(Schuld)
„...Ich habe dich gewarnt, wenn du nicht aufhörst, werde ich dich töten. Niemand, wird Sakuma-san Konkurrenz machen."
Shuichi, hörte einen lauten Knall und dann spürte er sich selber kaum noch. Er sah, wie die Frau wegrannte und Hiroshi hinterher. Er merkte, wie er seine Hände auf seinen Bauch presste und er erlebte, wie es unter seinen Fingern feucht wurde. Schritte näherten sich bereits, als er gerade die Hände von seinem Bauch löste und anfing zu begreifen, was geschehen war.
Kein großer Schmerz, nur ein lauter Knall, der einem fast das Gehör zerriss. Ein Gefühl, wie eine Faust im Magen, Erstaunen, Begreifen, Entsetzen. Man registrierte den Schuss, aber, man spürte ihn nicht wirklich. Da war kein kalter Stahl oder eine brennend heiße Kugel. Es war wie eine Operation bei Bewusstsein. Alles war betäubt und dennoch, spürte man, wie sich etwas durch die Eingeweide fraß. Es ist ein schneller, fast schmerzfreier Tod. Manchmal, blieb nicht einmal die Erkenntnis, was geschehen war.
Yuki kannte das. Er hatte es schon einmal miterlebt. Kitazawa, hatte einen verblüfften Ausdruck auf dem Gesicht, als es geschehen war. Er hatte nicht einmal bemerkt, was überhaupt passiert war. Sein Blut war auf den Boden getropft und er hatte es noch immer nicht verstanden. Doch diesmal, war es anders, völlig anders.
Starr vor Erschütterung, stand der blonde Halbjapaner da und blickte in schreckgeweitete Augen. Shuichis Augen, er würde sie nie wieder vergessen können. Sie waren so weit aufgerissen, das sie das hübsche Gesicht in eine bizarre Maske verwandelten. Erfüllt mit Ungläubigkeit, breitete er seine Hände vor seinem Bauch aus. Sie zitterten unablässig und Blut tropfte zwischen den Fingern auf den Boden. Er konnte den Schmerz nicht spüren, aber er musste da sein. Irgendwo musste er stecken, verhüllt von Schock und Fassungslosigkeit.
Yuki kam näher. Er konnte den Blick nicht von den Augen nehmen, deren blau so tief war, dass es bereits einem Violett gleich kam. Sie waren so voller Horror und Panik, als ob sie den Schrecken der Welt erblickt hätten.
Eiris Blick, wurde seltsam weich. Es rührte so viele Erinnerungen auf. Aber, er wusste nur zu genau, dass dies nicht Kitazawa war. Es war viel schlimmer, als all die bösen Erinnerungen und Erlebnisse. Yuki, wollte sie aus seinem Kopf streichen und wurde doch immer wieder mit ihnen konfrontiert und nun, wiederholte sich alles bei Shuichi. Der junge Sänger, war wie ein Spiegelbild seiner Vergangenheit und doch, es war um so vieles schlimmer. Hilflos, musste Yuki ansehen, wie der zierliche Körper des Pinkhaarigen bebte, die Lippen einen stummen Schrei formten. Es war alles zu schnell gegangen und Shuichis Zeit schien einfach eingefroren. Die Erde schien zu beben, immer, wenn ein weiterer Blutstropfen die Pfütze unter Shuichis Füßen nährte.
Shuichis Körper, gab endgültig nach, als starke Arme ihn umfingen. Er brach einfach in sich zusammen, wie ein Kartenhaus.
Fest, drückte Yuki den sterbenden Körper an sich und hob ihn schließlich hoch. Er konnte spüren, wie das Blut des Jungen, zwischen seinen Fingern hervorquoll. Die Kugel hatte sich einen direkten Weg durch Shuichis Körper gebannt.
Grüne, ausdruckslose Augen, legten sich auf Tohma, der schockiert danebengestanden hatte. Als er Eiris stechenden Blick auf sich spürte, musste er unwillkürlich hochblicken. Er konnte einfach nicht begreifen, wie das alles geschehen konnte.
„Seguchi, fahr den Wagen!" grollte Yukis tiefe Stimme.
Der Angesprochene nickte nur und lief den Weg, den sie gekommen waren, wieder zurück. Irgendwo in seinem Inneren, erklärte eine Stimme ihm, dass dies die Chance war, die beiden endgültig zu trennen, doch er hörte nicht auf sie. Er hatte Yukis Gesicht gesehen, als sie Shuichi entdeckten. Es war so voller Entsetzen und Schuld, dass es ihn umbringen würde, sollte der Sänger sterben. Nein, er konnte Shuichi nicht hier lassen. Der Junge war eigentlich auch völlig unschuldig, nur verliebt. Er konnte nichts dafür, dass all die Schrecken, die er erleben musste, eine Art Abklatsch von Yukis dunkler Vergangenheit darstellten. Er provozierte sie noch nicht einmal. Allein die unsinnigen, aber tiefen Gefühle, für Eiri hatten ihn in sein langsames und wohl endgültiges Verderben gezogen.
„War es gut, Nakano-san zurückzulassen? Er schien auch einen Schock zu haben", fragte Seguchi, während er sich gleichzeitig darauf konzentrieren musste, in der hohen Geschwindigkeit, nicht die Kontrolle über den schweren Wagen zu verlieren.
Yuki, hörte ihm nicht zu. Seine Augen, waren auf den schwerverletzten Jungen in seinen Armen gerichtet, dessen Augen bereits wie glanzlose, blaue Perlen wirkten.
Kurz schielte Tohma herüber und bemerkte eine seltsame Wandlung in Yukis Gesicht. Es war sanft, voller Sorge und Schuldgefühl. Eiris blasse Finger, glitten durch Shuichis Haar und strichen es aus seiner Stirn. Die Haut des Sängers, war ganz kalt und nun, prangte ein Blutstreifen auf ihr. Überall, klebte der rote Lebenssaft und tropfte auch weiterhin aus dem zierlichen Körper. Verzweifelt, presste Yukis andere Hand, einen abgerissenen Teil seines Hemdes auf die große Austrittswunde am Rücken.
„Er wird durchkommen", versuchte Tohma sich selbst und seinen Freund zu belügen, doch dieser, blickte nicht einmal auf.
