?", wollte Arwen wissen.
Valshiya schüttelte den Kopf über ihre Grosscousine. Was war bloss mit ihr los? Sie war doch sonst immer so voller Zuversicht. Trotzdem antwortete sie:
"Dann spielt es auch keine Rolle mehr, ob unser Fluchtversuch entdeckt wird oder nicht. Schlimmer kann es für uns nicht mehr werden."
Sie wußte, dass sie sich selbst belog. Es konnte schlimmer werden, nämlich wenn Legolas in die Gewalt dieses Wahnsinnigen geriet und letzendlich war sie diejenige, die die Schuld daran trug.
"Wir sollten jetzt schlafen, denn es wird sicher sehr anstrengend heute nacht.", erklärte Valshiya und legte sich so bequem es nur irgend ging in eine Ecke auf das faule, von Ungeziefern bewohnte Stroh.
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Sanft wehte der salzige, frische Wind vom Meer zu ihm herauf. Möwen umschwärmten die Klippe auf der er stand. Salzig war auch die Spur der heißen Tränen, die seine Wangen hinabliefen. Während die wilden Wellen hoch in weisser Gischt und mit dem Geräusch von fernem Donner gegen die Klippen brandeten, kam die Erinnerung wieder. Warum wollte er Mittelerde letzten Endes doch verlassen? Weil er ein gebrochener Mann war. Er war gescheitert. Er hatte seine Liebe nicht retten können, hatte sich von einer Nichtigkeit aufhalten lassen. Wie in Trance fasste er sich an die Schulter, die von einem Orkpfeil verletzt worden war. Die Wunde war längst verheilt aber als seine Finger die Stelle berührten, begann sie wieder zu brennen. Diese Wunde war eine bleibende Erinnerung an sein Versagen. Er warf einen sehnsüchtigen Blick zurück. Hier in Mittelerde hätte er mit Valshiya für immer glücklich sein können, doch er war nicht in der Lage gewesen, sie zu retten. Nur ein Tag, ein verlorener Tag zuviel! Was war das? Mit seinem scharfen Elbenblick sah er, wie sich über die grünen Hügel jemand auf einem Pferd näherte. Es war eine schwarzverhüllte Gestalt. Mit einem knochigen Finger zeigte sie auf ihn und gebot ihm, zu warten. Die Gestalt kam näher und Legolas erkannte mit Schrecken, dass sich unter der schweren, schwarzen Kapuze kein Gesicht verbarg.
"FINDE ICH DICH ENDLICH!", sagte die Gestalt mit dröhnender Stimme.
Legolas stand wie erstarrt auf der Klippe aber auch eine gewisse schicksalhafte Ergebenheit bemächtigte sich seines Gemüts. Er wusste nicht, wer da zu ihm sprach, doch ja, er hatte ihn schliesslich gefunden.
"So ist es!", flüsterte er gequält, "Aber du hast mir bereits alles genommen. Was kann ich dir noch geben?"
Die Gestalt griff nach einer schwarzen Armbrust, die sie bis dahin geschultert hatte und legte langsam und bedächtig einen Bolzen in die Schiene.
"ICH HABE DICH GESUCHT, ICH HABE DICH GEFUNDEN UND GEJAGT, ICH HABE DICH GEBROCHEN, ICH HABE DIR DEIN LIEBSTES GENOMMEN. NACH ALL DEM SCHMERZ - OH, WELCHE BEFRIEDIGUNG - WERDE ICH DIR JETZT DEIN LEBEN NEHMEN.", dröhnte die Stimme ohne Gesicht.
Oh, süsse Gnade! Legolas sank auf die Knie. Wenn er jetzt starb, würde Valshiya ihn dann in Mandos Hallen erwarten? Wenn er nicht hier und jetzt starb, würde er ohnehin in nicht allzu ferner Zeit an gebrochenem Herzen sterben. Seine ganze Welt verkleinerte sich auf den Bolzen, der nun endlich eingespannt war.
'Schiess schon, lass mich nicht so lange warten!', dachte Legolas.
Der Verhüllte feuerte die Armbrust ab. Er sah den Bolzen auf sich zukommen und im nächsten Moment zerriss der Schmerz seine Brust. Mit dem Blut strömte die Lebenskraft aus seinem Körper und er fiel langsam vornüber.
