Eigentlich habe ich gar keine Lust, jetzt was über Mittelerde zu schreiben,
denn ich habe gerade das Duftöl "Tropical Sunset" in meiner Duftlampe und
höre schon zum 10 Mal hintereinander "To love somebody" von Jimmy
Sommerville, zwischendurch garniert mit UB 40- und Bob Marley-Songs.
Eigentlich möchte ich jetzt lieber an einem Karibikstrand alle Viere von
mir strecken. Dabei war ich doch gerade erst im Urlaub.
An Jarivial: *Nein, ich werde wirklich keinen Drachen in meiner Story
vorkommen lassen*
15. Unerwartete Hilfe
Der Kanal oder der kanalähnliche Tunnel, der für die beiden Frauen zum Fluchtweg geworden war, endete völlig unerwartet mitten in einem dichten, dunklen Wald. Goldene Sonnenstrahlen, fielen durch dichtes, herbstbuntes Blätterwerk und liess es festlich erstrahlen, wie Lampions auf einer Festwiese. Man hatte das Gefühl, nach den Sonnenstrahlen greifen zu können und dann flüssiges Gold in den Händen zu halten. Wenn es im Düsterwald auch Herbst werden würde, so würde es dort jetzt ebenfalls so aussehen. Wenn da nicht dieses unbestimmte Gefühl gewesen wäre, Valshiya hätte das Gefühl gehabt, wieder zu Hause zu sein.
Von dem Gang, dem sie zuerst gefolgt waren, der über dem Kanal hinweggeführt hatte, gab es hier keine Spur mehr. Anscheinend war es also ein Glücksfall gewesen, dass sie sich in dem Kanal hatten verstecken müssen. Da waren moosbewachsene Ruinen in denen allerlei Wildgetier lebte. Sie waren sehr alt, das bemerkte Valshiya auf den ersten Blick, und sie waren nicht von Elben erbaut worden. Es war Menschenwerk. Aber weder Valshiya, noch Arwen konnte sagen, wo sie sich genau befanden. Allerdings war es trotzdem ein sehr beruhigendes Gefühl, zwischen den Baumkronen endlich wieder blauen Himmel zu sehen.
"Siehst du, wir haben es geschafft.", meinte Arwen.
Valshiya warf ihrer Cousine einen erstaunten Blick zu, denn immerhin war sie zunächst diejenige gewesen, die nicht an den Erfolg ihrer Flucht hatte glauben wollen.
Erschöpft liessen sich die beiden auf den mit vielfarbigem Herbstlaub bedeckten Waldboden sinken. Mit einigem Bedauern betrachtete Valshiya ihre geschundenen Hände. Einst waren sie weich gewesen und ihre Fingernägel - die jetzt nur noch abgebrochene Ruinen mit schwarzen Rändern waren - hatten geglänzt. Nun waren ihre Hände an mehreren Stellen aufgescheuert und schwielig. Sie zuckte mit den Schultern. Es war für ihre Freiheit ja doch nur ein geringes Opfer.
"Ja, nun müssen wir nur noch herausfinden, wo wir sind.", erwiderte Valshiya schliesslich.
Aufmerksam schaute sie sich in ihrer Umgebung um. Es gab keine Anzeichen von irgendwelchen Verfolgern. Wahrscheinlich kannten ihre Häscher diesen Kanal nicht einmal. Das musste man sich unbedingt merken, denn es war ein Schwachpunkt in ihrer Verteidigung. Sicher würde das für Legolas und Aragorn später einmal wichtig sein. Wenn dieser machtbesessene Osclyn und die offensichtlich verrückte Colesta tatsächlich Saurons Kinder waren, dann würden die ehemaligen Ringgefährten nicht eher ruhen, bis die beiden entweder vernichtet oder verjagt waren.
"Denkst du, das wir hier rasten können? Ich bin zu müde, um auch nur noch einen Schritt zu machen.", erklärte Arwen.
Valshiya erwiderte nachdenklich:
"Hm, ich bin mir nicht sicher. Einerseits würde ich schon noch gerne weitergehen, bis wir auf einen Weg oder gar eine Strasse treffen. Es beunruhigt mich, so gar nicht zu wissen, wo wir uns befinden. Aber ich bin selbst auch müde. Mit Sicherheit kann es nicht schaden, wenn wir erst einmal einen Platz suchen, an dem wir über Nacht bleiben können. Hier, so nahe an dem Tunnel, möchte ich jedoch nicht verweilen."
Was hätte Legolas an meiner Stelle gemacht?, fragte sie sich. Er war schliesslich mitten im Wald aufgewachsen. Zwar hatte Amarayl, ihr Vater, nie von ihr verlangt, sich mädchenhaft zu verhalten und sie hatte ebenso wie Tarawyn Reiten gelernt, konnte auch leidlich gut mit dem Schwert und dem Bogen umgehen, allerdings hatte sie noch nie mitten in der Wildnis ein Lager aufschlagen müssen. Vater hatte sie bisher immer behütet.
Sie seufzte tief und war überrascht, dass ihr Atem kleine weisse Wölkchen in der Luft erzeugte. Im ersten Moment hatte sie die frostige Kälte nicht gespürt doch langsam aber sicher drang sie unter den Stoff ihres dünnen Kleides, das zu allem Übel auch noch an mehr als an einer Stelle zerrissen war. Sie hatte gar nicht bedacht, dass sie für eine Nacht in der Wildnis alles andere als geeignet gekleidet war.
Auch Arwen schien zu frieren, wenn auch nicht so sehr, wie sie, denn immerhin machte Elben ein Wechsel der Temperaturen in normalen Maße nicht so viel aus wie Menschen oder... einer Halbelbe.
"Vielleicht sollten wir möglichst einen Platz suchen, an dem uns einigermaßen warm wird. Vielleicht gelingt es uns sogar, ein kleines Feuer zu machen.", schlug sie vor.
Valshiya nickte nachdrücklich.
"Das ist eine sehr gute Idee. Es scheint, als würde es bald Winter werden und ein harter noch dazu. Ach Arwen, ich wünschte, ich wäre zurück im Düsterwald, dort, wo es immer Frühling ist, ich wünschte ich wäre zurück..."
"...bei Legolas?", beendete Arwen Valshiyas unausgesprochenen Gedanken.