„Wem versuchst du etwas vorzumachen?"
Es war keine Anklage, dafür klang die Stimme zu heiser und gebrochen.
Bewegung, kam in Shuichis Körper, als er Yukis Stimme hörte. Die großen Augen, drehten sich kaum merklich zum Gesicht des Blonden. Der besorgte, verzweifelte Blick hellgrüner Augen, drang durch all den Nebel des Vergessens zum auslöschenden Bewusstsein.
Verblüfft und mit einem winzigen Stück Hoffnung, erkannte Yuki, wie sich die bebenden Lippen bewegten. Sie brachten nicht mehr, als ein atemloses Flüstern hervor, aber es reichte dennoch, um den Blonden innerlich voller Verzweiflung aufschreien zu lassen.
„Yu... ki..."
Es war sein schlimmster Alptraum. Erneut, wurde durch ihn, das Leben eines Menschen vernichtet. Und diesmal, war es niemand, der es verdient hatte. Es war allein Yukis Schuld. Shuichi war völlig ahnungslos gewesen. Er hatte ihm von den Briefen erzählen müssen, aber, er war mal wieder zu stolz, zu verschlossen, zu ängstlich sich anderen zu offenbaren.
Nahezu liebevoll, strich seine kühle, zitternde Hand, über Shuichis Wange. Er würde nicht zulassen, dass er starb. Nicht noch mehr schreckliche Erinnerungen, die ihn nie wieder loslassen werden würden.
Es war seltsam ruhig, im Krankenhaus. In sich zusammengesunken, saß Eiri auf einem der Stühle, die im langen Gang, vor den Operationssälen aufgestellt worden waren. Er hatte seine Ellenbogen auf den Knien aufgestützt und starrte misstrauisch auf die kahle Wand gegenüber. Das Getränk, das Tohma ihm anbot, wies er mit einem Knurren zurück. Seufzend ließ sich der Ältere, neben Yuki nieder.
„Er wird es schaffen. Er ist zäh und hat die besten Ärzte, die so schnell aufzutreiben waren, bekommen", plauderte Seguchi mit einem aufmunternden Lächeln.
Eiri, reagierte nicht. Sein Blick galt noch immer der Wand, hinter der irgendwo Shuichi operiert wurde.
„Es war nicht deine Schuld."
Seguchis Worte, klangen wie purer Hohn.
„Ist es so?"
Überrascht, hob Tohma eine Braue. Yukis düstere Reaktion überraschte ihn nun doch. Skeptisch, musterte er seinen Schwager von der Seite. Ein seltsamer Glanz lag in den stechenden Augen. Es war nicht die Furcht, für etwas Schlimmes verantwortlich zu sein, es war die Angst, jemanden zu verlieren.
Tohmas Lungen pressten Luft heraus, als sich sein Körper etwas entspannte. Er hatte nicht einmal bemerkt, dass er die Luft angehalten hatte.
„Er hatte Glück, dass wir zufällig in der Nähe waren."
Eiri wusste es durchaus zu schätzen, dass Seguchi ihn aufmuntern wollte, aber, dieser verstand noch immer gar nichts. Es war gewiss kein Zufall, dass sie dort gewesen waren. Etwas, zog den Schriftsteller immer und immer wieder in Shindous Nähe.
Yuki erhob sich und begann im Gang auf und ab zu tigern, stets unter Tohmas wachsamen Augen.
„Du solltest nach Hause gehen und dich ausruhen", verlangte der 32jährige.
Eiri blieb stehen und richtete seine wunderschönen, aber eiskalten Augen auf seinen Schwager. Dieser zuckte zusammen, als er den Hass darin sah. Es schmerzte ihn sehr, von dem Menschen, der ihm am meisten bedeutete, so angesehen zu werden.
„Ich werde ihn nicht alleine lassen", sagte Yuki Eiri mit fester, unerschütterlicher Stimme.
Es war irrsinnig. Er gab sich die Schuld für etwas, was er nicht mit Sicherheit verhindern hätte können und es war gleichzeitig nicht mehr, als eine Lüge. Es ging nicht darum, ob Shuichi überlebte oder nicht, sondern allein, um das eigene Gewissen zu besänftigen. Wusste er überhaupt, was er damit anrichtete?
„Du solltest dich endlich von ihm fernhalten. Wenn er dir jemals etwas bedeutet hatte, solltest du ihn gehen lassen, besonders jetzt. Gib ihm kein Mitleid, gib ihm endlich seine Freiheit."
Eindringlich, drang Tohmas Stimme in Eiris Verstand vor. Verdammt, er wusste es doch alles. Warum hörte er von anderen nur immer wieder das, was er selber längst wusste?
Der blonde Romancier, drehte Seguchi den Rücken zu und starrte an die Wand. Eine zeitlang, stand er einfach nur da und musterte das sterile Grau der Mauer. Schließlich knallte es dumpf und Seguchi schreckte hoch.
Yuki lehnte seinen Oberkörper weit vor und stützte sich mit der Faust an der Wand ab. Blut tropfte seine geschundenen Knöchel hinab. Er hatte all seine innere Zerrissenheit in einen einzelnen Schlag gesetzt.
„Das weiß ich doch alles selber."
Es war nicht die tiefe Stimme eines eiskalten Mannes, der andere als Spielzeug ansah. Yuki war gewiss niemand, dem die Gefühle anderer egal waren, er war nur jemand, der sein eigenes empfindliches Selbst, mit einer dicken Schicht Eis zu schützen versuchte. Er hatte nicht damit gerechnet, dass es jemals wieder genug Hitze geben würde, um es zum Schmelzen zu bringen. Es tat einfach nur noch weh.
„Verdammt... verdammt... verdammt... Warum schaffe ich es nicht? Warum schaffe ich es einfach nicht?"
Verzweifelt, hämmerte er immer wieder gegen die Wand. Was niemand sehen konnte, sein Gesicht war voller Schmerz. Sein Innerstes zerbrach allein bei dem Gedanken daran, dass Shuichi nur wegen ihm litt. Er litt immer nur wegen ihm und Eiri war dazu verdammt, hilflos zuzusehen. Was er auch versuchte, es brach alles in sich zusammen. Er konnte Shuichi nicht von sich stoßen, aber auch nicht bei sich behalten.