"Legolas! Lai, wach auf!", hörte er eine weibliche Stimme, die langsam in sein Unterbewusstsein drang. Die Stimme gehörte seiner Schwester... Seiner Schwester? Wie kam es, dass sie ihn in Mandos Hallen erwartete? Nein, so war es nicht. Er merkte, wie er langsam wieder der Realität entgegenglitt. Als erstes spürte er die Kälte. Da waren Schneeflocken, die auf sein Gesicht fielen und dort zu kleinen, kalten Wassertropfen schmolzen. Er öffnete die Augen und blickte in einen Himmel, der so grau war, wie ungewaschene Schafwolle. Vor diesem Hintergrund tanzten wild die weissen, sternförmigen Schneeflocken in der Luft, sanken geräuschlos auf ihn nieder. Er stöhnte und schloss sogleich wieder die Augen, weil ihm von diesem Anblick schwindelte. Er hätte es wissen müssen. Da alle Sinne der Elben viel schärfer waren als bei den Menschen, waren sie auch für solche Eindrücke viel empfänglicher, was eben nicht immer gut war. Wäre er nicht so müde und matt gewesen, hätte er den Anblick vielleicht als angenehm emfunden aber so...
"Lai, du hast schlecht geträumt.", sagte seine Schwester.
Legolas sammelte sich, atmete tief ein und setzte sich dann langsam auf. Ich habe schon wieder schlecht geträumt, dachte er.
"Beweg bitte einmal deine Schulter.", forderte Alfiriel ihn auf.
Er tat wie ihm geheissen und stellte überrascht fest, dass er seinen Arm fast ohne Schmerzen bewegen konnte. Das war gut, denn es erinnerte ihn gleichzeitig daran, dass ein Traum letzten Endes nichts weiter als ein Traum war. Zumindest was ihn anging, denn er war kein Magier und auch kein Seher.
"Es ist gut, dass es dir schon besser geht. Dann können wir den anderen jetzt folgen.", erklärte sie.
Legolas erschrak. Was meinte sie damit: den anderen folgen? Er setzte sich ruckartig auf und schaute sich in der näheren Umgebung um. Von den anderen, Aragorn, Elladan, Elrohir, Gawen und Gimli, war tatsächlich nirgends eine Spur zu sehen. Nur Tarawyn stand aufbruchsbereit bei den Pferden. Er versuchte sich zu erinnern. Was war da in seinem Traum gewesen...? Er war zu spät gekommen, um Valshiya zu retten. Was, wenn er jetzt tatsächlich zu spät kam?
"Wo...", begann Legolas.
"Ich sagte ihnen, dass sie der Spur ruhig schon weiter folgen sollten. Ich wollte dich ausschlafen lassen. Tarawyn hat darauf bestanden bei mir zu bleiben..." auf ihrem Gesicht wurde ein schiefes Grinsen sichtbar "... auch Gimli, der eigentlich wutschnaubend über dich geschimpft hatte, wie der Herr Elb nur so dumm sein konnte, sich von einem Orkpfeil treffen zu lassen, wollte zunächst bleiben, doch Aragorn hat ihn unter wilden Protesten mitgeschleift. Ich glaube, er machte sich grosse Sorgen um dich. Das wirst du aber wahrscheinlich nie aus seinem Mund zu hören bekommen."
Legolas schob sie etwas unsanft zur Seite und sprang auf. Ein stechender Schmerz durchfuhr seine Schulter, als er seinen Bogen und seinen Köcher aufnahm. Hatte er die Verletzung vielleicht doch unterschätzt? Aber das spielte jetzt keine Rolle. Die anderen waren schon losgeritten. Er musste sich beeilen, sonst würde sein Traum am Ende wahr werden und er würde zu spät... er durfte gar nicht daran denken.
"Was machst du denn? Legolas Thranduilien! Du hörst mir ja überhaupt nicht zu!", schrie Alfiriel.