Valshiya wich Arwens fragendem Blick aus. Warum wollte sie es denn noch von ihr hören? Sie wusste doch inzwischen, was sie für ihn empfand. Ihr Gesicht war wie eine eiserne Maske, als sie antwortete:
"Ich sollte wirklich nicht mehr an ihn denken. Wahrscheinlich ist er schon mit Riona verheiratet. Ich sollte mich damit abfinden. Es soll nun einmal so sein.", sie lachte hohl, "Denk nur, Osclyn hat doch tatsächlich geglaubt, er könnte mich als Köder für ihn benutzen. Er weiss wahrscheinlich nicht einmal was von meinem Verschwinden. Wenn Riona ihm erst einmal Kinder geschenkt hat, wird er sie auch lieben. Jedenfalls wäre es so besser für uns beide."
Arwen hakte nicht länger nach. Diese Antwort ihrer Grosscousine sagte ihr alles, was sie wissen musste. Valshiya war verbittert und sie versuchte wirklich alles, um sich ihr Los selbst zu erleichtern. Wenn sie zurück in Gondor war, würde sie Aragorn bitten, Legolas und Thranduil einzuladen und dann würde sie einmal ein paar Worte mit ihnen wechseln. So konnte es in ihren Augen jedenfalls nicht weitergehen.
Um von dem unangenehmen Thema abzulenken, stand Valshiya langsam auf. Erst jetzt bemerkte sie, wie sehr die Tage in der feuchten, dunklen Zelle ihren Gelenken und Muskeln geschadet hatte. Jede Bewegung tat ihr weh. Als sie auf zittrigen Beinen stand, reichte sie Arwen, die noch müder ausschaute, die Hand und half ihr auf.
"Wenn wir nicht in der Dunkelheit noch hier sein wollen, sollten wir ganz schnell einen geeigneten Lagerplatz finden."
*****
Aragorn, der in der Kaserne der Garnisonsstadt Pardanor Quartier bezogen hatte, wartete nun auf Gawens Rückkehr. Er hatte den jungen Soldaten ausgeschickt um Legolas, Tarawyn und Alfiriel entgegenzureiten, um sie darüber zu benachrichtigen, dass die anderen in Pardanor auf sie warteten. Sicherlich hatte auch Legolas auf Neuigkeiten über Valshiya gehofft. Leider hatten die Soldaten aus der Garnison noch nicht einmal davon gewusst, dass die Königin von Gondor und eine ihrer Verwandten entführt worden waren. Wichtige Neuigkeiten verbreiteten sich in seinem Königreich viel zu langsam. Unbestätigte Gerüchte dagegen verbreiteten sich mit der unangenehmen Geschwindigkeit eines Lauffeuers. Dies war eines der Dinge, die er unbedingt noch ändern musste. Während Aragorn in der Kaserne auf das Eintreffen der anderen wartete, nahmen Elladan und Elrohir die Gelegenheit wahr und suchten rund um die Stadt nach Spuren.
"Was ist Bruder, denkst du das selbe wie ich über das völlige Fehlen von Spuren?", fragte Elladan.
Elrohir suchte mit scharfem Blick aus grauen Augen die sanft geschwungene, friedlich daliegende Hügellandschaft um die Stadt Pardanor vom Sattel seiner langbeinigen Stute - die aus einer der besten Elbenzuchten stammte - ab. Wer ihn nicht kannte, würde meinen, dass er diesen Ausritt nur gemacht hatte, um sich ein wenig zu entspannen. Nichts anderes sagte auch seine Körpersprache. Er hatte seine Hände lässig über dem Knauf des reich verzierten Sattels verschränkt und sein Oberkörper war leicht vorgebeugt. Nur seine Augen und die zusammengezogenen Brauen verrieten seine Anspannung. Elladan, der niemals so schwermütig und nachdenklich wie sein Zwillingsbruder gewesen war, war der einzige, der diese Anspannung erkannte. Wenn es das erste mal gewesen wäre, dass Elladan Elrohir so durchschaute, hätte es ihn wahrscheinlich überrascht.
"Es ist gar nicht so sehr das Fehlen der Spur, die wir verfolgt haben, das mir Kopfzerbrechen bereitet, sondern das Vorhandensein von Spuren, die ich weder deuten, noch in Zusammenhang mit der anderen Spur bringen kann.", erklärte Elrohir.
Das Blitzen in den blauen Augen seines Bruders zeigte ihm, dass er genau das gesagt hatte, was Elladan erwartet hatte.
Elrohir fasste zusammen:
"Erstens", er hob den Zeigefinger seiner behandschuhten rechten Hand, "haben wir hier eine relativ junge Stadt. Gut, für die Menschen mag sie schon sehr alt sein, doch ist sie erst am Anfang des dritten Zeitalters von einer Nomadensiedlung zu einer Stadt herangewachsen. Warum? Die Menschen siedeln nicht einfach irgendwo, wo vorher nichts gewesen ist. Nun, man sollte sich einmal genauer diese Hügel anschauen, denn auf einigen von Ihnen wächst das Gras nicht so lang und grün wie in den Senken oder auf anderen Hügeln."
Elladan nickte und stimmte ihm zu:
"Ja, das ist wahr. Auch ich habe das gesehen und bin ziemlich sicher, das sich an diesen Stellen möglicherweise Ruinen einer viel älteren Stadt befinden. Aber was hat das mit der Spur zu tun, die wir verfolgt haben?"
Elrohir blickte abschätzend zu seinem Bruder hinüber er war sich nicht sicher, ob er längst wusste, worauf er hinauswollte oder ob er tatsächlich völlig ahnungslos war. Er reckte den zweiten Finger in die Luft und fuhr fort:
"Eine zweite Sache ist, dass Hauptmann Delrodin behauptet, das seit einiger Zeit, immerhin nun schon fast seit drei Monaten, regelmässig ganze Trupps seiner Soldaten in ein und demselben Gebiet verschwinden. Spurlos! Aus diesem Grunde hätte er auch ein akutes Nachschubproblem und er hatte geglaubt, sein König hätte ihm aus diesem Grunde einen Besuch abgestattet. Deshalb war er so freundlich, fast kriecherisch."
"Delrodin sagte aber auch, das einige der Soldaten zurückgekehrt seien. Allerdings seien sie völlig verändert gewesen und man konnte nicht aus ihnen hinausbekommen, wo sie gesteckt haben. Sie wirkten erschöpft und irgendwie teilnahmslos, so dass er sie erst einmal auf Urlaub zu ihren Familien geschickt hat.", fügte Elladan hinzu.
Er stieg aus dem Sattel und führte seine Stute Sirhana, die Zwillingsschwester von Elrohirs Stute Sylthra an eine Stelle, an der das Gras besonders grün und saftig war. Er setzte sich ins Gras und beobachtete die falbe Stute beim Grasen. Er sah dabei fast verträumt aus und man hätte meinen können, er hätte das Gespräch mit seinem Bruder längst vergessen. Ein paar Sekunden später fragte er:
"Wirst du mir jetzt erklären, was das eine mit dem anderen zu tun hat und was daran so wichtig für uns sein soll?"