Der 22jährige, zuckte zusammen, als er eine Hand auf seiner Schulter spürte. Er brauchte nicht hinzusehen, um zu wissen, dass es Seguchi war. Der blondierte Mann, sorgte sich immer um ihn, niemand, war ihm so sehr Freund. Niemand bisher.
Eiri, drehte sich um und vergrub sein Gesicht, in Tohmas Halsbeuge. Hemmungslos brachen all die versteckten Gefühle hervor und heiße Tränen, tropften auf Seguchis schwarzen Anzug.
„Warum? Warum komme ich nicht von ihm los? Warum, muss er wegen mir so leiden?"
Seguchi, war sichtlich überfordert. Mit einem Blick, der an Trauer und Sorge, kaum zu überbieten war, strich er durch Eiris blondes, weiches Haar. Er wusste, er konnte nicht mehr machen, als für den Jüngeren da zu sein.
Seufzend, suchte er nach einer befriedigenden Antwort und fand sie, mit einer niederschmetternden Erkenntnis. Es war etwas, dem man sich nicht widersetzen konnte. Ein Naturgesetz, dass für jeden galt, egal, an welchem Punkt der Erde man sich befand.
„It's Gravitation..."
Krachend, fiel die Getränkedose, aus dem Automaten. Eigentlich, hatte Tohma gar keine Lust auf billige, süße Limonade und Yuki konnte er sie auch nicht geben. Der junge Schriftsteller, war endlich eingeschlafen und beanspruchte einige Gänge weiter, zwei Stühle für sich. Es war wirklich eine lange Nacht.
Sein Blick, fiel zur Fahrstuhltür. Er erwartete Nakano zurück. Der junge Mann, war mit hoher Sicherheit im Haus. Aber, er kam nur alle paar halbe Stunde vorbei, blickte auf das leuchtende Schild, das anzeigte, dass noch operiert wurde und verschwand wieder.
Energische Schritte mit klappernden Absätzen näherten sich. Sofort blickte Seguchi hoch und erkannte ein wohlbekanntes Gesicht. Völlig erschöpft, stemmte eine schwer atmende Frau, mit langem, braunen Haar und den selben, stechenden Augen, wie Eiri sich gegen die Wand nahe der Treppe.
Mikas Miene wechselte zu einer fragender Besorgnis, als sie ihren Ehemann erkannte. Mit grazilen, aber immer noch festen Schritten, trat sie auf den freundlich lächelnden Mann zu.
„Tohma, was ist passiert? Warum hast du mich hergerufen?"
Gelassen, öffnete der Angesprochene seine Getränkedose, nahm einen Schluck und blickte seine Frau nun weniger freundlich an.
„Shindou wurde angeschossen."
Die braunen Augen, der jungen Frau, weiteten sich entsetzt.
„Wie hat Eiri es aufgenommen?"
Ein grimmiges Lächeln, huschte über Tohmas Lippen. Mika war schon immer sehr schnell gewesen und in diesem Fall, hatte sie den wunden Punkt beim ersten Versuch getroffen.
„Es macht ihm zu schaffen", antwortete er schlicht und konnte sofort an Gesicht gegenüber ablesen, dass dies keine angemessene Antwort war.
Mika war sich sehr wohl im Klaren, dass es ihren Bruder belasten musste. Sie war nicht dumm und hatte den Umgang von Yuki und Shuichi sehr genau beobachten können. Immer wieder, wühlte dieser in ihr die Angst auf, dass Eiri auf diesem Weg niemals über seine Vergangenheit hinweg kommen könnte. Lieber, sollte ihr kleiner Bruder niemals lieben, als für den Rest seines Lebens Leid erfahren zu müssen. Aber nun. Sie mochte Shuichi, sie mochte ihn sehr, vor allem, da er ihren Bruder mit einer unabdingbaren, uneigennützigen Aufrichtigkeit liebte, wie es wohl kein anderer Mensch jemals würde tun können.
„Wo ist er?"
Zwar, zeigte Tohma in die entsprechende Richtung, hielt Mika dann aber doch am Arm zurück, als diese zu ihrem Bruder wollte. Die junge Frau, drehte sich zu ihrem Ehemann und erschrak. Jede Spur Freundlichkeit, war aus Seguchis Gesicht gewichen.
„Er wird es nie schaffen. Eiri ist ihm verfallen und solange Shindou lebt, wird er nie zur Ruhe kommen. Es muss endlich ein endgültiger Schlussstrich gezogen werden, damit das alles ein Ende hat."
Fassungslos riss Mika ihren Mund auf. Wusste Seguchi, was er da sagte? Sie versuchte, Abstand zu ihm zu gewinnen, doch sein Griff wurde immer fester.
„Das kannst du nicht tun?" hauchte sie atemlos und zerrte weiterhin an ihrem Arm.
Eine schnelle Bewegung neben ihr, forderte einen Moment die Aufmerksamkeit Mikas. Der Druck um ihren Arm ließ nach und sie zog ihn zurück, um die schmerzende Stelle zu reiben.
Sowohl sie, als auch Tohma mussten zu abgelenkt gewesen sein, um Eiris Kommen zu bemerken, denn dieser stand nun zwischen ihnen beiden. Seine Hand, hatte er um Seguchis Kragen geschlossen und zog diesen nun nah an sein Gesicht. Blanker Hass und brennende Wut, spiegelten sich in seinem verzerrten Gesicht.
„Wag es ja nicht, deine Hände an Shuichi zu legen."
Erschrocken, starrte der Ältere ihn an. Seguchi war unfähig, etwas zu sagen und auch Mika, war viel zu perplex zum Reagieren.
Schließlich blickte Tohma zur Seite und lachte sarkastisch auf. Sein bohrender Blick richtete sich mit einer übertriebenen Überheblichkeit auf seinen Schwager.
„Ist die Anziehung wirklich so stark?"
Verblüffung, ließ Eiris Züge weicher werden. Sofort ließ er seinen Schwager los. Er musste über dessen Worte nachdenken. Schließlich, legte sich ein knappes Lächeln auf seine Lippen und seine Augen, bohrten sich aggressiv in Seguchis Antlitz.
„Wenn du es wissen willst, ich bin ihm verfallen, mit Haut und Haaren."