Legolas hatte - unter den Blicken des verdutzten Tarawyn - schon einen Fuss im Steigbügel und wollte gerade aufsteigen, als seine Schwester ihn mit seinem vollständigen Elbennamen anrief. Er hielt abrupt inne. Sie musste wirklich sehr ärgerlich sein, wenn sie ihn so ansprach. Er reichte Tarawyn Dywaith's Zügel, die er ihm gerade eben aus der Hand gerissen hatte, zurück und ging auf Alfiriel zu. Ihre Wangen waren gerötet und sie hatte die Fäuste in ihre Hüfte gestemmt, während sie mit dem rechten Fuss ungeduldig auf und ab wippte. Oh, sie war wirklich sehr böse! Aber Legolas liess sich davon nicht aus der Ruhe bringen. Dafür kannte er sie schon viel zu lange und wusste mit dieser Art von Wut umzugehen, anders als der arme Tarawyn. Er legte sanft seine Hände auf ihre Schultern und warf anschliessend einen kurzen Blick über seine Schulter, um sich zu vergewissern, dass Tarawyn nicht lauschte.
"Liebe Schwester, eigentlich wollte ich es dir gar nicht erzählen aber da ihr alle über mein Verhalten erbost seid, muss ich wenigstens dir es jetzt sagen. Seit Valshiya verschwunden ist, quälen mich des Nachts immer wieder diese unheimlichen Träume. Jedes Mal geht es darum, dass ich bei ihrer Rettung versage... ich weiss nicht, was ich davon halten soll.", erklärte er.
Dann erzählte er ihr in Kürze endlich von den beiden Träumen, die er seit Valshiyas Entführung gehabt hatte.
Zunächst veränderte sich in Alfiriels Gesicht nichts. Sie schaute immer noch ziemlich erbost drein. Doch dann verzogen sich ihre Mundwinkel langsam nach oben und zauberten ein nachsichtiges Lächeln.
Mit der rechten Hand strich sie liebevoll über seine Wange und sagte leise:
"Aber Lai, das ist doch nur natürlich. Du bist verliebt und machst dir Sorgen um sie. Wenn du nur endlich aufhören würdest, dich wie ein Dummkopf zu benehmen und dich und andere in Gefahr zu bringen. Bruder, du bist ein Kämpfer, fang endlich an, danach zu handeln."
Sie prüfte den korrekten Sitz ihrer eigenen Waffen und fuhr dann fort:
"So, und nun werden wir den anderen hinterherreiten, ich gehe davon aus, dass sie inzwischen die Garnisonsstadt Pardanor am Nenuial erreicht haben."
*****
Valshiya wusste zwar immer noch nicht, wie spät es jetzt tatsächlich war aber den Geräuschen zufolge, die jetzt vom Gang vor der Zelle zu ihr herdrangen, musste es Nacht sein. Es war zu dieser Zeit viel stiller und einige der Wachen schnarchten auf den Gängen sogar leise vor sich hin. In der langen Zeit, in der sie nun hier unten war, hatte sie sich diesen typischen Tagesrhythmus eingeprägt und nun war dieses Wissen endlich einmal nützlich. Sie warf Arwen einen bedeutungsvollen Blick zu. Diese nickte und leise, sehr leise, begannen sie den feuchten Putz von der Stelle zu kratzen, an der sie einen geheimen Ausgang aus ihrem Verlies vermuteten. Hinter dem Putz verbargen sich teilweise lockere Ziegelsteine. Der Mörtel zwischen den einzelnen Steinen war brüchig und obwohl es einige Mühe machte, gelang es den beiden, einen Stein nach dem anderen aus der Wand herauszulösen. Plötzlich hielt Valshiya inne und blickte Arwen euphorisch an.
"Spürst du diesen kühlen Luftzug? Hinter dieser Mauer muss so etwas wie ein Gang sein. Jetzt muss er uns nur noch nach draussen führen.", sagte sie.
Arwen nickte und riss einen weiteren Stein aus der Mauer.
"Aber wenn wir hier herauskommen, dann wissen wir immer noch nicht, wo wir sind und in welche Richtung wir uns wenden sollen. Valshiya, wir sind dann mitten in Feindesland und haben keinen einzigen Verbündeten."
Valshiya winkte ab. Die Aussicht, endlich aus diesem dunklen, feuchten, muffigen Loch herauszukommen, liess einfach keinen Raum für Überlegungen, was nach ihrer Flucht geschehen sollte.