Elrohir stieg ebenfalls aus dem Sattel und ging vor seinem Bruder in die Hocke. Sylthra trabte in der Zwischenzeit zu ihrer Schwester und wollte sie aus reinem Futterneid von der Stelle mit dem saftigen Gras verbeissen, was Sirhana mit einem angedeuteten Auskeilen der Hinterhufe kommentierte. Sylthra schnaubte beleidigt und sah schliesslich ein, dass sie die Weidegründe entweder mit ihrer helleren Schwester teilen oder sich eine andere Stelle suchen musste.
"Ich frage mich, Elladan, ob du mir nicht längst sagen kannst, was das alles miteinander zu tun haben könnte.", meinte der Thronfolger.
Elladan sah ein, dass er nicht länger den Unwissenden spielen konnte und sein Gesicht nahm einen ernsteren Ausdruck an. Er erklärte:
"Delrodin hat erzählt, das die verschwundenen Trupps genau in der Gegend patrouillierten, in deren Umkreis wir auch die Spur der Orks verloren haben. Die Ruinen, das Verschwinden und die Spur, die sich praktisch in Nichts aufgelöst hat... das könnte alles darauf hindeuten, dass wir vielleicht unter der Erde weiter nach Spuren suchen müssten. Ich finde das beunruhigend... unter der Erde!... wir wissen nicht, was wir finden werden. Gewiss hat hier lange vor Pardanor eine Stadt existiert, mir ist davon allerdings nichts bekannt. Allein das ist verwirrend und... beunruhigend."
Elrohir schlug mit der Faust in seine offene Handfläche. Er presste nachdenklich die Lippen aufeinander, bis sie zu zwei dünnen Strichen in seinem Gesicht geworden waren.
"Auf jeden Fall sollten wir Aragorn von unseren Überlegungen unterrichten...", Elrohirs Blick schweifte über die Schulter seines Bruders hinweg in die Ferne und dann richtete er sich auf, "...schau, da kommen endlich die anderen, lass uns ihnen entgegenreiten."
Elladan sprang ebenfalls auf. Sein Herz machte einen unkontrollierten Satz, als er Alfiriels hellen Haarschopf in der Ferne glänzen sah. Doch im selben Moment senkte er den Blick und fragte sich, was in der Zwischenzeit wohl zwischen ihr und Tarawyn vorgegangen war. Immerhin war er selbst derjenige gewesen, der Alfiriel dazu ermutigt hatte, etwas freundlicher zu ihm zu sein.
*****
Es war noch dunkel, als Valshiya vor Kälte erwachte. Sie hatten eine grosse, ausgehöhlte Eiche entdeckt, in der sie sich nahe beieinander zusammengerollt hatten, um sich gegenseitig zu wärmen. Es war ihnen nicht gelungen, ein Feuer zu entfachen, da das herumliegende Holz zu feucht gewesen war. Im Laufe der Nacht war es allerdings immer kälter geworden. So kalt, daß das Klappern ihrer eigenen Zähne Valshiya aufwachen liess. Es dauerte nicht lange, bis auch Arwen erwachte.
"Valshiya, es ist wirklich kalt. Sehr kalt. Sogar ungewöhnlich kalt und das will was heissen, wenn ich das sage. Wir müssen sehen, dass wir zurück in die Zivilsation kommen, raus aus dem Wald, denn ein weitere so kalte Nacht, können selbst wir nicht überstehen.", murmelte sie verschlafen.
Valshiya erschrak. Sie war eine Halbelbe und somit, durch das Erbe ihres Vaters, unsterblich. Für ein unsterbliches Leben hatte sie sich entschieden. Noch nie hatte sie sich Gedanken darüber gemacht, wie es sein könnte, zu sterben.
"Aber wohin sollen wir gehen, in welche Richtung?", fragte sie.
Sie beugte sich vor und warf einen Blick nach draussen. Weisser Rauhreif bedeckte das Unterholz und die Luft roch nach Winter.
"Lass uns warten, bis die Sonne aufgegangen ist. Vielleicht wird es dann ein wenig wärmer. Dann werden wir losgehen... irgendwann müssen wir doch auf einen Weg stossen.", meinte Arwen.
Valshiya betrachtete die Sterne und bemerkte überrascht, wie ihr Tränen in die Augen stiegen. Wieso musste sie auch ausgerechnet jetzt an Legolas' Augen denken?
Schliesslich ging langsam die Sonne auf. Zögerlich, mit den blassen Sonnenstrahlen eines winterlichen Morgens. Letzten Endes hatte sie allerdings immer noch genug Kraft, den Rauhreif zu schmelzen und in mysteriösen Bodennebel zu verwandeln, der geisterhaft zwischen den Stämmen der Bäume herwaberte, sich langsam aber sicher erhob und dann, als wäre nur die Nacht sein Reich, ganz verzog. Er hinterliess den feuchten, erdigen Geruch faulenden Laubes, das sich, in farbiger Pracht zu Boden geschwebt, langsam schwarz verfärbte. Das war der Geruch und die Farbe des Verderbens, des Todes. Die Menschen sprachen vom Duft eines Neubeginns. Valshiya mochte diesen Duft gar nicht und mit einem Mal gefiel ihr auch dieser Wald nicht mehr. Sie hatte sich geirrt. Dieser Wald war so gar nicht wie Düsterwald.
Tausend Augen schienen sie aus dem Zwielicht der Morgendämmerung zu beobachten. Noch niemals hatte sie sich so allein gefühlt.
"Wir sollten jetzt losgehen! Die Tage werden kürzer und ich möchte nicht noch eine Nacht in dieser Kälte verbringen.", sagte Arwen.
Valshiya hatte sich mit verschränkten Armen in die hinterste Ecke ihrer Baumhöhle verkrochen. Der Gedanke, hinauszumüssen, gefiel ihr plötzlich gar nicht mehr.
Plötzlich versteifte sich Arwen und lauschte angestrengt.
"Was ist?", fragte Valshiya und kam angstvoll zum schmalen Ausgang in der Baumrinde. Sie lauschte ebenfalls und vernahm schliesslich, was Arwen hatte verstummen lassen. Jemand näherte sich ihnen. Jemand, der ein fröhliches Lied auf den Lippen hatte. Es musste eine junge Frau sein, die abwechselnd leise sang und... wenn sie anscheinend im Text nicht mehr weiterwusste... einfach nur summte.