Verwirrt über diese Antwort, musste Tohma blinzeln. Da war so viel Aufrichtigkeit in den Worten. Zu viel, um es länger zu ertragen. Er war nun machtlos. Yuki würde es ihm nie verzeihen, wenn er auch nur einmal versuchen würde, etwas gegen Shuichi zu unternehmen, dabei schien er einfach nicht zu verstehen, dass es nur zu seinem Wohl war. Wie stellte er sich das vor? Irgendwann, würde Shuichi ihm wieder Leid zufügen. Menschen konnten gar nicht anders und der „Bad Luck"-Sänger, war allein durch seine ständige Präsenz eine ewige Erinnerung an schlimme Dinge.
Zähnknirschend und mit einem Blick voller Wut, drehte Seguchi sich um und marschierte zum Lift. Mika folgte ihm aufgeregt. Sie wollte ihn so nicht gehen lassen.
Gerade noch rechtzeitig, bevor die Lifttür zufiel, schlüpfte Mika hinein und sah sich sofort einem ärgerlichen Blick ihres Mannes gegenüber. Ihre Brauen zogen sich zusammen und mit verschränkten Armen, sah sie ihn missbilligend an.
„Was hast du dir dabei gedacht?" fragte sie ohne Umschweife.
Tohma konnte dem Ernst ihrer Stimme nicht ausweichen, er wollte es auch nicht. In Mika, war er sich einer Verbündeten sicher. Auch Eiris Schwester sah es nicht gern, wenn ihr Bruder litt, auch, wenn sie nichts konkretes gegen diese seltsame Beziehung unternahm.
„Er wird sich selber vernichten", sagte er dumpf und erntete einen verwirrten Blick. „Shindou, wird ihn vernichten, wenn er nicht von ihm loskommt."
Mika senkte ihren Blick und gab einen verstehenden Laut von sich. Das Gefühl, dass Seguchi sich da in etwas verrannte, war noch nie so stark wie jetzt.
„Hast du schon einmal daran gedacht, dass Eiri vielleicht glücklich ist? Willst du ihm das nehmen?"
Ihre dunklen Augen, fixierten ihren Ehemann, der dem mühelos standhielt.
„Glücklich? Er leidet. So schlecht wie jetzt, ging es Eiri-san noch nie."
Mika reichte es allmählich. Sie war dankbar, dass Tohma sich so sehr um ihren kleinen, verwundeten Bruder kümmerte, viel mehr, als sie es konnte. Sie bewunderte und liebte ihn dafür, aber seine kleinen Intrigen, gingen auch an ihr nicht spurlos vorbei. Zugegeben, sie missbilligte die Beziehung Eiris zu Shuichi, doch gleichzeitig war sie dem Jungen dankbar dafür, dass er es geschafft hatte, das Herz ihres Bruders zu berühren. Das war kein Spiel, es war möglicherweise nie eins gewesen. Wäre es so, wäre Eiri jetzt hier? Hätte Shuichi soviel mit sich machen lassen, um seinen Geliebten zu schützen?
„Hör endlich auf!" hörte die junge Frau ihre eigene Stimme gebieterisch zischen. „Hör endlich auf, Tohma. Wer hat denn gesagt, dass Glück und Schmerz sich immer ausschließen müssen?"
Verblüfft, blickte Seguchi auf. Er wollte etwas erwidern, schloss seinen Mund dann aber doch wieder, als seine Frau fortfuhr.
„Verdammt noch mal, warum willst du ihn denn um jeden Preis beschützen? Er ist erwachsen und kann auf sich selber aufpassen. Er weiß, was er tut und das hat nichts mehr mit dir zu tun."
Ihre Worte, trafen ihn tief ins Herz. Er wusste es längst und vielleicht war das der Grund, warum er sich so sehr dagegen sträubte. Er war bisher der Einzige, der Eiri bedingungslos liebte und dann kam plötzlich dieses pinkhaarige Nervenbündel. Es schneite einfach so in Yukis Leben und dieser war unfähig, sich der Anziehung zu widersetzen. Es war zwecklos, beide trennen zu wollen.
Gedankenverloren, stand Hiroshi am Eingang. Neben ihm ein überquellender Aschenkübel. Er hatte seine Pflicht erfüllt und alle wichtigen Personen angerufen. Shuichis Familie, war längst da, hatte mit dem Arzt gesprochen, durfte den Jungen nach der Operation kurz sehen und war dann wieder weg. Lediglich Maiko, Shuichis jüngere Schwester, war geblieben. Sie hatte versucht mit Yuki zu sprechen, doch das war zwecklos.
Auch K, Fujisaki und Sakano waren kurz hereingeschneit, aber bleiben wollte sie nicht lange. Allen war die große Sorge um Shuichi anzumerken. Ihre Gesichter wirkten plötzlich so alt und müde. Niemand, wusste viel über den Zustand des jungen Sängers und alle, hatten genug damit zu tun, weiteres Übel fernzuhalten.
Hiroshis Augen, wanderten über die Straße vor dem Krankenhaus. Es schien alles sehr normal, nirgends war auch nur ein Anzeichen von Presse. Das war wahrscheinlich der Grund, für K's Eile und er hatte wirklich gute Arbeit geleistet. Shuichi, war bereits seit mehr als 16 Stunden in Behandlung, genug Zeit, um die Nachricht bereits über die ganze Welt zu tragen.
Erleichtert darüber, drückte Hiro seine Zigarette aus und ging wieder ins Gebäude. Er wusste, diese Ruhe würde nicht ewig wären, aber solange, sollte sein kleiner Freund auch nicht damit behelligt werden.
Eine, der Aufenthaltsräume, beherbergte einen Fernseher. Dutzende von Patienten saßen auf Stuhlreihen und starrten auf die Mattscheibe. Hiroshi, der an dem Raum vorbeikam, hielt inne und blickte nun auch auf den Fernseher. Er glaubte nicht, was er da sah. Fassungslos, trat er näher. K und Fujisaki gaben tatsächlich eine Pressekonferenz. Selbst für NG-Verhältnisse, wurde die Konferenz außergewöhnlich schnell anberaumt.
Neugierig geworden, setzte Hiroshi sich auf einen Stuhl in der hinteren Reihe und lauschte gebannt den Erklärungen K's.
