Ob ihr's glaubt oder nicht: Zu diesem Kapitel hat mich ein echt schnulziger Song von Elvis Presley The one and only King of Rock and Roll* aus den Siebzigern inspiriert. Es handelt sich dabei um den wunderschönen Song "Memories", bei der Überarbeitung später auch "Love of Heaven" von Mychael Danna.

Kapitel 19 Nachtnebel

Thranduil Oropherion erwachte schweißgebadet. Seine Träume, Träume die eigentlich bei den Elben den Schlaf ersetzten und entspannend sein sollten, waren wirr... furchterregend...

Ja. Tatsächlich furchterregend!

Sogar für ihn, einen mehr als 5.000 Jahre alten König der Elben. Seit ewigen Zeiten war er nun schon der König der Waldelben aus dem Düsterwald. Sein Vater Oropher hatte die Waldlandelben, Nachfahren des legendären Elwe Singollo, der später Elu Thingol genannt wurde und mit Melian der Maia vermählt gewesen war, aus den Reichen im Westen hierher geführt und er war nach ihm erst der zweite König, seit sie im Düsterwald angekommen waren. Niemand hatte jemals das Bedürfnis gehabt, ihn durch einen anderen zu ersetzen. Er hatte sein Volk durch zwei große Kriege geführt, falsche Entscheidungen seiner Vorfahren korrigiert, sich niemals so sehr durch Widrigkeiten entmutigen lassen, wie die Verwandten aus Laurelindórinan... bis zu dieser Nacht! Die Angst hatte sein Herz zusammengeschnürt. Was ihn beunruhigte war die Tatsache, daß er diesen Traum nicht nur wie einen einfachen Traum empfand, sondern wie eine Warnung... ein absolut schlechtes Omen.

Die Traumbilder zeigten ihm seinen Palast... die großen Eichenhallen in Flammen, seine Untertanen... sterbend in ihrem eigenen Blut, er selbst in Hilflosigkeit erstarrt in der Gewalt eines gesichtslosen, schattenhaften Fremden. Ein lautes irres Lachen und immer wieder das Gesicht seines jüngeren Sohnes Finlass. So ungern Thranduil den Kontakt zu seinen Verwandten in Laurelindórinan pflegte - denn er hielt sie für überheblich - so sehr wünschte er sich jetzt den Rat Galadriels einholen zu können. An Ruhe war in dieser Nacht ohnehin nicht mehr zu denken, also stand er auf und kleidete sich an. Beim Verlassen seines Schlafgemachs kam er an einem großen Standspiegel aus Kristall vorbei, einem Hochzeitsgeschenk an seine wunderschöne Gemahlin Mailtheniel. Unvermittelt blieb er stehen und blickte seinem eigenen, müden Spiegelbild entgegen.

Ja, müde und mutlos sah er tatsächlich aus. Der Traum hatte seine Spuren hinterlassen.

Fast hatte er erwartet, daß Mailtheniel ihm aus dem Spiegel tadelnd entgegenblickte. Tadelnd, weil sie mit Sicherheit der Meinung wäre, er käme nicht mit ihren gemeinsamen Kindern zurecht. Er hörte ihr silberhelles Lachen und darauf ihre zynische Bemerkung:

"Mein Liebster, die drei tanzen dir auf dem Kopf herum! Sie sind wie du!"

Thranduil schüttelte den Kopf, um die Vision seiner anklagenden Gemahlin loszuwerden. Was man sich alles einbildete! Vielleicht lag es an seinem Alter, denn er hatte ein Alter erreicht, das die Menschen als fortgeschritten bezeichnen würden. Aber... ja, natürlich waren seine Kinder wie er. Mailtheniel war so früh gestorben... sie war ja nicht dagewesen, um ihre Kinder zu erziehen. Thranduil ließ sich in einem samtgepolsterten Scherenstuhl aus kunstvoll gearbeiteten Ebenholz sinken. Er beobachtete mit Entzücken die irisierenden Glanzlichter die der fahle Novembermond auf die elfenbeinfarbenen Seidenvorhänge an den Fenstern zauberte. Es war tatsächlich auch hier, tief im Düsterwald, im Reich der Waldlandelben, sehr kalt geworden.