Aufgeregt schauten sich die beiden Frauen an und keine von ihnen brauchte noch etwas zu sagen. Sie krabbelten aus dem Baum heraus und liefen der fröhlichen Stimme entgegen.
*****
Jhelayna Debrandon war an diesem wunderschönen klaren Morgen sehr früh aufgestanden. Ihr Vater hatte ihr gesagt, dass man trotz der Kälte vielleicht noch ein paar Pilze finden konnte. Es gab auch einige Sorten, die erst jetzt aus der Erde schossen. Aber sie sollte frühmorgens gehen, denn früh geschnittene Pilze würden nicht so schnell schlecht werden. Schlechte Pilze waren genauso schlimm wie giftige Pilze. Jhelayna wusste davon nichts aber sie wollte ihren Eltern eine Hilfe sein. Durbin und Malita Debrandon waren immer nicht darüber hinweg, was Jhelaynas älterem Bruder Jheryn passiert war. Jhelayna schüttelte den Kopf, als sie wieder einmal daran denken musste, wie verändert ihr Bruder aus Pardanor zurückgekehrt war. Hauptmann Delrodin hatte ihm ein Schreiben mitgegeben, in dem stand, dass er mehrere Tage verschwunden war und nun, bis man ihn wieder brauchte, auf Urlaub geschickt wurde. Jheryn selber hatte gar nicht gewusst, was in diesem Schreiben stand und er hatte ihnen auch nicht sagen wollen, wo er gewesen war. Jhelayna schüttelte diesen Gedanken ab und stimmte ein fröhliches Lied an, um sich abzulenken. Sie wollte nicht an Jheryn's blicklose Augen denken. So etwas hatte sie zuletzt bei einem Toten gesehen.
Plötzlich hörte sie ganz in der Nähe ein Knacken im Unterholz. Zunächst horchte sie auf, doch dann fiel ihr ein, dass auch Rehe, Füchse und Kaninchen so frühmorgens im Wald unterwegs waren. Als jedoch plötzlich zwei Gestalten aus dem Unterholz hervorkamen, kreischte sie erschrocken auf und liess den Korb mit den gesammelten Pilzen fallen. Hätte sie nicht im nächsten Moment erkannt, daß es zwei dreckige Mädchen waren, sie wäre eilends davongelaufen. Immerhin war der Wald, in dem die Hütte ihrer Eltern stand, sehr einsam und auf zwei junge Mädchen zu treffen, damit hatte Jhelayna nun wirklich nicht gerechnet. Jedoch kam eine der beiden langsam auf sie zu und sagte:
"Bitte erschrick nicht und bitte, bitte laufe nicht weg. Wir brauchen dringend Hilfe!"
Die andere kam auf sie zu, nahm den Korb und sammelte hilfsbereit die Pilze wieder ein. Mit erkennendem Blick musterte sie die Pilze und sagte plötzlich:
"Die könnt ihr aber nicht essen! Die sind hochgiftig!"
Jhelayna war viel zu verdutzt, um darauf näher einzugehen. Stattdessen fragte sie:
"Wer seid ihr?"
Das Haar des einen Mädchens, desjenigen, das sich niedergekniet hatte um die Pilze wieder einzusammeln, rutschte zur Seite und dahinter kam ein spitzes Ohr zum Vorschein. Zumindest eines der beiden Mädchen war eine Elbe und daher wahrscheinlich um vieles älter als Jhelayna selbst, obwohl sie ebenso jung aussah.
"Oh bitte! Es tut uns schrecklich leid, wenn wir euch erschreckt haben. Aber, ob ihr es glaubt oder nicht, wir sind in einer ziemlichen Notlage und wir brauchen dringend eure Hilfe. Mein Name ist Arwen Undomiel und dies ist meine Verwandte Valshiya o Morndoron. Wir sind entführt wurden und, Iluvatar sei Dank, mit dem Leben davongekommen."
Jhelayna riss die Augen weit auf und blieb wie vom Donner gerührt stehen. Dann, sich ihrer guten Manieren besinnend, machte sie einen Hofknicks, so wie ihre Mutter ihn ihr beigebracht hatte und neigte ehrerbietig das Haupt.
Stotternd brachte sie hervor:
"Meine... meine Königin... ich hätte niemals erwartet euch... hier anzutreffen."
Arwen winkte ab und meinte:
"Mädchen, für so etwas haben wir nun gar keine Zeit. Selbst mir ist bewusst, dass ich alles andere als königlich wirke und deshalb ist Ehrerbietung jetzt auch nicht angebracht. Womit ihr uns wirklich helfen würdet, wäre eine Auskunft, wo wir uns hier befinden."
"Ja", fuhr Valshiya fort, während sie sich wieder aufrichtete und dem Mädchen den Korb mit den Pilzen in die Hände drückte, "und ein heisses Bad und diese Nacht ein Dach über dem Kopf und ein Bett würde ich auch nicht verachten, wenn ihr für so etwas sorgen könntet."
Jhelayna starrte immer noch stumm vor sich hin. Sie hatte die Tatsache, dass sie hier, mitten im Nichts - denn genau dort befand sich das Haus ihres Vaters, eines Köhlers - auf die neue Königin von Gondor traf.
Valshiya schüttelte das Mädchen leicht und da erst antwortete es:
"Oh, entschuldigt bitte, ich war ganz in Gedanken."
Ja, das hat man wohl gesehen, dachte Valshiya, "Das Haus meines Vaters ist nicht weit von hier. Selbstverständlich wird es ihm eine Freude sein, der Königin Obdach zu gewähren. Wenn es euch recht ist, werde ich euch dann morgen zum Markt nach Pardanor begleiten. Die Stadt hat eine Garnison und der Hauptmann kann dann eine Nachricht an den König schicken."
Arwen lachte:
"Wenn es uns recht ist? Mädchen, wir haben tagelang in einer dunklen, feuchten Zelle gesessen ohne zu wissen, was draussen in der Welt geschah. Inzwischen wäre es uns recht, im Pferdestall zu schlafen. Aber sag uns jetzt erst einmal deinen Namen."
Auf Jhelayna's Gesicht zeigte sich zum ersten Mal, seit sie auf die beiden Frauen getroffen war, ein entspanntes Lächeln. Sie hatte die Königin zwar mit den entsprechenden höfischen Sitten begrüsst aber dabei völlig vergessen, ihren Namen zu nennen.
"Ich bin Jhelayna Debrandon, mein Vater ist der Köhler und jetzt werde ich euch zu meinem Elternhaus bringen."