Yuki blickte nicht einmal mehr auf, wenn sich aufgeregte Schritte näherten, doch diesmal, steuerten diese direkt auf ihn zu.
„Eiri-san?"
Verwundert, blickte der Angesprochene auf. Er kannte diese ruhige, mädchenhafte Stimme. Seine hellgrünen wanderten umher und blieben schließlich in dem Gesicht eines jungen Mädchens hängen. Eine wahre, altmodische, japanische Schönheit, deren glattes, pechschwarzes Haar, geradegeschnitten, über ihren Rücken fiel.
„Ayaka-chan?"
Die Überraschung war ihm wirklich anzumerken. Er hatte nicht damit gerechnet, sie hier zu treffen. Andererseits, Kyoto war mit dem Schnellzug keine Ewigkeit entfernt und außerdem, war Shuichi mehr oder weniger auch ein Freund von ihr.
„Hat Mika dich angerufen?"
Ayaka nickte nur. Auch dies, war keine Überraschung. Wer sonst, außer Mika hätte sie anrufen sollen? Nun ja, wenn er so nachdachte, käme noch Nakano in Frage, aber jener war nach all den üblichen Anrufen, an Familie und Management zu müde gewesen, um noch entferntere Bekannte zu benachrichtigen. Außerdem, Ayaka war sicher die letzte Person, die Hiroshi jetzt sehen wollte. Er steckte schon zu tief in Trauer und Angst, um sich noch einer Person, die er wohl nie erreichen würde, gegenüber zu sehen. Das Mädchen liebte ihn nun mal nicht, da ihr Denken sich allein um ihn, um Uesugi Eiri drehte. Daran ließ sich nichts ändern. Er konnte Ayaka ja auch nicht geben, wonach es sie verlangte. Er konnte es nicht einmal, Shuichi geben.
Ayakas Augen, wanderten suchend umher. Ruckartig, drehte sie ihren Kopf in alle Richtungen und mit jedem Mal, wuchs die Besorgnis in ihrem Gesicht.
„Wo... wo ist Hiroshi-san?"
Verblüfft, hob Eiri eine Braue. Es wunderte ihn doch etwas, dass sie nach dem Gitarristen fragte. Ahnte sie in ihrer unschuldigen Naivität nicht, dass dies der falsche Zeitpunkt war, dem jungen Mann helfen zu wollen? Andererseits, so eine war sie nicht.
Das Mädchen, beachtete ihn weiterhin kaum. Nur eher beiläufig fragte sie nach Shuichis Befinden und machte ein betroffenes Gesicht, als sie erfahren musste, dass Yuki es wusste. Er durfte momentan auch nicht zu ihm.
Irgendwann, stieß Ayaka einen undefinierbaren Laut aus. Hiroshi war zurückgekehrt und starrte wieder einmal auf die Tür, hinter der sich Shuichi befand. Er fühlte sich so hilflos. Hätte er schneller reagiert, wäre Shuichi vielleicht nicht verletzt worden. Dann würde es ihm jetzt nicht so verdammt dreckig gehen.
Aus einiger Entfernung, konnte Yuki die nächste Szene beobachten. Ayaka näherte sich Hiroshi. Zuerst verblüfft, dann mit schmerzvollem Ausdruck, sah er das Mädchen, in dass er sich so sehr verliebt hatte an. Selbst auf diese Entfernung konnte Eiri spüren, wie Hiroshis Herz sich, in Ayakas Nähe verkrampfte. Doch das Mädchen, schien dies nicht zu stören. Sie tauschten Worte aus, die Yuki nicht verstehen konnte. Der Schmerz in Nakanos Gesicht, wurde immer stärker, für ihn selber wohl unerträglich.
Überrascht, musste Yuki blinzeln. Ayaka, hatte eine Hand in Hiroshis Nacken geschoben und sein Gesicht zu sich heruntergezogen. Kraftlos, müde und hilflos, lehnte der junge Gitarrist seine Stirn auf die Schulter des Mädchens und begann hemmungslos zu weinen. Er war wirklich mit den Nerven am Ende und Ayaka konnte nicht mehr tun, als zu versuchen, für ihn dazu sein.
Ein leichtes Lächeln, huschte über Yukis Gesicht. Wie es aussah, änderten sich viele Dinge und er war nicht mehr der Mittelpunkt eines Lebens. Leicht, fuhr er sich durch die Haare. Es war nichts, was ihn großartig störte, ganz im Gegenteil. Es interessierte ihn nicht weiter, mit wem seine Exverlobte zusammenfand und doch, war er froh, dass Shuichis bester Freund jemanden hatte, der ihm jetzt half. Er konnte sich nicht um Hiroshi kümmern, er konnte auch nicht mit ihm leiden. Nakano war ihm soweit egal. Eigentlich waren ihm alle egal, nur Shuichi nicht.
Er zuckte zusammen, als er eine Hand auf seiner Schulter spürte. Eine Krankenschwester, beugte sich übertrieben weit hinab und lächelte ihm vielsagend ins Gesicht.
„Yuki-san? Sie dürfen jetzt für einen Moment zu ihm, wenn sie wollen."
Sein Körper, musste mit Kraft unter Kontrolle gebracht werden, damit er nicht sofort aufsprang. Betont langsam, Arroganz und Überlegenheit aus jeder Pore pressend, erhob er sich und musste dennoch feststellen, dass er längst todmüde war. Er hatte sich geweigert, dass Gebäude auch nur eine Minute zu verlassen, auch, wenn seine Schwester ihn immer wieder angerufen und darum gebeten hatte.
Es war kein sonderlich großer Raum und auch das Licht, war eher gedämpft gehalten. Ehrfürchtig trat Yuki näher an das Bett. Shuichi erschien wie eine zerbrochene Porzellanpuppe. Seine Haut war ganz blass und ließ die Adern hindurchscheinen. Sein kleiner, zierlicher Körper schaffte es kaum, eine Wölbung in die Bettdecke zu bringen und die Kabel, die aus ihm ragten, komplettierten das bizarre, erschreckende Bild.