Dann seufzte er tief und seine Gedanken kehrten zu Mailtheniel zurück. Mailtheniel: Entfacherin der Liebe. Welch treffenden Namen ihre Eltern ihr gegeben hatten. Sie mußten gewußt haben, daß sie, flatterhaft, frei, neugierig und begeisterungsfähig - wie ein schimmernder Schmetterling - sein stilles Herz im Sturm erobern würde. Sein ganzes Leben lang, was zu diesem Zeitpunkt gerade einmal 2123 Jahre zählte, war er auf das Amt als König vorbereitet worden. Seine Nase hatte ständig in irgendwelchen Büchern gesteckt oder er hatte sich auf dem Kampfübungsplatz ausgetobt. Seine Lehrer hatten immer wieder betont, was für ein großartiger Kämpfer er war. Da war plötzlich eine zierliche junge Elbin, nicht minder gebildet und weltgewandt, wie ein entfesselter Sturm in sein bis dahin langweiliges Leben geplatzt, hatte alles auf den Kopf gestellt. Mailtheniel... Prinzessin des Lichts, mit Haaren wie glänzende Rabenfedern, Zierde des Düsterwalds, Hoffnung ihres Volkes... es war gewiß nicht ihr Wunsch gewesen, aus dem Leben zu scheiden, schon gar nicht auf diese Art. Schnell verdrängte er die Erinnerung an seine wunderschöne Gemahlin, er wollte nicht daran denken, wie sie ums Leben gekommen war. Es wäre ein Verleugnen seiner eigenen Fehler, wenn er die Schuld für die - in seinen Augen - "ungezogenen" Kinder in ihrem Fehlen sah.

Erinnerungen, zwischen die Seiten meiner Erinnerung gepreßt, dachte Thranduil bei sich. Erinnerungen, die wie Wein mit den Jahren immer süßer aber auch wehmütiger werden. Stille Gedanken schweben herab und legen sich um meine Füße wie goldene Herbstblätter. Ich versuche sie zu berühren und sie zerfallen zu Staub wie süße Erinnerungen.

Thranduils schüttelte den Kopf. Er hatte plötzlich das dringende Gefühl, unbedingt an die frische Luft zu müssen. Zwar waren seine Gemächer besonders groß - fast zu groß für eine einzige Person - doch mit einem Mal hatte er das Gefühl, keine Luft mehr zu bekommen. Der Raum beengte ihn plötzlich. Der hochgewachsene, blonde König mit den sturmgrauen Augen, der seinem ältesten Sohn so ähnlich sah, warf sich seinen formellen grünblauen Samtmantel über die Schultern und verließ schleichend seine Gemächer. Wer ihn so verstohlen über die gähnend leeren Flure des Palastes huschen sah, hätte ihn für den Geist eines der legendären Könige aus längst vergangenen Tagen halten können. Vielleicht gar König Elu Thingol, dessen Gemahlin die Maia Melian gewesen war, und der in den prächtigen unterirdischen Hallen von Menegroth geherrscht hatte.

Thranduil verließ den unterirdischen Palast, der nur ein Abglanz der einstigen Pracht der alten Könige war, durch einen Seiteneingang, um seinen Untertanen, zumindest denen, die womöglich noch wach waren, aus dem Weg zu gehen, möglichen unangenehmen Fragen aus dem Weg zu gehen. Seine Fingerspitzen strichen zart im Vorbeigehen über die marmornen Reliefs an den Wänden. Das kühle Gefühl des harten Steins gab ihm kurzfristig ein wenig seiner königlichen, inneren Ruhe zurück. Zwar wollte er es sich nicht eingestehen, doch sein Traum... oder seine Vision - wenn es denn eine war - hatte ihn in seinem tiefsten Inneren doch erschüttert. Doch, außer Alfiriel, hatte niemand in seiner Familie jemals magische Anlagen gehabt. Es konnte keine Vision gewesen sein... hoffte er.