"Ist uns etwas eingefallen, wie wir hier herauskommen?", fragte sie und beantwortete sich diese Frage auch gleich selbst. "Ja, nach langem Nachdenken zwar aber uns ist etwas eingefallen. Siehst du, genauso wird uns anschliessend auch schon etwas einfallen, wie wir zurück nach Gondor kommen. Wir werden es schon schaffen."
In diesem Moment überraschte sie überhaupt nicht, wie sie dieses, immer grösser werdende Loch in der Wand mit Zuversicht erfüllte. Arwen hingegen konnte es immer noch nicht glauben, selbst als sich hinter der Mauer tatsächlich ein Gang öffnete.
"Aus welchem Grund sollte man hier einen Gang bauen und ihn anschliessend wieder zumauern?", fragte sie misstrauisch.
"Vielleicht waren das hier nicht immer Verliese.", versuchte Valshiya zu erklären. "Vielleicht wurde dieser Gang zugemauert, als diese Räume ihrem heutigen Zweck zugeführt wurden."
Sie spähte in das kalte aber trockenere Dunkel hinein, das sich hinter dem Loch in der Mauer ausbreitete. Einerseits glaubte sie wirklich, dass dies ihr Fluchtweg sein könnte aber andererseits war sie auch von einer gewissen Furcht erfüllt. Wo würde dieser Weg sie hinführen?
"Sollen wir?", fragte sie knapp.
"Ich werde vorausgehen, denn ich sehe in der Dunkelheit besser als du.", erwiderte Arwen.
Plötzlich erklangen auf dem Gang, der zu ihrem Verlies führte, Geräusche. Jemand näherte sich schnellen Schrittes der Zelle, in der die beiden noch immer waren. Als sich zu den Laufgeräuschen Stimmen mischten, wussten sie, wer da kam. Es war eine ziemlich ungewöhnliche Zeit aber es war Osclyn und Iluvatar weiss, was er nun wieder von den beiden wollte.
"Nun ja, damit wäre uns die Entscheidung ob wir gehen oder nicht ja wohl abgenommen. Jetzt oder nie.", sagte Valshiya und zwängte sich durch das Loch in der Mauer.
Arwen folgte ihr auf dem Fuss. Samtene, kühle Schwärze umgab die beiden sogleich. Als sie zurückblickten, erschien ihnen selbst die kleine muffige Zelle noch heller zu sein, als dieser Gang. Der Boden stieg leicht an und war mit dem Staub von Jahrhunderten bedeckt. Valshiya flüsterte:
"Hier ist wirklich schon sehr lange niemand gewesen. Deshalb wusste Osclyn wahrscheinlich auch nichts von diesem Gang."
Arwen ergriff Valshiyas Hand und zog sie vorwärts.
"Darüber können wir uns unterhalten, wenn wir hier raus sind. Wenn er unsere Flucht entdeckt, wird er uns verfolgen."
Valshiya erschrak. Arwen hatte recht. Sie mussten sich beeilen. Ihre Flucht hatte gerade erst begonnen und wenn sie jetzt nicht laufen würden, würde sie vielleicht auch wieder ein sehr schnelles Ende nehmen. In diesem Gang schien es weit und breit kein Versteck zu geben. Sie hatten vielleicht 500 Schritte gemacht, als Osclyns wütendes Geschrei hinter ihnen erklang.
"Wachen! Die Gefangenen sind entkommen. Wo seid ihr, wenn man euch braucht, ihr Nichtsnutze! Ich werde euch bei lebendigem Leibe häuten lassen, wenn ihr nicht sofort diese beiden Mädchen wieder herschafft. Hinterher!"
Das metallische Scheppern von Rüstungen und Waffen erklang laut und deutlich hinter ihnen und es näherte sich unaufhaltsam. Valshiya spürte, wie Arwens Griff um ihre Hand stärker wurde und schon begannen sie zu laufen. Es ging immer weiter aufwärts und auch die Luft wurde zusehends frischer. Doch die Verfolger rückten ihnen immer näher.
"Wir müssen uns verstecken, sonst werden sie uns erwischen.", flüsterte Valshiya und ihre Stimme klang panisch.
"Vielleicht geht es, wenn wir uns ganz nah an die Wand pressen?", meinte Arwen.
Valshiya erwiderte:
"Nein, sie haben Fackeln! Sie werden uns sehen."