Auf dem Weg zurück schüttelte Jhelayna mehrmals den Kopf. Die Dinge begannen mehr und mehr seltsam zu werden. Zunächst die Heimkehr ihres Bruders und sein eigenartiges Verhalten und dann steht plötzlich die Königin von Gondor mitten im Ganwald vor ihr und ersucht sie um Obdach.
15. Unerwartete Hilfe
Der Kanal oder der kanalähnliche Tunnel, der für die beiden Frauen zum Fluchtweg geworden war, endete völlig unerwartet mitten in einem dichten, dunklen Wald. Goldene Sonnenstrahlen, fielen durch dichtes, herbstbuntes Blätterwerk und liess es festlich erstrahlen, wie Lampions auf einer Festwiese. Man hatte das Gefühl, nach den Sonnenstrahlen greifen zu können und dann flüssiges Gold in den Händen zu halten. Wenn es im Düsterwald auch Herbst werden würde, so würde es dort jetzt ebenfalls so aussehen. Wenn da nicht dieses unbestimmte Gefühl gewesen wäre, Valshiya hätte das Gefühl gehabt, wieder zu Hause zu sein.
Von dem Gang, dem sie zuerst gefolgt waren, der über dem Kanal hinweggeführt hatte, gab es hier keine Spur mehr. Anscheinend war es also ein Glücksfall gewesen, dass sie sich in dem Kanal hatten verstecken müssen. Da waren moosbewachsene Ruinen in denen allerlei Wildgetier lebte. Sie waren sehr alt, das bemerkte Valshiya auf den ersten Blick, und sie waren nicht von Elben erbaut worden. Es war Menschenwerk. Aber weder Valshiya, noch Arwen konnte sagen, wo sie sich genau befanden. Allerdings war es trotzdem ein sehr beruhigendes Gefühl, zwischen den Baumkronen endlich wieder blauen Himmel zu sehen.
"Siehst du, wir haben es geschafft.", meinte Arwen.
Valshiya warf ihrer Cousine einen erstaunten Blick zu, denn immerhin war sie zunächst diejenige gewesen, die nicht an den Erfolg ihrer Flucht hatte glauben wollen.
Erschöpft liessen sich die beiden auf den mit vielfarbigem Herbstlaub bedeckten Waldboden sinken. Mit einigem Bedauern betrachtete Valshiya ihre geschundenen Hände. Einst waren sie weich gewesen und ihre Fingernägel - die jetzt nur noch abgebrochene Ruinen mit schwarzen Rändern waren - hatten geglänzt. Nun waren ihre Hände an mehreren Stellen aufgescheuert und schwielig. Sie zuckte mit den Schultern. Es war für ihre Freiheit ja doch nur ein geringes Opfer.
"Ja, nun müssen wir nur noch herausfinden, wo wir sind.", erwiderte Valshiya schliesslich.
Aufmerksam schaute sie sich in ihrer Umgebung um. Es gab keine Anzeichen von irgendwelchen Verfolgern. Wahrscheinlich kannten ihre Häscher diesen Kanal nicht einmal. Das musste man sich unbedingt merken, denn es war ein Schwachpunkt in ihrer Verteidigung. Sicher würde das für Legolas und Aragorn später einmal wichtig sein. Wenn dieser machtbesessene Osclyn und die offensichtlich verrückte Colesta tatsächlich Saurons Kinder waren, dann würden die ehemaligen Ringgefährten nicht eher ruhen, bis die beiden entweder vernichtet oder verjagt waren.
"Denkst du, das wir hier rasten können? Ich bin zu müde, um auch nur noch einen Schritt zu machen.", erklärte Arwen.
Valshiya erwiderte nachdenklich:
"Hm, ich bin mir nicht sicher. Einerseits würde ich schon noch gerne weitergehen, bis wir auf einen Weg oder gar eine Strasse treffen. Es beunruhigt mich, so gar nicht zu wissen, wo wir uns befinden. Aber ich bin selbst auch müde. Mit Sicherheit kann es nicht schaden, wenn wir erst einmal einen Platz suchen, an dem wir über Nacht bleiben können. Hier, so nahe an dem Tunnel, möchte ich jedoch nicht verweilen."
Was hätte Legolas an meiner Stelle gemacht?, fragte sie sich. Er war schliesslich mitten im Wald aufgewachsen. Zwar hatte Amarayl, ihr Vater, nie von ihr verlangt, sich mädchenhaft zu verhalten und sie hatte ebenso wie Tarawyn Reiten gelernt, konnte auch leidlich gut mit dem Schwert und dem Bogen umgehen, allerdings hatte sie noch nie mitten in der Wildnis ein Lager aufschlagen müssen. Vater hatte sie bisher immer behütet.
Sie seufzte tief und war überrascht, dass ihr Atem kleine weisse Wölkchen in der Luft erzeugte. Im ersten Moment hatte sie die frostige Kälte nicht gespürt doch langsam aber sicher drang sie unter den Stoff ihres dünnen Kleides, das zu allem Übel auch noch an mehr als an einer Stelle zerrissen war. Sie hatte gar nicht bedacht, dass sie für eine Nacht in der Wildnis alles andere als geeignet gekleidet war.
Auch Arwen schien zu frieren, wenn auch nicht so sehr, wie sie, denn immerhin machte Elben ein Wechsel der Temperaturen in normalen Maße nicht so viel aus wie Menschen oder... einer Halbelbe.
"Vielleicht sollten wir möglichst einen Platz suchen, an dem uns einigermaßen warm wird. Vielleicht gelingt es uns sogar, ein kleines Feuer zu machen.", schlug sie vor.
Valshiya nickte nachdrücklich.
"Das ist eine sehr gute Idee. Es scheint, als würde es bald Winter werden und ein harter noch dazu. Ach Arwen, ich wünschte, ich wäre zurück im Düsterwald, dort, wo es immer Frühling ist, ich wünschte ich wäre zurück..."
"...bei Legolas?", beendete Arwen Valshiyas unausgesprochenen Gedanken.
Valshiya wich Arwens fragendem Blick aus. Warum wollte sie es denn noch von ihr hören? Sie wusste doch inzwischen, was sie für ihn empfand. Ihr Gesicht war wie eine eiserne Maske, als sie antwortete:
"Ich sollte wirklich nicht mehr an ihn denken. Wahrscheinlich ist er schon mit Riona verheiratet. Ich sollte mich damit abfinden. Es soll nun einmal so sein.", sie lachte hohl, "Denk nur, Osclyn hat doch tatsächlich geglaubt, er könnte mich als Köder für ihn benutzen. Er weiss wahrscheinlich nicht einmal was von meinem Verschwinden. Wenn Riona ihm erst einmal Kinder geschenkt hat, wird er sie auch lieben. Jedenfalls wäre es so besser für uns beide."