Er erreichte den heiligen Hain der Waldelben. Dort war es sogar noch stiller als im übrigen Teil der Siedlung. Selbst die Tiere des Waldes waren still, als ob sie die Heiligkeit des Ortes spürten.

Thranduil erinnerte sich an andere Tage, die er hier erlebt hatte, die nicht still aber voller Licht und Freude gewesen waren. Hier waren viele Feste gefeiert worden. Sein Regentenfest, als sein Vater Oropher ihn zu seinem Mitregenten erhob, sein Bund mit Mailtheniel, die Geburt von Legolas. Lächelnd erinnerte sich der König, daß sein ältester Sohn bei seiner Geburt ebenso rabenschwarzes Haar gehabt hatte wie seine Mutter. Dann wurde Alfiriel, die Silberblüte, geboren und schließlich und letztendlich Finlass, sein Sorgenkind - auch wenn er das nur ungern zugab. Finlass war, seit er alt genug dafür gewesen war, nicht nur Bruder sondern in erster Linie Rivale für Legolas gewesen. In allem, was Legolas machte, wollte Finlass besser sein. Zunächst hatte Thranduil es für eine Art kindlichen Wettbewerb gehalten. Ohne daß Legolas etwas davon gemerkt hätte, hatte Finlass immer um die Gunst seines Vaters gebuhlt. In den letzten Jahren schien sich das Verhältnis von Finlass zu Legolas allerdings ein wenig entspannt zu haben, was Thranduil ungemein beruhigt hatte. Legolas war... nicht stur... allerdings konnte man ihn kaum von einem Vorhaben abbringen, wenn er es sich einmal in den Kopf gesetzt hatte. Das hatte er von seiner Mutter. Finlass allerdings hatte anscheinend - leider - einige negative Züge seines Großvaters geerbt. Legolas war sehr schnell im Denken und im Erkennen von Zusammenhängen, er hörte immer aufmerksam zu und lernte schnell. Alfiriel allerdings war weise, ruhig und gleichzeitig schlagfertig. Sie konnte einem das Gefühl geben, sie hätte nachgegeben und sie kam dennoch zu genau dem von ihr gewünschten Ziel. Nicht selten hatte sie einen aufflammenden Streit zwischen den beiden so verschiedenen Brüdern geschlichtet.

Im Mondlicht glitzernde Tautropfen benetzten das Gras am Boden. Thranduil wunderte sich abermals über die ungewöhnliche Kälte, die sogar hier - im heiligen Hain - vorherrschte. Etwas knackte im Gebüsch rund um den Hain. Thranduil wandte sich blitzschnell in die Richtung, aus der das Geräusch gekommen war. Er verharrte lautlos und lauschte. Mit seinem ohnehin guten elbischen Hörsinn, den er überdies über Jahrtausende hatte schulen können, hätte er ein winziges Insekt im Gebüsch hören können. Doch... als hätte es sich nur um eine Einbildung, eine Nachwirkung seiner wirren Träume gehandelt: Er hörte nichts mehr. Gar nichts! Aber andererseits war es gerade das, was ihn mißtrauisch machte... das völlige Fehlen aller natürlichen Geräusche.