Der verräterische Fackelschein kam immer näher aber so wurde die Umgebung auch für Arwen und Valshiya deutlicher. Neben dem staubigen Weg, der immer weiter bergauf führte, war alle paar Meter ein kleiner Schacht eingelassen, der von einem Eisengitter bedeckt war. Man konnte nicht erkennen, welchen Zweck dieser Schacht einmal erfüllt hatte aber für die beiden Frauen stellte es sich als das Versteck dar, das sie brauchten, um ihren Verfolgern zu entgehen.
"Bist du sicher, daß wir da durchpassen?", fragte Valshiya.
Arwen antwortete:
"Wenn wir es jetzt nicht versuchen, dann werden wir es nie erfahren."
Sie bückte sich, um das Gitter hochzuheben aber es sass sehr fest und erst als Valshiya sich ebenfalls bückte und mitanfasste, gelang es den beiden, es zu öffnen. Valshiya war immer noch skeptisch, doch dann liess sich mit den Füßen zuvorderst in das Loch hinein. Die Öffnung war tatsächlich sehr eng und Valshiya wagte erst wieder zu atmen, als sie vollständig hindurch war und wieder festen Boden unter den Füßen hatte.
Sie gab Arwen einen Wink, daß alles in Ordnung war. Nun zwängte sich die Königin durch das Loch, wobei Valshiya ihr von unten half. Möglichst lautlos liessen sie das Gitter wieder auf das Loch gleiten. Sie hatten Glück, das die Geräusche, welche die Soldaten machten, lauter waren als das knirschende, schabende Geräusch, welches das Gitter verursachte, als es langsam wieder an seinen angestammten Platz rutschte. Valshiya seufzte vor Erleichterung tief auf. Es hätte nicht viel gefehlt und ihre Flucht wäre schon wieder beendet gewesen. Als die Geräusche der Soldaten in weiter Ferne verklangen, setzten sich Valshiya und Arwen auf den staubigen Boden.
"Ich denke, es ist vielleicht besser, wenn wir uns hier verstecken, bis sie die Suche nach uns aufgegeben haben.", meinte Valshiya.
"Und wann, denkst du, wird das sein? Wie lange willst du hier ausharren?", wollte Arwen wissen.
"Ich weiss es nicht, ich weiss es doch nicht. Ich weiss nicht, wo wir sind, ich weiss nicht, wie unsere Flucht weitergehen soll, ich weiss nicht, wie wir Aragorn und Legolas warnen sollen, ich weiss eigentlich gar nichts."
Ich will nur zurück zu Legolas, er würde wissen, was jetzt zu tun ist. Ach, hätte ich ihm nur gesagt, wie sehr ich ihn liebe, dachte Valshiya. Aber wäre dann irgend etwas anders gewesen? Hätte König Thranduil nicht dennoch auf eine Vermählung von Legolas und Riona bestanden?
Arwen hatte die ganze Zeit, in der sie in ihre Gedanken versunken gewesen war, mit ihr gesprochen.
"... hast du gehört?", wollte sie wissen.
Nein, natürlich hatte sie nicht gehört, was sie gesagt hatte.
"Ich kann nicht glauben, dass du gerade jetzt, wo wir schon so weit gekommen sind, allen Mut fahren lässt. Du warst immerhin diejenige die diesen Fluchtplan ausgeheckt hat und ich war diejenige, die zunächst nicht daran geglaubt hat, das wir es schaffen können."
Arwen ging auf sie zu, ergriff ihren rechten Arm und zog sie hoch. Valshiya war viel zu überrascht, als dass sie etwas dagegen hätte tun können.
"Ich sage, steh auf und lass uns weitergehen. So wie es aussieht, führt diese Kanalisation direkt unter dem Gang entlang. Das ist auch der Grund, warum der Gang so trocken war. Hier ist es viel feuchter und es würde mich nicht wundern, wenn dieser alte Kanal irgendwann in einem neuen, oberirdischen Kanal endet. Das sollte unser Fluchtweg sein."
Habt Nachsicht mit mir, denn dieses Kapitel ist wirklich großer Käse! Wie auch der ganze Rest dieser Story. Inzwischen frage ich mich doch tatsächlich: Warum habe ich das bloß angefangen, denn ich weiß echt nicht weiter. Falls ihr Ideen habt, teilt sie mir in euren Reviews mit.