Yuki blieb neben dem Bett stehen und blickte auf den Jungen hinab. Langsam streckte er eine Hand aus und musste feststellen, dass diese zitterte. Sich selbst tadelnd, schloss er die Augen und fuhr schließlich mit der Bewegung fort. Seine Fingerspitzen stießen an weiches Haar. Sacht, schob er es aus der Stirn.
Ruckartig, schlug er die Lider hoch. Seine Hand berührte noch immer Shuichis Stirn. Ein Stich, bohrte sich in Yukis Eisherz. Der Pinkhaarige zeigte keine Reaktion. Ruhig, pumpte ein Atemgerät, Sauerstoff in die Lungen des Jüngeren, während ein anderes Gerät unaufhörlich piepte. Es war zuviel für Yuki. Mit einer nie gekannten Wucht, explodierten die Gefühle in ihm und seine Eisschicht bekam tiefe Risse. Erschrocken über diesen Anblick, über diese Puppe aus Fleisch, deren Leben an Maschinen hing, presste er eine Hand auf seinen Mund. Ein leiser Schluchzer entfuhr ihm.
Er hatte so lange versucht, sich etwas vorzumachen, doch nun, begriff er, das alles sinnlos war. So sehr er auch versuchte, Shuichi all seine Kälte spüren zu lassen, so sehr er sich den Jüngeren vom Leib zu halten versuchte, so sehr er sich auch einbildete, mehr als körperliche Anziehung wäre da nie gewesen, er musste sich eingestehen, dass dem nicht so wahr. Vielleicht war es auch nie so gewesen.
Sanft strich er dem Bewusstlosen über die Wange. Eiris Verstand, rebellierte gegen den Gedanken, dass der junge Sänger nie wieder aufwachen sollte. Was sollte er denn machen, wenn er nie wieder dieses Energiebündel um sich hatte? Über wen sollte er sich ärgern? Und wessen Augen sollten ihn dann treu und voller Liebe ansehen.
Ein weiterer Schluchzer entfuhr dem sonst so gestandenen Mann. Das alles hatte Shuichi gewiss nicht verdient und er musste nur wegen ihm leiden. Weil er Yuki so sehr liebte und beschützen wollte. Er hatte es nie zu schätzen gewusst und nun, wo er wusste, was bedeutete, schien es zu spät.
Shuichis Haut, war so entsetzlich kalt. Der junge Mann, war nie so kalt gewesen. Sein Körper sprühte voller Leben und sein Herz, pumpte unablässig heißes Blut durch ihn. Yuki hatte seinen Herzschlag schon oft gespürt und den warmen, fast brennendheißen Körper, doch, es war ihm immer egal gewesen. Nun, lag Shuichi da, kalt, stumm, mehr tot, als lebendig und Eiri musste sich dem stellen, vor dem er all die Zeit Angst hatte. Er musste sich eingestehen, dass Shuichi ihm nicht egal war. Dass er ihn nicht ausgesucht hatte, weil er gerade greifbar oder eine interessante Abwechslung. Er hatte den Sänger nicht gewählt, um sich von all den Frauen, die nicht mehr als Geld oder Sex wollten, abzulenken. Yuki Eiri, hatte Shuichi geduldet, weil er gar nicht anders konnte.
Und wenn Shuichi ans andere Ende der Welt gegangen wäre, früher oder später, hätte er ihn gesucht. Es war unmöglich dem zu entkommen. Diese unendlich starke Anziehung, die beide umeinander kreisen ließ, wie Planeten. Nicht einmal der Tod, würde dies zerstören können. Sie waren einander verfallen, unfähig sich zu lösen, einander ausgeliefert und sich gegenseitig brauchend.
„Wag ja nicht zu sterben!" flüsterte Eiri mit belegter Stimme.
Seine verzweifelten, hellgrünen Augen, hatten jegliche Kälte verloren. Sanft, blickten sie auf Shuichi hinab und hofften so sehr, jeden Moment in dessen dunkles Augenblau zu sehen. Die Verwirrung darin zu finden, die Shindou immer hatte, wenn er gerade aufgewacht war und dann das fröhliche Lächeln. Es musste einfach noch weitere, solche Momente geben.
„Hörst du, du Idiot? Wehe, ich habe hier umsonst gewartet. Wag es ja nicht, nun doch aufzugeben."
Aggressiv, blitzten die außergewöhnlich hellen Augen auf. Jeder Faser des schönen Körpers, war auf Angriff geschalten. Nur widerwillig, trat er zur Seite und ließ den Besuch mit übertriebener Gestik hinein. Die Absätze der teuren Manolo Blahniks, klapperten auf dem Boden, als Mika eintrat. Ihre dunklen Augen, wanderten durch den Flur und versuchten Details zu erhaschen.
„Was willst du?"
Auch Eiris Stimme war gereizt. Er wollte seine Schwester auf keinen Fall bei sich haben. Momentan wollte er ohnehin niemanden sehen und schon gar niemanden, der Shuichi in der Vergangenheit unnötige Qualen bereitet hatte.
„Ich bin nur hier, um dir mitzuteilen, dass wir deinen Stalker gefunden haben."
Mika, war zu souverän und zu sehr an die Launen ihres Bruders gewöhnt, um sich davon noch aus der Ruhe bringen zu lassen. Unter dem kritischen, verärgerten Blick des blonden Schriftstellers, zog sie sich die edlen Schuhe aus und trat tiefer in die Wohnung.
Yuki war von der Neuigkeit doch etwas überrascht. Es war Wochen her, dass Shuichi niedergeschossen wurde und schon fast, hatte er aufgegeben daran zu glauben, dass der Täter jemals gefasst werden würde.
„Wo?... Wer?"
Die junge Frau, zuckte mit Schultern.
„Ich kenne sie nicht. Sakuma-san, hat sie gefunden. Besser gesagt, er hat an sie appelliert, sich zu stellen. Die Sache mit dem Kleinen, zerrt sehr an seinen Nerven."
Energisch, trat sie auf das Wohnzimmer zu, doch Yuki vereitelte dies. Blitzschnell, stellte er sich vor die Tür und versperrte seiner älteren Schwester den Weg. Diese hob nur fragend und verärgert eine Braue.
„Hast du Angst, ich würde etwas Furchtbares entdecken? Oder schämst du dich nur, wieder eurer seltsamen Anziehung verfallen zu sein?"