Arwen hakte nicht länger nach. Diese Antwort ihrer Grosscousine sagte ihr alles, was sie wissen musste. Valshiya war verbittert und sie versuchte wirklich alles, um sich ihr Los selbst zu erleichtern. Wenn sie zurück in Gondor war, würde sie Aragorn bitten, Legolas und Thranduil einzuladen und dann würde sie einmal ein paar Worte mit ihnen wechseln. So konnte es in ihren Augen jedenfalls nicht weitergehen.
Um von dem unangenehmen Thema abzulenken, stand Valshiya langsam auf. Erst jetzt bemerkte sie, wie sehr die Tage in der feuchten, dunklen Zelle ihren Gelenken und Muskeln geschadet hatte. Jede Bewegung tat ihr weh. Als sie auf zittrigen Beinen stand, reichte sie Arwen, die noch müder ausschaute, die Hand und half ihr auf.
"Wenn wir nicht in der Dunkelheit noch hier sein wollen, sollten wir ganz schnell einen geeigneten Lagerplatz finden."
*****
Aragorn, der in der Kaserne der Garnisonsstadt Pardanor Quartier bezogen hatte, wartete nun auf Gawens Rückkehr. Er hatte den jungen Soldaten ausgeschickt um Legolas, Tarawyn und Alfiriel entgegenzureiten, um sie darüber zu benachrichtigen, dass die anderen in Pardanor auf sie warteten. Sicherlich hatte auch Legolas auf Neuigkeiten über Valshiya gehofft. Leider hatten die Soldaten aus der Garnison noch nicht einmal davon gewusst, dass die Königin von Gondor und eine ihrer Verwandten entführt worden waren. Wichtige Neuigkeiten verbreiteten sich in seinem Königreich viel zu langsam. Unbestätigte Gerüchte dagegen verbreiteten sich mit der unangenehmen Geschwindigkeit eines Lauffeuers. Dies war eines der Dinge, die er unbedingt noch ändern musste. Während Aragorn in der Kaserne auf das Eintreffen der anderen wartete, nahmen Elladan und Elrohir die Gelegenheit wahr und suchten rund um die Stadt nach Spuren.
"Was ist Bruder, denkst du das selbe wie ich über das völlige Fehlen von Spuren?", fragte Elladan.
Elrohir suchte mit scharfem Blick aus grauen Augen die sanft geschwungene, friedlich daliegende Hügellandschaft um die Stadt Pardanor vom Sattel seiner langbeinigen Stute - die aus einer der besten Elbenzuchten stammte - ab. Wer ihn nicht kannte, würde meinen, dass er diesen Ausritt nur gemacht hatte, um sich ein wenig zu entspannen. Nichts anderes sagte auch seine Körpersprache. Er hatte seine Hände lässig über dem Knauf des reich verzierten Sattels verschränkt und sein Oberkörper war leicht vorgebeugt. Nur seine Augen und die zusammengezogenen Brauen verrieten seine Anspannung. Elladan, der niemals so schwermütig und nachdenklich wie sein Zwillingsbruder gewesen war, war der einzige, der diese Anspannung erkannte. Wenn es das erste mal gewesen wäre, dass Elladan Elrohir so durchschaute, hätte es ihn wahrscheinlich überrascht.
"Es ist gar nicht so sehr das Fehlen der Spur, die wir verfolgt haben, das mir Kopfzerbrechen bereitet, sondern das Vorhandensein von Spuren, die ich weder deuten, noch in Zusammenhang mit der anderen Spur bringen kann.", erklärte Elrohir.
Das Blitzen in den blauen Augen seines Bruders zeigte ihm, dass er genau das gesagt hatte, was Elladan erwartet hatte.
Elrohir fasste zusammen:
"Erstens", er hob den Zeigefinger seiner behandschuhten rechten Hand, "haben wir hier eine relativ junge Stadt. Gut, für die Menschen mag sie schon sehr alt sein, doch ist sie erst am Anfang des dritten Zeitalters von einer Nomadensiedlung zu einer Stadt herangewachsen. Warum? Die Menschen siedeln nicht einfach irgendwo, wo vorher nichts gewesen ist. Nun, man sollte sich einmal genauer diese Hügel anschauen, denn auf einigen von Ihnen wächst das Gras nicht so lang und grün wie in den Senken oder auf anderen Hügeln."
Elladan nickte und stimmte ihm zu:
"Ja, das ist wahr. Auch ich habe das gesehen und bin ziemlich sicher, das sich an diesen Stellen möglicherweise Ruinen einer viel älteren Stadt befinden. Aber was hat das mit der Spur zu tun, die wir verfolgt haben?"
Elrohir blickte abschätzend zu seinem Bruder hinüber er war sich nicht sicher, ob er längst wusste, worauf er hinauswollte oder ob er tatsächlich völlig ahnungslos war. Er reckte den zweiten Finger in die Luft und fuhr fort:
"Eine zweite Sache ist, dass Hauptmann Delrodin behauptet, das seit einiger Zeit, immerhin nun schon fast seit drei Monaten, regelmässig ganze Trupps seiner Soldaten in ein und demselben Gebiet verschwinden. Spurlos! Aus diesem Grunde hätte er auch ein akutes Nachschubproblem und er hatte geglaubt, sein König hätte ihm aus diesem Grunde einen Besuch abgestattet. Deshalb war er so freundlich, fast kriecherisch."
"Delrodin sagte aber auch, das einige der Soldaten zurückgekehrt seien. Allerdings seien sie völlig verändert gewesen und man konnte nicht aus ihnen hinausbekommen, wo sie gesteckt haben. Sie wirkten erschöpft und irgendwie teilnahmslos, so dass er sie erst einmal auf Urlaub zu ihren Familien geschickt hat.", fügte Elladan hinzu.
Er stieg aus dem Sattel und führte seine Stute Sirhana, die Zwillingsschwester von Elrohirs Stute Sylthra an eine Stelle, an der das Gras besonders grün und saftig war. Er setzte sich ins Gras und beobachtete die falbe Stute beim Grasen. Er sah dabei fast verträumt aus und man hätte meinen können, er hätte das Gespräch mit seinem Bruder längst vergessen. Ein paar Sekunden später fragte er:
"Wirst du mir jetzt erklären, was das eine mit dem anderen zu tun hat und was daran so wichtig für uns sein soll?"