Ein dichter Nebel zog auf die Lichtung. Thranduil kniff ungläubig die Augen zusammen und seine Hand tastete unwillkürlich nach dem langen Kampfdolch, den er tagsüber für gewöhnlich bei sich trug. Dieses kurze Zögern war es, das ihm die Zeit nahm, sein Volk zu warnen. Wie geisterhafte, fahle Hände kroch der Nebel an seinem Körper hoch. Er war eiskalt und lähmte jede seiner Bewegungen. Der Nebel - er war überraschenderweise leicht gelblich - erreichte seine Brust und preßte die Atemluft aus seinen Lungen. Was, bei allen dunklen Dienern Morgoths, war das? Ein vages, furchtähnliches Gefühl ergriff ihn. Sein elbisches Wesen bewahrte ihn davor, in kalte, unkontrollierte Panik auszubrechen. Stattdessen sorgte er sich um sein ahnungsloses Volk. Er hätte es warnen können, doch wovor? Erst jetzt wurde ihm klar: Dieser Nebel war eine Bedrohung für sein Volk. Er konnte sein Volk nicht mehr warnen. Das war das letzte, was er dachte, als ihn ein Schwindel ergriff und ihm die Sinne raubte. Bewußtlos sank der König der Waldlandelben zu Boden.

((

Eine schemenhafte Gestalt, die nur aus Schatten zu bestehen schien, trat aus den Gebüschen heraus und auf die Lichtung. Die Gestalt beugte sich über den niedergesunkenen Körper des Elbenkönigs. Als sie sich wieder aufrichtete, verschwomm der Schatten und manifestierte sich zu einer schlanken Frauengestalt mit flammend roten Haaren. Sie hatte ein sehr schmales Gesicht mit besonders hohen Wangenknochen und hochmütig funkelnden Augen. Sie drehte sich um und gab einer jemandem einem Wink. Ein hochgewachsener Mann kam aus dem Gebüsch. Die Frau - die Form ihrer Ohren verriet sie als Elbin - ging mit langsamen Schritten auf den bleichhäutigen Mann zu. Sie legte ihre Hände vorsichtig auf die Brust des Mannes, der ebenfalls ein Elb zu sein schien.

"Nun, Prinz", flüsterte sie, "hast du mit einem einzigen Schlag das größte Hindernis auf deinem Weg zum Thron beseitigt."

Der mit Prinz titulierte erwiderte schwer atmend:

"Ja, wahrhaftig! Ein glücklicher Zufall! Aber... Merilwen... er ist nicht tot und mir wäre wohler zumute, wenn einige andere auch ausgeschaltet und für immer zum Schweigen gebracht wären."

Die Frau, Merilwen, schüttelte den Kopf und erwiderte zögerlich:

"Wieso nur gleich zum Äußersten gehen, Finlass? Ich weiß Dinge, die es dir leicht machen würden, das ganze Düsterwaldvolk zu manipulieren - vergiß nicht, daß ich auch einige Zeit mit deinem Bruder verbracht habe. Du könntest Osclyn eine mächtige Elbenarmee zur Verfügung stellen. Geh nichtzu unüberlegt vor."

Finlass, der jüngere Sohn des bewußtlosen Königs, blickte nachdenklich an der rothaarigen Elbin vorbei. Er schien die verschiedenen Möglichkeiten abzuwägen, die sich ihm boten. Schließlich blickte er die Elbin direkt an und bat:

"Du mußt mir dabei jedoch mit deiner Magie zur Seite stehen. Du darfst mich jetzt auf keinen Fall verlassen."

Er faßte Merilwen bei den Schultern und schüttelte sie.

"Merilwen, ohne dich weiß ich nicht weiter. Ich hatte nie einen wirklichen Plan, bis ich dich traf. All die verworrenen Ideen, die ich hatte, wurden erst von dir zu einem großen Ganzen gemacht.", gestand er.

Die Elbin Merilwen wich, überrascht von Finlass' Ausbruch, vor diesem zurück. Ihr fiel nun endgültig auf, welch unheimliche Veränderung mit ihm vorging. Allerdings hatte sie bisher nicht geahnt, daß sie selbst mit ihrem verletzten Stolz, ihrer zurückgewiesenen Liebe, den Stein letztendlich vollkommen ins Rollen gebracht hatte. Ihr wurde klar, daß - wenn man alles andere beiseite ließ - sie allein für Legolas' Tod verantwortlich sein würde.