Halbherzig, versuchte sie den überlegenen Mann zur Seite zu schieben.
„Ich will doch nur wissen, wie es ihm geht."
„Yukiiiii!"
Eiri verdrehte die Augen. Einerseits, war er froh, diese penetrante Stimme zu hören, andererseits, zupfte der Besitzer davon nur wieder voller Schadenfreude an seinen ohnehin dünnen Nervenseilen. Ihm entging Mikas leichtes Lächeln, als er sich umdrehte und mit saurer Miene ins Wohnzimmer ging.
Vom Sofa her, leuchteten ihn zwei große, fast violette Augen fröhlich an. Das grelle, pinkfarbene Haar, stach vor dem dunklen Hintergrund stark hervor. Unruhig, zappelte Shuichi auf und ab, so dass der breite Träger seines Tops über seine Schulter rutschte.
„Was ist denn?", fragte Eiri genervt.
Allerdings, konnte er dem Kleinen nicht wirklich böse sein. Schließlich, war er es, der Shuichi in seine Wohnung geholt hatte. K und Sakano, hatten gute Arbeit geleistet, aber nach einiger Zeit, konnten auch sie die Presse nicht mehr in die Irre führen. Es war unmöglich geworden, den „Bad Luck"- Sänger in seine eigene Wohnung zu bringen, als er endlich aus dem Krankenhaus entlassen wurde. Ganze Zeltstätten wurden von der lästigen Presse vor Shuichis Wohnung aufgestellt. Vielleicht, war es auch nicht das Schlechteste, wenn sich die beiden wieder ein Dach teilen mussten.
„Uhm... bist du böse?" fragte Shuichi verunsichert.
Genervt, fuhr Eiri sich durch seine blonden Haare. In Momenten, wie diesen, fühlte er sich wieder völlig überfordert. Er spürte sehr genau, dass Shuichi einen großen Teil seiner Unbeschwertheit eingebüßt hatte und er, war nicht unschuldig daran.
„Nein, bin ich nicht. Nun sag, was du willst."
Der Pinkhaarige, beugte sich etwas vor und die Decke, fiel ein Stück über seine Beine.
„Ich habe Hunger... Können wir nicht Pizza oder so bestellen?"
Große blaue Augen, die einen voller Gutmütigkeit und Treue ansahen, ließen bei jedem normalen Menschen den Beschützerinstinkt hervorbrechen. Bei Yuki Eiri, äußerte sich dieser in einem genervten Brummen und verdrehten Augen.
„Meinetwegen", antwortete er und sah sich im nächsten Moment mit einer 19jährigen, singenden Klette behaftet.
Überschwänglich, war Shuichi ihm an den Hals gesprungen und umarmte ihn mit einem glücklich Lächeln.
„Mit ganz viel Käse, ja? Und Peperoni... Du bist wirklich der Beste."
Fast, hätte Yuki die Fassung verloren und laut aufgequietscht, als Shuichi zärtlich sein Ohr küsste. Fassungslos, fasste er sich an die Stelle und blickte Shuichi nach, der fröhlich pfeifend ins Badezimmer wankte.
Kichernd, bemerkte Mika den roten Schimmer im Gesicht ihres Bruders und fing sich dafür einen zornigen Blick ein.
„Tschuldige, aber ich hätte nicht gedacht, dass es wahr ist. Tohma hat mir nur davon erzählt", erklärte sie mit amüsiert blitzenden Augen.
Resignierend, verdrehte Eiri die schönen Augen. Er hasste es, so bloßgestellt zu werden, erst recht vor jemanden wie Mika. Aber, was sollte er machen? Shuichi nutzte eben alles aus und wenn es empfindliche Ohren waren. Innerlich, breitete sich dann doch ein Lächeln aus. Unter gewissen Umständen, war das auch gar nicht so schlecht.
Die Badezimmertür, klappte wieder auf und Shuichi, nur in Shirt und schlabberigen Shorts, trat wieder auf den Flur.
„Yuki? Bestellst du auch die ganz scharfe Salami?"
Die Augen des Angesprochenen, verengten sich. Herumkommandiert, von einer derartig infantilen Nervensäge. Wie tief, konnte man noch lesen.
„Idiot. Du weißt ganz genau, dass du scharfes Essen nicht verträgst", zischte Yuki harsch.
Shuichis Blick veränderte sich. Seine Augen wurden noch größer und die ersten Tränen, bildeten sich darin. Entnervt, knirschte der Blonde mit den Zähnen.
„Ist ja gut, aber beschwer dich dann nicht wieder, wenn dir übel wird."
Überglücklich, begann Shuichi auf und ab zu hüpfen, soweit es sein angegriffener Körper zuließ. Resignierend, schlug Yuki sich vor die Stirn, während Mika nur wieder kicherte und somit die Aufmerksamkeit ihres Bruders erregte.
„Willst du nicht langsam gehen?" fragte er zwischen seinen Fingern hindurch.
Mit einem seltsam fröhlichen Lächeln, nickte Mika und ging an Shuichi vorbei zur Haustür. Leicht, strich sie dem unerschütterlichen Sänger über den Kopf.
„Pass gut, auf diesen Miesepeter auf, ja?"
Verwirrt, blickte Shuichi ihr nach, bevor er von Yuki einfach wieder zum Wohnzimmer geschoben wurde.
An die Wand gelehnt, beobachtete Eiri seine Schwester dabei, wie sie versuchte, in ihren teuren, aber entsetzlich engen Schuhe, zu schlüpfen. Er schien in Gedanken versunken und hörte Mikas Frage erst beim zweiten Mal.
„Bist du glücklich, so wie es jetzt ist?"
Die dunklen Augen der jungen Frau analysierten jedes noch so kleine Muskelzucken ihres Bruders, der nur abfällig schnaubte.
„Seit wann hast du soviel Humor? Ich muss mir meine Wohnung mit diesem Idioten teilen, der es partout nicht schafft, auf sich selber aufzupassen."
Erneut, kicherte Mika. Ihre sonst so kühlen Züge, waren ausnahmsweise besonders sanft und zärtlich, blickte sie zu ihrem Bruder auf.
„Du hast eine wirklich merkwürdige Art, deine Liebe auszuleben."