Elrohir stieg ebenfalls aus dem Sattel und ging vor seinem Bruder in die Hocke. Sylthra trabte in der Zwischenzeit zu ihrer Schwester und wollte sie aus reinem Futterneid von der Stelle mit dem saftigen Gras verbeissen, was Sirhana mit einem angedeuteten Auskeilen der Hinterhufe kommentierte. Sylthra schnaubte beleidigt und sah schliesslich ein, dass sie die Weidegründe entweder mit ihrer helleren Schwester teilen oder sich eine andere Stelle suchen musste.
"Ich frage mich, Elladan, ob du mir nicht längst sagen kannst, was das alles miteinander zu tun haben könnte.", meinte der Thronfolger.
Elladan sah ein, dass er nicht länger den Unwissenden spielen konnte und sein Gesicht nahm einen ernsteren Ausdruck an. Er erklärte:
"Delrodin hat erzählt, das die verschwundenen Trupps genau in der Gegend patrouillierten, in deren Umkreis wir auch die Spur der Orks verloren haben. Die Ruinen, das Verschwinden und die Spur, die sich praktisch in Nichts aufgelöst hat... das könnte alles darauf hindeuten, dass wir vielleicht unter der Erde weiter nach Spuren suchen müssten. Ich finde das beunruhigend... unter der Erde!... wir wissen nicht, was wir finden werden. Gewiss hat hier lange vor Pardanor eine Stadt existiert, mir ist davon allerdings nichts bekannt. Allein das ist verwirrend und... beunruhigend."
Elrohir schlug mit der Faust in seine offene Handfläche. Er presste nachdenklich die Lippen aufeinander, bis sie zu zwei dünnen Strichen in seinem Gesicht geworden waren.
"Auf jeden Fall sollten wir Aragorn von unseren Überlegungen unterrichten...", Elrohirs Blick schweifte über die Schulter seines Bruders hinweg in die Ferne und dann richtete er sich auf, "...schau, da kommen endlich die anderen, lass uns ihnen entgegenreiten."
Elladan sprang ebenfalls auf. Sein Herz machte einen unkontrollierten Satz, als er Alfiriels hellen Haarschopf in der Ferne glänzen sah. Doch im selben Moment senkte er den Blick und fragte sich, was in der Zwischenzeit wohl zwischen ihr und Tarawyn vorgegangen war. Immerhin war er selbst derjenige gewesen, der Alfiriel dazu ermutigt hatte, etwas freundlicher zu ihm zu sein.
*****
Es war noch dunkel, als Valshiya vor Kälte erwachte. Sie hatten eine grosse, ausgehöhlte Eiche entdeckt, in der sie sich nahe beieinander zusammengerollt hatten, um sich gegenseitig zu wärmen. Es war ihnen nicht gelungen, ein Feuer zu entfachen, da das herumliegende Holz zu feucht gewesen war. Im Laufe der Nacht war es allerdings immer kälter geworden. So kalt, daß das Klappern ihrer eigenen Zähne Valshiya aufwachen liess. Es dauerte nicht lange, bis auch Arwen erwachte.
"Valshiya, es ist wirklich kalt. Sehr kalt. Sogar ungewöhnlich kalt und das will was heissen, wenn ich das sage. Wir müssen sehen, dass wir zurück in die Zivilsation kommen, raus aus dem Wald, denn ein weitere so kalte Nacht, können selbst wir nicht überstehen.", murmelte sie verschlafen.
Valshiya erschrak. Sie war eine Halbelbe und somit, durch das Erbe ihres Vaters, unsterblich. Für ein unsterbliches Leben hatte sie sich entschieden. Noch nie hatte sie sich Gedanken darüber gemacht, wie es sein könnte, zu sterben.
"Aber wohin sollen wir gehen, in welche Richtung?", fragte sie.
Sie beugte sich vor und warf einen Blick nach draussen. Weisser Rauhreif bedeckte das Unterholz und die Luft roch nach Winter.
"Lass uns warten, bis die Sonne aufgegangen ist. Vielleicht wird es dann ein wenig wärmer. Dann werden wir losgehen... irgendwann müssen wir doch auf einen Weg stossen.", meinte Arwen.
Valshiya betrachtete die Sterne und bemerkte überrascht, wie ihr Tränen in die Augen stiegen. Wieso musste sie auch ausgerechnet jetzt an Legolas' Augen denken?
Schliesslich ging langsam die Sonne auf. Zögerlich, mit den blassen Sonnenstrahlen eines winterlichen Morgens. Letzten Endes hatte sie allerdings immer noch genug Kraft, den Rauhreif zu schmelzen und in mysteriösen Bodennebel zu verwandeln, der geisterhaft zwischen den Stämmen der Bäume herwaberte, sich langsam aber sicher erhob und dann, als wäre nur die Nacht sein Reich, ganz verzog. Er hinterliess den feuchten, erdigen Geruch faulenden Laubes, das sich, in farbiger Pracht zu Boden geschwebt, langsam schwarz verfärbte. Das war der Geruch und die Farbe des Verderbens, des Todes. Die Menschen sprachen vom Duft eines Neubeginns. Valshiya mochte diesen Duft gar nicht und mit einem Mal gefiel ihr auch dieser Wald nicht mehr. Sie hatte sich geirrt. Dieser Wald war so gar nicht wie Düsterwald.
Tausend Augen schienen sie aus dem Zwielicht der Morgendämmerung zu beobachten. Noch niemals hatte sie sich so allein gefühlt.
"Wir sollten jetzt losgehen! Die Tage werden kürzer und ich möchte nicht noch eine Nacht in dieser Kälte verbringen.", sagte Arwen.
Valshiya hatte sich mit verschränkten Armen in die hinterste Ecke ihrer Baumhöhle verkrochen. Der Gedanke, hinauszumüssen, gefiel ihr plötzlich gar nicht mehr.
Plötzlich versteifte sich Arwen und lauschte angestrengt.
"Was ist?", fragte Valshiya und kam angstvoll zum schmalen Ausgang in der Baumrinde. Sie lauschte ebenfalls und vernahm schliesslich, was Arwen hatte verstummen lassen. Jemand näherte sich ihnen. Jemand, der ein fröhliches Lied auf den Lippen hatte. Es musste eine junge Frau sein, die abwechselnd leise sang und... wenn sie anscheinend im Text nicht mehr weiterwusste... einfach nur summte.
Aufgeregt schauten sich die beiden Frauen an und keine von ihnen brauchte noch etwas zu sagen. Sie krabbelten aus dem Baum heraus und liefen der fröhlichen Stimme entgegen.