„Wer redet denn von Liebe?" fragte der junge Mann gereizt, was das Lächeln nicht im Mindesten zerstörte.
Er spürte Mikas warme Hand an seiner Wange und im Gegensatz zu früher, zuckte er nicht zurück. Es war nicht annähernd so unangenehm, wie er immer gedacht hatte. Mika, zog ihre Hand zurück.
„Dann nenn es meinetwegen Gravitation oder die Sucht nacheinander, aber wenn ich es Liebe nenne, beruhigt es zumindest meinen schmollenden Ehemann."
Kopfschüttelnd, schloss Eiri die Tür hinter seiner Schwester. Manchmal hatte er das Gefühl, er wurde nur als ein Kind angesehen, dass man um jeden Preis beschützen musste. Es war einfach lästig, fast so lästig, wie sein neuer, alter Mitbewohner.
„Yuki?"
Der Romancier blickte auf und wurde von zwei blau-violetten Augen eingefangen. Ein wenig unbeholfen, stand Shuichi da und musterte ihn vorsichtig. Yukis Augen, glitten an dem Körper hinab. Der Pinkhaarige, war blass geworden und sein ohnehin zierlicher Körper, drohte jeden Moment zu zerbrechen. Der nackte Bauch, zwischen Hose und Shorts, fesselte die hellgrünen Augen an sich. Die Wunde, war kaum verheilt und eine frische, rosa Narbe, kroch unter dem Stoff hervor.
Auf leisen Sohlen, trat der größere der beiden, jungen Männer näher und zwang Shuichi aufzublicken. Verwirrung und Erwartung, stand in dessen Gesicht, während Eiri die übliche, ausdruckslose Maske trug.
Shuichi zuckte zusammen und ein roter Schimmer erstrahlte auf seinen Wangen, als er Yukis kalte Hand auf seiner Narbe spürte. Er verabscheute diesen Makel. Nicht, weil er häßlich war, sondern, weil es ein Beweis dafür war, dass Shuichi vergehen konnte. Leicht strichen die Lippen des Älteren über dessen nackten Hals und ließen die Knie des Pinkhaarigen weich werden. Der Blonde, beugte sich tiefer und entlockte seinem Freund einen heiseren Aufschrei, als er ihn auf seine Arme hob.
„Idiot. Bist nicht mal auskuriert und läufst so hier rum. Willst dir wohl eine Erkältung zusätzlich holen."
Einen kurzen Moment, zog Shuichi einen unwiderstehlichen Schmollmund, klammerte sich dann jedoch an Eiris Hals und umarmte diesen glücklich.
Einsam, gärte das letzte Pizzastück in der Pappschachtel dahin. Unbeachtete, lag beides auf dem Wohnzimmertisch und wurde nur vom Fernseher bestrahlt. Dem Gerät gegenüber, saß Yuki und schaute mit Interesse die Mitternachtsnachrichten. Bereits den ganzen Abend, liefen immer wieder die Bilder einer Verhaftung in den Nachrichten. Der Anblick, schürte ungekannten Hass im Herzen des jungen Mannes. Er würde der Frau, die dort in Handschellen abgeführt wurde, nie vergeben, was sie getan hatte.
Er angelte mit einer Hand nach der Fernbedienung und schaltete um. Die andere Hand, streichelte unablässig durch seidenweiche Haare, deren zugehöriger Kopf, eng an seinen Bauch gekuschelt war. Mit einem Seitenblick, sah er zu Shuichi, der eingeschlafen war. Kurz, löste er die Hand von seinem Kopf und zog die Wolldecke zum Hals des Pinkhaarigen hoch.
Auch, wenn er es unter Folter nie zugeben würde, er war heilfroh, dass diese Nervensäge wieder zurück war.
Mikas Frage, kam ihm wieder in den Sinn, während Shuichi sich enger an kuschelte und sein warmer Atem, über den nackten Bauch strich. War er glücklich? War er wirklich froh darüber, dass jemand ihn nie wieder gehen lassen würde? Dass es jemanden gab, der durch die Hölle gehen würde, nur um ihn zu schützen? Dass er durch diesen keine andere Wahl hatte, als sich immer und immer wieder mit seiner Vergangenheit auseinander zusetzen? Dass er jeden Morgen mit munterem Krähen eines Möchtegernsängers auf Drogen geweckt wurde und jeden Abend, neben der gleichen Nervensäge einschläft?
„Ei... ri..."
Yuki blickte auf den Pinkhaarigen hinab. Es war selten, dass dieser ihn beim Vornamen nannte, aber, im Traum war wohl alles möglich.
Liebevoll, streichelte er weiter dessen Kopf. Auch, wenn ihm die Liebe des Kleinen noch immer unheimlich war, er würde damit zurechtkommen. Er hatte auch keine andere Wahl. Yuki, war dem jungen Sänger mit all seinen Sinnen, Körper und Geist verfallen. Er wollte ihn nicht mehr missen, was würde das auch nützen? Selbst, wenn ein ganzes Universum zwischen ihnen liegen würde, würden sie sich doch wieder anziehen. Deswegen, war er bei den Konzert und deswegen, hatte er den Umweg durch Shuichis Wohngegend genommen. Es zog ihn immer und immer wieder in Shuichis Nähe und er wusste, dass es umgekehrt genauso war.
Seine Hand, wanderte auf Shuichis Rücken und drückte diesen etwas näher an sich. Eiri, mochte die Wärme, die der andere Körper ausstrahlte und er mochte den gleichmäßigen Rhythmus des fremden Herzschlags.
Nachdenklich, blickte er auf Shuichis Haarschopf. Er war der erste gewesen, der soweit zu Yuki vorstoßen konnte, weil dieser ihn gelassen hatte. Auch, wenn er es versucht hatte, lange wehren, konnte er sich nicht. Es war unmöglich, Shuichis unerschütterlicher Offenheit und seiner aufrichtigen Art zu lieben, auszuweichen. Wie nannten sie es doch gleich? Anziehung? Wie recht sie hatten... anfangs. Auch, wenn Yuki nie an Liebe und dergleichen geglaubt hatte und niemals, die Schmetterlinge spüren würde, so musste er für sich doch eingestehen, dass er für Shuichi etwas ähnliches empfand.
„It's Gravitation... maybe, it's... love?"