*****
Jhelayna Debrandon war an diesem wunderschönen klaren Morgen sehr früh aufgestanden. Ihr Vater hatte ihr gesagt, dass man trotz der Kälte vielleicht noch ein paar Pilze finden konnte. Es gab auch einige Sorten, die erst jetzt aus der Erde schossen. Aber sie sollte frühmorgens gehen, denn früh geschnittene Pilze würden nicht so schnell schlecht werden. Schlechte Pilze waren genauso schlimm wie giftige Pilze. Jhelayna wusste davon nichts aber sie wollte ihren Eltern eine Hilfe sein. Durbin und Malita Debrandon waren immer nicht darüber hinweg, was Jhelaynas älterem Bruder Jheryn passiert war. Jhelayna schüttelte den Kopf, als sie wieder einmal daran denken musste, wie verändert ihr Bruder aus Pardanor zurückgekehrt war. Hauptmann Delrodin hatte ihm ein Schreiben mitgegeben, in dem stand, dass er mehrere Tage verschwunden war und nun, bis man ihn wieder brauchte, auf Urlaub geschickt wurde. Jheryn selber hatte gar nicht gewusst, was in diesem Schreiben stand und er hatte ihnen auch nicht sagen wollen, wo er gewesen war. Jhelayna schüttelte diesen Gedanken ab und stimmte ein fröhliches Lied an, um sich abzulenken. Sie wollte nicht an Jheryn's blicklose Augen denken. So etwas hatte sie zuletzt bei einem Toten gesehen.
Plötzlich hörte sie ganz in der Nähe ein Knacken im Unterholz. Zunächst horchte sie auf, doch dann fiel ihr ein, dass auch Rehe, Füchse und Kaninchen so frühmorgens im Wald unterwegs waren. Als jedoch plötzlich zwei Gestalten aus dem Unterholz hervorkamen, kreischte sie erschrocken auf und liess den Korb mit den gesammelten Pilzen fallen. Hätte sie nicht im nächsten Moment erkannt, daß es zwei dreckige Mädchen waren, sie wäre eilends davongelaufen. Immerhin war der Wald, in dem die Hütte ihrer Eltern stand, sehr einsam und auf zwei junge Mädchen zu treffen, damit hatte Jhelayna nun wirklich nicht gerechnet. Jedoch kam eine der beiden langsam auf sie zu und sagte:
"Bitte erschrick nicht und bitte, bitte laufe nicht weg. Wir brauchen dringend Hilfe!"
Die andere kam auf sie zu, nahm den Korb und sammelte hilfsbereit die Pilze wieder ein. Mit erkennendem Blick musterte sie die Pilze und sagte plötzlich:
"Die könnt ihr aber nicht essen! Die sind hochgiftig!"
Jhelayna war viel zu verdutzt, um darauf näher einzugehen. Stattdessen fragte sie:
"Wer seid ihr?"
Das Haar des einen Mädchens, desjenigen, das sich niedergekniet hatte um die Pilze wieder einzusammeln, rutschte zur Seite und dahinter kam ein spitzes Ohr zum Vorschein. Zumindest eines der beiden Mädchen war eine Elbe und daher wahrscheinlich um vieles älter als Jhelayna selbst, obwohl sie ebenso jung aussah.
"Oh bitte! Es tut uns schrecklich leid, wenn wir euch erschreckt haben. Aber, ob ihr es glaubt oder nicht, wir sind in einer ziemlichen Notlage und wir brauchen dringend eure Hilfe. Mein Name ist Arwen Undomiel und dies ist meine Verwandte Valshiya o Morndoron. Wir sind entführt wurden und, Iluvatar sei Dank, mit dem Leben davongekommen."
Jhelayna riss die Augen weit auf und blieb wie vom Donner gerührt stehen. Dann, sich ihrer guten Manieren besinnend, machte sie einen Hofknicks, so wie ihre Mutter ihn ihr beigebracht hatte und neigte ehrerbietig das Haupt.
Stotternd brachte sie hervor:
"Meine... meine Königin... ich hätte niemals erwartet euch... hier anzutreffen."
Arwen winkte ab und meinte:
"Mädchen, für so etwas haben wir nun gar keine Zeit. Selbst mir ist bewusst, dass ich alles andere als königlich wirke und deshalb ist Ehrerbietung jetzt auch nicht angebracht. Womit ihr uns wirklich helfen würdet, wäre eine Auskunft, wo wir uns hier befinden."
"Ja", fuhr Valshiya fort, während sie sich wieder aufrichtete und dem Mädchen den Korb mit den Pilzen in die Hände drückte, "und ein heisses Bad und diese Nacht ein Dach über dem Kopf und ein Bett würde ich auch nicht verachten, wenn ihr für so etwas sorgen könntet."
Jhelayna starrte immer noch stumm vor sich hin. Sie hatte die Tatsache, dass sie hier, mitten im Nichts - denn genau dort befand sich das Haus ihres Vaters, eines Köhlers - auf die neue Königin von Gondor traf.
Valshiya schüttelte das Mädchen leicht und da erst antwortete es:
"Oh, entschuldigt bitte, ich war ganz in Gedanken."
Ja, das hat man wohl gesehen, dachte Valshiya, "Das Haus meines Vaters ist nicht weit von hier. Selbstverständlich wird es ihm eine Freude sein, der Königin Obdach zu gewähren. Wenn es euch recht ist, werde ich euch dann morgen zum Markt nach Pardanor begleiten. Die Stadt hat eine Garnison und der Hauptmann kann dann eine Nachricht an den König schicken."
Arwen lachte:
"Wenn es uns recht ist? Mädchen, wir haben tagelang in einer dunklen, feuchten Zelle gesessen ohne zu wissen, was draussen in der Welt geschah. Inzwischen wäre es uns recht, im Pferdestall zu schlafen. Aber sag uns jetzt erst einmal deinen Namen."
Auf Jhelayna's Gesicht zeigte sich zum ersten Mal, seit sie auf die beiden Frauen getroffen war, ein entspanntes Lächeln. Sie hatte die Königin zwar mit den entsprechenden höfischen Sitten begrüsst aber dabei völlig vergessen, ihren Namen zu nennen.
"Ich bin Jhelayna Debrandon, mein Vater ist der Köhler und jetzt werde ich euch zu meinem Elternhaus bringen."
Auf dem Weg zurück schüttelte Jhelayna mehrmals den Kopf. Die Dinge begannen mehr und mehr seltsam zu werden. Zunächst die Heimkehr ihres Bruders und sein eigenartiges Verhalten und dann steht plötzlich die Königin von Gondor mitten im Ganwald vor ihr und ersucht sie um Obdach.
